Kapitel 14 - Diskussionsrunde

Asavi rümpfte unwillkürlich die Nase. »Dann war dein Ausflug«, sie setzte das Wort in Gänsefüßchen, »den du damals von Mischkolz aus gemacht hast, ein Besuch in einem dieser Engeltötungsmaschinen?«, fragte sie ungläubig.

»Es sind keine Tötungsmaschinen. Die Engel sterben nicht.«

»Das ist ja noch schlimmer!«, rief sie aus und wechselte einen Blick mit Jazmin. »Bitte sag mir, dass das nicht stimmt.«

Jazmin hob die Schultern. »Irgendwoher müssen wir ja unseren Strom bekommen. Und eine Solaranlage ist technisch viel zu kompliziert.« Sie blickte zu Csaba und dann zu Asavi. »Ihr wollt mir doch nicht weismachen, dass ihr glaubt, eine derart empfindliche Anlage würde einen Krieg überstehen? Außer natürlich, man heißt Izabela und finanziert sich durch Raubmord.«

Asavi starrte auffordernd zu Juraj, der sich unter ihrem lodernden Blick duckte. »Hast du das gewusst?«

Er sah unbehaglich auf die Karte vor ihnen. »Selbstverständlich. Aber dieses Wissen ist streng vertraulich.«

»Hör auf«, schnappte Asavi und dachte an eines ihrer ersten Gespräche zurück, das sie mit Juraj auf dem Balkon in Izabelas Basis geführt hatte. Sein ehrliches und ungeschöntes Mitgefühl für diese menschenfressenden Kreaturen. Was störte sie selbst an dieser Aussage? Asavi merkte, wie aufgewühlt sie war, wie wenig sie durch das brodelnde Feuer in ihrem Kopf hindurchblicken konnte. Alles vermischte sich zu einer schäumenden Suppe aus Angst, Zorn und Frust, den sie nicht zu dirigieren wusste. Sie fürchtete die Engel, natürlich, wer das nicht tat – wie Zar – war völlig gestört, aber sie bei lebendigem Leibe zu verbrennen, um Energie zu erzeugen, regte sie mehr auf, als der Vorfall mit ihrer Henne Pilpi.

Natürlich war sie wütend auf ihren Großvater gewesen, dass er ihr das alte Huhn weggenommen hatte, um es zu schlachten, und traurig, weil sie das Gefühl gehabt hatte, eine Freundin verraten zu haben. Aber wenigstens war ihr Großvater nicht grausam gewesen. Pilpi hatte nicht leiden müssen.

»Und was ist so schlimm an dem Kraftwerk in Kesthell?«, fragte sie matt.

Daraufhin schwieg Juraj betroffen.

»Was kümmert es dich überhaupt?«, wollte Csaba wissen. »Du empfindest doch jetzt nicht auf einmal Bedauern für die Engel, oder? Schließlich sind sie nicht unschuldig.«

Asavi knirschte mit den Zähnen und blickte Csaba an. Dieses eine Wort peitschte ihr wie ein Blitzschlag durch den Verstand und schnitt in ihr Herz wie ein Skalpell. »Was weißt du schon von Unschuld?«, fragte sie eisig.

»Offensichtlich nicht so viel wie du.«

Jazmin hob die Arme, um Asavi Einhalt zu gebieten, und legte ihre Hand vorsichtig, aber bestimmend auf Csabas Schulter. »Der Unterschied zu allen anderen Kraftwerken und dem in Kesthell ist, dass Kesthell kein Kraftwerk an sich ist.«

Asavi fuhr sich energisch mehrmals durch die Haare, bis ihre Kopfhaut brannte. »Geht's auch kryptischer?«

»Selbstverständlich«, provozierte Csaba und durchbohrte sie mit seinem Blick. »Ich kann dir, wenn du möchtest, gerne lediglich Koordinaten und Zahlentabellen kommunizieren.«

»Das war Sarkasmus«, knurrte Asavi, die langsam an die Toleranzschwelle dessen stieß, was sie in diesem Augenblick bereit war, auszuhalten. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, bis ihre Nägel in ihre Handflächen schnitten. »Wehe«, schnappte sie, bevor Csaba den Mund aufmachen konnte. Er musterte sie mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, der ihr einen Schub an Adrenalin durch die Blutbahn jagte. Warum auch immer.

»Die Engel, die Zar erlegt«, mischte sich Jazmin ein, ehe Asavi implodierte, »werden nach Kesthell gebracht. Csaba kennt sich da besser aus, aber ich weiß ehrlich gesagt im Moment nicht, ob dieses Gespräch überhaupt möglich ist«, murmelte sie und wechselte einen Blick mit Juraj, der als Antwort matt lächelte.

»Asavi ist im Moment sehr aufgewühlt«, sagte er mit sanfter Stimme, die einen Nerv in Asavi nicht nur traf, sondern in ähnlicher Manier, wie sie das M2 handhabend mit dem Bretterzaun des Einfamilienhauses verfahren war, zerballerte. Aufgewühlt begann es noch nicht einmal zu umschreiben.

Auch jetzt intervenierte Jazmin mit beschwichtigend erhobenen Händen. »Wir alle sind aufgewühlt.«

Asavi atmete scharf durch die Nase ein uns aus. Kaum war sie in scheinbarer Sicherheit, brach die Last ihrer Situation erneut über ihrem Kopf zusammen. »Das ist doch alles ein kosmischer Witz«, stieß sie ermattet aus. »Und was ist das Problem mit Kesthell?«

Csaba mied ihren Blick und starrte stattdessen auf die Karte. »Joska beprobt und erforscht die Engel in Kesthell.«

»Zar ist aber kein Engel«, forderte ihn Asavi auf, weiterzusprechen.

»Nein«, räumte er nach kurzem Zögern ein. »Das ist er nicht.«

»Warum sollte er ihn also dorthin schleifen und nicht nach Budapest? Oder Mischkolz? Weg von Izabela?«

Csaba ließ sich von ihrer anschuldigenden Tonlage nicht aus der Fassung bringen. »Er tötet Engel. Und nachdem er mehrere Tage inmitten von Izabelas Stützpunkt verbracht hat, überlegt es sich sogar Joska zwei Mal, ob er ihn einfach so in Stücke reißt. Vor allem, wenn er etwas über Arjan weiß. In Kesthell hat er genügend Maschinerie, um ihn zum Sprechen zu bringen.«

Asavi presste sich die Finger auf die Augen, bis in der Dunkelheit vor ihren Lidern helle Sternennebel tanzten. »Er wird ihn also foltern. Hätte ich mir denken können. Aber ihr bringt auch Engel um. Ich kapier das Problem hier nicht.«

Csaba verdrehte die Augen. »Hast du nicht zugehört? Wir töten sie nicht. Sie sterben nicht. Bisher haben wir noch keinen einzigen Weg gefunden, sie umzubringen. Zar hingegen erschlägt sie wie die Fliegen.«

Asavi stockte mit zur Erwiderung geöffnetem Mund. Sie hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, ob oder wie ein Engel sterben könnte. Sie hatte einfach angenommen, dass man bloß lang genug draufballern musste, bis sein Körper nur noch ein Geröllhaufen war.

Das leblose Gesicht des Engels, der ihren ersten Berührungspunkt mit Zar darstellte, schob sich vor ihre geistigen Augen. Wie trostlos und endgültig sein schwerer Körper aus massivem Stein auf ihr gelastet hatte. Wie das elektrische Flackern, das die Getseinssplitter seiner Flügel zusammengehalten hatte, mit einem Knistern erloschen war. Es war das erste und bisher einzige Mal gewesen, dass Asavi tatsächlich einen toten Engel erblickt hatte. Sie hob die Brauen.

»Jeder nimmt hier jeden auseinander, für ... für was eigentlich? Gibt es in dieser Angelegenheit keinen Funken Anständigkeit?«

»Wir sprechen hier von einem jahrelangen Konflikt. In welcher Welt glaubst du denn, herrscht Anständigkeit im Krieg?«, fragte Csaba.

Bevor Asavi antworten konnte, mischte sich Jazmin ein. »Ist es denn jetzt von Bedeutung, wer hier wen umbringt? Wir haben allesamt die Seiten gewechselt. Ich für meinen Teil würde zumindest gerne versuchen, etwas«, sie rang nach Worten, »Gutes zu tun. Zar zu helfen klingt wie ein guter Anfang. Na?«

Asavi schnaubte durch die Nase und ein kleiner Teil in ihr freute sich über den miesen, geteilten Witz, der in Jazmins Augen aufblitzte. »Gibt es noch irgendwelchen relevanten Informationen, die ihr beide loswerden wollt, ehe wir in unseren Tod fahren?«, fragte sie an die Männer gewandt.

»Nichts hiervon ist wirklich relevant«, meinte Csaba schulterzuckend.

»Ach«, machte Asavi. »Du findest es irrelevant, uns zu sagen, dass ihr die Engel als Kohle verwendet und euch dann noch wundert, dass Izabela euch hasst? Das alles ist enorm relevant.«

»Ich sehe nicht, weshalb«, erwiderte Csaba. »Es spielt keine Rolle mehr, oder nicht? Das sind belanglose Umstände für das, was ihr vorhabt. Hast du denn vor, zu deiner Mutter zurückzugehen?«

»Nein.«

»Zu Joska?«

Asavi blickte ihn feindselig an. »Klar doch. Ich liebe Joska. Er ist mein Held. Das perfekte starke Arschloch, von dem ich mich retten lassen möchte, um all seinen Befehlen zu gehorchen.«

»Das ist überraschend, da du vorhin noch schadenfroh davon berichtet hast, ihn gebissen zu haben.«

Juraj legte ihr eine Hand auf die Schulter und hielt sie davon ab, sich auf Csaba zu stürzen. »Jazmin hat Recht. Wir sind fürs Erste auf uns gestellt. Mit Asavis Zustand und ihrer Verbindung zu Izabela werden wir nirgends sicher sein. Das müssen wir einplanen.«

»Was für ein Zustand?«, besaß Csaba die Frechheit zu fragen.

Asavi rümpfte die Nase. »Meine allumfassende Perfektion hinsichtlich meines Erbguts, das dir als Superhirn ja durchaus seit unserer ersten Begegnung ins Auge gestochen hat – hier muss ich wohl leider zugeben, dass du recht hattest mit deinem Bauchgefühl. Das macht mich für Izabela zu einem heiß begehrten Objekt. Und deshalb zu einer guten Geisel, falls du dich wunderst, worauf Joska damals hinauswollte.«

Csaba musterte sie nachdenklich und sein Blick wanderte an ihr herab. Zu langsam dafür, dass er sich nur die Zahlen in den Tabellen ins Gedächtnis rief, welche die zweite Seite von Izabelas tränenrührenden Nachricht an ihre Familie umfasst hatte. Nervenaufreibenderweise sagte er nichts darauf.

Juraj drückte ihre Schulter. »Du hast noch gar nicht gesagt, was du von alle dem hältst.«

»Wovon genau?«, fragte sie angespannt.

»Unser Vorgehen.«

Asavi fuhr sich über das Gesicht, starrte auf die Landkarte vor sich und dachte an Zars Kuss. »Darüber, nach Zar zu suchen?«

Juraj fing ihren Blick, der mehr als nur ein Gefühl kommunizierte. Das Ozeanblau seiner Augen beruhigte sie, je länger sie in diese starrte. »Zum Beispiel. Wie möchtest du, dass wir weitermachen?«

Asavi blinzelte zu Jazmin, die sie neugierig musterte und dann zu Csaba, der sie ebenfalls eindringlich anblickte. »Ich halte das alles hier für ...«, sie brach ab und ließ ihre zornigen Worte im Sand zerrinnen. Was hielt sie davon? Asavi hatte keinen blassen Schimmer. Es war Intuition, die ihr sagte, dass Zar lebte und Intuition, die ihr versicherte, dass er nicht bei Joska war. Eine einem elektrischen Schlag gleichende Intuition, die ihr beim Gedanken an seinen unverschämten Kuss durch die Adern prickelte. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Ort Kesthell, den Jazmin eingeringelt hatte, und betrachtete anschließend die beiden Markierungen westlich davon. Das kleine Dorf, in dem sie die vergangenen Tage untergekommen waren und den Ort, an dem sie sich jetzt befanden.

»Keine Ahnung«, murmelte sie. »Aber wenn ich mir den Maßstab ansehe, dann haben wir vielleicht einen Tag, wenn nicht sogar weniger, bis man uns eingeholt hat.«

Juraj verschränkte die Arme geschäftig vor der Brust. »Ich rechne mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Izabela und Joska werden sich nach dieser Auseinandersetzung erst einmal neu formieren müssen. Ich möchte dich nicht beunruhigen, aber es könnte auch sein, dass Zar längst -«

»Ist er nicht«, schoss es aus Asavi heraus. »Er lebt. Ich weiß es. Das ist«, sie wandte sich provokant an Csaba und schenkte ihm ein schmales Lächeln, »Intuition.«

Csaba erwiderte ihren Blick auf dieselbe wortlose Weise, wie zuvor.

»Also schön«, seufzte Jazmin und rieb sich die Augen. »Vertagen wir unsere Planung? Auf der anderen Seite des Flusses gab es noch einige Häuser. Vielleicht gibt es dort Sprit. Wir sollten nachsehen, ehe wir von unseren Problemen eingeholt werden.«

Juraj nickte, wirkte aber unbehaglich. Asavi, die prinzipiell froh darüber war, nicht länger über die schwindend geringen, positiven Aussichten ihrer nahen Zukunft nachdenken zu müssen, stieß ihn mit dem Ellenbogen an. »Raus damit«, forderte sie ihn auf, zu sprechen, während Csaba die Karte zusammenfaltete.

Juraj räusperte sich und warf ihm einen vielsagenden Blick zu. »Ich finde, Jazmin hat einen guten Punkt.«

»Aber?«

Er blickte zu seiner Waffe, die an der Küchentheke neben dem Wasserbottich lehnte. »Du kannst nicht mit ihr gehen.«

Asavi runzelte die Stirn. »Dann geh du doch mit ihr«, schlug sie schulterzuckend vor und lächelte Jazmin an.

»Ich beiße nicht«, grinste sie zurück. »Csaba überlass ich lieber das Organisatorische. Also wollen wir?«, fügte sie an Juraj gewandt hinzu. Er warf Asavi erneut einen unbehaglichen Blick zu und erst da dämmerte ihr, dass er wegen Csaba Bedenken hatte.

»Keine Sorge«, sagte sie daher nachdrücklich. »Macht euch eine schöne Zeit. Ich geh schlafen.«

Juraj gab zögerlich nach, ließ sich dann aber von Asavi nach draußen begleiten und suchte im Pandur nach Munition für Jazmins Maschinengewehr.

»Wir sind spätestens bei Anbruch der Dunkelheit wieder hier«, versicherte er und schenkte dem Bauernhaus einen finsteren Blick.


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