Etwas Nettes

Mo? Kann ich dich was fragen?

Oh oh, schon wieder so unheilvoll. Wegen gestern?

Nein, wegen heute...

Heute?

Ja, du weißt schon. Sag mal, hat Jannik was in unserem Verlauf gelesen oder so?

Oh. Ich hatte ihm dein Profil gezeigt und ihm ein paar Rahmeninfos gegeben vor der Begegnung. Aber nichts Intimes, versprochen!

Wieso fragst du denn?

Naja,  ist das normal, dass er Shampoo für dich einkauft? Ausgerechnet mit  Kokos? Ich schreibe jetzt „Ich will damit nicht  andeuten, er hätte das  mit Absicht gemacht", aber nur, damit du nicht  denkst, ich will dich   gegen ihn anstacheln oder so.

Oh.

Es dauert einen Moment,  dann zeigt die Nachrichtenapp an, dass Mo nicht mehr online  sei. Sitzt  er noch in der Kneipe und unterhält sich  mit seinen  Freunden? Wer war  das überhaupt? Freunde aus der Schulzeit? Aber er hatte nur drei  erwähnt, Kira und ... An die anderen Namen erinnere ich mich nicht mehr.

Warte kurz.

Er ist wieder online, dann wieder nicht.

Okay, tut mir leid. Wo waren wir?

Bei der Frage, ob dein bester Freund dir absichtlich Kokos-Shampoo kauft, damit mir schlecht wird, wenn wir uns küssen?

Das klingt definitiv nach ihm, ja.

Oh.

Und du bist gar nicht wütend oder so?

Keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass er wollte, dass dir schlecht wird. Eher, dass ich dich gar nicht erst küsse.

Wieso nicht?

Erneut scheint Mo sein Telefon beiseite gelegt zu haben. Doch ich bin zu ungeduldig, um zu warten.

Ich will dir nicht das Gefühl geben, dass ich mich zu sehr für ihn  interessiere, also stopp mich, falls du das Gefühl trotzdem bekommst.    Ich versuche nur, eure Freundschaft zu verstehen, in der du es  vollkommen verständlich findest, wenn er nicht will, dass du jemanden  küsst. Magst du mir etwas über ihn erzählen?

Was willst du denn wissen?

Naja, ich kenne schon eine gemeine Geschichte. Vielleicht etwas Peinliches oder was Nettes?

Gut :) In der Reihenfolge!

Wir waren zwölf und  dreizehn, seine Eltern sind einen Nachmittag lang weggefahren, sollten  erst nachts wiederkommen. Sie sind immer sehr vorsichtig mit allem und  haben uns drei Häuser weiter zu einer Nachbarin   geschickt, die sich im  Garten gesonnt hat. Sie war recht jung, noch keine dreißig. Sie hat uns  einfach in Ruhe ein paar Zeitschriften lesen   lassen und saß da bei  der Hitze nur knapp bekleidet... Ich sage mal so: Jannik hat gerade  angefangen zu pubertieren, sein Körper hat ziemlich eindeutig auf sie  reagiert. Naja, sie meinte, wir sollen mit reinkommen,  weil es dunkel  wird, und er wollte einfach nicht aufstehen, weil es ihm so peinlich  war. Also hab ich mich vor ihn gestellt und er  ist hinter  mir  hergeschlichen. Sie hat uns die Tür aufgehalten und  genau an der   Schwelle ist er gestolpert und auf dem Rücken gelandet. Sie war ziemlich  geschockt, ist sehr rot geworden und hat sich eine Strickjacke  angezogen.

Erzähl ihm bloß nicht, dass du davon weißt, er killt mich!

Ich lache auf, verspüre  kurz einen Funken Mitleid für den kleinen zwölfjährigen Jannik, doch  dann überwiegt die Schadenfreude wieder.

Ich behalte es in jedem Fall im Hinterkopf, falls ich ihn mal erpressen muss...
Jetzt was Nettes?

Hmm. Ich erinnere  mich daran, dass er mich mitgeschleppt hat, um feiern zu gehen. Er hatte  schon eine Traube Mädels um sich rum und ich stand etwas  hilflos an der Bar. Da kam so ein Typ, der scheinbar mit mir   geflirtet  hat. Er wirkte eigentlich ganz nett, aber ich war viel zu  eingeschüchtert, um zu reagieren. Jannik hat es bemerkt, hat die Mädchen  stehen lassen und seinen Arm um mich gelegt. Er hat einfach so getan,  als sei er mit mir zusammen, und wir sind dann wieder gegangen. Ich war  ziemlich erleichtert.

Irritiert lese ich seine Nachricht nochmal. Und nochmal. Und begreife es irgendwie nicht.

Das ist die „nette" Sache, die dir zu Jannik einfällt?

Ich wusste nicht, was  ich zu dem Typen sagen sollte, ich war wahrscheinlich kurz vorm  Hyperventilieren. Er hat mich quasi gerettet.

Wow. Nur weil ich seine  Erinnerung nicht zerstören will, halte ich  die Bemerkung zurück, dass  er ihn nicht gerettet sondern ihn der Chance beraubt hat, sich selbst  mit der unangenehmen Situation zurecht zu finden. Vielleicht war die  Absicht dabei eine gute und offenbar wurde sie auch so aufgenommen. Aber  gelernt hat Moritz dadurch doch, dass er   in solchen Situationen nicht  alleine klar kommt.
Stattdessen bringe ich etwas anderes an.

Wieso warst du bei mir nicht am Hyperventilieren? Weil er dabei war?

Das hat definitiv einen beruhigenden Effekt, ja.

Außerdem gibst du mir  einfach das Gefühl, dass du nicht von mir erwartest, dass ich weiß,  welche Reaktion in welcher Geschwindigkeit gerade angebracht ist. Ich  habe das Gefühl, ich kann mir für alles Zeit  lassen und du wartest  geduldig ab.

Schmunzelnd lese ich die  lieben Worte, merke, wie mir wieder warm wird. Es ist gut, dass er sich  mit mir wohlfühlt. Vielleicht gelingt ihm  das auch, wenn wir mal zu  zweit sind, ohne Jannik. Oder ist es das gestern abend bereits?
Ich  will nicht klingen wie in einem Verhör,  aber dennoch schieße ich  weiterhin Fragen auf ihn ab. Hoffe, dass er mich stoppt, wenn es ihm zu  unangenehm wird.

Hattest du bei dem Kuss das Gefühl, dass ich das erwarte, oder wolltest du das?

Länger als zuvor dauert es, bis mir angezeigt wird, dass er tippt. Was gibt es da zu überlegen?

Themenwechsel?

Verwirrt und in meiner Neugier gänzlich unbefriedigt lenke ich ein.

Darf ich weiter Fragen stellen?

Ich schätze, ich bin dir noch ein paar Antworten schuldig, wenn wir wieder ins Gleichgewicht kommen wollen :)

Du hast Jannik gefragt, woran er als erstes denkt, wenn du Sex sagst. Woran denkst du als erstes?

Jetzt gerade? Daran, wie warm wohl deine Haut an meiner wäre.

Meine Güte, wie kann  jemand nur so süß sein? Hitze kriecht in meine Wangen bei dem Gedanken,  dass dieser Junge als erstes an mich denkt. Aber nicht einfach banal an  Sex mit mir, sondern fast unschuldig an dieses scheinbare Detail.

Das ist schön.

Was glaubst du, hat Jannik als erstes gedacht, als du ihn konfrontiert hast?

Vermutlich ungefähr das Gleiche.

Kopfschüttelnd starre  ich mein Handy an. Er hat sich vertippt. Oder bei der Formulierung nicht  aufgepasst. Aber er hat mir nicht eben  eröffnet, dass sein  atemberaubend schöner, ihm gegenüber irgendwie leicht übergriffiger  bester Freund auf mich steht. Weil - verdammt - das würde mich auf eine  noch viel härtere Probe stellen, mich nur auf Mo zu   fokussieren.

Und weiter?

Ich frage, weil ich  wissen  will, was er davon hält. Ob ihn das auch so kalt lässt wie die   Geschichte mit dem Shampoo. Jannik will nicht, dass Mo jemanden küsst -   kein Problem. Jannik will mit dem gleichen Typen schlafen, an den Mo  auch denkt - kein Problem?
Was verheimlicht er mir bloß über ihre   Beziehung? Ist er derart abhängig von Jannik, dass er sich nicht traut,  sich daran zu stören? Oder... Thorstens schockierte Bemerkung fällt  mir  wieder ein... haben sie tatsächlich etwas Gemeinsames mit mir im Sinn?

Weiter? Daran, wie sie an deiner Halsbeuge duftet. Daran, wie weich oder hart sie sich über deine Bauchmuskeln spannt...

Verblüfft darüber, wie  er meine Frage offensichtlich falsch verstanden hat, korrigiere ich ihn  nicht. Es ist ohnehin schon wieder  spät, denke ich. Nun macht es für  meine morgige Arbeitsleistung auch nichts mehr aus,  wenn wir an gestern  anknüpfen...

Mehr?

Ja.

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