Traumland
>Und wie sollen wir Zeke finden?< fragte ich schließlich, das flaue Gefühl in meinem Magen noch immer nicht ganz abgeklungen.
Ruhn und Fips tauschten einen kurzen Blick, bevor sie langsam die breite, knarzende Treppe hinunterkamen. Ihr Auftreten hatte eine besondere, beinahe ehrfurchtgebietende Schwere, als hätten sie selbst die Bedeutung dessen erkannt, was auf dem Spiel stand.
Ruhn blieb direkt vor uns stehen, die Arme verschränkt, während er mich mit einem Blick musterte, den ich kaum einordnen konnte. >Zeke wird sich an etwas geklammert haben, das ihm das Gefühl gab, sein wahres Ich zu sein. Ein Ort, der ihm viel bedeutet hat …<
Julien runzelte die Stirn. >Du meinst, Zeke könnte sich an einem Ort versteckt haben, der ihm wichtig war? Ich dachte er ist in Schwierigkeiten<
Ruhn nickte langsam. >Vielleicht nicht im wörtlichen Sinne, aber sein Geist … sein Wesen könnte in einem bestimmten Ort im Traumland verankert sein. Etwas, das ihn festhält, wenn ihr ihn dort findet, könnt ihr mit ihm reden.“
Ich ließ die Worte auf mich wirken und versuchte mich an das zu erinnern, was ich über Zeke wusste. Seine Welt war eine Mischung aus mystischen Ruinen und dem Gefühl von Einsamkeit, aber auch Stärke. Orte mit besonderen Erinnerungen an vergangene Zeiten, die wie die letzten Zeugen von etwas Kostbarem waren. Aber welcher dieser Orte konnte ihm so viel bedeuten?
>Also müssen wir ins Traumland zurück?< fragte ich vorsichtig.
Fips nickte eifrig und zwinkerte mir zu. >Richtig. Aber das ist jetzt nicht so einfach wie ein Nickerchen machen und drauflos träumen. Wir selber können das Traumland ohne Einladung nicht mehr betreten. Dazu fehlt uns der menschliche Anteil<
Julien hob fragend die Augenbrauen. >Was meinst du?<
>Euer Bewusstsein muss stabil bleiben, während ihr den Übergang macht< erklärte Ruhn. >Dieses Mal ist es eine andere Reise. Die Grenze ist dünn geworden, aber gefährlich. Wenn ihr Zeke sucht, müsst ihr das, was ihr findet, aushalten können.<
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. War ich bereit, wieder in diese Traumwelt zu gehen? Ich erinnerte mich an das süße Ding, was plötzlich gefährlich spitze Zähne hatte.
Julien legte mir eine Hand auf die Schulter. >Wir schaffen das, Liv. Und ich bin bei dir.<
Das Gefühl seiner Hand gab mir einen Moment lang Kraft. Wenn Julien und ich das gemeinsam angingen, würde es vielleicht funktionieren. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Ruhn und Fips etwas in uns sahen, das uns geeignet machte, die Schwelle zwischen den Welten zu überschreiten.
>Na dann< meinte ich und versuchte, meine Stimme fest klingen zu lassen, >sagt uns, wie wir ins Traumland kommen<
Ruhn nickte kaum merklich und verschränkte die Arme, sein Blick ernst und undurchdringlich. >Es wird kein leichter Übergang< begann er. >Normalerweise ist das Traumland ein Ort, den ihr im Schlaf durch eure eigene Vorstellungskraft und Gefühle erschafft. Diesmal jedoch müsst ihr die Grenze bewusst überschreiten – und das bedeutet, dass ihr das loslassen müsst, was euch an diese Welt bindet.<
>Loslassen?< Julien warf ihm einen skeptischen Blick zu. >Und wie machen wir das?<
Fips zuckte die Schultern und grinste verschmitzt. >Ein bisschen so, als würdet ihr versuchen, gleichzeitig an nichts und alles zu denken. Klingt doch einfach, oder?<
Ich war mir ziemlich sicher, dass das alles andere als einfach war. Die Vorstellung, auf Kommando „nichts“ zu denken und dabei in eine Welt voller seltsamer Gesetze und lebendiger Magie einzutreten, ließ mich unruhig schlucken.
>Es gibt noch eine Sache.< Ruhns Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch jeder seiner Worte klang in der Stille des Hotels klar und eindringlich nach. >Wenn ihr das Traumland betretet, bleibt ihr euch selbst… und doch werdet ihr Teile von euch dort lassen. Ihr müsst es euch wie… Schatten vorstellen. Spuren, die ihr dort hinterlasst, wenn ihr geht.<
>Was für Spuren?< fragte ich, meine Stimme leiser als ich wollte.
>Spuren von Emotionen, von Erinnerungen< erklärte Ruhn, >alles, was euch jetzt ausmacht, was euch in dieser Welt hält. Eure tiefsten Gedanken, eure Ängste, euer Mut.< Er hielt kurz inne und seine Augen schienen sich auf eine ferne Erinnerung zu fokussieren, bevor er fortfuhr. >Wenn Zeke sich dort versteckt, dann sucht er nach Sicherheit in diesen Erinnerungen. Ihr müsst in der Lage sein, ihm eure zu zeigen – und sie im Gegenzug mit ihm zu teilen.<
>Und was, wenn wir dabei… uns selbst verlieren?< Juliens Stimme war so ruhig wie immer, doch ich konnte einen Hauch von Sorge darin hören.
>Deshalb seid ihr nicht allein< antwortete Ruhn schlicht. >Ihr werdet aufeinander achten. Aber ihr müsst euch öffnen, mit allen Schatten, die ihr sonst vielleicht verbergen würdet. Nur so könnt ihr Zeke erreichen – indem ihr ihm etwas zeigt, das er verloren glaubt.<
Ein Moment der Stille verging, in dem nur das sanfte Flackern der Fackeln in der Dunkelheit des verlassenen Hotels zu hören war. Ich sah zu Julien hinüber, meine Hand unbewusst auf seine Schulter gelegt. Er lächelte leicht und nahm meine Hand in seine, und in diesem Moment spürte ich eine beruhigende Stärke durch mich fließen.
>Also… wie kommen wir dorthin?< fragte ich schließlich, bereit, das Risiko einzugehen.
Fips sprang von einem verstaubten Tisch und rieb sich die Hände. >Lasst das mal mein Problem sein!< Er warf einen Blick zu Ruhn, der nur knapp nickte.
>Setzt euch hierhin.< Ruhn deutete auf eine Stelle im Zentrum der Lobby, wo das Licht des Mondes durch die kaputten Fenster hereinflutete und silberne Muster auf den Boden zeichnete. >Schließt die Augen und konzentriert euch auf das Bild, das ihr von Zeke im Kopf habt. Verbindet euch mit der Erinnerung an ihn.<
Ich nahm tief Luft und folgte seiner Anweisung, setzte mich neben Julien auf den Boden und schloss die Augen. Die Dunkelheit umhüllte mich, und allmählich stellte ich mir Zekes Gesicht vor – die kühle, verschlossene Miene, seine Augen, die immer ein wenig finster schimmerten, und die Sanduhren, die er so oft mit sich trug. Diese Bilder verschmolzen zu einem Gefühl, das ich nicht in Worte fassen konnte. Es war, als ob ich mich durch eine unsichtbare Verbindung zu ihm bewegte, einer Verbindung, die irgendwo jenseits der Realität existierte.
Plötzlich fühlte ich ein sanftes Ziehen, wie eine unsichtbare Kraft, die mich fort von diesem Ort zog, tiefer und tiefer in die Dunkelheit hinein.
Ein Schauer lief mir über den Rücken, doch ich ließ es geschehen. Und dann… änderte sich alles.
Die Dunkelheit des Traumlandes legte sich wie ein schützender Mantel um uns. Julien und ich standen allein, während die Schemen von Ruhn und Fips blasser wurden und schließlich in der Ferne verschwanden, als hätten sie sich in Schatten aufgelöst.
>Wir können euch nicht begleiten< hatte Ruhn gesagt, bevor wir die Schwelle überschritten. >Wir gehören nicht mehr vollständig hierher. Zeke ist der Einzige, dessen Geist sich noch an diesen Ort klammern kann.<
>Kommt zurück< rief Fips noch, seine Stimme voll gespieltem Ärger, obwohl ich das tiefe Bedauern spürte. >Aber bitte mit unserem Zeke im Gepäck! Der Kerl hat eine Menge Erklärungen abzugeben!< Dann lächelte er mich ein letztes Mal an, bevor seine Gestalt verblasste.
Nun standen wir nur zu zweit inmitten einer träumerischen, flirrenden Landschaft, die zwischen Dunkelheit und verblassendem Licht schimmerte. Hier schien alles und nichts gleichzeitig zu sein. Julien atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen, als müsse er sich auf den nächsten Schritt vorbereiten.
>Also… sein Geist ist hier, irgendwo< flüsterte Julien leise, seine Stimme schwang seltsam in der Stille. >Aber sein Körper ist in der echten Welt gefangen.<
Die Vorstellung war schwer zu begreifen. Zekes Geist hatte sich hier in den Tiefen des Traumlandes verborgen, während sein Körper in den Händen der mysteriösen Maskenmänner gefangen war. Diese Vorstellung ließ mein Herz schneller schlagen – wir hatten nicht nur die Aufgabe, Zeke zu finden, sondern ihn auch zu retten.
>Wir müssen ihn hier finden< sagte ich entschlossen, >und wenn wir das schaffen, finden wir vielleicht auch heraus, wo sie seinen Körper versteckt halten.<
Julien nickte und ließ den Blick schweifen. >Fokussier dich auf ihn, wie Ruhn es gesagt hat< murmelte er. >Vielleicht gibt uns das Traumland einen Hinweis.<
Ich atmete tief durch und schloss die Augen. Ich stellte mir Zeke vor: die leise, beinahe melancholische Art, die ihm immer innewohnte, die ständige Nähe zu den Sanduhren, das sanfte Ticken, das mich immer an den flüchtigen Charakter der Zeit erinnerte. Irgendwo in der Tiefe spürte ich eine Resonanz, ein leises Flüstern, das aus einer verborgenen Ecke des Traumlandes zu kommen schien. Es war wie ein Licht, das kaum sichtbar war und doch eine Richtung andeutete.
>Dort< sagte ich leise und deutete in die Ferne. Julien folgte meinem Blick, und ohne zu zögern, gingen wir dem schwachen Leuchten entgegen.
Der Weg durch das Traumland war seltsam und fließend – als würden wir durch die Erinnerungen eines Traumes waten. Die Landschaft um uns herum veränderte sich mit jedem Schritt, zeigte uns flüchtige Bilder aus Erinnerungen, Szenen und Emotionen, die sich wie Nebelschwaden verschoben und verblassten. Schließlich öffnete sich vor uns ein großer Raum, dessen Wände von Sanduhren aus Glas und Kristall gesäumt waren. Jede tickte leise vor sich hin, das sanfte Rauschen des Sandes erfüllte die Stille mit einer beruhigenden Beständigkeit.
Und da, in der Mitte des Raumes, stand Zeke. Er wirkte verloren, sein Blick war in die Ferne gerichtet, und es sah so aus, als wäre er nur ein Schatten seiner selbst.
>Zeke!< rief ich aus und trat vor. Seine Gestalt wirbelte herum, und für einen Moment huschte ein Ausdruck der Überraschung über sein Gesicht. Doch dann entspannte er sich, als hätte er uns erwartet.
>Liv… Julien< sagte er leise, seine Stimme von einer tiefen Melancholie durchzogen. >Warum seid ihr hier?<
>Um dich zurückzuholen< antwortete ich entschlossen. >Wir wissen, dass du gefangen bist. Dein Körper ist nicht hier, aber dein Geist…<
Er schloss für einen Moment die Augen und seufzte. >Die Maskenmänner haben mich in ihrer Gewalt, ja. Sie wollen Zugang zum Traumland, wollen die Kontrolle über das, was niemandem gehören sollte. Das Traumland gehört allen, die träumen.< Seine Stimme zitterte, als er weitersprach. >Mein Geist hat sich hierher gerettet, aber ich wusste, dass ich nicht für immer entkommen könnte.<
Julien trat näher an ihn heran, seine Augen ernst. >Wo halten sie dich fest? Wenn wir dich befreien, wird das ihre Pläne vereiteln.<
Zeke schwieg für einen Moment und sah uns mit einem Ausdruck an, der zwischen Angst und Hoffnung schwankte. >Sie halten mich an einem Ort fest, der nahe am Übergang zwischen den Welten liegt – in einer alten Ruine, versteckt vor der Realität. Doch der einzige Weg, sie zu erreichen, ist gefährlich…<
>Wir sind bereit< sagte ich fest, ohne einen Moment zu zögern. >Sag uns nur, wie wir dahin kommen.<
Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht, und für einen Augenblick war der Zeke von früher wieder da. >Ihr habt euch wirklich verändert< sagte er leise, fast zu sich selbst. Dann hob er seine Hand, und eine kleine, gläserne Sanduhr schwebte zwischen uns, die leicht zu glühen begann. >Nehmt dies. Wenn ihr sie dreht, wird sie euch einen kurzen Zugang zu meinem Gefängnis verschaffen. Aber seid vorsichtig… die Maskenmänner werden wissen, dass ihr kommt.<
Julien nahm die Sanduhr vorsichtig entgegen, seine Augen fest entschlossen. >Wir kommen zurück – mit dir, Zeke.<
Zeke nickte und senkte den Blick. >Danke< murmelte er, und seine Gestalt begann zu verblassen, während das Traumland sich aufzulösen schien, uns zurück in die Realität ziehend.
Als ich die Augen öffnete, standen Julien und ich wieder im verlassenen Hotel, die Sanduhr noch fest in Juliens Hand. Ein kühler Luftzug strich durch den Raum, und das Gefühl der Dringlichkeit durchzog meine Gedanken.
>Lass uns los< sagte ich fest, und Julien nickte entschlossen.
Zusammen machten wir uns auf den Weg, um die Grenze zwischen Traum und Realität zu durchbrechen und Zeke zu retten – bevor es für uns alle zu spät war.
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Ihr Lieben, auch wenn ich immer sage, dass jeden Tag ein Teil kommt, verabschiede ich mich erstmal in meinen Kurzurlaub.
Ich freue mich euch am Montag hier wieder begrüßen zu dürfen 😇 doch nun ruft das Disneyland nach mir 🤩
Habt einen schönen Feiertag oder vielleicht sogar ein schönes langes Wochenende ❤️
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