Kapitel 7 - Steckdosentheorien

In der Dunkelheit wartete ein Gesicht und in dem Gesicht wartete eine Wahrheit, vor der Zar die Augen verschloss. Sie roch nach Kummer und Verlust, nach Widerwillen und Müdigkeit. Sie schnitt ihn kalt wie Schnee und heiß wie Asphalt im Sommer, erstickte ihn wie Wald nach Regen und blendete ihn wie das Milchmeer in Aufruhr.

Zur selben Zeit lockte ihn dieses Gesicht aus leuchtenden Augen, ein unmenschlicher Mund zu einem menschlichen Lächeln verzogen, das ihn in akribischster Weise sezierte, auseinandernahm und auf der kalten Endlosigkeit der Leere ausbreitete, wie ein Frosch auf dem Labortisch. Alles entblößte, sein Innerstes aufbahrte und jeden seiner Knochen einzeln aus seinem Fleisch zog, bis nichts mehr übrig blieb als sein einsamer Geist.

Du kannst das Ende nicht aufhalten. Es ist das Ende, verstehst du?, sagte die Stimme, die er im Stich gelassen hatte, ohne zu wissen, warum.

Zar schlief nicht gerne. Obwohl er in diesen Träumen, denen er langsam begann den Status von Erinnerungen zuzuschreiben, ganz gleich wie absurd und traumhaft sie waren, keinen Schmerz spürte, war er gezwungen, nach dem Aufwachen, zuerst seine Umgebung zu ordnen. Seinen Platz in der Welt zu bestimmen und zurück ins Licht zu finden.

Er hasste diese Träume, die ihn in letzter Zeit immer häufiger befielen. Seit Izabela ihn in den Kerker geworfen und Altair auf ihn gehetzt hatte.

Auch jetzt lag er in der Dunkelheit des muffigen Wohnzimmers eines verlassenen Lebens und starrte an die Decke, die kaum merklich heller leuchtete, als die Möblierung. Er strich über den Sofabezug, tastete das feine Webmuster des Stoffes ab und schob sich trotz Widerwillen auf die Beine.

Draußen strich ihm kühle Luft um die Nase und der dumpfe Schein des leeren Nachthimmels tauchte den Garten in gespenstisches Licht. Zar legte den Kopf in den Nacken und konnte sich nicht erklären, weshalb sein Blick immer wieder zu denselben Orten huschte, wenn es doch dort oben nichts mehr gab. Vega stampfte über die Erde, Altair richtete in Izabelas Namen Schandtaten an und Deneb blieb wie so viele ihrer Leidensgenossinnen verschollen. Sie sollten jedoch dort oben sein, wo seine geübten Augen sie erwarteten. Stattdessen imitierte der Himmel die Leere in seinen Träumen. Neckte ihn auf seinem ziellosen Weg auf der Suche nach einem Sinn.

Wie ein Panther hinter Gitterstäben drehte er seine Kreise auf diesem Boden. Wahllos, ewig, schleichend.

Wenn Arjan recht behielt, wenn er Zar in dem platzierte, was er versucht hatte zu dokumentieren, ehe Izabela in eingesperrt hatte, dann musste er unter allen Umständen zurück. Arjans Studie war der erste und einzige Anhaltspunkt, den Zar seit seinem Erwachen auf der Lichtung und Vegas Versprechen in dieser Nacht erhalten hatte. Doch das stimmte so nicht ganz. Vielleicht konnte er auch-

»Du kannst auch nicht schlafen?«, unterbrachen geflüsterte Worte seinen Gedankengang.

Zar hob erstaunt die Augenbrauen und wandte sich mit verschränkten Armen zu Asavi um, die in der Dunkelheit die drei Betonstiegen hinunter trat und sich zu ihm in die wuchernde Wiese gesellte. Und mit einem Mal war die Leere nicht mehr vollkommen leer.

»Nein«, gestand er wahrheitsgemäß. »Dafür ist es zu dunkel.«

Asavis Mundwinkel hoben sich leicht. »Aber immer noch kein Neumond, obwohl kein Mond vorhanden ist, nicht wahr? Immerhin kennst du dich ja ganz genau aus, wies früher gewesen ist.«

Zar schenkte ihr ein schmales, ehrliches Lächeln. Im diesigen Licht des verschwundenen Himmelskörpers leuchtete Asavis Haut so hell wie die weiß getünchte Kalkfarbe an der Hauswand. »Dir verrate ichs, aber erzähls nicht Juraj.« Asavi rollte als Antwort mit den Augen. »Ich habe dir ja erzählt, dass ich für Izabela gearbeitet habe, in dem ich ihr alle möglichen Aufzeichnungen gebracht habe.«

»Neben deiner Spionagefunktion, meinst du.«

»Genau. Da kam ich viel herum. Und habe viele Bücher gelesen. Kennst du Rilke?«

Asavi hob die Schultern. Sie erinnerte sich an einen dünnen Gedichtband in deutscher Sprache, der ursprünglich in Zars Chevy-Truck gelegen war, als er sie das erste Mal nach Mischkolz gefahren und ihren persönlichen Weltuntergang eingeläutet hatte.

Zar lächelte wehmütig und blickte kurz hinauf in den leeren Nachthimmel. »Man kann sehr viel aus Büchern lernen, gerade wenn man Schule geschwänzt hat. Du kannst doch lesen?«

Asavi legte unbeeindruckt den Kopf schief. »Also schön, behalte deine Geheimnisse. Aber wenn du sie mit ins Grab nimmst, darfst du dich nicht wundern, wenn andere drauf spucken.«

»Wenn ich ins Grab falle, dann ist es mir wohl egal, was danach damit passiert.«

»Immerhin kommt dich Gevatter Tod nicht mehr holen, um dich an die Engel zu verfüttern.«

Sie tauschten einen Blick und Zar grinste. »Sterben klingt gar nicht einmal mehr so übel. Warum kannst du nicht schlafen? Solltest du nicht an Jurajs Bein gefesselt sein und deines ausruhen?«

Asavis Wangen wurden pink und sie rieb sich mit einem Seufzen die Augenbrauen. »Juraj ist wie ein Ofen. Und meinem Bein geht es komischerweise total gut. Izabelas Wundersaft wirkt wirklich Wunder.«

»Ich bin mir sicher, dass Jurajs Wundersaft noch wundersamer auf dich wirken könnte.«

Asavi hieb ihm die Faust heftig auf den Oberarm. »Du bist ekelhaft«, zischte sie mit hochrotem Gesicht. »Aber falls es dich interessiert-«

»Immer.«

»Juraj hat mich geküsst.«

Zar hob amüsiert die Brauen. »Du hast ihm keinen Polster an den Kopf geworfen?«

»Nein«, sagte Asavi pikiert. »Er war aber auch um einiges ... charmanter, als du es gewesen bist.«

»Das trifft mich wirklich bis tief in die Seele«, neckte Zar und warf Asavi aus funkelnden Augen einen Seitenblick zu. »Und dann verlässt du seine Seite? Ohne Wundersaft?«

»Ich dachte, du willst vielleicht mehr über dich reden«, wechselte sie rasch das Thema.

Zar überlegte. »Eher nicht. Was hat Juraj für morgen geplant?«

Asavi seufzte leise durch die Nase und legte wie er zuvor den Kopf in den Nacken. »Ich glaube, er möchte wieder in den Osten fahren. Weg von Izabela.«

»Hin zu Joska also. Habt ihr euch überlegt, ob eine Kreuzfahrt nicht die bessere Option wäre?«

»Warum das denn?«

Zar hob die Schultern und folgte ihrem Blick. »Ich bezweifle, dass Engel schwimmen können. Außerdem klingen endlose Cocktailpartys attraktiver als alles, was Izabela und Joska geplant haben.«

Asavi schnaubte ein Lachen, starrte aber wie gebannt in den dunklen Nachthimmel. Für den Bruchteil eines Augenblicks flackerte das Firmament wie eine Myriade an Glühwürmchen. Es war, als hätten die Sterne zurück an ihren Platz gefunden, oder als hätte sich ein samtschwarzer Vorhang von der Realität gehoben. Unzählige Punkte flimmerten gemeinsam mit dem Geruch kalten, schneidenden Windes durch den stillen Garten des verlassenen Dorfes und entfachten in Zars Brust ein kurzweiliges Freudenfeuer. Trotz der Gewehrschüsse, die in diesem kurzen Moment durch seine Erinnerung schallten, trotz des Metalls auf seiner Zunge und Bedauern in seinem Herzen. Da war so viel Leben, eine Vielseitigkeit in seinem Verstand, dass er wie vom Donner gerührt, in die nun wieder schwarze Nacht hinauf starrte.

»Was war das?«, hauchte Asavi und rieb sich die Lider. »Hast du das gesehen?«

Zar nickte. »Sah aus wie ...« Der Gedanke, der ihm kam, war gleichsam kindisch, wie provokant.

»Wie der Sternenhimmel«, sprach Asavi seine Vermutung aus. »Aber wie kann das sein?«

Zar schluckte und suchte den Himmel nach weiteren Anzeichen der Sterne ab, hatte aber keinen Erfolg. »Ich ...«, begann er, brach jedoch ab und rieb sich die gerunzelte Stirn.

Asavi warf ihm einen Seitenblick zu und grinste. »Sprachlos ist das Letzte, was ich je von dir erwartet hätte, das du wärst, Balthazar.«

»Es gibt noch eine Menge andere Dinge, die mich sprachlos machen. Und jedes Einzelne umfasst dich und deinen Körper«, schoss er Retour, um das verzweifelte Ziehen, das vom Ende seiner Kameraden erzählte, die, tief in Schützengräben einer verschneiten Landschaft in einer fernen, verblassenden Erinnerung durch seinen Kopf wisperten, loszuwerden.

Asavi rümpfte die Nase und sah wie er zurück in den Himmel. »Meinst du, es hat etwas mit mir zu tun? Also dieser DNS-Geschichte.«

»Unwahrscheinlich. Immerhin hast du die vergangenen sechs Jahre auch keine Anomalien verursacht, oder?«

Asavi hob die Schultern. »Sie sollen zurückkommen«, sagte sie leise und beinahe traurig. »Die Sterne. Warum hat der Tod sie gehen lassen?«

Etwas in ihrer Stimme, in der Kette an Worten, die einzeln belanglos und unter jedem anderen Umstand für ihn genau das geblieben wären, schlugen im Hier und Jetzt eine Saite in seinen Erinnerungen an, die ihn dieselbe Traurigkeit empfinden ließ.

»Meinst du, es hat etwas mit dir zu tun?«, fragte sie. »Also mit dir und deinem sechsten Sinn?«

Zar widerstand dem Drang, sich an die Nase zu fassen. »Ich denke nicht. Ich habe so einen merkwürdigen Bruch in der Realität auch das erste Mal erlebt. Wärst du nicht hier und hättest direkt darauf reagiert, hätte ich es wohl meiner Fantasie zugeschrieben.«

Asavi runzelte besorgt die Brauen. »Was hat es dann zu bedeuten?«

»Keine Ahnung.« Er löste seine Augen vom nun wieder sternenlosen Nachthimmel und sah zu ihr nach unten. Sie erwiderte seinen Blick, als läge ihr etwas auf der Zunge. Zar legte den Kopf schief, um sie dazu aufzufordern, diesem Gedanken zu folgen und ihn auszusprechen, aber anstatt, dass sie den Mund öffnete, wurden ihre Wangen pink und sie wandte sich mit auf dem Rücken verschränkten Händen ab.

Er stieß sie sacht mit der Schulter an. »Also, was ist?«, fragte er neugierig und suchte nach der Antwort auf seine eigene Frage, indem er sich zu ihr beugte und ihren Blick hielt. Dieselben Augen in der Farbe getrockneten Mooses, die ihn schon heute Nachmittag in der Dunkelheit gefunden hatten, bohrten sich in seine.

»Gar nichts«, log sie energisch, brach aber nicht noch einmal den Blickkontakt.

Zar hob eine Braue und stellte sich direkt vor sie. »Ach.«

Asavi schluckte einmal kräftig und stieß die Luft heftig seufzend aus. »Wir haben heute ja über unsere ganzen tollen Theorien gesprochen«, rückte sie langsam mit der Sprache heraus und legte den Kopf in den Nacken, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »Ich hab noch so eine.«

Zar entging nicht, dass ihr Blick kurz zu seinen Lippen huschte und unterdrückte ein Grinsen. »Erleuchte mich. Hat sie was mit Jurajs Wundersaft zu tun? Da hab ich nämlich auch eine Theorie.«

Asavi rollte mit den Augen. »Ich meine das hier ernst und du verarschst mich.«

Zar schüttelte leicht den Kopf. »Entschuldige. Ich bin ganz Ohr.«

Sie nickte, blieb aber stumm. Zar hob abwartend die Brauen.

»Das ist im Fernsehen immer viel einfacher«, murrte sie und mittlerweile waren ihre Wangen dunkelrot. »Mach was.«

Zar unterdrückte ein Lachen, ließ sie aber noch ein bisschen zappeln. »Soll ich ein Rad schlagen? Dafür ist es, fürchte ich, zu finster, trotz Sternenanomalie. Aber vielleicht können wir sie wieder zurückbringen, wenn wir ganz fest daran glauben?«

Asavi legte den Kopf frustriert in den Nacken. »Nein. Du weißt schon. Ich bin ja jetzt hier und du bist genauso hier. Mach was. Himmel, warum ist das so schwer?«

Zar hob belustigt die Schultern und suhlte sich in Asavis Unbehagen. »Aller Anfang ist schwer?«

Asavi schoss ihm einen wütenden Blick zu. »Ich hab einem Wildfremden einen geblasen, damit er mir Munition – verkneifs dir – gibt, das hier sollte also alles hundertmal einfacher sein.«

Zar verschränkte selbstgefällig die Arme vor der Brust. »Schau an.« Er blickte an Asavi herab. »Jetzt bist du auf den Geschmack gekommen? Was würde bloß Juraj dazu sagen?«

Asavis Brauen neigten sich zornig. »Gar nichts. Er würde dich abknallen.«

Zar lachte. »Ohne Zweifel. Aber das macht die ganze Sache deutlich interessanter.«

Durch das vorherrschende Zwielicht erkannte er, wie Asavi die zwei Schritte zurück zur Mauer machte, um nach drinnen zu gehen. »Naja. Wenn du keine Lus-«

Zar war in einem Satz bei ihr und schlug seine Hand neben ihr an die Wand, um sie daran zu hindern, sich über die Betonstufen davonzumachen. So gerne er auch spielte, er hatte entschiedene Prioritäten. Asavi blinzelte mit großen Augen zu ihm nach oben und er lehnte sich dicht bis an ihr Ohr nach vorne. »Natürlich habe ich Lust«, wisperte er und stellte mit Genugtuung fest, wie sehr sie dabei schauderte.

»Okay«, flüsterte sie.

Zar folgte dem zarten Hauch ihrer Worte und ließ seine Lippen unwahrscheinlich sachte über ihre gleiten. »Lauf nicht davon, du gehörst mir.«

Ihr Atem zitterte gegen seine Lippen. »Das war ein dämliches Spiel.«

Zar grinste gegen ihren Mund und tilgte dann sämtlichen Abstand zwischen ihnen. Wie ein elektrisches Feuer schoss der Kuss durch seinen Körper, rüttelte ihn wach und erhellte die Dunkelheit in seinen Gedanken. Asavi erstarrte, öffnete aber ihre Lippen, alsbald seine andere Hand auf ihre gesunde Hüfte wanderte und er sie vorsichtig, aber entschlossen gegen die Wand drückte. Kurz holte er Luft und gab dem Feuer Freiraum, sich tief in seine Lungen zu brennen. Sie ließ ihn abwartend machen, also schob er ihr die andere Hand in den Nacken und küsste sie ein zweites Mal.

Intensiv, aber langsam. Er kostete jeden Millimeter ihrer Lippen und dann ihrer Zunge, trank die Hitze aus ihren Lungen und presste seine Hand unter ihrer Bluse in ihr Kreuz. Zog sie fester an sich und inhalierte ihren Duft nach kühlem Wasser im Sommer und nach Kälte gesprengtem Stein im Winter tief in seinen Brustkorb. Eis und Staub, nur lebendiger, warm wie das Blut, das unter ihrer dünnen Bauchdecke gegen seine forschen Hände pulsierte und warm wie die Strahlen einer Galaxie, die aus einer Myriade an Sonnen bestand und jede Zelle seines Körpers in Brand steckte.

Deswegen war er hier. Deswegen war er am Leben: Um am Leben zu sein.

Asavis Hände wanderten an seiner Brust hinauf, bis sie seinen Kragen zu fassen bekam. Ihre Finger krallten sich in sein Shirt und dann schob sie ihn überraschend kräftig von sich. Zar wich schwer atmend eine Handbreit zurück und sie starrten einander für einige Augenblicke keuchend an.

»Das- ... du«, stotterte Asavi und schluckte kräftig. In ihren Augen funkelte derselbe irrwitzige Ausdruck, der ihr Gesicht bereits damals erhellt hatte, als sie von Izabela vor dem um sich schlagenden Riesenengel gerettet worden waren. Pure, hysterische Lebenslust.

Zar bewegte sich nicht und genoss jeden ihrer heftigen Herzschläge gegen seine Finger, die immer noch knapp unter ihren Brüsten auf ihrer nackten Haut lagen. »Du hast den BH wieder angezogen?«, flüsterte er und strich mit dem Daumen über die Spitze.

Asavi schluckte mehrmals atemlos, während er sie bei dem Versuch, einen klaren Satz zu formulieren, beobachtete. »Bei euch Spannern muss man sich eben schützen«, krächzte sie.

Zar schob die Finger unter den fein gewebten Rand des BHs. »Dafür, dass du dich so geziert hast, war das hier doch wirklich nicht so schwer«, raunte er.

Asavis Blick huschte immer wieder von seinen Augen zu seinen Lippen, ehe sie den Kopf abwandte und Zar dadurch ein Grinsen entlockte.

»Verrätst du mir jetzt deine Theorie?«

Asavi atmete tief ein und aus, ihre Finger waren immer noch fest in seinem Hemd verkrampft. »Hast du's gespürt?«, fragte sie, anstatt ihm eine Erklärung zu liefern.

»Du meinst dein unmissverständliches Begehren nach mir?«, scherzte er mit gesenkter Stimme und hob eine Augenbraue.

»Nein«, krächzte sie und in ihren fiebrigen Blick mischte sich zumindest die Andeutung von besonnenem Fokus.

»Autsch«, lachte er und ertappte sich dabei, wie er schon wieder an ihr herabblickte. »War der Kuss so schlecht?«

Asavi kniff den Mund zusammen und machte es ihm damit nicht gerade leichter, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als sein eigenes, heftig hämmerndes Herz und die Hitze, die durch seine Adern pulsierte, wie der Kern einer sterbenden Sonne.

»Nein«, sagte sie kurz angebunden, als kostete es sie große Überwindung, überhaupt etwas zu sagen. »Im Gegenteil. Das war ein hervorragender Kuss. Gut, dass ich eine Hüftverletzung habe, andernfalls würde das hier richtig schief gehen.«

Zar zwang seine Gedanken dazu, sich auf ihre Worte zu konzentrieren. »Oh, wir können das hier immer noch schief gehen lassen«, lächelte er hinterlistig und schob seine Hand ein Stück höher, bis seine Fingerspitzen zwischen ihre Brüste glitten, wo ihr heftiger Herzschlag beinahe ungehindert gegen seine Haut vibrierte. »Immerhin gibt es hundert andere Wege, wie wir das hier machen können, die gar nicht erfordern, dass du deine Hüfte bewegen musst.«

»Hah«, entkam es Asavi hysterisch und sie schob ihn sicherheitshalber noch ein Stück von sich fort. »Klar. Natürlich.« Ihre Hände waren immer noch in seinem Shirt vergraben und sie machte keine Anstalten, ihren Griff zu lockern.

»Ich meine«, führte Asavi heftig fort und atmete tief durch die Nase aus, »ob du dieses ... elektrische Kribbeln spürst.«

Zar stieß ein kurzes Lachen aus, zog seine Hand aber langsam unter ihrer Bluse hervor. »Ich spüre sehr viel

Asavi blinzelte an ihm herab, ehe sie ihm wieder in die Augen blickte. »Mir gefällt aber dieses Kribbeln nicht«, fügte sie schärfer hinzu, als er erwartet hatte. »Das ist meine Theorie. Dieses Kribbeln, das von dir ausgeht. Das hat was mit deinem sechsten Sinn zu tun.«

»Mein sechster Sinn sagt mir gerade, dass wir uns genau dort ins Gras rollen sollten, wo keiner mitbekommt, wie sehr ich dieses Kribbeln aus dir herauslocken kann.«

Asavi packte sein Handgelenk und drückte den Arm, den er neben sie gegen die Wand gestützt hatte an seine Seite hinunter. Dann ließ sie ihn los und setzte sich mit einem gezischten Schmerzenslaut auf die oberste der drei Betonstufen. Zur Sicherheit schob sie die Hände unter ihren Hintern und starrte ihn verflucht verführerisch von unten herauf an.

»Hör auf, mit deinem«, sie nickte auf seine Hüfte und blinzelte verärgert in eine andere Richtung, »Schwanz zu denken, ich meins ernst. Das ist doch nicht mehr normal«, herrschte sie und blies sich eine lose Strähne aus der Stirn. »Es sei denn, du bist eine ungeerdete Steckdose.«

Zar hob die Schultern und fuhr sich durch die Haare. »Du bist nur verwirrt, weil Juraj jeden Augenblick aufwachen könnte. Ein wenig schmeichelt es mir schon, dass er mich als so kompetente Gefahr einstuft. Ehrlich, der Junge könnte von diesem Kribbeln ordentlich profitieren. Sollen wir ihn einladen?«

»Nein, hör zu«, fauchte Asavi, deren Wangen gleich noch eine Spur purpurfarbener wurden, »dieses Kribbeln habe ich bisher genau ein einziges Mal gespürt ... geschmeckt? – was weiß ich, es kam mir erst ein Mal unter.«

Zar setzte zum Sprechen an, aber verwarf jeglichen dämlichen Anmachspruch, sobald er hörte, was Asavi ihm mit einem pointierten Blick entgegenwarf.

»Engelsblut.«

Zars Augenbrauen schossen in die Höhe. »Engelsblut?« Er sank neben ihr auf die Betonstufen, stützte seinen Ellenbogen aufs Knie und dann sein Kinn in seine Handfläche. »Hm.«

Dieser abrupte Themenwechsel verschob seine Hirnleistung tatsächlich zurück in den Norden. »Wann zur Hölle hast du denn bitteschön Engelsblut getrunken? Ein wenig beunruhigt mich diese Information schon.«

Asavi starrte ihn bitterböse an. »Als du mich bei unserer ersten Begegnung beinahe erschossen hättest?«

»Du meinst gerettet, ja, fahr fort.«

»Mir doch egal, ich wäre fast gestorben, als du den Engel über mir zerballert hast und dabei hat er eben sein Blut über mir ausgeleert. Du schmeckst genauso: Nach einem Stromschlag, prickelnd, steckst all meine Nervenenden in Brand, einfach ... komisch. Wie eine Steckdose eben.«

Zar hob die Augenbrauen und ließ seine Zunge über seinen Eckzahn gleiten. »Sicher, dass dus nicht lieber nochmal versuchen solltest? Grad eben klingst du ein wenig durch den Wind. Ich bin nämlich weder eine geerdete noch eine ungeerdete Steckdose.«

»Sehr sicher«, schoss es aus Asavi heraus, obwohl sie dabei absolut unüberzeugt aussah. Zar grinste.

»Hör auf zu grinsen! Findest du das nicht auch merkwürdig?«

Er hob die Schultern und nahm sein Kinn von der Handfläche. »Nicht sonderlich. Nicht unbedingt nach dem, was Arjan gesagt hat.«

Asavi starrte ihn wie vom Donner gerührt an. »Was bitte meinst du?«

»Nichts Bedeutendes«, winkte er ab und verzog seinen Mund lieber wieder zu einem überlegenen Grinsen, um das mulmige Gefühl, das sich durch das angenehme Empfinden körperlicher Nähe schieben wollte, zu verdrängen.

»Nein, halt, stopp!«, schnappte Asavi und hob die Arme, um ihm Einhalt zu gebieten. »Was hast du mit Arjan besprochen?«

Zar seufzte und rieb sich das spitze Kinn. »Er hat von irgendeinem elektrischen Impuls geredet, der-« Zar unterbrach sich, da mit einem Mal der Nachthimmel gleißend hell im Schein riesiger Flutlichter erstrahlte, die scharfe Schatten, wie weiße Klingen, durch den Garten schossen.

Da war es wieder. Das ungute Gefühl eines dumpfen Sturms, der Zar schon den ganzen Tag begleitet hatte. Nur war der Sturm allem Anschein nach menschlicher Natur.

»Zumindest hatten wir noch Spaß«, grinste er in Asavis erschrockenes Gesicht und zwinkerte ihr zu.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top