Kapitel 36: Blutverlust
Es dämmerte bereits als Cara erneut erwachte und Dorian wieder schlafend neben sich vorfand. Sie erinnerte sich an die Geschichte Tamaras, die er ihr heute anvertraut hatte und in der so viel Schmerz gelegen war, dass sie alleine das Zuhören als beinahe unerträglich angesehen hatte.
Dorian rührte sich neben ihr, doch er öffnete seine Augen nicht, also ging Cara davon aus, dass er nur geträumt hatte. Sie stand langsam auf und trat auf das Panoramafenster zu, durch das man einen Teil des Waldes überblicken konnte, der sich vor ihr erstreckte. Sie hatte noch nie etwas von diesem Krankenhaus gehört und fragte sich, weshalb es überhaupt geschlossen hatte. Sie sah die letzten Sonnenstrahlen über den Baumkronen tanzen und spürte die Kälte, die sofort nachdem sie aufgestanden war, wieder in ihre Knochen kroch. Sie zog ihre Jacke enger um sich, legte zusätzlich die Arme um sich und betrachtete ruhig die Dämmerung.
Die Frage, wann Dorian genug Energie gesammelt hatte um sie hier raus zu bringen, kam ihr in den Sinn und sie wandte sich einen Augenblick zu ihm um. So stark er auch immer tat, hier in diesen letzten zwei Tagen hatte sie sein wahres Ich kennengelernt. Hatte es erst den Beinahetod gebraucht um ihn da herauszulocken? Und wie wäre es, wenn sie wieder in ihrer gewohnten Umgebung waren?
Cara wusste nicht, ob sie je wieder zu Dorians kalten, abweisenden Art zurückkehren konnte. Sie wusste jetzt wie er sein konnte und langsam aber sicher begann sie, sich daran zu gewöhnen. Was würde sie also nach diesen 14 Tagen tun? Eine Woche davon war bereits vergangen, es blieben ihr nur noch weitere 7 Tage in denen Dorian ihr helfen würde. Nach diesen 14 Tagen musste sie eine Entscheidung treffen. Doch würde sie dann überhaupt noch eine Entscheidung treffen können? Oder hätte sie dann nur noch die eine Wahl?
Erneut wandte sie sich zu Dorian um und trat schließlich ein paar Schritte auf ihn zu. Sie betrachtete wie er schlief. Ihm musste es hundsmiserabel gehen, wenn er so viel Energie verloren hatte. Die Verletzung hatte ihr übriges getan. Sie schüttelte den Kopf und gerade, als sie ihm eine kurze Strähne aus der Stirn wischte, hörte sie ein Knacken.
Ihr ganzer Körper verspannte sich augenblicklich und sie begann an Dorian zu rütteln, der hochschreckte und ihre Hand packte.
„Cara verflucht, ich hab den Schock meines Lebens bekommen!", schimpfte er, doch Cara legte ihm ihre andere Hand auf den Mund. Sie blickte mit großen, erschrockenen Augen in den finsteren, vor ihnen liegenden Gang. Sie waren hier wie auf einem Präsentierteller!
Erneut knackte es und Cara war sich sicher, dass etwas oder jemand hier war.
„Wir müssen hier weg!", flüsterte sie und Dorian nickte. Er erhob sich langsam, doch er war noch lange nicht mobil genug, um sich schnell aus dem Staub zu machen.
Cara legte ihm einen Arm um den Rücken, während er sich mit seinem auf ihren Schultern abstützte und stieg von dem Bett herunter. Cara wusste nicht, ob sie ihre Energie schon wieder bündeln konnte um sich und Dorian im Bedarfsfall zu schützen. Und vor allem wie! Sie konnte ja von nun an schlecht Dorian jedes Mal küssen, um ihre Spannung aufzubauen!
„Komm schon, wir müssen dort rüber!", sagte sie leise und führte Dorian quer durch den Raum auf eine Tür zu die, so wie sie heute gesehen hatte, nur in einen kleinen Abstellraum führte. Aber es wäre immer noch besser, als auf dem Präsentierteller zu sitzen. Sie öffnete die Tür so leise es ihr möglich war und führte sich und Dorian dann in den dunklen Raum. Wenn sie hier gefunden werden würden, dann hätten sie keine Chance. Sie würden sich nicht verteidigen können. Doch das Knirschen, das jetzt zu Schritten wurde, näherte sich unaufhaltsam und sie hatten keine Zeit mehr, sich ein anderes Versteck zu suchen.
Sie schloss die Tür schnell und half Dorian dann, sich auf den Boden zu setzen. Zischend atmete er ein.
„Was tun wir denn jetzt? Wenn die wieder kommen haben wir keine Chance!", erklärte Cara mit klopfendem Herzen. Sie konnte Dorian nicht erkennen, da er sich in der absoluten Dunkelheit befand.
„Abwarten...", murmelte er und sie hörte ihm an, dass er genervt davon war, nicht einsatzbereit zu sein.
Cara kümmerte sich seit gestern die ganze Zeit um ihn und er war immer noch nicht im Stande sie, falls nötig, zu schützen. Diese Verletzung war schlimmer gewesen als erwartet und sein Körper war vollkommen damit beschäftigt, sich wieder in den Griff zu bekommen. An seine Fähigkeiten war gerade nicht einmal im Ansatz zu denken. Er würde die Dunkelheit bündeln können und sie dem Angreifer eventuell noch auf den Hals jagen können aber das wars.
Er verlagerte sein Gewicht ein wenig und hoffte, dass die Schmerzen dann nachlassen würden. Cara stand an der Tür und lauschte, ob sie von draußen etwas hörte. Er spürte ihre Angst und Unsicherheit und sah zu ihr hinauf. Er war ein voller Krade und konnte so wesentlich besser in der Dunkelheit sehen als sie und es wäre jetzt zu riskant den Raum zu erleuchten. Also mussten sie hier in diesem dunklen Loch abwarten, was geschehen würde.
Draußen hörte er jetzt eindeutige Schritte und er versuchte, ob er eventuell zumindest durch die Wand sehen konnte. Diese Fähigkeit von ihm brauchte in der Regel nur sehr wenig Energie und so gelang es ihm tatsächlich. Er erkannte zwei Personen. Nur kurz, doch es war eindeutig.
„Cara öffne die Tür.", sagte er plötzlich und spürte, wie sein Herz aufgeregt zu pochen begann. Max hatte ihn gefunden. Er hatte von seinen seltsamen Fähigkeiten Gebrauch gemacht und hatte ihn tatsächlich gefunden.
„Was? Nein! Dorian. Du weißt nicht wer da draußen ist!", sagte sie erschrocken, doch Dorian war bereits dabei sich an der Wand rauf zu hieven. Cara hörte was er versuchte und kam ihm augenblicklich zu Hilfe.
„Doch ich weiß es. Es sind Max und Justin!", erklärte er ihr außer Atem. Er spürte, dass sie sich ein wenig verkrampfte.
„Woher willst du das wissen?", fragte sie ihn. Dorian war vollkommen erschöpft. Nur davon, seine einfachste Fähigkeit zu nutzen, war er kurz vor einer Ohnmacht und schlimmeres. Seine Wunde hatte sich erneut geöffnet, er spürte es, wie das Blut sein Shirt durchtränkte.
„Weil ich ihn gesehen habe. Öffne die Tür, du kannst mich nicht mehr lang halten und ich werde vermutlich jeden Moment das Bewusstsein verlieren!", erklärte er ihr und eine Sekunde später wurde ihm schwarz vor Augen.
Cara hielt ihn mit aller Gewalt fest doch sie konnte es nicht verhindern, dass er schließlich auf dem Boden landete. Woher wusste Dorian, dass Justin und Max da draußen waren? Vielleicht war es ein Ghilt, der ihm etwas vorgespielt hatte? Cara war schon so in Habachtstellung, dass sie vermutlich nie wieder jemandem wirklich trauen würde außer diesen drei Menschen. Sie sah mittlerweile überall und in jedem eine Gefahr oder Verschwörung.
Doch Dorian war sich sicher gewesen und er brauchte dringend Hilfe. Also musste sie nachsehen. Sie würde ihn erstmal hier liegen lassen und sich selber vergewissern. Sollte es am Ende doch etwas oder jemand anderes sein, wäre er hier zumindest sicher.
Ihre Hand griff an den Türknauf und langsam drehte sie ihn bis sie spürte, dass die Tür nachgab. Sie trat in den großen Raum hinaus und schloss die Tür hinter sich wieder. Doch in dem Moment sah sie Max und Justin, die sie ihrerseits schockiert ansahen.
„Oh Gott sei Dank seid ihr da!", rief sie aus und verlor den Halt in ihren Beinen. Sie hatte keine Kraft mehr. So viele Sorgen die sie sich gemacht hatte die letzten zwei Tage, soviele Ängste die sie durchgestanden hatte. Ihre Kraft war zu neige gegangen.
Max stürmte auf sie zu und ging in die Knie. Er zog Cara an sich, der Tränen über das Gesicht liefen.
„Wo ist Dorian?", fragte Max sie und legte seine Hände an ihre Wangen. Sie deutete auf die Tür und Justin öffnete sie augenblicklich. Dorian lag im Dunkeln des Raumes, zusammengekauert. Seine Wunde hatte offensichtlich wieder zu bluten angefangen.
„Wir müssen ihn unbedingt sofort zu Cory bringen!", rief Justin aus, als er Dorian und seine Wunde näher inspizierte. Seine Hände waren blutgetränkt.
„Du kannst ihn nicht zu Cory bringen, die Obersten dürfen nicht wissen, dass Dorian wieder in der Stadt ist.", erklärte Max ohne Cara loszulassen, die mit angsterfüllten Augen zu Dorian hinüber sah. Sie war jetzt kaum noch ansprechbar.
„Bring ihn in die Wohnung. Ich bringe Cara und hole danach sofort Cory!", sagte Max und eine Sekunde später knieten sie in der Küche in ihrer Wohnung.
„Cara, ich muss los um Cory zu holen. Bleib einfach hier sitzen in Ordnung?", fragte Max sie und Cara nickte als Antwort. Ihr Blick war auf Justin gerichtet, der gerade mit Dorian im Schlafzimmer angekommen war. Er hatte sich direkt auf das Bett teleportiert um Dorian nicht unnötig viel zu bewegen. Doch auch diese Teleportation hatte Dorian nicht gut getan. Er wirkte noch blasser.
„Cara geh und hol Handtücher, Laken...alles was du kriegen kannst. Und wir brauchen heißes Wasser!", rief Justin aus dem Schlafzimmer heraus was Cara sofort zum Aufstehen bewegte. Sie war noch nicht fertig damit Dorians Leben zu retten. Alleine diese kleinen Anstrengungen der letzten halbe Stunde hatten dafür gesorgt, dass es ihm wieder so schlecht ging wie gestern nach dem Angriff. Und Cara wusste, dass es ernst war.
Sie rannte ins Badezimmer, wo sie schnell ihre Jacke auszog und auf den Boden schleuderte und schnappte sich alle Handtücher die sie finden konnte. Sie brachte sie Justin, der Dorian Shirt zerriss und das Handtuch auf die Wunde drückte.
„Halt das fest Cara!", sagte er und Cara stemmte ihre Hände gegen das Handtuch.
„Drück richtig fest zu. Wir müssen die Blutung stillen.", Justin sah blass aus, doch er ging in die Küche wo er den Wasserkocher anmachte.
„Cory wird heißes Wasser brauchen.", erklärte er Cara, die ihn fragend ansah. Doch Caras Blick war nicht lange auf Justin gerichtet sondern schnell wieder auf Dorian. Er wirkte so kraftlos. Es schien ihm sogar noch schlechter zu gehen als gestern. Sie griff mit einer Hand an seine Wange und bemerkte, dass er Fieber bekommen hatte. Das hatte sie im Krankenhaus gar nicht bemerkt.
„Komm schon Dorian. Wir haben den Scheiß doch jetzt nicht überstanden damit du dann hier zuhause abkratzt!", murmelte sie und strich sich die Haare aus dem Gesicht, bevor sie auch die zweite Hand wieder an seinen Bauch legte. Einen kurzen Moment hob sie das Handtuch an, doch die Wunde sah nicht gut aus. Sie blutete nach wie vor und sie wirkte entzündet.
„Fuck...", murmelte sie und sah dann zu Justin hinüber.
„Wo bleiben Max und Cory?", rief sie, doch er zuckte mit den Schultern.
„Dann geh nachsehen verdammt!", jetzt schrie sie und Justin wandte sich zu ihr. Er wirkte blass, hatte keine Ahnung wie er mit der Situation umgehen sollte und nickte nur, als er das was Cara gesagt hatte verstand. Eine Sekunde später war er verschwunden und Cara und Dorian waren alleine.
„Dorian halt noch ein wenig durch. Du hast es bald geschafft.", flüsterte Cara ihm zu. Sie merkte, dass seine Hand sich an der Seite zu einer Faust ballte.
„Wenn du noch fester drückst bekomm ich bald keine Luft mehr!", murmelte er doch seine Stimme klang schwach.
„Keine Panik, Cory flickt mich zusammen und dann ist alles gut.", sagte er und Cara musste lächeln. Sie hatte das Gefühl, er hätte das schonmal zu ihr gesagt.
„Ich hoffe es. Denn egal wie sehr du mir auch auf die Nerven gehst, ein Leben ohne dich kann ich mir im Moment wirklich nicht vorstellen.", murmelte sie und verursachte eine Lächeln in seinem Gesicht.
„Du wirst mich nicht los, keine Sorge...", seine blauen Augen waren auf ihre gerichtet. Sie wollte ihm so gerne helfen, doch sie wusste nicht, was sie tun konnte oder sollte!
„Dorian bitte stirb jetzt nicht...", sagte Cara und spürte die Panik in ihr aufkommen.
„Ich versuche es...", antwortete er leise doch Cara kam nicht dazu, auf diese Aussage zu reagieren, denn in dem Moment stand Cory neben ihnen.
„Was ist passiert?", fragte sie Cara, die im Eiltempo alle Geschehnisse zusammenfasste. Cory öffnete sofort ihren Arztkoffer und zog einige Utensilien heraus.
„Wer kein Blut sehen kann sollte jetzt hier verschwinden!", meinte sie und sah auf alle Beteiligten. Cara spürte, dass jemand nach ihr griff und wandte sich um. Das Handtuch hielt sie nach wie vor fest, doch Cory hob es jetzt an und gab es Cara.
„Das brauchen wir nicht mehr. Also raus mit euch!", Cory nahm keine Rücksicht auf irgendjemanden in diesem Raum. Und so zog Max nochmals nach Cara, die sich schließlich löste und heruntertrat. Justin nahm ihren Platz ein, er würde Cory wohl assistieren. Max jedoch führte Cara hinaus in die Küche und schloss hinter sich dann die Tür.
„Ich wollte ihn doch eigentlich beschützen und was hab ich getan? Ich hab ihn vielleicht umgebracht!", sagte Cara und stützte ihren Kopf in die Hände.
„Nein Cara, du hast ihm das Leben gerettet. Ohne dich wäre Dorian definitiv nicht mehr am Leben!", erklärte Max ihr, doch sie hörte ihn nicht. Das Einzige was in ihrem Kopf vor sich ging war die Sorge darüber, dass sie Dorian gerade eben vielleicht das letzte Mal in ihrem Leben lebend gesehen hatte.
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