Kapitel 13: Lucien
Dorian hörte wie die Dusche ein paar Minuten später an ging und begab sich zu Justin, der es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte und gerade durch die Kanäle zappte. Dorian kannte Justin und er wusste genau, dass Justin nervös war und versuchte dies zu überspielen. Er selber war jedoch genauso rastlos und so beschloss er, auch wenn ihm das vor zwei Tagen jemand gesagt hätte und er ihn für verrückt erklärt hätte, den Abwasch zu machen. Die Teller, Tassen, Besteck und Gläser stapelten sich auch nach ihrem kurzen Aufenthalt hier schon und leider hatten es die Obersten versäumt ihnen eine Wohnung mit Geschirrspüler zu geben.
Justin war anscheinend so in seinen Gedanken versunken, dass er es nicht einmal mitbekam und sich somit einen blöden Kommentar sparte. Und während Dorian das Wasser einlaufen ließ und Spülmittel hineingab fragte er sich, was Justin nur gesehen hatte. War es überhaupt wichtig was Justin gesehen hatte? Oder spielte es vielleicht überhaupt keine Rolle?
Natürlich würde es für Cara selber wichtig sein zu wissen, was in den letzten Stunden mit ihren Eltern geschehen war, aber war es das für Dorian? Würde es ihm irgendwas bringen zu wissen, was in Caras Kopf für Erinnerungen versteckt waren? Würde es ihn in seinem Plan weiter bringen heraus zu finden, was Dominik vor hatte? Denn wenn er mal ehrlich war, auch wenn Cara etwas in ihm bewegte, so war es ihm am Ende scheißegal was mit dem Mädchen war. Er wollte lediglich heraus finden was Dominik, und damit die Ghilts, plante. Dorian wusste, dass Dominik Mitglied der Obersten der Ghilts war. Eines der jüngsten Mitglieder, die die Obersten der Ghilts jemals gehabt hatten. Woher er das wusste?
Nun, man konnte wohl sagen, dass weder die Ghilts die Krades einfach so machen ließen und auch andersrum wurden die Ghilts von den Krades überwacht. Und es war äußerst auffällig, dass immer mehr Ghiltaktivitäten zu verzeichnen waren und diese immer mehr junge, untrainierte Krades töteten.
Während Dorian seinen Gedanken nachgehangen war, war die Dusche ausgegangen und auch Dorian hatte den letzten, übrig gebliebenen Teller abgespült und so ließ er das Wasser ab und setzte sich schließlich an den kleinen Tisch, der sich irgendwie zum Mittelpunkt dieser Wohnung entwickelt hatte. Er wartete. Wartete auf Max, dass dieser endlich wieder kam. Normalerweise kümmerte sich Max um solche, äußerst präkeren Situationen. Er wartete auf Justin, dass dieser endlich den Mund aufmachte und er wartete auf Cara, die er, wenn sie nicht bald ihren Hintern hier hinaus schwingen würde, höchstpersönlich holen würde. Er wollte nicht mehr warten verdammt!
Genau in diesem Moment öffnete sich die Wohnungstür und Max kam herein spaziert mit einer kleinen Papiertüte in der Hand.
„Geht es ihr soweit gut?", fragte er ohne Umschweife und legte die Papiertüte auf einem kleinen Tischchen neben der Wohnungstüre ab um seine Jacke ausziehen zu können.
„Keine Ahnung. Vermutlich nicht, wenn sie Aspirin braucht!", sagte Dorian in seinem üblichen, abfälligen Ton und betrachtete seine Hände dabei. Da war eine Narbe, die er vorher noch nie gesehen hatte und er wunderte sich darüber, wo sie herkam.
„Sie ist gerade fertig geworden mit duschen, ich schätze sie ist jeden Moment bei uns.", sagte Justin etwas feinfühliger und schaltete den Fernseher aus und stand auf, um sich zu Dorian an den Tisch zu setzen.
„Ich bring ihr schnell die Aspirin!", sagte Max und nahm sich die Papiertüte, ging auf die Tür zu und klopfte an.
„Ja?", rief Cara aus dem Zimmer heraus, sie war also schon draußen aus dem Bad.
„Ich hab deine Aspirin dabei!", rief Max ihr durch die geschlossene Tür zu und bei diesen Worten öffnete sie sie und stand ihm gegenüber. Sie lächelte leicht.
„Vielen Dank. Ich hab das Gefühl ich müsste die ganze Packung nehmen!", erklärte Cara und nahm die Tüte dankend entgegen. Sie schritt auf die Küchenzeile zu und öffnete die Papiertüte, dann das Döschen mit den Pillen und schüttete sich gleich zwei von ihnen in die Handfläche. Sie schmiss sie in ihren Mund und spülte diese mit Wasser direkt aus dem Hahn hinuntern.
„Können wir dann endlich anfangen?", fragte Dorian genervt und beinahe hätte er vor Frust auf die Tischplatte geschlagen.
„Ja...", hörte er Caras leise Stimme und hörte Angst heraus. Angst davor, was Justin ihr zu sagen hatte. Und obwohl sie zugestimmt hatte, machte sie keine Anstalten sich zu den Jungs umzuwenden oder sich irgendwie in Bewegung zu setzen.
„Setz dich!", hörte Dorian sich selber sagen und wartete auf irgendeine Reaktion von Cara.
„Ich setze mich dann, wenn ich mich setzen will und nicht weil du es mir aufträgst, verstanden?", und da war ihre Reaktion gewesen. Immerhin hatte sie sich jetzt zu den Jungs umgewandt und sah Dorian jetzt unverwandt in die Augen. Pures Gift schoss aus ihnen. Dorian zuckte mit den Schultern, entschied diese Argumentation zu lassen und wandte sich an Justin.
„Und jetzt raus mit der Sprache!", seine Finger trommelten auf die Tischplatte. Justin sah Cara an, als wolle er sich vergewissern, dass er sprechen durfte. Da Cara in Dorians Rücken stand, konnte er ihre Reaktion nicht sehen, aber anscheinend hatte sie genickt, denn Justin räusperte sich und begann zu sprechen.
„Ok, ich habe tatsächlich einige Erinnerungen aufgeschnappt, die uns durchaus was bringen könnten. Anscheinend waren deine Eltern auf der Flucht vor jemandem. Vor Micheal um genau zu sein...", begann Justin und sah Max und Dorian nun abwechselnd an. Sie wussten beide sofort, welchen Micheal Justin meinte dennoch lehnte sich Dorian weiter nach vorne.
„Du meinst unsere Micheal? Den Obersten?", fragte er verdutzt und sah sofort Max an. Der zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht, sie haben nur Micheal gesagt. Aber es wäre schon ein krasser Zufall wenn sie unseren gemeint haben...", sagte Justin. „Außer...", und jetzt sah er Cara erneut an und auch Dorian wandte sich um. Er blickte Cara in die Augen und erinnerte sich an die dunklen Spränkel, die so charakteristisch für die Krades waren.
„Außer sie ist doch eine Krade, aber nur zur Hälfte.", schloss Dorian Justins Gedanken ab und wandte sich zu Max, der jetzt ebenfalls Cara betrachtete.
„Kann es sein? Gab es sowas schon mal?", Cara hatte bisher nichts dazu gesagt. Sie sah die drei nur erschrocken an und schien nach Worten zu ringen.
„Keine Ahnung. Eine Naturgeborene von einem Krade und einem Menschen gezeugt? Ich hab sowas noch nie gehört!", sagte Max und stand nun von seinem Platz auf.
„Ihr denkt, ich habe Kradeblut in mir?", fragte Cara jetzt doch etwas verstört.
„Nun ja, wir denken erstmal gar nichts. Alles was ich weiß ist, dass deine Eltern vor Micheal auf der Flucht waren und dies der Einzige Grund war, dass sie dich in einer Babyklappe abgegeben haben. Sie haben dich geliebt und deine Mutter wollte es nicht, aber dein Vater wollte dich beschützen. Dieser Micheal, ob es nun der Oberste war oder nicht, muss also definitiv gefährlich gewesen sein!", sagte Justin und sah auf den Tisch. Er fuhr sich mit der Zunge einmal über die Lippen.
„Und da war ein zweites Baby.", sagte er und diese Nachricht schlug ein. Bei allen.
„Ein zweites Baby? Was meinst du damit? Hatte ich eine...", sagte Cara sofort und jetzt bewegte sie sich doch auf den Tisch zu und ließ sich auf dem Stuhl nieder, den Max vor kurzem noch frei gemacht hatte.
„Nein ich glaube nicht. Sorry, ich hab mich blöd ausgedrückt!", meinte Justin entschuldigend und Cara ließ ein wenig enttäuscht den Kopf hängen.
„Ich meine anscheinend war ein Baby in der Babyklappe und das haben sie anstatt deiner mitgenommen.", erklärte Justin, und versuchte die Erinnerung noch einmal abzurufen. Er konnte sich sehr verschwommen an das letzte Bild erinnern, dass er gesehen hatte und dies war Caras Vater gewesen, wie er ein Baby im Arm gehabt hatte während Cara in der Klappe lag. Sofort danach war er aus der Erinnerung geschleudert worden. Dieses Bild war ihm erst erschienen, als er bereits draußen gewesen war und sich alles nochmals zu Gemüte geführt hatte und durchgegangen war.
„Das heißt sie haben mich zurück gelassen um ein anderes Baby statt meiner mitzunehmen?", fragte Cara und stand jetzt wieder auf, jedoch etwas stürmisch, denn der Stuhl auf dem sie gesessen war, kippte nach hinten und landete mit einem lauten Knall auf dem Vinylboden. Dorian sah sofort die Enttäuschung in ihrem Gesicht, doch sie bereinigte ihre Miene schnell und trat vom Tisch weg ins Wohnzimmer, wo sie zwischen der Couch und dem einzelnen Sessel hin und her lief.
„Ich verstehe das nicht. Was bin ich denn dann? War meine Mutter jetzt eine Krade? Oder mein Vater? Hast du sie gesehen? Kannst du nicht automatisch sagen ob jemand ein Krade ist wenn du ihn siehst oder so?", fragte Cara ihn und erinnerte sich an die paar Informationen die sie bekommen und auch aufgeschnappt hatte. Justin sah sie über die Schulter weg an.
„Ich habe sie gesehen. Also deine Mutter und nein, über Erinnerungen kann ich sowas nicht sagen. Es ist so als würde ich einen Film abspielen sehen in sehr schlechter Qualität. Aber die Frau die ich gesehen habe hatte blaue Augen, sah dir verdammt ähnlich und wollte dich nicht gehen lassen also gehe ich schwer davon aus, dass sie deine Mom war. Ob Krade oder nicht kann ich dir nicht sagen!", erklärte Justin und wünschte sich, er könnte ihr mehr sagen.
„Und mein Dad?", fragte Cara und blieb stehen. Sie stemmte ihre Arme in ihre viel zu schmalen Hüften und sah Justin abwartend an.
„Den hab ich leider nicht sehen können, sorry aber ich habe Dorian deine Mutter beschrieben und er hat sie gezeichnet!", sagte Justin und wollte gerade nach Dorians Block greifen, als es plötzlich an der Tür klopfte. Cara ging automatisch darauf zu, die Jungs hatten nicht einmal Zeit ihr zu sagen sie solle nicht einfach öffnen, und zog die Tür auf. Vor ihr stand ein großer, blonder Mann der sie mit fliederfarbenen Augen anblickte und anscheinend mit nur einem Blick in ihr tiefstes Eindrang und sie zum verstummen brachte. Sie hatte solch eine Präsenz noch nie in ihrem Leben erlebt. Sie wich zur Seite, als er, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, in die Wohnung trat, sich abfällig umblickte und schließlich wieder Cara fixierte. Cara konnte ihren Blick gar nicht abwenden und wusste nicht, ob sie sich gerade in Gefahr befand oder nicht. Immerhin schien er ein Krade zu sein, denn die ihr mittlerweile bekannten dunklen Sprenkel durchzogen seine Augen.
„Das würde ich nicht tun Dorian!", sagte der Mann mit einer tiefen, ruhigen Stimme ohne sich umzuwenden. Immer noch betrachtete er Cara.
„Du musst also Cara Preston sein. Es ist mir ein Vergnügen dich kennenzulernen!", sagte er und reichte ihr seine Hand. Sie ergriff sie automatisch, so als würde er sie auf irgendeine Art und Weise dazu zwingen und spürte, dass seine Hand eiskalt war. Er lächelte als seine Haut ihre traf und hielt ihre Hand fest. Aber nur eine Sekunde und schon gab er sie wieder frei und sie zog sie schnell weg.
„Wer sind sie?", fragte sie den Fremden und sah die jungen Männer an, die eingeschüchtert am Tisch saßen. Der Mann sah es anscheinend jedoch nicht als notwendig an ihr zu antworten, denn er wandte sich um und trat auf den Tisch zu, wo er sich den Block nahm, den Dorian versucht hatte mit seiner Hand zu verstecken.
„Hat es einen bestimmten Grund, dass ihr uns Informationen vorenthaltet oder müssen wir uns Sorgen machen?", fragte Lucien mit ruhiger, jedoch kalter Stimme und begann sich die Seiten von Dorians Block anzusehen.
Dorian saß wie angewurzelt auf seinem Stuhl und konnte nicht glauben, dass Lucien sich hier in dieser mickrigen Bude befand und sie dabei ertappt hatte Dinge zu tun, die so niemals autorisiert worden waren. Sie saßen richtig tief in der Scheiße, wenn Max es nicht schaffe Lucien davon zu überzeugen, dass sie nichts verbotenes getan hatten. Dorian wusste allerdings nicht, wie weit Max Kräfte gingen und ob er ganze Erinnerungen auslöschen konnte. Und dies wäre notwendig, wenn Lucien weiter durch den Block blätterte und das Bild von Caras Mutter entdeckte.
Es war still in der Wohnung, so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen lassen können. Zumindest bis Cara sich dazu entschloss die Tür lautstark zu schließen und so sämtliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
„Nochmal. Wer sind sie?", fragte sie, diesesmal etwas energischer. Offensichtlich hatte sie ihre Sprache und ihren Willen wieder gefunden. Leider war es ein falscher Zeitpunkt, denn niemand sprach so mit einem Obersten.
„Cara das ist...", wollte Dorian gerade eingreifen, doch Lucien erhob seinen Arm und brachte ihn so zum Verstummen. Erneut blätterte er ein wenig in dem Block, bis er sich scheinbar an Caras Frage erinnerte.
„Mein Name ist Lucien St. Doul.", erklärte er ohne Umschweife. Cara schien verwirrt.
„St. Doul? So wie Max St. Doul?", fragte Cara und sah Max dabei an, der als einziger nicht ganz so eingeschüchtert in diesem Raum stand.
„Ja wie Max St. Doul. Lucien ist mein Onkel!", sagte dieser als Antwort auf Caras Frage. Seine Arme waren vor der Brust verschränkt.
Cara wurde in diesem Moment bewusst, dass es so viel gab, was sie nicht wusste und es würde vermutlich Jahre dauern, bis sie auch nur einen Bruchteil verstehen würde. Aber, dass dieser Mann ein Krade war und gleichzeitig Max sein Onkel verwunderte sie doch sehr. Für sie hatte es sich so angehört, als wäre dieses Phänomen nicht familienabhängig sondern über den ganzen Globus verteilt. Sie hatte jedoch keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn plötzlich hörte Lucien auf, in dem Block zu blättern und riss eine Seite aus. Dorian zuckte bei diesem Geräusch zusammen.
„Wer kann mir erklären, weshalb in diesem Block ein Bild von Helen Hart ist?", fragte Lucien und richtete seinen Blick der Reihe nach an die Jungs, die jetzt alle drei auf den Boden sahen.
„Ich will jetzt sofort eine Antwort!", und jetzt wurde Lucien lauter und zwang so sogar Cara in die Knie, die sich jetzt auf dem Sofa niederließ und mit stark klopfendem Herzen das Szenario betrachtete. Doch nicht nur seine Stimme hatte sie in die Knie gezwungen. Sie hatte einen Namen. Sie wusste wie ihre Mutter hieß. Sie hatte es in der Sekunde gewusst, in dem sie den Namen gehört hatte.
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