2. Kapitel
Wir waren nichts weiter, als ein Netz aus Lügen und Intrigen. Wir waren gefangen in einem Spiel aus Geld und Luxus. Meine Eltern waren kaputt und innerlich leer, aber sie waren in Chanel, Dior und Valentino gekleidet, mit goldenen Rolex Uhren und Schmuck von Cartier behangen. Sie glitzerten und funkelten, aber im Inneren waren sie kalt und vermodert. Nichts berührte sie mehr.
Ich wollte nicht so enden, wie sie. Ich wollte frei sein und meinen Käfig verlassen, doch ich wusste nicht wie. Meine Eltern hatten Kontakte und Beziehungen, die mich überall finden würden. Sie würden mich niemals gehen lassen. Nicht aus Liebe, sondern weil ich ihre Zukunft absicherte und ein nicht wegzudenkendes Puzzleteil ihrer kranken, königlichen Lebensideologie war.
"Was träumst du schon wieder? Zieh endlich den Rock über, damit Tilli dein Korsett binden kann", fauchte Mutter.
Mit einem leisen Seufzen stieg ich in das rosa Zelt. Es sah so übertrieben aus, dass ich mir vollkommen lächerlich vorkam. Tilli, mein "Dienstmädchen" band mir die Corsage zusammen.
Sie gab sich Mühe, sie nicht zu fest zu schnüren, doch Mutters Argusaugen entging nichts.
"Straffer Tilli. So sieht ihre Taille aus, wie die eines Wals."
Meine Taille sah definitiv nicht so aus. Ich hatte eine schlanke Gestalt bei einer durchschnittlichen Körpergröße, ein Wal war ich also definitiv nicht. Zucker war für mich tabu. Wir hatten einen Ernährungsberater, der all unsere Speisepläne schrieb. Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette ausgewogen und im Gleichgewicht. Alles auf Low-Carb-Basis. Der Wahn meiner Mutter. Nur durch Nanny Dove hatte ich Zugang zu den "bösen" Lebensmitteln gehabt. Sie hatte mir heimlich selbstgebackene Schokokekse und Minimuffins mitgebracht, wenn es mal wieder besonders schlimm gewesen ist mit meinen Eltern gewesen ist und mich damit getröstet. Das waren die schönsten Momente meiner Kindheit. Sehnsüchtig dachte ich an diese Zeit zurück. Im Moment hätte ich für einen von Nanny Dove's Muffins getötet.
Als ich mich im Spiegel sah, war mir nach Weinen zu Mute. Nichts davon war ich selbst. Noch nie gewesen. Ich sah das Mädchen von damals, mit tränennassen Wangen, weil es wieder etwas falsch gemacht hatte, in die Arme von Nanny Dove gekuschelt und einen Schokokeks mumpelnd. Heimlich versteht sich. Und ich sah das Mädchen jetzt...
Das schwarze, lange Haar zu einem perfekten Knoten gewickelt. Dezent geschminkt, um das blasse, farblose Gesicht zu verdecken, dass sich darunter verbarg. Und meine Hornbrille, die meine eigentlich großen und recht hübschen grauen Augen ein wenig "glupschig" machte, wie es die It-Mädchen meiner Schule nett formuliert hatten. Doch was solche Mädchen hinter - oder auch nicht hinter meinem Rücken gesagt hatten - war mir schon immer egal gewesen.
Aber das hier war mir nicht egal.
Beim Anblick des verzweifelten, resignierten Ausdrucks in meinen Augen, den kontrollierenden, unzufriedenen Blick meiner Mutter und der leicht mitleidigen Miene von Tilli fiel mir nur ein Satz für meine Situation ein:
Das heute wird mein Untergang!
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