9.
Mit geschlossenen Lidern summte ich eine leise Melodie vor mich hin, unter welche sich das stetige Tropfen des leichten Nieselregens mischte.
"Tsuki! Tsuki!"
Aufgeschreckt von der Stimme riss ich die Augen auf und verlor meine Konzentration, wodurch der mühsam aufgebaute Chakrafluss zerbrach und ich vom Baum fiel.
"Gottverdammt, was soll der Mist?", schimpfte ich lautstark und betastete die schmerzende Stelle an meinem Hinterkopf.
Das würde eine ordentliche Beule geben.
"Jetzt sag schon, was ist so wichtig?", wollte ich wissen uns verschränkte die Arme.
"Was genau hast du da gemacht?", fragte Tenten.
"Nur... eine kleine Übung für mein Chakra, du weißt schon", erklärte ich und ließ dabei bewusst aus, dass ich versucht hatte, mein Sharingan wieder in eine bessere Form zu bringen.
Denn obwohl ich mich gut mit Tenten verstand, hatte ich ihr noch nichts von meiner Abstammung erzählt, auch die anderen hatte ich gebeten, niemandem etwas zu sagen.
"Interessante Methode", lachte sie, "aber eigentlich bin ich hier, weil Tsunade-sama dich sprechen will."
"Echt jetzt? Sie lässt mir nie eine Pause", jammerte ich und wir setzten uns in Bewegung.
"Ach komm schon, du hast wenigstens immer relativ entspannte Missionen."
"Stimmt schon", gab ich zu, schließlich musste ich mich so gut wie nie mit nervigen Teammitgliedern rumschlagen.
"Also, ich muss auch los, bis dann", verabschiedete sie sich und machte sich auf den Weg in eine andere Richtung.
"Okay, wir sehen uns", erwiderte ich und legte die restliche Strecke zum Hokage-Sitz zurück.
Vor Tsunades Büro angekommen klopfte ich und betrat den Raum.
"Ah, da bist du ja. Schön, dich zu sehen, Tsuki."
"Ja, gleichfalls. Was gibt's denn?", wollte ich wissen und lehnte mich gegen die Wand.
"Wir sind zurzeit leider ziemlich unterbesetzt, was Genin angeht, also häufen sich die D und C-Rang Missionen an. Ich wollte dich bitten, ein paar davon abzuarbeiten."
Nach einem langen Seufzen zuckte ich mich den Schultern.
"Ich kann ja schlecht ablehnen, oder? Was steht denn alles an?"
"Ich habe eine Liste zusammengestellt", erklärte sie und legte eine ziemlich dicke Schriftrolle auf den Tisch, "und damit es schneller geht, bekommst du auch Verstärkung."
"Und wer soll das sein?", fragte ich mit hochgezogener Augenbraue, dafür betend, dass es nicht irgendein kleiner Genin war.
Gerade wollte Tsunade antworten, als ein Klopfen ertönte.
"Wenn man vom Teufel spricht. Komm rein!"
Und als sich die Tür öffnete, hatte Tsunade es schlagartig auf Platz eins meiner grausamsten Bekannten geschafft.
Und das war eine ordentliche Leistung, wenn man bedenk, wen ich so alles kannte.
"Gut, dass du da bist, Genma. Das ist Tsuki, sie wird dir alles weitere über euren Auftrag erklären", verkündete sie und er blickte erst sie, dann mich mit seinen dunklen Augen an.
Ungläubig starrte ich sie an und mein Magen schien eine komplette Umdrehung zu vollführen.
"Ihr könnt gehen."
Wir verneigten uns kurz und wie von selbst bewegten sich meine Füße aus dem Zimmer, durch das Gebäude, bis ich schließlich draußen stehen blieb.
"Also, was ist unsere Mission?", fragte Genma mit einem höflichen Lächeln, woraufhin ich ihm bloß stumm das Papier in die Hand drückte.
Während er die Aufgaben überflog, musterte ich ihn eindringlich.
Er hatte sich kaum verändert, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, immer noch die gleiche Kleidung, die selbe Frisur, sogar, dass er eine Senbon im Mundwinkel hängen hatte.
Nichts davon war mir unbekannt.
"Der erste Punkt ist... die Bewässerung einer großen Plantage, D-Rang", murmelte er, "wir sollten uns beeilen, wenn wir heute noch fertig werden wollen."
Bei seinem Lächeln stieg mir eine leichte Röte ins Gesicht und schnell nickte ich.
Dieser Tag würde die reinste Hölle werden.
"Wie kann denn eine so große Anlage so schwer zu finden sein?", beschwerte sich Genma mit gerunzelter Stirn und studierte ein weiteres Mal erfolglos die Landkarte.
"Vielleicht sollten wir die Anwohner fragen", schlug ich vor und er seufzte.
"Uns bleibt wohl nichts anderes übrig."
Schweigend liefen wir auf dem schmalen Feldweg hintereinander her, das nächste Dorf war noch ein kleines Stück entfernt.
Gedankenverloren blieb mein Blick an Genmas Hinterkopf hängen und mich überkam das Bedürfnis, seine Haare zu verwuscheln.
Ich verstand nicht, warum er dieses Kopftuch trug, seine Haare waren schön und, wie ich aus eigener Erfahrung wusste, sehr weich.
"Gibt es ein Problem?", fragte er plötzlich und ich schreckte auf.
Er war stehengeblieben und schaute mich fragend an.
"Ah, nein. Alles gut, Genma-san", erwiderte ich schnell und vermied Blickkontakt.
"Na, wenn du meinst. Und lass doch bitte das -san weg, so alt bin ich noch nicht", lachte er und zögernd nickte ich.
Verdammt, warum musste sein Lachen so niedlich sein?
Energisch schüttelte ich den Kopf, für so etwas hatte ich keine Zeit.
Außerdem hatte ich mir vorgenommen, dieses Leben so gut wie möglich ohne zu starke Gefühle zu Ende zu bringen.
Ich hatte es schließlich schon geschafft, die Begegnung mit Orochimaru zu überstehen, also konnte ich jetzt nicht schwach werden.
"Weißt du Tsuki, du erinnerst mich ein bisschen an eine gute Freundin von mir", erzählte er, als wir unseren Weg fortsetzten.
Verdammt.
"Ach wirklich? Wer ist sie denn?"
Inständig hoffte ich, dass seine Antwort nicht das war, was ich erwartete.
"Ihr Name war Yuna, aber sie ist schon lange tot. Wir waren im gleichen Team."
Er machte eine kurze Pause und ich schluckte.
Etwas schlimmeres hätte wirklich nicht passieren können, als dass er jetzt genau über dieses Thema sprach.
"Ich habe sie wirklich sehr gerne gehabt, vielleicht war sie auch ein bisschen mehr als bloß eine Freundin. Aber sie ist bei dem Angriff des Kyuubi vor sechzehn Jahren gestorben."
"Oh, das tut mir Leid", murmelte ich, während meine Brust sich schmerzhaft zusammenzog.
Ich wollte nicht daran erinnert werden, dass ihm mein dämliches Verhalten so einen Kummer bereitet hatte.
Eigentlich wollte ich an gar nichts von früher erinnert werden.
"Muss es nicht", er lächelte mir zu, "es ist schon lange her und die Zeit heilt alle Wunden, nicht wahr? Ich wünsche mir einfach, dass sie jetzt an einem besseren Ort ist."
Mit großen Augen sah ich ihn an und umklammerte die Schriftrolle fester, um zu verhindern, dass meine Hände unkontrolliert zitterten.
"Ja, das ist... ein schöner Gedanke", flüsterte ich, während alles in mir schrie, ich solle ihm doch einfach die Wahrheit erzählen.
Aber das war unmöglich, damit würde ich alles zerstören.
Und außerdem, warum sollte er mir etwas so verrücktes glauben?
"Danke. Aber ich glaube, so richtig kann ich nie darüber hinwegkommen."
Bei dem niedergeschlagenen Ausdruck in seinen Augen musste ich wegschauen, da mich wieder ein unglaubliches Gefühl von Schuld überkam.
Er hatte das Recht, alles zu wissen, aber trotzdem durfte ich nichts sagen.
"Da seid ihr ja endlich!", unterbrach eine grimmige Stimme unser Gespräch und ein alter Mann tauchte aus dem Dickicht auf, "ich warte schon ewig!"
"Ah, tut uns sehr Leid", entschuldigte Genma sich, "wir haben die Plantage nicht gefunden."
Der Mann verdrehte die Augen.
"Wie auch immer, jetzt kommt mit. Es gibt viel zu tun."
"Ich hätte nicht gedacht, dass ein paar D-Rang Missionen so anstrengend sein könnten", jammerte ich einige Stunden später und Genma warf seufzend einen Blick auf die Liste.
"Und dabei haben wir erst die Hälfte", murrte er.
Ich überflog die restlichen Punkte, bis mir eine Notiz ganz unten auffiel.
"Guck mal, da unten steht, wir können auch noch was morgen erledigen."
"Gott sei Dank", stöhnte er und rollte das Papier zusammen, "willst du noch mitkommen und was essen? Es gibt einen guten Imbiss nicht weit von hier."
Überfordert blinzelte ich ein paar Mal.
"J-ja, in Ordnung. Aber ich muss nachher noch etwas erledigen", stimmte ich zu und verfluchte mich sofort selbst dafür.
Warum zur Hölle hatte ich nicht einfach abgelehnt?
"Sehr gut, dann komm mit."
Er führte mich bis zu dem kleinen Laden, wo wir uns an einen der vielen freien Tische setzten und beide etwas zu Essen bestellten.
"Also, du-", setzte er an, wurde allerdings von einer aufgeregten Stimme unterbrochen.
"Genma! Was für ein Zufall!"
Ich musste mich gar nicht umzudrehen, damit mein Herz noch weiter nach unten rutschte, als es eh schon war.
"Mari, Fuji", lächelte er und winkte die Mädchen zu uns, "setzt euch, hier sind noch zwei Plätze frei."
"Hey, du bist doch Tsuki, oder?", fragte Mari, nachdem sie mich kurz gemustert hatte und ich nickte.
"Ja, und ihr seid Mari und Fuji, richtig?"
"Woher kennt ihr euch?", wollte Genma wissen und kurz erzählte Fuji, wie sie mir den Weg zum Dorf gezeigt hatten, als ich mich angeblich verlaufen hatte.
Zwischen den dreien entwickelte sich ein Gespräch über aktuelle Missionen, Maris Schüler und alles Mögliche.
Allerdings könnte ich mich kaum auf das Gesagte konzentrieren, denn immer wieder schwirrte die Vorstellung durch meinen Kopf, was jetzt sein könnte, wenn ich nicht so dumm gewesen wäre.
Vielleicht würde ich trotzdem mit ihnen hier sitzen, Tairu wäre auch dabei und alles würde einfach perfekt sein.
Aber das war nicht der Fall und diese Tatsache machte mich fast wahnsinnig.
"Tsuki?", holte mich Genmas Stimme wieder in die Realität zurück.
"Ähm... ja?"
"Ich habe dir doch vorhin von Yuna erzählt, oder?"
Mit einem schweren Schlucken nickte ich.
Konnte er das Thema nicht einfach in Ruhe lassen?
"Die beiden hier waren ihre Schülerinnen."
"O-oh, das ist ja ein Zufall", stotterte ich leicht verzweifelt, denn ich hatte keine Ahnung, wie ich darauf reagieren sollte.
"Sie war wirklich eine tolle Lehrerin", erzählte Mari begeistert, "man hat gar nicht gemerkt, dass wir ihr erstes Team waren, so viel Mühe hat sie sich gegeben."
"Und sie hat es sogar geschafft, Tairu zu motivieren", merkte Fuji schmunzelnd an, doch als Maris Gesicht sich verdunkelte, schien sie ihre Aussage sofort zu bereuen.
"Ihr scheint sie wirklich gemocht zu haben", murmelte ich und wünschte mir, ein paar Jahre älter zu sein, damit ich mich betrinken durfte.
"Natürlich. Yuna war ein wundervoller Mensch. Niemand wie sie verdient es, zu sterben", erwiderte Genma abwesend und der Tisch verfiel in eine unangenehme Stille.
"Also... hast du auch ein Genin-Team, Gemma?", fragte ich schließlich, da mir nichts besseres einfiel.
"Nein, nicht mehr. Ich hatte mal eins, aber das war einfach nichts für mich. Die normale Arbeit liegt mir mehr."
"Und ein guter Lehrer warst du sowieso nicht, schließlich sind Kotetsu und Izumo nur die Laufburschen des Hokage geworden", neckte Mari ihn und fing sich dafür einen scharfen Blick ein.
"Jede Arbeit ist wichtig. Außerdem hat Tsunade-sama ihr Potenzial bloß noch nicht erkannt", verteidigte er sich und die beiden anderen warfen sich einen belustigten Blick zu.
Es war beeindruckend und merkwürdig zugleich, wie schnell sich die angespannte Stimmung wieder aufgelockert hatte.
"Schüler zu haben ist eine tolle Sache. Hast du schon darüber nachgedacht, das später zu machen?", wollte Fuji wissen und ich winkte sofort ab.
"Nein, mit so viel Verantwortung würde ich nicht klar kommen", erklärte ich, "außerdem komme ich nicht so gut mit Kindern klar."
Jedes Mal, wenn ich bisher jemanden trainiert hatte, war mindestens einer gestorben, also ging ich das Risiko lieber nicht mehr ein.
Um nicht zu erwähnen, dass ich Situationen wie diese in Zukunft um jeden Preis vermeiden wollte.
"Es ist ziemlich spät geworden, wir sollten schlafen gehen", verkündete Genma plötzlich und erhob sich, "und du hast noch etwas vor, oder Tsuki?"
"J-ja, stimmt. Ich muss los", stimmte ich schnell zu, ich hatte meine angeblichen Pläne schon wieder ganz vergessen.
Also kramte ich das Geld für mein Essen heraus und machte mich gefolgt von Genma auf den Heimweg, auch wenn sich unsere Wege schnell trennten.
"Es tut mir Leid", flüsterte ich, als er außer Hörweite war, "so schrecklich Leid."
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