Kapitel 7: Die Obersten



„Die Nutzung eurer Kräfte ist in der Öffentlichkeit strengstens verboten und das wisst ihr! Gab es also einen dringlichen Grund unsere Regeln zu missachten?", Lucien, einer der Obersten, wirkte nicht sonderlich begeistert von dem Eindringen der beiden Jungen. Max war kurze Zeit nach Dorian angekommen, er hatte keinerlei Zweifel daran gehegt, wo Dorian hingewollt hatte.

„Ja den gab es!", erklärte Dorian selbstbewusst obwohl niemand den Obersten gegenüber selbstbewusst war.

Bei den Krades gab es eine Hierarchie, die es zu beachten galt. Ähnlich wie beim Militär, hatte man den Höher stehenden bedingungslos Folge zu leisten. Die Obersten waren ganz oben in dieser Hierarchiekette verankert unter ihnen befanden sich die Räte und anschließend kamen die Alphas, die in verschiedene Kategorien eingeteilt waren. Niemand belästigte die Obersten, außer es war ein Notfall.

Bei Dorians Worten zog Lucien eine Augenbraue nach oben und betrachtete ihn abfällig.

„So und was wäre das für ein Grund?", fragte Lucien und schnalzte dabei kaum merklich mit seiner Zunge. Max hatte ein ungutes Gefühl, wenn er in der Nähe der Obersten war und wünschte, Dorian würde die nächsten Worte nicht aussprechen.

„Vor einigen Tagen überfiel Dominik ein Mädchen, das wir gerade noch retten und in die Zentrale bringen konnten. Dominik warf dem Mädchen vor, sie könnte ihm gefährlich werden, aus diesem Grund wollte er sie töten. Wir erfuhren bei unseren Recherchen, dass das Mädchen vor diesem Angriff jemanden beinahe getötet hat und aus diesem Grund machten wir uns auf die Suche nach diesem Mann, da wir uns Informationen erhofften, doch wir fanden Ghilts vor, die diesen Mann offenbar inspizieren. Unter ihnen befand sich Marcelle.", fasste Dorian die Geschehnisse zusammen und sorgte für fragende Blicke und gerunzelte Stirne.

„Marcelle? Seid ihr euch da sicher?", fragte Michael, der normalerweise äußerst sparsam war was Worte anging.

„Ja es war Marcelle, ohne jeden Zweifel!", bestätigte Dorian und trat einen Schritt zurück, als Michael sich erhob und damit begann auf und ab zu gehen.

„Wie lautet der Name des Mädchens?", fragte er dabei, den Blick jedoch fest auf den Boden vor sich geheftet.

„Cara..", antwortete Dorian. Ihren Namen aus Dorians Mund zu hören war irgendwie seltsam stellte Max fest. Vielleicht, weil dieses Mal kein bitterer Beigeschmack dabei war. Er hatte den Namen beinahe besorgt ausgesprochen.

„Und wie noch?", fragte Lucien, der damit beschäftigt war, mit den Fingern auf den Tisch vor sich zu klopfen. Er schien nervös. So wie alle anderen Obersten auch.

Die Obersten mochten vielleicht die ältesten und besten Krades sein, doch keiner von ihnen sah auch nur einen Tag älter als vierzig aus. Michael war der Einzige, dessen Haare ein klein wenig ergraut war, was jedoch nicht an seinem Alter lag sondern mehr an der übermäßigen Nutzung seiner Fähigkeiten. Die aktiven Fähigkeiten der Krades entzogen ihnen Lebensenergie und um diese wieder herzustellen musste der Körper sich an anderen Dingen zu schaffen machen. Sehr viele bekamen deswegen graue Haare, die wenigsten hingegen mussten andere Dinge opfern. Wichtigere Dinge. Nur wenige waren an den Folgen eines übermäßigen Gebrauchs gestorben. Nein, für den Tod von Krades war anderes verantwortlich.

Lucien wartete immer noch darauf, dass seine Frage beantwortet wurde doch aus irgendeinem Grund sagte Dorian nichts. Er hatte seine Fäuste geballt und sah angestrengt nach oben. Luciens Blick wanderte zu Max, von dem er sich offenbar erhoffte, dass er statt seines Freundes ihm die Antwort übermittelte. Die Obersten hatte keine Ahnung von Cara, sie kannten sie nicht und wusste auch nicht wer sie war. Vielleicht war es keine gute Idee, Cara absolut in den Fokus der Obersten zu stellen? Hatte Dorian das denn nicht bedacht?

Ja die Krades unterstanden einer gewissen Hierarchie, doch das bedeutete noch lange nicht, das Max jedem Einzelnen der Obersten bedingungslos vertraute. Zu häufig waren Dinge geschehen, die niemand sich erklären konnte. Max vertraute, außer Dorian und Justin niemandem zu hundert Prozent.

„Cara Preston.", antwortete Max aus diesem Grund selbstsicher. Keiner der Obersten würde ihm ansehen können, dass er etwas verschwieg denn Max log zwar nicht oft, wenn er es allerdings tat, konnte ihm niemand auf die Schliche kommen. Dies war eine der etwas seltsameren Künste die er geerbt hatte. Jede seiner Lügen wurde ihm abgekauft. Er könnte behaupten, dass Aliens auf der Welt gelandet wären und die Menschen würden ohne dies zu hinterfragen daran glauben. Fluch oder Segen, das konnte man sich aussuchen.

Dorians Blick schoss zu Max hinüber, doch gleich schon sah er etwas verwirrt aus. Auch Dorian war der Einfluss seiner Lüge ausgesetzt, das war Max klar, doch mit ihm würde er später noch darüber sprechen können.

„Cara Preston...hmm...", Lucien legte die Hand nachdenklich an seinen Mund und fing anschließend an, sein Kinn zu reiben.

„Ich habe noch niemals von ihr gehört. Zieht euch bitte für einen Moment zurück, während wir uns hier beraten!", erklärte Lucien und scheuchte die beiden mit einer winzigen Handbewegung hinaus. Dem Befehl kamen beide sofort nach. Sofort, nachdem die Tür sich schloss, begann Dorian seine Tirade.

„Warum hast du...", doch Max legte sich den Zeigefinger an die Lippen und bedeutete Dorian, dass die Obersten sie eventuell noch hören könnten also beschlossen die beiden Jungen nach draußen zu gehen wo sie hoffentlich ungestört wären. Erst als sie die Mitte des grasbewachsenen Platzes erreichten, erlaubte Max Dorian seine Fragen zu stellen.

„Warum hast du die Obersten angelogen?", fragte Dorian ihn, obwohl er sich nicht sicher war, ob es denn so war. Max und seine verfluchte Gabe.

„Gegenfrage: Warum hast du ihnen nicht ihren Namen verraten?", meinte Max und setzte sich auf das kühle Gras.

„Weil ich nicht konnte...", meinte Dorian stirnrunzelnd und setzte sich ebenfalls. Max ging davon aus, dass Dorian vorsichtig gewesen war, doch die nächsten Worte seines Freundes zerstreuten diese Gedanken wieder.

„Ich wollte ihren Namen nennen, aber ich habe es nicht geschafft ihren zweiten Namen auszusprechen. Ich glaube mit Cara hat es noch mehr auf sich. Je länger ich darüber nachdenke desto klarer wird mir, dass sie irgendein wichtiges Puzzleteil ist, doch ich habe keine Ahnung welches!", meinte Dorian nachdenklich und ließ sich auf den Rücken fallen, von wo aus er den strahlend blauen Himmel beobachtete.

„Du konntest ihren Namen nicht sagen?", fragte Max, hatte dabei vollkommen vergessen, dass Dorian ihm ja eigentlich zuerst eine Frage gestellt hatte.

„Ja. Er schwirrte mir im Kopf herum, ich war bereit ihn zu nennen aber er kam mir nicht über die Lippen.", erklärte Dorian, was Max nachdenklich stimmte. Sowas hatte er noch niemals gehört. Er hatte es nicht einmal versucht ihren richtigen Namen zu nennen deswegen war er gar nicht auf die Idee gekommen.

„Und warum hast du die Obersten angelogen?", fragte Dorian ruhig. Mittlerweile hatte er die Augen geschlossen. Max hatte nicht gedacht, dass Dorian es so hinnehmen würde, dass Max nicht ehrlich gewesen war zu den Obersten. Er hatte geglaubt, dass er ausrasten würde, doch er tat es nicht und das verwunderte ihn.

„Ich hatte so ein Gefühl, ok? Ich weiß nicht warum, aber ich hab das Gefühl ich müsste Cara um jeden Preis beschützen und seltsamerweise sagt mir dieses Gefühl auch, dass ich sie sowohl vor den Feinden als auch vor den eigenen Reihen schützen muss.", erläuterte Max seine wirren Gedankengänge doch das, was er gesagt hatte, erklärte noch nicht einmal ansatzweise das, was in ihm vor sich ging. Erneut wartete er darauf, dass Dorian die Stimme erhob und sauer wurde, doch er tat es nicht.

„Erzähl mir was neues.", entgegnete dieser stattdessen und überraschte Max so zum zweiten Mal innerhalb nur weniger Minuten.

„Und was machen wir jetzt?", fragte er deswegen und sah auf seinen Freund hinab, der vollkommen unbeteiligt wirkte, doch Max wusste genau, dass in ihm gerade ein Kampf tobte, den er nicht gewinnen konnte.

„Darauf hoffen, dass die Obersten die richtige Entscheidung treffen, würde ich mal sagen. Die wissen schon was zu tun ist und auch wenn du das Gefühl hast, dass du ihnen in dieser Sache nicht trauen kannst so hast du die erste Katastrophe ja erstmal abgewendet in denen du sie glauben lässt, ihr Name wäre lediglich Cara Preston. Wir werden schon noch herausfinden was hier los ist, das schwöre ich dir.", Dorian schien besorgt zu sein. Das war Max auch, doch er war sich nicht klar darüber, ob sie es aus demselben Grund waren.

„Du hast dich aber nicht in die Kleine verknallt, oder?", fragte Dorian plötzlich und öffnete seine Augen um Max anzusehen. Er wollte ihn beobachten, sollte er lügen wollen. Er hatte immer noch nicht verstanden, dass er es niemals durchschauen könnte. Doch er müsste eigentlich wissen, dass genau wie Dorian so selten Versprechen gab, Max genauso selten log. Er war vorsichtig damit, denn er wusste nicht, was er damit bewirken konnte. Er hatte sich schon häufig gefragt, ob er dadurch Gefühle auslöschen könnte oder ganze Weltanschauungen verändern konnte. Er hatte den wenigsten von dieser Gabe erzählt, die einzigen die es wussten war Cory, Justin und Dorian und dabei sollte es auch bleiben. Er hatte das Gefühl, dass es lieber nicht zu viele erfahren sollten.

„Nein hab ich nicht. Natürlich nicht. Ich weiß nicht, warum ich dieses Gefühl verspüre sie ihn Schutz zu nehmen.", antwortete Max ruhig und sagte damit die vollkommene Wahrheit.

„Gut, denn das würde definitiv nur Ärger bedeuten!", meinte Dorian und schloss anschließend wieder die Augen. Und während Max nur zu gerne in Dorian Kopf hinein sehen würde um zu wissen, was er eigentlich dachte wichen seine eigenen Gedanken an einen Ort zurück an dem er sie so schnell nicht wieder einfangen könnte.

Vier Tage später saß Cara an dem kleinen Tisch, der sich in ihrem Zimmer befand und blickte nach draußen. Obwohl sie nicht wusste, wo genau sie sich eigentlich befand und wie sie in diese Sache hineingeraten war, fühlte sie sich hier an diesem Ort seltsam befreit und sicher. Sie hatte schon lange nicht mehr so gut geschlafen, geträumt oder einfach nur entspannt. Sie war immer auf der Hut gewesen, auf der Hut vor etwas das sie nicht einmal richtig benennen konnte. Die Sache mit Parker hatte ihr nur den Anstoß gegeben endlich aus diesem Leben zu flüchten und obwohl sie eigentlich so schnell wie möglich hatte abhauen wollen, hatte sie bisher nichts getan um dies auch umzusetzen. Cory kümmerte sich rührend um sie und auch Max hatte ein paar Mal vorbei gesehen um sich nach ihr zu erkundigen. Sogar Justin schaffte es mit seiner unkonventionellen Art Cara das ein oder andere Mal zum Lachen zu bringen. Dennoch streiften ihre Gedanken ständig zu Dorian ab, den sie seit ihrem Zusammentreffen nicht mehr gesehen hatte, worüber sie äußerst froh war. Sie fragte sich, wie Dominik und Dorian eigentlich zusammenhingen, denn schließlich hatte sein Zwilling sie angegriffen! Doch Max hatte gesagt, dass Dorian und er sie gerettet hatten also musste Dorian ja zu den Guten gehören, oder etwa nicht?

Er strahlte jedoch alles andere als eine positive Energie aus und so konnte sie sich nicht vorstellen, dass jemals irgendjemand Dorian zu den Guten gezählt hatte.

„Hey, träumst du oder was?", fragte Cory, die gerade mit gerunzelter Stirn Caras Zimmer betrat und auf ein Blatt hinab sah, das sie auf ihrem Klemmbrett liegen hatte.

„Nein, ich denke einfach nur ein bisschen nach!", erklärte Cara, hatte jedoch nicht vor Cory genaueres zu erzählen; diese fragte auch nicht nach.

„Sieht so aus, als würdest ausquartiert werden...", murmelte Cory und sah wenig begeistert aus.

„Ausquartiert? Ich fühle mich eigentlich schon viel besser und hatte deswegen vor, die nächsten Tage Abschied zu nehmen...", meinte Cara etwas beunruhigt. Ausquartiert. Das konnte ja alles bedeuten.

„Tja, sieht aber so aus als müsstest du mit mir und Max vorlieb nehmen...", Dorian trat gerade um die Ecke und lehnte sich anschließend in den Türrahmen. Er schien nicht sonderlich begeistert zu sein und bei seinem Anblick, kroch Cara eine Gänsehaut über den ganzen Körper. Was meinte er damit sie müsse mit ihm und Max vorlieb nehmen?

„Ich verstehe nicht was du meinst!", versuchte sie ruhig zu erklären, legte sich dabei jedoch die Arme um den Oberkörper um sich vor ihm abzuschirmen. Dorian machte ihr Angst. Er hatte dasselbe Gesicht wie Dominik und sie würde dieses Gefühl vermutlich nie wieder vergessen können. Diesen Augenblick, in dem sich vier Messer in ihren Körper geschoben hatten. Langsam. Bedächtig. Und dabei hatte sie nicht schreien können.

Die Bilder lösten einen Schauer aus, den sie abschüttelte. Sie wollte nicht, dass Dorian ihr ansah, was er mit ihr machte. Sie wollte nicht schwach wirken. Vor allem nicht vor ihm.

„Das heißt, dass die Obersten beschlossen haben, dass wir dich, solange nicht klar ist was Dominik von dir wollte, an einem sicheren Ort unterbringen. Max und ich wurden von den Obersten als Begleitschutz abgestellt, das heißt du darfst dich offiziell geehrt fühlen, denn die besten der Krades werden für deinen Schutz sorgen!", erklärte Dorian, dessen Stimme kalt klang. Das einzige, das ihn von Dominik unterschied, waren seine Augen. Ein winziges Merkmal, das ihr zeigte, dass er nicht Dominik war und daran musste sie festhalten.

„Das könnt ihr vergessen. Ich spiele nicht nach Regeln die ich nicht verstehe, kapiert? Wer auch immer diese Obersten sind, sie haben rein gar nichts für mich zu bestimmen!", erklärte Cara ziemlich gefasst, was sie selber überraschte. Dorian zog eine seiner Augenbrauen nach oben und sah sie abschätzig an.

„Du denkst du hast eine Wahl?", meinte er und lächelte dabei süffisant, was Cara erneut verunsicherte.

„Ich denke es nicht nur, ich weiß es.", entgegnete sie bestimmter als sie sich fühlte, machte sich dabei jedoch noch kleiner als sie sowieso schon war. Ihr Bauch tat immer noch weh, die Narben würden ein Leben lang zeigen, was ihr zugestoßen war und trotz dieser Medikamente, die Cory ihr verabreicht hatte und die mittlerweile dafür gesorgt hatten, dass ihre Wunden sich geschlossen hatten, fühlte sich Cara nicht so als wären ihre Verletzungen tatsächlich verheilt.

„Tja Prinzessin, dann hör mal gut zu. Du magst denken, dass du dich wiedersetzen kannst aber glaubst du wirklich, du kannst mir und Max irgendwie entkommen? Die Obersten haben entschieden und wir befolgen ihren Befehl. Du kannst es uns allen also leicht oder schwer machen; deine Entscheidung. Morgen werden wir alle erstmal umziehen, darauf kannst du dich schon mal einstellen.

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