Grüne Augen & Sommersprossen |
Der Wind ist angenehm kühl und ich bleibe kurz stehen, um die Brise voll auszukosten, aber es ist ja nicht so, als hätte sich Johanna jemals von ihrem Ziel abbringen lassen. „Komm schon, wir müssen uns beeilen!" ruft sie nach hinten, wo ich versuche mit ihrem Tempo mitzukommen. Auch wenn ich weiß, dass dieser Plan nicht nur kindisch ist, sondern auch zu 100 Prozent nicht funktionieren wird, bin ich trotzdem mitgekommen. Das hat zwei Gründe. Erstens: Ich kann Johanna einfach keinen Wunsch abschlagen und zweitens: Auch wenn ich es nicht zugeben will, finde ich die ganze Sache schon ein bisschen aufregend und auch wenn es nicht funktioniert, ist es trotzdem lustig, Quatsch mit der besten Freundin auszuhecken. Ich ziehe also das Tempo an und bleibe dicht hinter ihr. Als wir endlich um die Ecke biegen und das Rondell mit den zwei großen, altmodischen Holztüren, die den Eingang bilden in unser Blickfeld rückt, bin ich ein bisschen außer Atem und bleibe stehen, um meiner Lunge eine Pause zu gönnen. Doch Johanna hat kein Erbarmen und zieht mich direkt weiter, denn sie hat die Traube an Menschen entdeckt, die gerade durch die schweren Türen das Krankenhaus betreten. Ein bisschen habe ich mich gewundert, als Johanna zu dem Punkt kam, in dem wir in ihrem Plan in ein Krankenhaus einbrechen müssten. Damals habe ich an eine Ninja-Aktion mitten in der Nacht, mit Abseilen von der Decke, Alarmanlagen und all dem Kram eben gedacht. Doch jetzt ist es weder Nacht, noch hängen wir von der Decke. Es hat sich herausgestellt, dass Johanna wusste, dass immer Dienstags um 10:15 eine Gruppe von Menschen in das Krankenhaus kommt und dort mit den Patienten singt. Sie haben auch immer eine Gitarre dabei und früher wohl sogar ein Akkordeon. Eine wirklich schöne Tradition wie ich finde, aber Johanna wollte natürlich nicht mitsingen, sondern betrachtet das einfach als unsere Chance, möglichst unbemerkt vom Personal ins Krankenhaus zu gelangen. Und tatsächlich können wir uns nach dem nicht ganz freiwilligen Sprint gerade so den letzten Menschen, die das Krankenhaus betreten anschließen. „Aber fällt das nicht auf, wenn da plötzlich zwei Fremde dabei sind?" hatte ich sie damals gefragt. „Nein, meine Tante macht da mit und die erzählt immer davon. Deshalb weiß ich auch, dass da immer mal wieder Leute mitkommen, die keiner kennt, die aber davon gehört haben und mitmachen wollen. Unsere Anwesenheit wird niemand hinterfragen." hatte sie geantwortet. Zugegeben, das klang soweit plausibel, trotzdem musste ich mir mit der Hand gegen die Stirn schlagen. „Hast du da nicht einen massiven Denkfehler gemacht?" doch als sie nur verdutzt gucken konnte, statt auf meine Frage zu antworten, fügte ich noch hinzu: „Na, deine Tante wird uns doch erkennen!" und ich musste lachen, weil es doch so offensichtlich war. Johanna grinste nur und erwiderte daraufhin „Meine liebste Elis, wie immer unterschätzt du mich". Ich schaute sie nur fragend an, konnte mir aber ein Lachen nicht verkneifen. Sie war aufgestanden und stolzierte jetzt wie eine Lehrerin in meinem Zimmer umher. Als sie wieder zu sprechen begann, hob sie den Zeigefinger, der den Lehrer-look endgültig abrundete. „Meine Tante hat sich ihr Bein gebrochen und hat eine Woche Bettruhe verschrieben bekommen. Das bedeutet, sie ist nächsten Dienstag unter keinen Umständen dabei.". Und tatsächlich, jetzt waren wir drinnen. Wir liefen langsam hinter der Gruppe her, die ganz mit sich beschäftigt war und sich lautstark über alles Mögliche unterhielt. Johanna kicherte neben mir und kurz darauf, zog sie mich am Arm in einen anderen Gang und ohne, dass ich es überhaupt realisieren hätte können, rannten wir schon wieder. Manchmal machte sie mich echt fertig. Nach gut 20 Metern und einem schnellen Blick über die Schulter, um sich sicher zu sein, dass uns niemand bemerkt hatte, ließ Johanna meinen Arm los und wir blieben stehen. Ich funkelte sie an. Sie wusste genau, wie sehr ich Rennen hasste. Doch sobald sich unsere Blicke trafen und mir bewusst wurde, in welcher Situation wir uns befanden, hellte sich meine Miene auf und ich musste mich sogar zusammenreißen nicht loszuprusten. Ich sah genau, dass es ihr genauso ging, also räusperte ich mich, richtete mich auf und fragte „Wo müssen wir lang?". Johanna beruhigte sich auch wieder und schaute den Gang runter. Statt etwas zu sagen, deutete sie mir nur eine Richtung, hakte sich bei mir ein und wir gingen los, diesmal aber in einem normalen Tempo. Nach schier unendlich vielen Ecken und Wendungen, kamen wir endlich an einer Glastür an, die den Weg in den Krankenhauspark für uns darstellte. Als ich endlich wieder frische Luft atmete, lag vor uns die große Parkanlage. Ich bin noch nie hier gewesen, deshalb bin ich zuerst ein bisschen von der Größe und Schönheit überwältigt. Wir stehen auf einem erhöhten Punkt und unter uns befindet sich ein großer See auf dem die Sonne glitzert. Links von dem See sind allerlei Spielgeräte, von kleinen Rutschen bis hin zu cool aussehenden Schaukeln, an der ich unter anderen Umständen auf keinen Fall vorbei gelaufen wäre. Rechts vom See wiegen sich große Buchen und Linden im Wind und gerade als ich mich gefasst habe, läuft Johanna schon weiter. Ich folge ihr und wir gehen dicht an der Wand entlang, nach rechts um die Kurve und ich erschrecke mich kurz. Wir sind jetzt in einem anderen Teil des Parks, der eher an einen Garten erinnert. Direkt vor uns befindet sich eine Sommerküche, die eigentlich genauso ist, wie eine normale Küche, nur dass sie eben draußen ist und ihr zwei Wände fehlen. In dieser Küche hantieren ca. 10, vielleicht 15 Jungen. Es reicht zu sagen, dass sich manche geschickter als andere anstellen. Als ich zu Johanna schaue, sehe ich, dass sie auch nicht mit diesen Leuten gerechnet hat. Wir stehen eine kurze Weile da und ich beobachte die Jungen, wie sie alle etwas unterschiedliches machen. Ein paar von ihnen kochen wirklich, die meisten liegen aber nur im Gras und genießen die Sonne oder sitzen im Kreis und reden. Zwei von Ihnen haben sich zwei Metallrohre von dem Haufen neben der Wand genommen und üben damit einen Schwertkampf der Amateure aus. Der Kleinere von beiden schlägt dem Größeren mit einem dumpfen Knall das Rohr aus der Hand. Es rollt über den Boden und bleibt vor meinen Füßen liegen. Ich gucke auf das Rohr hinunter, dann wieder hoch zu den beiden Jungen, die uns zwei wohl eben erst bemerkt haben. Der Größere macht eine auffordernde Bewegung mit der Hand, damit ich ihm das Rohr zurückgebe. Ich werfe Johanna einen kurzen Blick zu, dann schaue ich wieder zu den Jungen rüber, die jetzt beide verwirrt zu sein scheinen. Ich lächle, dann bücke ich mich, hebe das Rohr auf, richte mich blitzschnell wieder auf und renne los. Johanna braucht einen Moment bis sie versteht, dann läuft auch sie los. Ich werfe einen Blick zurück über meine Schulter und kann mich bei den dummen Gesichtern der beiden Jungen nicht mehr zusammenreißen und fange an laut loszulachen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie der Größere sich ein Rohr von dem Haufen holt und uns hinterher rennt. Johanna hat mich innerhalb von Sekunden überholt und ist schon die schmale Treppe hoch, die zwischen den Auberginen und Salatköpfen den Hügel hoch verläuft und das Gemüsebeet entzwei teilt. Da merke ich, dass der Typ, der mich verfolgt wesentlich schneller ist als ich, also nutze ich die letzten Sekunden bis er mich eingeholt hat, um mich in eine gute Kampfposition zu begeben, was mir aufgrund seiner Schnelligkeit nur bedingt gelingt und so stehe ich mit dem Rücken vor einer Wand. Verdammt denke ich, das ist nun wirklich das Gegenteil von einer optimalen Kampfposition. Doch mehr Zeit bleibt mir nicht, denn dann steht er vor mir. Herausfordernd halte ich das Rohr wie ein Schwert und er nimmt die Einladung an. Nach einigen Schlägen seinerseits, die ich mit Leichtigkeit abwenden konnte, was ihn sichtlich verblüfft hat, hole ich zu einem Schlag aus und mit einer geschickten Drehung mit dem Rohr habe ich ihn entwaffnet und das Rohr fällt klirrend auf den Boden. Überrascht sieht er mich an. Zum ersten Mal sehe ich richtig sein Gesicht. Er hat grüne Augen, Sommersprossen und dunkle Haare, die ihm kreuz und quer übers Gesicht fallen. Er lächelt verlegen und schaut auf den Boden. Ich muss lachen. Da erst merke ich, dass die ganzen Jungs von der Wiese um die Ecke gekommen sind und uns laut lachend beobachtet haben. Als er seinen Kopf ebenfalls ihnen zuwendet, lasse ich das Rohr fallen und renne Johanna hinterher. „Wie heißt du überhaupt?" höre ich es hinter mir. Ich stehe schon auf der Treppe, drehe mich aber nochmal um und rufe „Elis", er lächelt und antwortet „Liam" dann verschwinde ich hinter der Ecke.
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