Kapitel 46: Akt aus Verzweiflung
„Dafür haben wir später noch genug Zeit! Erst mal müssen wir euch hier irgendwie raus bringen.", erklärte Helen, doch Cara gab sich damit nicht zufrieden. Sie sah Dorian an, der aber ihrem Blick auswich. Er war nicht der Meinung, dass es seine Aufgabe war, Cara zu sagen wer diese Frau war. Wer Landon war. Er verstand immer noch nicht, wie das überhaupt möglich war, doch das würde er hoffentlich bald erfahren. Doch Helen hatte Recht, sie mussten hier verschwinden. Und zwar schnell.
„Ich will wissen wer Sie sind!", sagte Cara erneut, doch Dorian wusste, dass sie es bereits ahnte. Die Ähnlichkeit zwischen den Beiden war einfach verblüffend, jeder Blinde hätte das Offensichtliche gesehen.
„Sie ist deine Mutter!", antwortete Landon hinter ihnen und Cara wandte sich um.
„Und Sie sind...", Cara blinzelte einige Male. Sie wusste nicht, was sie jetzt tun oder sagen sollte. Was sie überhaupt empfinden sollte! Sie hatte sich ein Wiedersehen irgendwie anders vorgestellt. Zumindest herzlicher. Sie hatte erwartet, dass ihre Mutter vor ihr zu Kreuze kriechen würde und sie um Vergebung bitten würde und nicht, dass sie sie aus einer solchen Situation rettete und ihr dabei nichts zu sagen hatte!
„Dein Vater...", antwortete Landon und sah ihr dabei unverwandt in die Augen. Caras Blick schoss zu Dorian, der mit den Schultern zuckte. Er hielt sie immer noch um die Hüften fest.
„Aber wie ist das möglich?", fragte Cara weiter, die von dem Hass zwischen den beiden Rassen wusste. Sie konnte nur erahnen wie groß er war, aber Dorians Erzählungen hatten ihr ein ziemlich gutes Bild davon geliefert.
„Das besprechen wir später.", sagte Helen und trat auf die Beiden zu, um sie zum Gehen zu animieren. Gerade als sie Cara am Ellbogen fassen wollte, zuckte diese zurück.
„Nicht anfassen...", sagte sie mit einer solchen Kälte in der Stimme, dass es Helen eiskalt den Rücken runterlief.
„Gehen wir.", sagte sie an Dorian gewandt und beide begannen einen Schritt nach dem anderen zu gehen.
Während Cara nach außen absolut cool wirkte, tobte in ihr ein Gefühlssturm den sie kaum bewältigen konnte. Was zum Teufel war hier eigentlich los?
„Ich bleibe hier, ich kann nicht weg sonst wissen sie sofort Bescheid. Ich versuche sie zurück zu halten aber ihr müsst euch beeilen. Ihr könnt euch erst am Ende der Kanalisation teleportieren, sonst wissen sie augenblicklich wo ihr seid und werden euch folgen.", erklärte Landon und sah dann zu Helen.
„Ich werde euch ein Stück begleiten, doch dann muss ich zurück. Wenn ich mich zu weit entferne, dann läuft die Zeit weiter und wir müssen verhindern, dass das zu früh geschieht.", meinte hingegen Helen woraufhin Dorian nickte. Cara jedoch gab gar keine Reaktion von sich.
Sie gingen auf eine Tür zu, die Helen für sie öffnete. Diese Tür mündete in einen langen dunklen Gang, der mehrere Abzweigungen hatte.
„Ihr werdet diesem Gang folgen, dahinter befindet sich eine Treppe. Wenn ihr dieser bis ganz nach unten folgt gelangt ihr in den Keller. Nehmt die zweite Abzweigung nach links, hinter der dort befindlichen Tür wird Sage auf euch warten und euch weiter führen. Ich treffe euch in etwa zehn Minuten dann in der Kanalisation.", gab Helen ihre Anweisungen. Erneut nickte Dorian und begann Cara den Gang entlang zu führen.
Helen blickte beiden hinterher und betrat dann wieder die große Fabrikhalle. Das war verdammt knapp gewesen. Beinahe hätte Cara sich und alles hier befindliche in die Luft gesprengt. Helen wusste es in dem Moment, in dem sie ihre Tochter gesehen hatte. Diese Kräfte die Cara hatte ähnelten nicht mehr nur den Ghilts oder den Krades.
„Meinst du wir können ihr überhaupt vertrauen?", fragte Cara, die langsam wieder ein Gefühl in ihren Beinen bekam. Sie zitterte zwar nach wie vor, doch Stück für Stück hatte sie ihren Körper wieder im Griff.
„Ich weiß es nicht aber ich gehe davon aus, schließlich hat sie uns den Arsch gerettet!", meinte Dorian und stieß die Tür auf. Sie erreichten wie erklärt das Treppenhaus.
Während sie die Stufen hinunter stiegen, eine nach der anderen, überlegte Cara doch egal welche Erklärung sie fand, sie war nicht gut genug für diese Situation, die hier herrschte. Für das was sie eigentlich war.
„Dorian wie ist es möglich, dass mein Vater ein Ghilt ist?", fragte Cara ihn und wartete auf eine Antwort. Doch Dorian hatte keine. Sowas konnte es nicht geben. Er hatte noch nie davon gehört, dass Krades und Ghilts auch nur längere Zeit in einem Raum sein konnten ohne sich umzubringen, erst recht nicht von welchen die sich ineinander verliebten und Kinder bekamen! Die Welt spielte vollkommen verrückt und alles, was Dorian bisher gekannt hatte, wurde an diesem Tag in Frage gestellt.
„Ich weiß es nicht. Es gibt keine Erklärung dafür. Es gibt auch keine Erklärung dafür, dass ich Landon nicht umbringen wollte! Ich wollte es vorher. Ich habe ihn gesehen und wollte ihn am liebsten genauso wie jeden einzelnen anderen Ghilt der sich in dieser Halle befand töten, doch als ich aus der Erstarrung erwacht bin, war dieser Drang weg!", erklärte ihr Dorian und Cara sah ihn stirnrunzelnd an.
„Irgendwas läuft hier und ich habe keine Ahnung was es ist.", meinte sie als sie schließlich ganz unten ankamen und den weiteren Vorgaben Helens folgten.
„Das kannst du laut sagen und ich bin sehr gespannt, was die Erklärung für das Ganze ist!", antwortete Dorian. Sie bogen gerade in den Gang ab, den Helen ihnen erklärt hatte und öffneten an dessen Ende die Tür. Dahinter stand ein Mädchen und als diese sich umwandte erkannten beide sofort Sage.
„Das wird aber auch Zeit. Was ist denn da oben nur los gewesen?", fragte sie entnervt und sah dann Dorian an, dessen Brust von den Schnitten geziert war und Cara, die nach wie vor nur in einer Art Unterwäsche unterwegs war.
„Bring uns hier raus und wir erzählen es dir später!", sagte Dorian, während Cara Sage einfach nur ansah. Dorian konnte nur erahnen, was in ihr vor sich ging.
„Ok kommt, wir haben nicht mehr viel Zeit. Helen hasst es warten zu müssen!", meinte Sage und geleitete beide weiter in einen weiteren Raum. In dessen Boden befand sich eine Klappe und diese öffnete sie jetzt ohne größere Anstrengung. Eine steile Leiter führte sie hinunter in die Kanalisation.
„Schaffst du das?", fragte Dorian Cara, die nickte.
„Wird schon gehen.", antwortete sie und ließ schließlich von Dorian ab. Dieser stieg zuerst hinunter um Cara, bei Bedarf stützen zu können. Sie folgte ihm zwei Sekunden später.
Ihre Beine zitterten heftig, doch sie schaffte es sich auf den Abstieg zu konzentrieren. Eine Minute später hatte sie wieder festen Boden unter den Füßen. Gerade als Dorian ihr erneut helfen wollte, hob sie die Hände.
„Danke es wird schon gehen. Kümmere du dich lieber um deine Wundheilung.", sie deutete auf seine Brust. Das Blut war jedoch schon getrocknet, die Schnitte begannen bereits zu heilen. Langsam aber doch schneller als bei seiner letzten Verletzung. Sein Körper hatte noch sämtliche Energiereserven, das hier wäre dieses Mal ein Klacks.
„Ok, wir müssen noch ein bisschen weiter, bis wir Helen treffen!", erklärte Sage ihnen und deutete nach links. Ohne abzuwarten begann sie loszugehen. Cara jedoch hatte es schwieriger. Sie trug so gut wie nichts und war barfuß. Sie begann heftig zu zittern und als Sage merkte, dass sie nicht so schnell voran kam blieb sie stehen. Sie schlüpfte aus ihrer Jacke.
„Schuhgröße haben wir nicht dieselbe, aber diese sollte dich zumindest ein bisschen wärmen.", meinte sie und lächelte leicht. Auch für Sage war dies vermutlich eine extreme Ausnahmesituation ging es Dorian gerade durch den Kopf, als Cara die Jacke dankend annahm und sofort hinein schlüpfte. Sage trug immerhin noch ein längeres Oberteil darunter, so dass es beiden jetzt gut gehen würde. Dorian hatte selber mit der Kühle hier unten zu kämpfen, doch er vermutete, dass sie nicht lange hier unten sein würden.
Sie bogen noch ein paar Mal ab, bevor sie eine Gestalt im Dunkeln sahen. Dorian erkannte Helen sofort.
„In Ordnung. Wir müssen noch einige Minuten laufen, bevor wir hier raus können. Also schnell. Sie sind bereits auf der Suche nach uns!", erklärte Helen ihnen und wirkte dabei blass. Alle drei folgten ihr, doch sie wurden zum Stehen bleiben gezwungen, als sie an ein Gitter kamen, dass die Gänge voneinander trennte. Doch Sage zog einen Schlüssel aus ihrer Hosentasche und reichte diesen Helen, die die Tür aufsperrte. Sie traten hindurch doch von einer Sekunde auf die Andere änderte sich etwas und Dorian wandte sich um. Er erkannte zehn Körper, die einige Meter hinter ihnen waren und einer von ihnen war gerade dabei eine Art Speer nach ihnen zu werfen. Er schmiss sich auf Cara und riss sie zu Boden, nur eine Millisekunde später rauschte der Speer über ihren Köpfen vorbei, prallte an die Wand über ihnen und zerschellte in tausende kleine blaue Partikel.
„Verfluchter Mist!", rief Helen aus und von einer Sekunde auf die Andere sammelte sie Dunkelheit um sich herum und schleuderte diese den zehn Ghilts entgegen, die gerade auf sie zukamen. Dorian sah sich schnell um. Er konnte erkennen, dass dieser Gang noch in einige weitere mündete. Sie mussten hier raus und zwar schnell, doch wie sollten sie das machen? Es war ihnen nicht möglich sich einfach zu teleportieren, denn diese Ghilts waren ihnen schon viel zu nah. Wenn sie Cara bekamen würde Dominik sie kein zweites Mal gehen lassen! Und auch Dorian würde vermutlich nicht mehr lange genug leben um mitzubekommen, was sie mit Cara taten.
Helen begann die Zeit anzuhalten, doch es klappte nicht so wie beim letzten Mal. Die Ghilts bewegten sich nach wie vor, nur um einiges langsamer als vorher.
„Meine Energie reicht nicht mehr aus so viele auf einmal erstarren zu lassen....", stellte Helen nüchtern fest, während ihre Blässe ihre Aussage bestätigte. Sie hatte bereits zu viel Energie verbraucht um die Situation oben einzufrieren. Langsam, sehr langsam, kamen die Ghilts weiter auf sie zu und vermutlich würde diese „Erstarrung" schon bald aufgelöst werden. Helens Hand zitterte.
„Verdammt...", sagte Dorian, als ihm klar wurde, welche Möglichkeiten sie hatten. Sie konnten entweder den Kampf aufnehmen oder fliehen. Doch sie würden nicht gemeinsam fliehen können. Einer musste zurück bleiben und die Ghilts daran hindern ihnen zu folgen. Und der Einzige der dies konnte war er selber. Denn selbst wenn Helen bleiben würde, so hätte sie keine Kraft mehr, die Ghilts daran zu hindern. Sie hatte vermutlich gerade noch genug sich selber hier raus zu bringen.
Sein Schutzschild hatte eine Besonderheit. Er hinderte alles und jeden daran, sich innerhalb dieses Schildes zu teleportieren. Der Einzige Nachteil war, dass er sich darin befinden musste um diesen Effekt erzielen zu können. Er sperrte sich mit dem Gegner ein.
Caras Blick richtete sich auf ihn. Er war Angsterfüllt. Sie wusste in der Sekunde, in der Dorian es beschlossen hatte, dass er etwas plante.
„Dorian?", fragte sie, doch er stand auf und trat wieder auf das Gitter zu.
„Dorian!", sagte Cara jetzt lauter und stand ebenfalls auf. Sie hielt ihn zurück, während Helen versuchte, die Erstarrung aufrecht zu erhalten. Sie sah Dorian an, Erkenntnis schwang in ihrem Blick mit. Sage hatte sich versteckt, denn sie konnte rein gar nichts ausrichten.
„Cara, ich muss euch hier rausbringen! Ich komm dann schon nach!", sagte Dorian, doch Cara schüttelte den Kopf.
„Du lügst mich an verdammt! Was hast du vor?", sie griff erneut nach seinem Arm, den er vorher losgerissen hatte. Er war bei der Tür angekommen und wandte sich zu ihr um.
„Ich hab dir mal etwas versprochen...", antwortete er ihr und sah auf sie hinab. Sie war verzweifelt. Sie krallte sich an seinem kaputten Shirt fest.
„Dorian bitte tu das nicht. Dieses Versprechen ist nicht mehr gültig!", ihre Stimme zitterte bei diesen Worten. Und sie hatte Recht, es war nicht mehr gültig. Doch er musste sie beschützen. Er wusste es aus tiefstem Herzen. Cara hatte etwas, dass sie noch weit bringen konnte. Sie war wichtig. Wenn nicht für die Krades oder Ghilts, dann zumindest für ihn.
„Dann verspreche ich es dir nochmal...", sagte er und legte seine Hände an ihre Wangen.
„Nein das wirst du nicht!", Cara wurde wütend, das konnte Dorian sehen. Doch er musste es versprechen. Denn wenn er es nicht tat würde er ihr Geheimnis vielleicht doch verraten. Denn es bestand kein Zweifel daran, dass Dominik alles tun würde um zu erfahren, wie sie entkommen waren. Was es mit Cara auf sich hatte. Dass er Dorian zu Tode quälen würde wenn es nötig war, um an die benötigten Informationen zu kommen. Mit diesem Versprechen wäre Dorian dazu gezwungen, ihr Geheimnis unter allen Umständen zu bewahren.
„Ich verspreche dir, dass ich dich mein Leben lang beschützen werde!", sagte er und Cara schloss die Augen. Eine Sekunde lang resignierte sie, doch diese Resignation hielt nicht lange an.
„Warum zum Teufel hast du das getan?", fragte sie ihn und da kam es wieder. Das Gefühl, als würde alles um sie herum verschwinden. Dorian bekam nichts mit von den Ghilts, die ihnen immer näher kamen.
„Es tut mir leid Cara...", seine Stimme war leise. Seine Augen versanken in ihren. Er blinzelte. Würde er sie jetzt zum letzten Mal sehen? Würde er jemals die Chance bekommen das was Cara war wahrhaftig zu ergründen?
„Bitte tu das nicht...", flehte sie erneut, doch Dorian lächelte.
„Ich muss.", und dann entschloss er sich, dass dies der Einzige Moment sein würde, in dem er erfahren könnte, ob Cara in ihm nochmals diese Freiheit auslösen konnte, die er beim ersten Mal empfunden hatte.
Er küsste sie. Sie wich nicht zurück.
Ein Kuss, der nicht von äußerem Zwang gelenkt wurde, der nicht zustande kam weil er sie dadurch beschützen konnte sondern ein Kuss, den er sich aus tiefster Seele gewünscht hatte, seitdem sie in sein Leben getreten war.
Er spürte die Wärme, die ihn durchzog. Die Cara in ihm auslöste. Er hatte nicht geglaubt, jemals solch ein Gefühl bekommen zu können, doch es geschah. Hier in diesem Moment und er wünschte sich eine Sekunde lang, dass dieser Augenblick eine Ewigkeit andauern konnte. Doch er hatte diese Zeit nicht. Er musste von ihr ablassen. Wenn er sie schützen wollte musste er jetzt handeln und so gab er ihr einen Stoß vor die Brust, der sie einen Meter nach hinten schleuderte, in die Arme ihrer Mutter, die sie auffing. Dorian trat durch das Gitter, schloss die Tür ab und zog den Schlüssel ab. Er schleuderte ihn davon, den Ghilts die näher kamen, entgegen.
„Wenn ich jetzt sage, müsst ihr euch wegteleportieren!", rief er Helen zu, die nickte und schließlich Sage zu sich rief. Cara wehrte sich.
„Dorian nein. Tu das nicht, du kannst mir das jetzt verdammt nochmal nicht antun!", sie flehte ihn an, Tränen liefen ihr über die Wangen.
Dorian erschuf mit einer Handbewegung den Schutzschild, der den gesamten Gang von ihm angefangen und hinter den Ghilts endend in blaues Licht tauchte.
„JETZT!", sagte er und sah dabei nur Cara an. In der nächsten Sekunde war Cara verschwunden und Dorian ging in die Knie, weil die Erstarrung aufgelöst worden war und ihn etwas am Arm getroffen hatte. Er atmete dennoch erleichtert aus, zog sich das Messer aus dem Arm, das ihn dort getroffen hatte und eine Sekunde später verschwand und stand schließlich auf.
Er bündelte die Dunkelheit um sich, nicht nur ein bisschen davon, sondern alles bis in die hinterste Ecke und tauchte den Gang in grelles Licht.
Wenn das hier schon sein Ende sein würde, dann würde er sich zumindest nicht kampflos ergeben.
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