Kapitel 24: Vertrauen

Sie sollte niemandem vertrauen? Was sollte das bedeuten? Cara stand inmitten all dieser Menschen und sah sich um, doch es fehlte jede Spur von Sage.

„Es gibt eine Macht, die viel größer ist und wesentlich gefährlicher...", das hatte Sage gesagt, doch was sollte denn bitte mächtiger sein als diese Wesen?

Sie sah auf die Uhr und stellte fest, dass es bereits zehn Uhr war. Sie musste dringend wieder in die Wohnung, ansonsten würde Dorian noch vollkommen ausrasten vor Angst. Doch was sollte sie ihm erzählen? Konnte sie Dorian und Max wirklich vertrauen oder gehörten sie genau zu denen, vor denen Sage sie gewarnt hatte?

Sie dachte an die Dinge, die sie gemeinsam durchgemacht hatten und Cara war sich einer Sache vollkommen sicher: Dorian und Max hatten nichts Böses im Sinn. Lucien, dafür würde sie nicht die Hand ins Feuer legen. Sie musste lernen zu vertrauen und dabei würde sie bei Max und Dorian beginnen. Sie musste ihnen erzählen, was sie erfahren hatte.

Dorian lief in der Wohnung auf und ab und versuchte angestrengt darüber nachzudenken, ob Cara jemals von irgendwas oder jemandem erzählt hatte, wo sie sich hinwenden könnte. Die einzigen die ihm einfielen waren dieser Johnny, dessen Nachnamen er nicht kannte und Parker, doch den hatte sie beinahe umgebracht. Er bezweifelte stark, dass sie sich an ihn wenden würde. Was auch immer in diesem Brief gestanden war, der Inhalt hatte Cara soweit verstört, dass sie sich aus dem Staub gemacht hatte.

Er befand sich im Wohnzimmer, während Max in Caras Zimmer saß und versuchte die Energien, die sich darin gestaut hatten zu lesen. Damit war er seit mittlerweile zwei Stunden beschäftigt.

Justin tauchte neben ihm auf.

„Ich habe nichts in Erfahrung bringen können. Keine Kontoaktivitäten, sie ist auf keinen Überwachungskameras aufgetaucht, gar nichts.", erklärte Justin, den Dorian direkt nach Max angerufen hatte und der sich sofort bereit erklärt hatte, ihnen bei der Suche zu helfen. Hier war er wieder in seinem Element.

„Auf keiner einzigen? Was zum Teufel stimmt nicht mit diesem Mädchen verdammt noch mal!", Dorian wurde langsam aber sicher wütend. Cara hatte keinen Grund gehabt abzuhauen. Sie war hier sicher gewesen. Wenn sie sterben wollte, würde er ihr gerne dabei behilflich sein wenn sie so weiter machte, sie musste sich selber also nicht auf einem Tablett präsentieren.

„Ok, mir fällt nichts mehr ein wo wir noch suchen könnten.", sagte Dorian schließlich und setzte sich aufs Sofa. Er hatte schon einige Orte abgeklappert heute und ihm fiel kein weiterer mehr ein.

„Ich halte die Augen offen.", entgegnete Justin.

Er war sich nicht sicher, was eigentlich passiert war, aber er hatte nicht das Gefühl gehabt, dass Cara weg wollte. Er war derjenige gewesen, der heute einen Aufstand gemacht hatte. Cara hatte eigentlich ganz cool gewirkt, dafür, dass sie das Ganze erst seit einer Woche kannte.

„Ja ok Mann. Ich melde mich, sollte ich was hören.", antwortete Dorian und horchte, ob er was von Max mitbekam, doch er hörte keinen einzigen Laut. Es würde ja doch keinen Sinn machen und so erhob er sich, nachdem Justin sich wegteleportiert hatte und ging zu Max ins Schlafzimmer.

„Ich verstehe immer noch nicht, wie du dich so leicht hast fertig machen lassen von ihr.", sagte Max, der inmitten ihres Bettes mit geschlossenen Augen saß.

„Leg du dich mal mit ihr an dann wirst du es verstehen!", meinte Dorian und lehnte sich an die Wand.

„Hast du irgendwas brauchbares?", fragte er Max, der schließlich die Augen öffnete und Dorian mit seinen Augen fixierte.

„Brauchbares? Nein.", antwortete dieser und hatte anscheinend nicht vor, mehr zu erläutern. Dorian wusste, dass Max all die Sachen gesehen hatte, die in den letzten Tagen in diesem Zimmer geschehen war. Noch eine außergewöhnliche Fähigkeit von Max die mit kaum einer vergleichbar war. Er sah die Dinge wie in einem zusammengeschnittenen Film an seinem inneren Auge vorbei ziehen. Alles was man tat, jeder Mensch, hinterließ Energien und diese konnte Max lesen. Es hing mit seiner Fähigkeit der Farben zusammen, aber Dorian hatte das Ganze nie zu 100% verstanden. Er wusste nur, dass es in Räumen leichter und länger möglich war als im Freien. Draußen waren die Energien nur einige Minuten lesbar.

„Dorian, warum hast du ihr versprochen sie zu beschützen? Ich weiß zufällig, dass dein letztes ehrliches Versprechen das an Tamara war und wir wissen beide, dass das nicht gut ausgegangen ist!", sagte Max und öffnete die Augen. Anscheinend hatte er diese Szene auch gesehen. Dorian wusste selber nicht, weshalb er sich dazu verleiten lassen hatte. Er hatte irgendwie das Gefühl gehabt er MÜSSTE Cara beschützen und ihr klar machen, dass sie ihm vertrauen konnte. Das Versprechen jedoch war ihm schneller über die Lippen gekommen als er hatte nachdenken können darüber. Das, war ihm vorher noch nie passiert.

„Beim letzten Mal hab ich den Tod versprochen, dieses Mal, dass ich jemanden beschütze. Da besteht ein gewaltiger Unterschied Max!", erklärte Dorian ihm ohne auf die Frage nach dem Warum einzugehen.

„Aber es könnte deinen Tod bedeuten und das weißt du genau so gut wie ich.", Max sagte diese Worte ohne Emotion. Es war eine Feststellung und er hatte vollkommen Recht damit.

Es war eine Sache jemanden zu beschützen. Wenn man aber wie Dorian so etwas versprach und gezwungen war, dieses Versprechen auch einzuhalten, so konnte dies schnell im eigenen Tod enden. Er hatte sich selber eine Falle gestellt. Vielleicht weil sein Unterbewusstsein keinen Bock mehr auf diesen ganzen Scheiß hatte.

„Dorian ich weiß, dass...", Max wurde in seinen Worten unterbrochen als er die Haustür hörte und auch Dorian nahm den Schlüssel, der sich im Schloss drehte zeitgleich wahr und teleportierte sich augenblicklich zu der Tür, die sich gerade öffnete. Cara stand mit der Hand an ihrem Schlüssel da und sah Dorian ruhig an. Max kam keine zwei Sekunden später, jedoch auf normalem Wege, dazu.

„Wo warst du?", fragte Max sie außer Atem. Es hatte ihn eine Menge Energie gekostet die Geschichte des Schlafzimmers zu ergründen.

„Ich hatte etwas zu erledigen.", erwiderte Cara ,zog ihren Schlüssel ab und legte ihn auf das Tischchen neben der Tür. Natürlich der Schlüssel.

Sie hatte ihn mitgenommen. Das hätte sie niemals getan, wenn sie nicht vorgehabt hätte wieder zurück zu kommen. Wie hatte Dorian das nur entgehen können?

Er sah Cara ruhig an obwohl es in ihm kochte. Sie hatte ihn hintergangen. Was auch immer sie heute zu erledigen hatte, sie hatte es nicht für nötig gehalten es ihm zu sagen. Sie hatte ihm nicht genügend vertraut.

„Was zum Teufel kann so wichtig gewesen sein, dass du deswegen Dorian fast umgebracht hast?", fragte Max und das erste Mal, seitdem Max Cara kennengelernt hatte, war er wütend auf sie.

Caras Blick wanderte zu Dorian, der nach wie vor nichts sagte. Er stand in etwa einen halben Meter von ihr entfernt und sah sie lediglich an.

„Dorian es.....", setzte Cara an, doch sie hielt inne. Wie sollte man sich für so etwas entschuldigen? Dorian hatte sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt um sie zu beschützen, sie zu trainieren und ihren Babysitter zu spielen und was hatte sie getan?

Er wandte den Blick ab und ging auf seine Jacke zu, die er sich schnappte und überzog.

„Du bist heute dran mit Babysitting!", sagte er an Max gewandt und eine Sekunde später war er weg.

„Scheiße!", sagte Cara und lehnte sich an die Tür. Sie hatte vieles erwartet. Sie hatte erwartet, dass er wieder wütend wurde. Vielleicht, dass er ihr Vernunft einprügelte oder sich für das, was sie getan hatte revanchierte. Doch er hatte nichts dergleichen getan.

„Das kannst du laut sagen Cara...", sagte Max und wandte sich von ihr ab. Er ging auf den Kühlschrank zu und holte sich, das erste Mal seitdem Cara ihn kannte, ein Bier heraus.

„Geh schlafen Cara...", er hatte ihr den Rücken zugewandt und die Worte „Ich ertrage dich heute nicht länger...", hingen unausgesprochen in der Luft.

Cara schlurfte in ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Hatte sie es also wieder einmal geschafft. Sie hatte die Menschen um sich herum verletzt. Kein Wunder, dass sich immer alle von ihr abwandten.

Sie schmiss sich auf ihr Bett und wieder lauerten die verräterischen Tränen in ihren Augen, doch sie hielt sie zurück. Sie konnte jetzt nicht weinen. Sie war selber schuld an ihrer Misere.

Sie dachte an Dorian und seinen Blick, mit dem er sie betrachtet hatte. Da war keine Wut gewesen, oder zumindest nicht an erster Stelle. Da war gänzliche Enttäuschung gewesen.

Dorian hatte sich in den Trainingsraum der Zentrale teleportiert. Er hatte den Raum ja sowieso für die ganze Woche gebucht also konnte er ihn genau so gut nutzen. Doch vorher holte er das Handy heraus, das in diesen Tagen anscheinend doch noch zu einem wichtigen Bestandteil seiner Ausrüstung wurde, und rief Justin an um ihm mitzuteilen, dass Cara wieder aufgetaucht war.

„Geht es ihr gut?", fragte Justin und Dorian hörte die Besorgnis heraus.

„Ruf Max an, er ist bei ihr.", erklärte Dorian und nach weiteren kurzen Floskeln legten beide auf.

Nach kurzem Überlegen zog Dorian seine Jacke aus und auch das T-Shirt folgte kurz darauf. Er trat auf den Boxsack zu und begann, dagegen zu schlagen. Immer wieder setzte er präzise Schläge dagegen. Und dabei kamen ihm Bilder in den Sinn, die er nie wieder vor sich sehen wollte.

~~~~~~~

Er und Dominik waren mehr als nur Brüder gewesen. Er und Dominik waren Seelenverwandte gewesen. Hatte der eine Schmerz empfunden, hatte der zweite dieselben Schmerzen. Empfand einer Trauer, empfand es der Andere und so hatte er vierzehn Jahre mit seinem besten Freund zusammen gelebt und das beste Leben gelebt, dass man nur leben konnte. Seine Eltern waren großartige Eltern gewesen.

Dorian erinnerte sich an den letzten gemeinsamen Urlaub miteinander. Sie waren an einem Strand gewesen, dem Strand den er noch gestern Cara beschrieben hatte. Die Person die damals seine Hand gehalten hatte, war Cassie gewesen, seine jüngere Schwester. Sie war erst zehn gewesen und hatte ihn und Dominik vergöttert. Sie drei waren ein Herz und eine Seele gewesen. Nur zwei Monate nach diesem Urlaub war ihr 14. Geburtstag gewesen, an dem sich alles geändert hatte.

Dominik und er waren nie die Typen gewesen, die viel gestritten hatten. Sie waren sich einfach immer einig gewesen, hatten immer schon ein Zimmer geteilt und all ihre Gedanke, Träume und Wünsche. Doch es änderte sich. Und zwar mit einer solch drastischen Geschwindigkeit, dass Dorian heute noch schlecht bei dem Gedanken daran wurde.

An seinem 14. Geburtstag war er aufgewacht und hatte Dominik, der bereits aufgestanden war, am Frühstückstisch getroffen und plötzlich war da ein Hass ihm gegenüber gewesen, den Dorian sich nicht erklären konnte. Es war von Anfang an ein verschlingendes Gefühl gewesen. Sie hatten an diesem Tag, der doch eigentlich ihr besonderer Tag sein sollte, ihren ersten Streit gehabt. Später in der Schule, waren sie das erste Mal übereinander her gefallen.

Ihre Eltern hatten es auf die Pubertät geschoben, sie konnten gar nicht wissen was mit ihren Kindern los war. Und auch Dorian und Dominik hatten keine Ahnung, woher diese Gefühle, die langsam aber sich alles zu verschlingen drohten, plötzlich aufgetaucht waren.

Dorian jedoch hatte sich besser unter Kontrolle. Er hatte seinen Bruder nicht hassen wollen, hatte versucht den Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen doch als sie sich zwei Wochen nach ihrem Geburtstag im Garten ihrer Eltern wieder gestritten hatten, hatte Dominik damit begonnen das Licht um sich herum zu absorbieren. Er hatte es in seiner Hand gebündelt und beide waren zu Tode erschrocken. Dominik hatte die Energie abgefeuert, doch Dorian verfehlt. Stattdessen hatte er Cassie getroffen, die gerade nach ihren Brüdern hatte schauen wollen. Dominik hatte sie nicht getötet, aber Cassie lag seitdem in einer Art Wachkoma und es gab keine Aussicht auf eine Besserung.

Dominik hatte seine kleine Schwester eines Lebens beraubt, das auch ihm vorenthalten blieb und das war wohl der Moment gewesen, in dem er sich der Dunkelheit hingegeben hatte.

Kurze Zeit später sollten die Beiden nach New York reisen und Dorian kam in die Zentrale. Er hatte seine Familie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen.

Als er ein halbes Jahr später erneut auf Dominik traf, war dieser schon sehr viel stärker gewesen. Sie hatten beiden den Jünglingen angehört und an diesem Tag hatte Dominik Dorian beinahe getötet.

Dorian hielt in seinen Schlägen inne und ging auf einen Spiegel zu. Er betrachtete seinen Bauch, auf dem immer noch die Narben von vier Einstichen zu sehen waren. Er war unter denselben Bedingungen wie Cara beinahe gestorben. Vielleicht fühlte er sich deswegen auf eine bestimmte Art und Weise verbunden und vielleicht, verletzte ihn deswegen ihr Verrat auch so.

Dominik war der erste Mensch der ihm beigebracht hatte, was Schmerz wirklich bedeutete. Kein körperlicher Schmerz, den konnte man irgendwie überwinden. Aber die Wunden der Seele blieben ein Leben lang bestehen und sie wurden tiefer. Und Cara hatte ihm heute so eine Wunde zugefügt, ohne es zu wissen. Sie war ihm in den Rücken gefallen.

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