2

Als ich heute Nachmittag mein Abschlusszeugnis überreicht bekomme habe, war ich glücklich. Ich war glücklich, weil ich so gute Noten hatte und stolz auf mich selbst war. Ich war glücklich, dass ich etwas erreicht hatte und ich war glücklich, dass ich nun endlich nicht mehr morgens mit einem Magengrummeln aufstehen musste, weil ich nicht in die Schule wollte. Ich hatte keine Freunde, wie denn auch. Meine Klamotten bestanden aus Jogginghose und abgenutztem Tshirt. Schuhe hatte ich auch nur ein Paar und ich sprühte mich immer sehr viel mit Deo ein, weil ich zu Hause nur duschen konnte, wenn Henry nicht da war. Und das war leider nicht sehr oft. Deshalb wunderte es mich selbst eigentlich auch nicht mehr, dass niemand mit mir sprach oder in der Cafeteria neben mir saß. Wobei, eigentlich war ich oft sehr froh, dass ich alleine war. Wenn nämlich jemand mal mit mir sprach, war dies keinesfalls ein netter Tratsch. Nein, ich wurde gemobbt, das war mir sehr wohl klar. Und mir war auch klar, dass ich mich jemandem anvertrauen hätte sollen, aber selbst die Lehrer und der Direktor wollten mir nicht helfen. Also ertrug ich alles nur all die Jahre lang. Und dann war es endlich soweit und ich konnte meinen Abschluss machen.

Das sollte einer schöner Tag für mich werden. Und nun das. Ich wurde rausgeworfen und stehe nun alleine auf der Straße. Nadine hat mir 100 Dollar mitgegeben, das habe ich vorhin gleich gecheckt, als ich die Wohnsiedlung verlassen habe. Sie hatte Recht, eine Wohnung kann ich mir davon nicht leisten, aber ich kann mir vorstellen, wie schwierig es gewesen sein muss, überhaupt ein bisschen von dem Geld verschwinden zu lassen. Nadine darf nicht arbeiten gehen und Henry bewahrt das Geld in einem Safe auf, zu dem nur er den Code kennt. Außerdem ändert er ihn regelmäßig. Nadine muss wohl schon länger jedes Mal ein bisschen etwas zur Seite gelegt haben, von dem Geld das sie immer fürs Einkaufen bekommt. Ich bin ihr wirklich sehr dankbar und hoffe, ich sehe sie irgendwann wieder.

Jetzt jedoch muss ich mir eine Übernachtungsmöglichkeit suchen, denn langsam wird es immer dunkler. Ich bin froh, dass ich nicht in einer Stadt wie New York wohne, sonst müsste ich mich langsam wirklich unwohl fühlen. Ich befinde mich zwar noch in einer etwas belebteren Straße, aber ich werde ich auch nirgends einen Schlafplatz finden. Ich weiß, wenn ich mich auf eine Parkbank lege, werde ich ganz schnell wieder von der Polizei verscheucht. Unter der Brücke ist auch eine Möglichkeit, aber hier in der Nähe gibt es keine, unter der sich kein Fluss befindet. Freunde zu denen ich könnte, gibt es wie schon erwähnt auch keine.

Mittlerweile muss es circa 23 Uhr sein und ich irre sicher schon über 3 Stunden durch die Straßen. Die schwere Tasche verursacht Schmerzen auf meiner Schulter, aber ich beiße die Zähne zusammen und laufe weiter. Etwa 100 Meter vor mir befindet sich eine große Wiese, auf der ein Pavillion steht. Am Tag ist es hier sicher wunderschön, aber jetzt habe ich keine Kraft um die Natur zu bewundern. Ich bin furchtbar müde und auch der Hunger ist wiedergekehrt. Morgen früh muss ich mir dringend etwas zu essen kaufen.

Als ich den Pavillion erreiche, stelle ich glücklich fest, dass die Wand so hoch ist, dass mich von der Straße aus niemand dort liegen sehen sollte. Erleichtert breite ich die schmale Decke über mir aus, als ich mich ins Gras gelegt habe, und senke den Kopf auf meine Tasche. Binnen Sekunden habe ich die Augen geschlossen und versinke ins Land der Träume. Für morgen setze ich mir allerdings als Ziel, den Wunsch meiner Mutter zu erfüllen. Ich will Bella wiederfinden, ihre geliebte Stute.

Nächster Morgen

Schmerzlich muss ich feststellen, dass man nicht immer sanft durch die Sonnenstrahlen geweckt wird. Der kräftige Stich in meinem Magen und das rumorende Geräusch, das von dort kommt, reißen mich aus dem Schlaf. Als ich nach oben sehe, steht die Sonne noch nicht sehr weit oben am Himmel, also kann es höchstens 10 Uhr sein. Ein erneuter Stich in meiner Magengrube zwingt mich zum Aufstehen und ich packe schnell alles zusammen, um den nächsten Bäcker aufzusuchen.

Zum Glück meint es das Schicksal wohl mal gut mit mir und ich werde schnell fündig. Es handelt sich um ein Internetcafe mit zugehöriger Bäckerei. Besser geht es nicht. An der Theke bestelle ich mir ein belegtes Käsebrot und ein Croissant und setze mich dann auf den Hocker vor einem der Computer. Ich logge mich ein und bin froh, dass man hier wohl die Computer gratis nutzen darf, wenn man etwas bestellt. Als meine Bestellung ankommt, beiße ich sofort einen riesigen Bissen von dem Brötchen ab und hole währenddessen das Foto von meiner Mutter und Bella aus der Tasche. Leicht streichele ich mit dem Daumen über die pechschwarze, seidig erscheinende Mähne des Tieres. Ich habe Bella fast genauso geliebt, wie meine Mutter es tat. Auf ihr habe ich mit 6 Jahren reiten gelernt und durfte sogar mit 12 Jahren beginnen meine ersten Turniererfahrungen zu sammeln. Bella war ein gehorsames, gut ausgebildetes Dressurpferd und laut meiner Mutter war ich eine tolle Reiterin. Wir harmonierten toll miteinander und das Reiten wurde schnell zu meiner Leidenschaft. Als Kind wollte ich immer Bereiterin werden und Pferde ausbilden, so wie meine Mutter es tat. Nachdem sie starb und Bella verkauft werden musste, dachte ich nie wieder daran.

Schneller als mir lieb war, hatte ich meine beiden Brötchen verspeist und die nette Verkäuferin brachte mir noch ein Glas Wasser umsonst. Ich lächelte sie dankbar an und widmete mich dann endlich der Internetsuche. Unzählige Varianten von Suchanfragen später war ich allerdings immer noch genauso schlau wie anfangs. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, an wen Bella verkauft wurde, zu sehr war ich damals noch in der Trauer um meine verstorbene Mutter gefangen.

Der Gedanke daran wühlte mich noch mehr auf, als ich es sowieso bereits war und so fing ich an leise zu schluchzen. Ich wollte niemanden belasten oder stören, also bemühte ich mich stumm zu weinen. Als die ersten Tropfen auf das Bild fielen, klingelte auch die Türglocke, was bedeutete, dass jemand in das Cafe gekommen war. Ich schaute nicht auf. Warum auch? Ich betrachtete nur weiterhin das Bild und mein Blick war sicherlich einfach nur leer. Keine Ahnung, wie lange ich so dasaß, aber auf einmal wurde ich an der Schulter angetippt. Ich erwartete schon, dass mich die Verkäuferin bitten würde, zu gehen und den anderen Kunden den PC zu überlassen, aber als ich mich umdrehte, stand dort ein wunderschönes, dunkelhäutiges Mädchen etwa in meinem Alter, vielleicht etwas älter, und lächelte mich zaghaft an.

"Entschuldige, ich will dich nicht stören, aber ich wollte fragen, ob es dir gut geht? Du siehst so traurig aus und ich bin der festen Überzeugung, dass traurige Menschen nicht alleine frühstücken sollten." Sie offenbarte mir eine Reihe strahlend weißer Zähne, als sie sich den Hocker neben mir schnappte und ihn näher zu sich zog.

"Ich weiß, wir kennen uns nicht und du wirst mir sicherlich nicht erzählen, warum du weinst, aber ich stelle mich dir trotzdem mal vor. Ich bin Katy. Und du?" Sie lächelte immer noch und ich war erstaunt. Denn dieses Lächeln war echt. Nicht so wie Henry's oder das fiese Grinsen von meinen Mitschülern.

"Ich heiße Alexa." antwortete ich ihr dann doch zögerlich. Ich war nicht so gut in Konversationen halten, immerhin hatte ich seit über 4 Jahren keine Freunde mehr.

"Okay Alexa. Ich wollte mir gerade ein Eis kaufen, aber die haben hier riesige Portionen und ich werde sicher nicht den ganzen Becher verdrücken können. Würdest du mir vielleicht helfen?" Sie zwinkerte mir zu und sah mich erwartungsvoll an. Ich staunte nicht schlecht. Ein Eis hatte ich echt ewig nicht mehr gegessen. Aber die Sache mit dem Geld...

"Das ist echt nett von dir und ich würde echt gerne, aber ich bin im Moment etwas knapp bei Kasse und kann mein Geld nicht für so etwas ausgeben. Danke dir trotzdem, dass du so lieb zu mir bist." Ich lächelte sie schief an, senkte aber meinen Blick, als ich auf mein Geldproblem zu sprechen kam.

"Oh nein nein! Ich bezahle natürlich! Ich möchte immerhin das Eis haben und wenn du es nicht mit mir isst, wird der Rest wohl im Müll landen. Das wäre echte Verschwendung." Gerade wollte ich wieder lächelnd abdanken, als sie einfach aufsprang und bei der Verkäuferin einen Schoko-Erdbeerbecher bestellte. Als sie schließlich damit zurückkam und mir einen Löffel in die Hand drückte, musste ich einfach glücklich grinsen und nahm den ersten Bissen des eiskalten Genusses.

Genießerisch schloss ich die Augen und ließ das Schokoladeneis auf meiner Zunge zergehen, als Katy's Stimme meine himmlischen Gedanken durchbrach.

"Woher hast du denn das Foto von Bella?"

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top