Kapitel 15 - Der letzte Tropfen im Fass
Asavi blickte den beiden hinterher, wie sie zwischen dem hohen Pfriemgras und den vereinzelten Mohnblumen verschwanden. Die Silhouetten der Häuser zeichneten sich durch einen spitzen Kirchturm und einige rostrote Dächer aus, die von vereinzelten Vögeln umschwärmt wurden. Die Sonne brannte trotz fortgeschrittener Uhrzeit immer noch gnadenlos vom Himmel und von dem heftigen Gewitter, das die vergangenen Tage über Ungarn gewütet hatte, war kein Tropfen mehr in Sicht.
»Wusstest du, dass es Engel gibt, die sprechen?« Csabas Stimme überraschte sie von hinten und Asavi zuckte leicht zusammen. Sie linste über die Schulter und schenkte seiner Gestalt einen grimmigen Blick.
»Seit letzter Woche, ja. Und seit letzter Woche weiß ich auch, dass es Engeldamen gibt, die Rachepläne hegen. Wieso?« Dass Zar die Missgunst einer dieser Damen auf sich gezogen hatte, verschwieg Asavi an der Stelle lieber.
Csaba stellte sich neben sie und blickte wie Asavi über die golden und rot leuchtende Landschaft. »Wusstest du, dass ich Zar einen Peilsender eingeschoben habe? Damals in der Höhle, ehe Izabela uns beinahe alle umgebracht hat?«
»Ja. Zar hat er erwähnt«, sagte sie hohl und dachte wieder an den dunklen Kerker, in dem er ihnen von Csabas Unterfangen berichtet hatte. Vorhin noch hatte sie mit Juraj darüber gesprochen. »Dann hat Joska uns nur deinetwegen gefunden?!«
»Nicht direkt, nein. Joska weiß nichts von dem Peilsender. Aber er ist mir gefolgt, nachdem wir abgehauen sind.« Csaba langte in seine Hosentasche und holte einen kleinen, matten Kieselstein hervor.
»Nicht direkt«, wiederholte sie. »Aber du hast es versucht. Immerhin gab es da eine Intention. Hast du dich vorher oder nachher dazu entschieden, zu desertieren?« Sie fasste nicht, dass sie sich darüber gefreut hatte, ihn wiederzusehen.
»Danach«, antwortete Csaba schlicht.
»Aha«, machte Asavi und schluckte fest gegen das Gefühl der Enge in ihrem Hals an. »Also der zündende Gedanke existierte, um uns Joska auf den Hals zu hetzen.«
»Warum musst du dich immer auf die Alternativen zur Realität fokussieren?«, fragte er. »Es ist völlig gleich, was vor einer Woche gewesen ist. Jetzt ist es anders, reicht dir das denn nicht?«
»Nein«, schnauzte Asavi. »Wieso sollte ich irgendeinem Wort vertrauen, das du von dir gibst? Vielleicht ist es morgen dann ja in deinem Kopf da oben schon wieder ganz anders und ich darf mich erneut vor Joskas Zangen fürchten!«
Csaba seufzte tief und rieb sich die Augen mit Daumen und Zeigefinger. »Ich lüge aber nicht.«
»Das würde ein Lügner sagen«, gab Asavi retour und sehnte sich nach Jazmin, damit sie diese eskalierende Streitsituation wieder entschärfte.
Denn Csaba entschied sich lediglich dazu, das verdammte Thema zu wechseln. »Weißt du, wer mir den zurückgegeben hat?«
Asavi ließ es widerwillig bleiben, Csabas Gesicht mit tödlichen Blicken zu traktieren und sah auf den Peilsender in seiner Handfläche. »Zar wird's wohl nicht gewesen sein«, motzte sie.
Csaba rollte den Peilsender zwischen den Fingern und reichte ihn ihr. »Nein. Ich bin dem Signal zwar bis zum Schneeberg gefolgt, aber ich habe Zar nicht gefunden. Stattdessen hat man ihn mir gegeben. Mitsamt einem Befehl.«
Asavi, die das kleine Gerät probeweise ins Licht zur besseren Betrachtung hielt, kniff die Augen zusammen und entschied sich, ihm seine Fauxpas erst einmal durchgehen zu lassen. »Sag nicht, du arbeitest jetzt heimlich auch für meine Mutter.«
Csaba genehmigte sich ein schmales, angewidertes Lächeln. »Es war ein Engel.«
Asavis Augenbrauen schossen in die Höhe.
Csaba verschränkte die Arme vor der Brust und sie wandte schleunigst den Blick ab. »Dieser Engel hat zu mir gesprochen, war in weiße Roben gekleidet und sah aus, wie ein-«, er unterbrach sich mit einem verärgerten Seufzen, »wie ein Engel.«
»Soeben klingst du wie ein braver Katholik, der seinen Weg zu Gott gefunden hat. Total rational.«
Csaba schenkte ihr einen finsteren Blick und nahm den Peilsender wieder entgegen. »Dieser Engel hat behauptet, er wäre diesen Konflikt leid. Er wollte, dass ich jemanden finde.«
»Eh klar.«
»Dich.«
Asavis Kopf ruckte in die Höhe und sie starrte Csaba ungläubig an. »Mich.«
»Genau. Dich. Und jetzt frage ich mich, was genau es ist, das dich – abgesehen von deinen Genen – so unglaublich wichtig macht für die Varai. Was dein Zustand bedeutet.«
Asavi biss die Zähne zusammen und schluckte. Unter Csabas intensivem Blick, mit dem er sie bisher nur gestraft hatte, wenn er versuchte sie von innen nach außen zu kehren, wurde ihr zuerst heiß, dann kalt. »Du hast also nur nach mir gesucht, weil ein Engel das von dir verlangt hat?«, fragte sie, ohne ihm eine Antwort zu geben. »Du meinst, du hast meine Hello-Kitty-Tasche nur deswegen mitgebracht, damit ich dir vertraue?«
»Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte Csaba frustriert und fuhr sich erschöpft über das Gesicht.
»Stimmt. Hast du nicht. Du hast lediglich nach mir gesucht, weil ein Engel das von dir verlangt hat. Nachdem du versucht hast, uns zu verraten. Willst du deswegen nach Kesthell? Damit du uns alle fein säuberlich auf dem Silbertablett versammelt hast, das du dann Joska vor die Füße schmeißt?«
Csaba betrachtete den Peilsender in seinen Fingern und blinzelte dann durch seine schwarzen Locken hindurch zum Horizont. »Dort könnte es Antworten geben.«
»Worauf?«, schnappte Asavi und breitete die Arme aus.
»Darauf, wie man diesen Konflikt beenden kann.«
»Das ist lebensmüde«, schnaubte Asavi. »Und ich habe kein nein gehört«, fügte sie hinzu, sich mit einem Mal wünschend, dass Juraj wieder hier wäre.
»Nein«, sagte er scharf. »Ich werde euch nicht an Joska ausliefern. Wie kannst du das bloß denken? Ich wollte di-«
»Und hat dieser Engel vielleicht auch einen Namen?«, unterbrach sie ihn gehetzt.
Csaba hob nach einigen Sekunden die Schultern. »Beantwortest du meine Frage?«
Asavi schüttelte den Kopf und kniff ihre Lippen gegen das unkontrollierte Zittern zusammen, das sich in ihre Gliedmaßen schob. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und marschierte energisch zurück ins Haus.
Natürlich folgte ihr Csaba auf Schritt und Tritt und schloss die Eingangstür fest hinter ihnen. »Asavi«, hielt er sie mit solch einer Autorität in der Stimme zurück, dass sie kurz am Fuß der Treppen innehielt.
»Was ist?«, fauchte sie. »Meine Mutter hat mir gedroht, mich an ein Bett zu fesseln, damit ich ihre wertvollen Gene weitergebe – völlig gleich, was das für mich bedeutet – dann hat sie mich anschießen lassen und behauptet, dass ich eine kosmische Waffe bin, mit der Gevatter Tod in der Lage ist, die Engel zurück in ihren Zwinger zu schicken. Und die Engel wollen hierbleiben, weil sie sich ja an Izabelas Gensoldaten die Wampe vollschlagen. Meine Seite ist die Seite der absoluten Loser. Weshalb überhaupt irgendwer etwas mit mir zutun haben möchte, ist mir daher schleierhaft. Beantwortet das deine Frage? Gut. Fantastisch.«
Asavi rannte die Treppen nach oben und bog in den ersten Raum, den sie fand. Das kleine Arbeitszimmer besaß einen Schreibtisch, einen Stapel an Decken in den Holzregalen an der Wand und eine kaputte Couch, deren Sitzfläche durchgebrochen auf den Boden hing. Es war ihr selbst nicht klar, was ihre Flucht brachte, denn Csaba war direkt hinter ihr.
»Dieser Engel war der Meinung, du wärst der Schlüssel für das Ende dieses sinnlosen Konflikts«, traktierte er sie sofort und drückte die Türe kraftvoll auf. »Er wusste, dass du fliehen würdest. Er hat behauptet, dass er Zar töten würde und daraufhin verlangt, dass ich sicher stelle, dass er weiß, wo du bist. Von was für einer Waffe sprichst du?«
Asavi fuhr zu ihm herum. Die Sonne warf lange Streifen orangenen Lichts durch die zerschlissenen Vorhänge an den Fenstern und tauchte Csaba und das Zimmer in eine kontrastreiche und dennoch absurd weiche Atmosphäre. »Oh, du meinst Vega? Sie hat dir den Peilsender angehängt?«
»Möglich. Also, weshalb ist dieser Engel so erpicht darauf, dich zu finden? Ist Juraj in diese Sache eingeweiht?«
»Fang nicht schon wieder damit an«, warnte sie ihn. »Wirf mir nicht wieder vor, dass ich lüge. Nie wieder, Csaba.«
»Du enthältst Informationen, die essenziell dafür sind, wie wir weiter vorgehen. Ich habe Verantwortung, verstehst du das? Jazmin verlässt sich auf mich. Erbse verlässt sich auf mich. Weißt du, weswegen wir hier sind?«
»Du hattest Lust, endlich über deinen Tellerrand zu blicken?«
»Joska hätte Jazmin erschossen, weil Izabela dich und Zar gerettet hat. Dein Entkommen war mein Scheitern, für das jemand anderes beinahe mit dem Leben bezahlt hat. Wenn ich also verlange, dass du mir verrätst, was deine Mutter mit dir geplant hat, dann tue ich das, weil ich verhindern möchte, dass noch weitere Unschuldige sterben.«
Asavi klappte der Mund auf. »Du willst das verhindern? Verhindern? Nachdem du meinen Papa erschossen hast? Jetzt kommst du drauf, dass Joska ein Psychopath ist? Jetzt?«, schnappte sie fuchsteufelswild.
»Asavi-«
»Nein, Csaba! Wenn du nicht hundert Mal so groß wärst wie ich, und wir endlich mal auf Augenhöhe kommunizieren könnten, würde ich dir sowas von eine reinhauen!«
Csaba musterte sie mit zusammengebissenen Kiefern. »In Ordnung.« Er machte einen Schritt auf sie zu und packte sie fest an der Taille.
»Hey, was soll das!« Asavi versuchte zurückzuweichen, aber Csaba hob sie ohne Probleme hoch und setzte sie auf den Schreibtisch.
»So. Bitteschön.«
»Was soll das werden?«
»Jetzt befinden wir uns endlich einmal auf Augenhöhe.«
»Du bist ein Arschloch!«, schnappte Asavi und war versucht, vom Tisch zu rutschen, merkte aber rasch, dass sie sich damit nur näher an Csaba heranschob, der sich vor ihr aufbaute.
»Sag bloß nicht, jetzt traust du dich nicht. Na los. Hau mir eine rein.« Er platzierte seine Finger links und rechts von ihr auf der Tischplatte, sodass es unmöglich war, ihm auszukommen.
Der Zorn brodelte unter ihrem Brustbein und Asavi starrte in sein Gesicht. Seine dunkelbraunen Augen, die sie durch seine schwarzen Locken anblickten und herausforderten, ließen den letzten Faden ihrer löchrigen Fassung reißen. Also holte sie aus und knallte ihm ihre flache Hand, so fest es ihr aus der Position möglich war, ins Gesicht.
Csabas Kopf ruckte unter dem Hieb zur Seite und Asavi holte erschrocken Luft. Er sagte kein Wort, zog die Nase hoch und schüttelte seine Haare aus. »Bist du jetzt zufrieden?«
Asavi starrte ihn entgeistert an. »Nein! Was ist nur falsch mit dir?! Du hast nicht einmal versucht, mich aufzuhalten!«
Csaba atmete ein und stieß die Luft sanft durch den Mund aus. »Weil du sonst niemals Ruhe gibts. Du bist völlig durch den Wind.«
»Und wessen Schuld ist das?« Asavi drückte ihre Hände gegen seinen Bauch, um ihn von sich zu schieben, aber Csaba wich keinen Millimeter zurück. Seine Bauchdecke war hart, unglücklicherweise ziemlich hart und die Wärme seines Körpers bahnte sich samt seines Geruchs einen Weg in ihren Verstand.
»Du schneist hier einfach rein und beschmeißt mich mit dem letzten Bisschen meiner Kindheit, das ich irgendwie vor dem ganzen Dreck hier retten konnte, und dann wirfst du mir ironischerweise vor, dass ich in irgendeiner Form Schuld daran trage, was meine psychopathische Mutter wegen genau dieser Kindheit plant? Stellst meine Integrität wegen einer blöden Engelsdame in Frage und- ... Und-«, Asavi brach ab, da ihr die Luft ausging und sie heftig einatmete, wodurch sie nur noch deutlicher merkte, wie nahe Csaba ihr war. »Was genau ist es denn, das du machen willst? Fangen wir doch endlich einmal damit an! Suchst du dir deine Opfer immer nach emotionalem Zermürbtheitsgrad aus? Damit du's leichter hast, die auf dem Boden Liegenden auch dort zu halten?«
Csaba unterbrach sie nicht, sondern betrachtete sie dabei, wie ihr schwerer Atem langsam zur Ruhe kam.
»Du willst wissen, was ich jetzt am liebsten tun würde?«, fragte er mit einer Stimme, die weder herablassend, noch zornig klang, ohne auf ihre Provokation einzugehen. Csaba wirkte müde, aber resolut.
»Bitte«, fauchte Asavi, die vom Wechsel in seiner anfeindenden Haltung nicht überzeugt war. »Erleuchte mich.«
Csaba musterte ihr Gesicht eindringlich. »Testen, ob du beim Sex genauso polemisch überschnappst, oder ob alles, was über deine Lippen kommt, ein langgezogenes Stöhnen und ein Flehen nach mehr ist.«
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