Akzeptanz und Distanz
Pov Zeke
Ich merkte, wie Liv die Anspannung spürte, die wie ein dunkler Nebel zwischen Ruhn und mir hing. Ihre Sorge war offensichtlich, doch ich konnte sie kaum wahrnehmen. Alles, was zählte, war das Feuer, das in Ruhns Blick loderte.
>Hier haltet also wirklich daran fest, dass wir… ein Mensch sind?< Ruhns Stimme war gefährlich leise, seine Worte glitten wie scharfe Klingen durch den Raum. Er schien die Worte kaum glauben zu können.
Ich ballte die Hände zu Fäusten und erwiderte ruhig, obwohl ich innerlich kochte >Es spricht vieles dafür.<
Kaum waren die Worte ausgesprochen, trat ich einen Schritt vom Tisch zurück, doch Ruhn folgte mir, bedrohlich nahe. Er warf mir einen Blick zu, der jedes bisschen Raum zwischen uns auslöschte, und ich spürte, wie sich eine unsichtbare Kälte von ihm ausbreitete.
>Und warum, liebster Bruder< – das Wort war fast ein Gift in seinem Mund – >hast du dich daran ergötzt, als ich das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmt?<
Ich blinzelte überrascht, fast entwaffnet von der Art, wie er das sagte. Der Gedanke, dass Ruhn tatsächlich an dieser verzweifelten Menschlichkeit gehangen hatte, war mir bewusst. Aber nicht das es ihn so sehr beschäftigt hatte.
>Du meinst… du meintest das ernst?< Mir entglitten fast die Worte. Ruhn hatte das nie gezeigt, nie zugelassen, dass jemand sah, was wirklich in ihm vorging. Ich fühlte mich kurz ertappt in meiner eigenen Ignoranz.
Doch Ruhns Blick verfinsterte sich, und er trat noch näher an mich heran. >Du bist so überheblich, Zeke< knurrte er, seine Stimme von einem tiefen Groll getragen. >Nur weil du als einziger nicht so abgestumpft bist wie der Rest von uns. Weil du die Dinge fühlen kannst, schmecken kannst...<
Er verstummte, den Satz unvollendet in der Luft hängen lassend. Es war, als ob er selbst nicht glauben konnte, was er gerade gesagt hatte. Die Wut in seinen Augen war nicht nur gegen mich gerichtet, sondern gegen etwas viel Tieferes, gegen sich selbst und die unerklärliche Leere, die ihn schon immer umgab.
Joon und Liv schauten uns schweigend zu, ihre Gesichter von einer Mischung aus Neugier und Furcht geprägt. Keiner von ihnen wagte es, sich einzumischen. Ich wusste, dass es keinen Grund gab, ihnen die Schuld zu geben – dieser Konflikt ging so viel tiefer als ihre Verständniswelt.
>Das hat nichts mit Überheblichkeit zu tun, Ruhn< sagte ich schließlich, meine Stimme tiefer und entschlossener als zuvor. >Es geht darum, dass ich versuche zu verstehen, was wir wirklich sind. Dass ich nicht die Augen davor verschließe, was wir sein könnten, selbst wenn es uns schwerfällt, es zu akzeptieren.<
>Akzeptieren?< Ruhn lachte kalt auf, seine Stimme voller Spott und Bitterkeit. >Was gibt es da zu akzeptieren, Zeke? Ein bisschen Menschlichkeit, ein bisschen Schwäche? Was soll das bringen?< Seine Augen brannten vor Frustration, und ich konnte förmlich spüren, wie er innerlich gegen diese Erkenntnis ankämpfte, als würde sie ihn schwächen.
>Vielleicht< entgegnete ich ruhig >ist es an der Zeit, die Wahrheit über uns anzunehmen – egal, wie schmerzhaft oder unvollkommen sie sein mag.<
Ruhn verstummte, als hätte ich ihn mit diesen Worten aus dem Gleichgewicht gebracht. Für einen winzigen Moment sah ich in seinen Augen etwas, das wie Verwirrung oder sogar Angst aussah. Doch dann trat er zurück, seine Miene wieder voller kalter Entschlossenheit.
>Du kannst die Menschlichkeit gerne annehmen, wenn dir das hilft, dich besser zu fühlen, Zeke< sagte er schließlich, seine Stimme vor Sarkasmus triefend. >Aber ich werde mich nicht schwach machen. Nicht für eine Illusion, nicht für ein Märchen, das dir vielleicht gefällt.<
Er drehte sich abrupt um, dabei das Kaminzimmer mit langen Schritten zu verlassen.
Ruhn blieb stehen, sein Blick wie ein kalter Schlag in mein Gesicht. Ich spürte, wie seine Worte sich wie Gift in mein Innerstes fraßen, und obwohl ich es nicht wollte, ließ ich es zu, dass seine Anschuldigung tief in mir nachhallte.
>Euer Plan wird eh nie aufgehen, auch wenn ihr die Worte im Buch versteht< spottete er mit eisiger Stimme. >Solange wir fünf uns nicht vertragen, wird es nichts. Und daran, lieber Zeke, bist ganz allein du schuld. Nicht ich, der ach so Aggressive, oder Eos, der Böse. Ganz allein du, weil du uns immer weiter auseinander treibst.<
Sein Blick brannte, aber da war noch etwas – eine Spur von Schmerz, von Frustration, die er nur schlecht zu verbergen versuchte. Für einen Moment glaubte ich, seine Maske fallen zu sehen, einen Bruchteil einer Sekunde, in der seine Wut bloß eine Abwehr gegen eine viel tiefere, unsichtbare Verletzlichkeit war. Doch kaum war dieser Eindruck da, zog Ruhn sich zurück, verhärtete seine Miene, als wollte er jede Spur davon abwischen.
Ich spürte, wie seine Worte schwer auf mir lasteten, mich an die Erinnerungen fesselten, in denen ich so oft versucht hatte, uns Fünf zusammenzuhalten – alle, in unserer Widersprüchlichkeit, in unseren Wunden und Abgründen. Es war nie leicht gewesen, das wusste ich, aber war ich wirklich die Ursache für diese zerrissene Distanz zwischen uns?
>Ruhn, das ist nicht fair< sagte ich leise, mit einem Ton, der weniger scharf und mehr müde klang, als ich erwartet hätte. >Ich habe immer versucht, euch zusammenzuhalten. Ich dachte, das wäre das Richtige. Aber du… du hast nie zugelassen, dass jemand hinter deine Fassade blickt, oder?<
Er wandte den Blick ab, so als würde ihn der Gedanke allein schon verletzen. Vielleicht war es für ihn wirklich einfacher, mich als den Schuldigen darzustellen. Mir die Verantwortung zu geben, statt selbst zuzulassen, dass er ein Teil dieser zerrissenen Dynamik war, an die wir alle gebunden waren.
>Du denkst, du weißt alles, Zeke< murmelte er schließlich, seine Stimme nur noch ein heiseres Flüstern. >Aber du weißt gar nichts über das, was ich durchmachen musste. Du verstehst es nicht.<
Er verließ den Raum, und die Stille, die folgte, war bedrückend. Liv und Joon schwiegen, ihre Augen auf mich gerichtet, und ich wusste, dass sie mich genauso wenig verstehen konnten wie Ruhn es tat. In diesem Moment fühlte ich mich, als hätte ich versagt – als hätte ich in meinem Versuch, uns alle zusammenzuhalten, etwas verloren, das ich nicht mehr zurückholen konnte.
Livs Blick wanderte zu Joon, dann lief sie plötzlich los. >Ruhn, warte!< rief sie ihm nach und verschwand durch die Tür. Ich starrte ihr einen Moment hinterher, innerlich hin- und hergerissen, doch ich wusste, dass es nichts bringen würde, jetzt Ruhn hinterherzujagen. Seine Anschuldigungen hallten noch in mir nach, und sie saßen tiefer, als ich mir eingestehen wollte.
>Ruhn hat recht< sagte Joon plötzlich, seine Stimme durchdrang die Stille. Ich spürte, wie ich kurz die Luft anhielt. Joon hatte sich über das Buch gebeugt und schien die Zeilen aufmerksam zu lesen.
Langsam rang ich mich dazu durch, zu ihm zu gehen, obwohl die Anspannung zwischen meinen Schulterblättern kaum nachließ. Joon schob das Buch ein Stück weiter zu mir hin und deutete mit dem Finger auf eine bestimmte Stelle im Text. >Lies das hier< sagte er ruhig.
Ich beugte mich über die Zeilen und versuchte, die Worte zu entschlüsseln. Die Bedeutung dieser alten Schrift war mir zunächst unklar, doch als ich die Passage las, begann sie, einen eigentümlichen Sinn zu ergeben.
>Die getrennten Teile müssen voneinander wissen…< murmelte ich langsam vor mich hin, und die Worte lösten eine Art dumpfe Erkenntnis in mir aus.
>Die Spaltung konnte nur geschehen, weil nicht alle Teile akzeptiert wurden… Nur wenn sie sich alle akzeptieren… können sie wieder eins werden.< Joon sah mich begeistert an.
Ich lehnte mich zurück, als die Bedeutung der Zeilen in mir widerhallte. Das war der Schlüssel. Nicht die verfluchte Magie, die uns hier festhielt, nicht irgendeine äußere Macht – es war etwas in uns selbst, das diese Trennung aufrechterhielt. Etwas, das sich wie eine tief sitzende Kluft durch unser Wesen zog. Das Buch behauptete, dass die Spaltung nur möglich gewesen war, weil wir – oder Julien, wie auch immer ich es nennen sollte – uns selbst nicht vollständig akzeptiert hatten.
>Verstehst du, was das bedeutet, Zeke?< fragte Joon und seine Stimme war ernst, fast drängend. >Es bedeutet, dass Ruhn nicht ganz Unrecht hat. Es bedeutet, dass solange diese Trennung zwischen euch besteht – solange jeder von euch auf seinen Hass und seine Verletzungen beharrt – wird die Verschmelzung nicht möglich sein.<
>Du meinst… es reicht nicht, einfach nur einen Weg zu finden, uns wieder zusammenzufügen?< fragte ich langsam, obwohl die Antwort auf der Hand lag. Es war absurd und gleichzeitig erschreckend logisch.
>Es geht nicht nur um den Zusammenhalt< sagte Joon mit einem leichten Kopfschütteln. >Es geht darum, dass ihr euch als Teile von etwas Größerem akzeptieren müssen. Ohne das… werdet ihr für immer so bleiben.<
Ein schwerer Knoten zog sich in meinem Magen zusammen, als die Wahrheit von Joons Worten auf mich wirkte. In meinem Versuch, uns zusammenzuhalten, hatte ich vielleicht selbst zu dieser Distanz beigetragen. Ich hatte jeden von ihnen in eine Rolle gedrängt, sie als ein notwendiges Gleichgewicht für das Ganze gesehen – aber nie wirklich akzeptiert. Besonders Ruhn. Der Gedanke, dass mein Wunsch nach Kontrolle uns auseinandergetrieben haben könnte, war… beängstigend.
>Und wie sollen wir das schaffen?< flüsterte ich schließlich, unfähig, die Bitterkeit in meiner Stimme zu verbergen. >Wie sollen wir – ich – akzeptieren, was wir geworden sind?<
Joon legte eine Hand auf meine Schulter, sein Blick war ruhig, fast nachsichtig. >Das ist etwas, das jeder für sich selbst tun muss, Zeke. Vielleicht müsst ihr euch alle etwas vergeben, bevor ihr wirklich wieder zusammenfinden können. Ju hat auch Seiten an sich nicht so gemocht, als lästig empfunden. Vielleicht ist das hier das Ergebnis daraus. Der Grund warum ihr so überhaupt existiert<
In diesem Moment spürte ich, dass ich nicht nur gegen eine äußere Macht kämpfte, sondern gegen etwas, das viel schwerer zu überwinden war – die Distanz, die ich selbst zwischen uns aufgebaut hatte.
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Dieses Kapitel und ich sind ab jetzt Feinde 🙈 erst löscht Wattpad einfach die Hälfte und dann hab ich das Kapitel zwei mal als Entwurf
Aaaaargh 😫
Aber hier ist es jetzt 🫡🥳
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