Kapitel 11 - Keine Pause

Sie fuhren gute fünf Minuten, ehe Asavi einen dunkelgrünen Militärjeep um die letzte Biegung der von Wald eingeschlossenen Landstraße durch das Grün blitzen sah.

»Juraj!«, rief sie alarmiert und drehte das M2 bestärkt durch einen weiteren Adrenalinschub.

»Habs gesehen. Das sind nicht Izabelas Leute.«

»Joska?!«

»Zur Sicherheit-«

Asavi drückte ab, noch bevor er seinen Satz vollendete. Ihr Papa hatte ihr immer gesagt: zuerst schießen, dann Fragen stellen. Also schoss sie und hoffte, dass sie zum Fragenstellen nie nah genug an die bewaffnete Dame herankamen, die sich mit ihrem Maschinengewehr im Arm unter ihren Schüssen duckte. Ihr Finger schmerzte vom Drücken des schweren Abzugs und ihre Knochen klapperten durch den kräftigen Rückstoß, aber es fühlte sich gut an. Der Fahrtwind peitschte ihr die Haare ins Gesicht und ihre Hände brannten von der Bedienung des M2 ohne Handschuhe. Dann wiederum war ihr alles lieber als auf irgendeinem Marktplatz zu landen.

Die Frau erwiderte das Feuer seitlich aus dem Wagen und kurz darauf pfiffen Kugeln gegen das stählerne Heck des Radpanzers.

»Shit, shit, fuck, shit!«, fluchte Asavi atemlos und duckte sich hinter das M2.

»Feuer erwidern! Einfach draufhalten, Asavi!«, erklang Jurajs Stimme über das Headset.

»Das ist ja leicht für dich zu sagen«, schrie sie zurück und tastete blind nach dem Abzug, um sich nicht in die Schussbahn begeben zu müssen. »So komplett in Sicherheit!«

»Entschuldige, du weißt-«

Asavi fand den Abzug und drückte ihn fest nach unten. Das ohrenbetäubende Knattern verdrängte Jurajs Worte effektiv auch durch den Gehörschutz. Gleich darauf ließ der Beschuss nach und Juraj informierte sie, dass sich der Militärjeep getroffen schlenkernd überschlug und im Wald neben der Straße landete.

Asavi kauerte dennoch geduckt und mit gesenktem Kopf in der kleinen Schützenöffnung und bemühte sich, zu Atem zu kommen. Jeden Augenblick erwartete sie, dass Juraj sie darüber in Kenntnis setzte, dass ein weiterer Verfolger hinter ihnen auftauchte. Aber nach einer guten halben Stunde, in der er sie scheinbar wahllos durch winzige Orte und abgelegene Straßen lenkte, beruhigte sich ihr Puls langsam wieder.

»Asavi?« Jurajs Stimme klang besorgt in ihren Ohren und sie holte tief Luft.

»Hm?«

»Du kannst jetzt reinkommen und die Klappe schließen. Geht es dir gut?«

Asavi hob den Kopf und musste den Stahlhelm mit den Händen halten, damit sie überhaupt die Kraft dazu fand. »Ja, ja.« Sie griff nach der schweren Klappe und zog sie zähneknirschend zu. Dann kletterte sie aus dem Schützenloch und stolperte in den Innenraum des Pandurs. Sie sank entgegen allen Vorschriften einfach dort auf den Boden. Einmal, zweimal, dreimal durchatmen. Asavi schob den Helm von ihrem Kopf und ließ ihn unter schwerem Poltern auf die Metallverkleidung des Pandurs fallen. Sie zog sich ihre Bluse mit zitternden Händen über die Arme, scheiterte aber an den Knöpfen. Einige waren abgerissen und die wenigen, die noch am limonengrünen Stoff hingen entglitten ihr mehrmals, bis sie die Knöpfe durch die kleinen Löcher gebracht hatte. Ihr Nacken schmerzte.

»Sind wir in Sicherheit?«, fragte sie und sehnte sich nach einer Flasche Wasser.

Juraj warf einen raschen Blick über die Schulter. »Noch verfolgt uns keiner. Wenn wir Glück haben, dann hat niemand gemerkt, in welche Richtung wir fahren.«

»Ich würde mich bei Izabela auf nichts verlassen. Und Joska?«, stieß sie hervor und die erstickende Körperhitze seines Klammergriffs schob sich ihr erneut in Nase und Mund. »Was zur Hölle hat der da gemacht?«

Juraj blieb beunruhigend still, ehe er eine vorsichtige Antwort gab. »Keine Ahnung. Laut meinen Informationen von letzter Woche, hätte er sich irgendwo im Süden von Ungarn aufhalten sollen.«

»Letzte Woche?«, schnaufte Asavi und der verspätete Hustenreiz aufgrund des Gases schüttelte sie einmal kräftig durch. »Das kommt mir wie ein anderes Zeitalter vor.«

Juraj lächelte schwach. »Ich weiß es nicht genau. Wir hätten einen seiner Stützpunkte anfliegen sollen, erinnerst du dich? Zar hat Izabela von einem Ort erzählt, der höchste Priorität hat. Ich bin davon ausgegangen, es läge daran, dass Joska dort ist. Aber das war er offensichtlich nicht. Zar hatte einen Peilsender bei sich«, sinnierte Juraj.

Asavi kaute auf ihren trockenen Lippen herum, bis sie Blut schmeckte. »Du meinst, den von – ... Csaba hat uns verraten?« Irgendwie stach dieser Gedanke mehr, als er durfte.

Juraj hob lediglich seine Schulter. »Du solltest dich wirklich auf einen Sessel setzen und anschnallen.«

Asavi zog sich an der Rückenlehne des Fahrzeugkommandantenplatzes nach oben und zwängte sich auf den leicht gepolsterten Sitz direkt hinter Jurajs. Sie fummelte an den Gurten herum, ehe sie sich verärgert in den Sitz warf. »Lach nicht, aber ich bin zu blöd, um mich anzuschnallen.«

Juraj stieß ein sanftes Lachen aus und Asavi hieb ihm spielerisch über den Kopf, lehnte sich dann aber zu ihm nach vorne und platzierte ihren Unterarm auf der Rückenlehne seines Sitzes. »Aber was machen wir wegen Zar?«, fragte sie ernst und versuchte, aus dieser Position einen Blick in Jurajs Gesicht zu erhaschen. »Meinst du, Izabela hat ihn umgebracht?«

Zars großspurige Worte gingen ihr durch den Kopf. Du musst schon besser zielen. Er war völlig lebensmüde. Wer provozierte die Hornisse, die sich die vergangenen Tage ohnehin bereits von Grund auf gedemütigt fühlte?

»Ich weiß es nicht. Aber ich denke irgendwie ... nicht«, sagte Juraj und neigte seinen Kopf leicht in ihre Richtung. Ihre Blicke trafen sich kurzzeitig. »Aber wenn du meine ehrliche Meinung hören willst, würde ich mir mehr Sorgen darum machen, was Joska mit ihm anstellt, sollte er ihn in die Finger kriegen.«

Asavi grunzte ein Lachen. »Das auf alle Fälle. Wir können ihn nicht zurücklassen.«

»Nein. Aber wir können auch nicht zurück. Izabela und Joska reißen sich dort drinnen Arme und Beine aus.«

Asavi betrachtete Jurajs Profil und wurde von einer unsäglichen Müdigkeit überschwemmt. »Ich hasse das. Warum können wir nichts machen? Wir müssen einfach zurückfahren und draufballern.«

Juraj blinzelte mehrere Male, während er die Bildschirme vor sich scannte, an irgendwelchen Knöpfen herumdrückte und wichtig aussehende Hebel betätigte. »Er hat sich für dich geopfert. Lass seine Bemühung nicht im Sand zerrinnen. Hat er irgendwas zu dir gesagt? Vorhin?«

Asavi biss sich auf die Lippe und widerstand dem Drang Jurajs zerzauste Haare unter dem Band des Headsets zu richten, ebenso, wie sie dem Drang widerstand, in Tränen auszubrechen. »Darüber, was er vorhat? Nein. Er meinte nur etwas von einem ... elektrischen Impuls, von dem Arjan gesprochen hatte.«

Juraj drehte seinen Kopf in ihre Richtung. Sie wich eine Handbreit zurück und ballte ihre Hand zur Faust. »Was für ein Impuls?«, fragte er mit irritiert geneigten Augenbrauen.

Asavi hob die Schultern. »Er hat den Gedanken nicht ausgeführt. Da ging das Licht von Izabela schon an«, murmelte sie ins Headset und sank mit dem Kinn auf ihren Unterarm. »Ich will nicht, dass er stirbt.«

Juraj atmete schwer aus. »Ich auch nicht.«

Asavi lächelte matt. Sie war davon überzeugt, dass Zar das hinkriegen würde, konnte aber nicht bestimmt sagen, ob diese Überzeugung einer Wahrheit entsprach, oder nur ihrem eigenen Drang nach Bestätigung in dieser Sache nahekam. Sich auszumalen, dass Zar nicht überlebte, passte nicht in ihre Realität.

»Ist dir aufgefallen, dass Izabela keine Hubschrauber geschickt hat?«, rissen sie Jurajs von leichter Statik begleiteten Worte aus dem Erschöpfungssekundenschlaf.

»Tatsache«, meinte sie und rieb sich die Augen. »Das ist ungewöhnlich?«

»Izabelas gesamte Operation baut auf Lufteinsätze. Ich bin Pilot, kein Kraftfahrzeugführer.«

Asavi verkniff sich ein Lachen und klopfte ihm auf die muskulöse Schulter. »Machst du trotzdem ausgezeichnet. Man spürt die Schlaglöcher fast gar nicht.«

»Mach dich nicht lustig«, murmelte Juraj und schaltete wieder am Steuerpult herum.

»Ich meins ernst. Danke, dass du mich schon wieder gerettet hast. Joska hätte mich fast ...«, sie verstummte und schüttelte den Kopf. »Wie lange fahren wir?«

»Nicht mehr lange«, sagte Juraj. »Der Tank wird leer.«

»Fantastisch.«

Juraj fuhr von der Straße ab und folgte Feld- und Ackerwegen mitten hinein in die Wildnis. Asavi nickte ein und wachte erst auf, nachdem der Radpanzer zum Stillstand kam.

»Asavi«, knisterte Jurajs Stimme durch das verrutschte Headset und sie fuhr desorientiert in eine aufrechte Position. »Wir bekommen Besuch.«


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