1. Kapitel

"Tayrenia Amalia Stone", tönte die Stimme meiner Mutter durch das pompöse Treppenhaus unseres "Landsitzes". Ich selbst bezeichnete diesen Ort hier gern als unser Schloss. Doch dann wurde Mutter ungehalten. Sie sagte immer, nur arme Leute hätten es nötig, Dinge hervorzuheben. Wahrer Reichtum zeigt sich in einem diskreten Umgang. Und wahrscheinlich hatte sie Recht. Wenn sie allen in blassierter und gezierter Weise erzählte, wir würden das Wochenende auf unserem "kleinen Landsitz" verbringen und alle wussten, dass wir von Carrymore Castle sprachen, seinen 36 Zimmern, 5 Teichen, der großen Parkanlage, den zwei Pferdeställen und 45 Hektar Land... Dann wirkte das tatsächlich so, als wäre dieses riesige Anwesen nichts wirklich Kostbares für uns. Dass wir so unendlich reich waren, dass das nur peanuts waren.

Schein und Sein trichterte mir Mutter immer ein. Wenn alle glaubten, unser Leben wäre perfekt, dann war es das auch. Nichts war von so großer Bedeutung, wie die Außenwirkung.

"Tayrenia!" Mutters Stimme war nun ungehalten. Sie hasste es, wenn ich unpünktlich war. Und noch mehr hasste sie es, wenn sie mich auf dem kleinen Erker vor meinem Fenster sitzen sah. Er war ein bisschen kniffelig zu erreichen, doch er bot Schutz vor den Augen aller und ich hatte mich schon immer hierher zurückgezogen, um zu lesen oder schlichtweg meine Ruhe zu haben.

Sie hatte mich schon seit ich zehn war nicht mehr erwischt. Und das sollte auch so bleiben. Schnell rutschte ich von dem kühlen, glatten Stein zu dem kleinen Wasserspeyer, den ich "Herbie" getauft hatte, weiter runter auf mein Fensterbrett. Ich streichelte "Herbie" am Kopf und flüsterte leise: "Bis später, mein Kleiner."

Dass ich lieber mit einer 300 Jahre alten Steinfigur sprach, als wäre es mein Freund, sagte wahrscheinlich schon alles über mich aus.

Ich sprang gerade vom Fensterbrett in mein Zimmer, als meine Mutter die Tür aufriss. Sie war eine schöne Frau. Trotz ihrer gerunzelten Stirn und der zusammengekniffenen Augen, war sie schön. Ihr Mund war gerade zu einem wütenden Strich gezogen, doch normalerweise, war auch der perfekt.

Ich lehnte mich ein wenig ungelenk gegen das Fenster, als hätte ich die ganze Zeit schon hier gestanden.

"Tayrenia", schnappte sie. "Ich habe dich bereits dreimal gerufen. Püntklichkeit gehört zum Prestige der feinen Gesellschaft. Nur schlampige Menschen und Schauspieler sind stets unpünktlich. Da du weder eine Schlampe bist, noch einen unsteten, zwielichtigen Künstlerberuf hast, erwarte ich absolute Disziplin von dir! Vor allem heute!"

Ja, heute .... Der Grund, weswegen alle schon seit Wochen angespannt sind.

Heute würde ich auf der Dinnerparty der Porter's mit Timothy auftreten. Unser erster gemeinsamer Auftritt. Die alte Adelsfamilie Stone und das Imperium der Porter's Hand in Hand. Rosa Tüll von Ralph Lauren, kombiniert mit einem champagner farbenen Anzug von Burberry. Ohne Witz, wir passten farblich perfekt zusammen. Wir haben diesen Auftritt mehrmals zu Hause proben müssen. Unter der strengen Aufsicht meiner Mutter und meiner Schwiegermutter. Mehrmalig mussten wir vor allem wegen mir proben, weil ich den Einsatz verpasst hatte, zum falschen Zeitpunkt gelacht habe und nicht feminin genug gelaufen bin. Meine Schwiegermutter ließ mehrmals abfällig das Wort "humpelnder Holzfäller" fallen.

Nach diesem Tag war ich lange bei Herbie, um mich wieder zu fassen. Ich hasste es im Rampenlicht zu stehen. Ich hasste es, in rosa Tüll gezwängt zu werden und einer ständigen Bewertung unterzogen zu werden.

Aber so war mein Leben.

So war es schon immer gewesen. Und es gab für mich keinen Weg hier raus. Wenn ich ging, würde ich alles verlieren. Ich hätte keine Familie mehr, kein zu Hause und mein Vater hatte so viel Einfluss, dass er mir jede Möglichkeit Fuß zu fassen kaputt machen würde.

Waren wir eine liebevolle Familie? Die British Vogue war ganz vernarrt in uns und sogar die Times brachte regelmäßig Berichte zum Unternehmen meines Vaters und seiner romantisierten Familienidylle heraus.

Doch ich wusste, was wir waren...


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