Kapitel I
14 Jahre vorher
Wie ein Meer aus Farben drängen sich die bunten Massen durch unsere Straße, ich blicke vom Fenster auf sie hinab. Es sind so viele auf einmal, so viele Menschen habe ich noch nie gesehen.
„Warum sind die ganzen Leute da draußen?", fragend drehe ich mich zu meiner Mutter, die hinter mir steht. „Warum feiern sie?"
„Es sind Hungerspiele", lächelt Mutter. „Sie wollen alle die Tribute sehen." „Tribute? Was sind Tribute?", verwundert schaue ich sie an.
„Kinder und Jugendliche aus den Distrikten. Sie gehören zu einer Show." „Was für eine Show?"
„Die Hungerspiele, wie ich gerade sagte." „Oh, darf ich die Show sehen?" „Nein, die ist nichts für Kinder."
„Das ist unfair, die Kinder aus den Disricken dürfen doch auch dabei sein." „Distrikten, heißt es. Und ich glaube, die Kinder wären gerne nicht bei der Show." „Warum nicht?"
„Weil sie... weil sie nicht bei ihren Eltern sein können."
„Ich will irgendwann bei der Show sein.", ich gucke wieder auf die Straße.
Mutter legt mir die Hand auf die Schulter: „Glaub mir, Süße, bei der Show willst du lieber hinter der Kulisse sein, als als richtiger Teil der Spiele." „Ich mag aber Spiele."
„Das weiß ich, Schatz. Komm, wir bereiten alles vor, damit dein Vater überrascht ist, wenn er nach Hause kommt."
Nur widerwillig reiße ich mich von dem überwältigendem Anblick los und laufe hinter Mutter her.
Leise summe ich eine Melodie, die Vater mir beigebracht hat.
Da klingelt es, Mutter läuft zum Telefon und nimmt ab.
Das ist langweilig, jetzt will sie wieder die ganze Zeit, das ich ruhig bin.
Also nehme ich meine Steine und baue einen Turm.
Mutter telefoniert immer noch, nun, dann male ich Vater eben ein Bild.
Ich nehme meine Stifte und male unsere Familie, Mutter, er und ich. Er wird sich so freuen!
„Vinia, bitte komme zu mir, ich muss mit dir reden.", Mutters Stimme ist angespannt und zittert leicht. Sie ist traurig, ich laufe zu ihr und nehme ihre Hand: „Alles wir gut, ich beschütze dich."
„Lavinia, komm mit in die Küche, ich muss mich setzen."
So scharf hat Mutter lange nicht mehr mit mir geredet, habe ich etwas falsch gemacht?
Sie benutzt meinen ganzen Namen nur wenn es richtig ernst ist.
Sie setzt sich in der Küche auf einen Stuhl, eine Träne rollt ihr über die Wange. „Nicht weinen, ich bin da", flüstere ich.
Doch es bringt nichts, Mutter weint.
Ich verstehe es nicht. „War die Person am Telefon gemein?"
„Nein, sie war nett. Es war Vaters Freund, der immer mit ihm... Pläne bespricht." „Onkel Daven?"
„Genau der. Er hat mir etwas sehr trauriges erzählt. Ich muss jetzt erst einmal mit ein paar Leuten telefonieren. Du bleibst hier in der Küche, wenn jemand klingelt, klopft oder irgendetwas ruft, bleibst du still. Du versteckst dich unter der Spüle, wie beim Verstecken spielen. Du sagst nichts, nicht mal "Piep" und bewegst dich nicht, egal was sie sagen. Du bleibst wo du bist, bis ich dir sage, du darfst rauskommen."
„Okay, gut.", wenn sie das unbedingt will, dann soll es so sein.
Mutter beugt sich vor und küsst mich auf die Stirn: „Ich liebe dich, Vinia. Ich liebe dich mehr, als alles andere." „Ich hab' dich auch lieb", lächele ich. Ich drücke ihre Hand und male dann weiter auf meinem Bild.
Mutter verlässt den Raum und ich höre sie telefonieren, verstehe aber kein Wort.
Als ich mit meinem Bild fertig bin, merke ich, dass Mutter verstummt ist. Tatsächlich kommt sie zu mir rein, ihre Augen sind verquollen.
„Liebes, ich muss dich bitten, auf die Straße zu gehen und dich unter die Leute zu mischen. Such dort nach Vaters Freund Onkel Daven, seiner Frau Sally oder Tante Rosie. Du darfst nur mit den drei mitgehen, mit niemanden anderem. Wenn du niemanden von den drei findest, geh einfach zwei Straßen weiter und warte vor dem Süßigkeitenladen.
Ich komme nach!"
Heute ist ein verrückter Tag!
„Na gut, kaufst du mir was beim Süßigkeitenladen?"
Mutter schluchzt auf und lacht leise: „Klar, aber geh jetzt und trödel nicht im Treppenhaus."
Ich nehme mein Bild und laufe aus der Wohnung, hüpfe fröhlich die Treppen hinunter und öffne die Tür. Draußen sind die vielen Leute, ich halte Ausschau nach den Freunden meines Vaters oder Tante Rosie, unserer Nachbarin, die mir immer Bonbons schenkt. Ob sie wohl heute auch welche hat?
Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und hebe mein Kinn, um größer zu sein und stakse durch die Menge. Obwohl ich jetzt wirklich groß bin, finde ich niemanden.
„Tante Rosie!", rufe ich, aber niemand ist da. Plötzlich greift jemand nach meinem Arm, als ich mich erschrocken umdrehe, steht Onkel Daven vor mir.
„Vinia, komm schnell mit", murmelt er bestimmt. Eher missmutig folge ich ihm. Tante Rosie wäre mir deutlich lieber, die ist weniger ernst. Wir drängeln uns durch bis zu einer Nebenstraße, dort nimmt Onkel Daven mich auf den Arm und trägt mich weiter.
„Warten wir nicht auf Mutter?", frage ich ihn. „Sie kommt gleich bestimmt auch, zuerst bringen wir dich weg." „Und was ist mit Vater, ist er auch da?"
Daven antwortet nicht sofort: „Er... ist beschäftigt." „Spielt er wieder mit Computern?" „Er spielte nicht mit Computern, er arbeitete an etwas."
„Ist er fertig?", ich lege meinen Kopf an Davens Schulter und drehe meine roten Locken zwischen meinen Fingern. „Warum sollte er?" „Weil du sagst, er spielte, nicht er spielt."
„Er wird nicht mehr an Computern spielen, weder aus Spaß, noch aus Arbeit. Er ist jetzt anderswaltig...beschäftigt."
„Ist er dann öfter zu Hause?", das wäre wirklich schön, in letzter Zeit ist er immer weg.
Daven will zu einer Antwort ansetzen, da donnert und knallt es. Alles erbebt und Schreie erklingen.
Daven schaut über die Schulter und rennt, mit mir immer noch auf dem Arm, los. „Was war das?", wispere ich ängstlich in sein Ohr.
„Eine Explosion, vermutlich in eurem Haus." „Woher weißt du das?" „Weil diese Explosion nicht aus Zufall geschehen ist."
11 Jahre später
Keuchend wache ich auf und fahre in meinem Bett hoch.
Seit dem Tag quälen mich diese Albträume schon.
Es ist hart, immer und immer wieder die schrecklichen Stunden zu erleben. Zwar hatte ich es damals nicht gewusst, aber es war der schlimmste Tag meines Lebens.
Nie würde ich ihn vergessen, nie verdrängen.
Daven brachte mich damals zu seinem Haus und übergab mich seiner Frau Sally.
Sie las mir etwas vor, bis er nach Hause zurückkehrte und mir die schlimme Nachricht sagte: Meine beiden Eltern würden nie wieder mit mir spielen oder singen.
Nie wieder würden sie mir gute Nacht sagen und mich zudecken.
Nie wieder würden sie sich über meine Bilder freuen.
Nie wieder würden sie mit mir reden. Sie schwiegen nun für immer.
Viel später erst erfuhr ich, was wirklich passiert war.
Das Vater einigen Rebellen aus dem Kapitol angehört hatte, die zum „Plinth- Kreis" gehörten.
Ihr Ziel war es gewesen, den Präsidenten zu stürzen und an jenem besagten Tag war eine Gruppe von Rebellen in den Palast eingebrochen, trotz der ganzen Sicherheitsregeln. Vater war ihnen gefolgt, um sie zu retten.
Dabei wurde er selbst getötet.
Onkel Daven warnte meine Mutter, schließlich stand unsere Familie lange schon unter Verdacht, die Leiche meines Vaters hatte alles besiegelt.
Mutter schickte mich auf die Straße, hatte aber nicht vor, mir zu folgen.
Sie wollte mich nicht in Gefahr bringen, denn sie hätte man leichter gefunden, als mich allein.
Ohne sie gab, beziehungsweise gibt, es keine Verbindungen mehr von mir zur Familie.
Nur so konnte und kann ich überleben.
Seit dem lebe ich bei Daven und Sally, unter einem anderem Namen, anderer Identität.
Ich lerne Schulstoff, gehe nachmittags in den Park, habe eine Freundin und einen festen Freund.
Ich kümmere mich mit um den Haushalt, pflege Onkel Daven, der seid längerer Zeit krank ist und vor allem schweige ich.
Rede nicht über die Rebellen, die Tag für Tag in unser Haus kommen.
Rede nicht über meine Vergangenheit, über die Angstanfälle die mich seit dem Tod meiner Eltern heimsuchen.
Schweige über all das, was niemand erfahren darf.
Ich trauere um meine Eltern, ich freue mich über die heimlichen Geschenke von Tante Rosie, die sich von uns fernhalten muss, ich wüte innerlich über die Ungerechtigkeit vom Kapitol gegenüber den Distrikten, ich leide mit den Tributen die in der Arena sterben, ich lache über Crests Witze, ich sorge mich darum, ob Onkel Daven wieder gesund wird und ich habe Angst.
Die Angstanfälle treffen mich plötzlich aus dem Nichts, sie lassen mich das Gute vergessen und meine Gedanken nur noch um die Angst kreisen. Sie lassen mich nach außen unzuverlässig und gebrechlich wirken. Sie nehmen mir die Freiheit, ein normales Kapitolmädchen zu sein.
Gut, diese Freiheit ging schon vor meiner Geburt bei der Entscheidung meiner Eltern für die Rebellen verloren, doch die Anfälle machen es nicht leichter.
Einzig Crest- mein Freund, Sophia- meine Freundin, Daven und Sally dringen dann zu mir durch. Kein Arzt, kein Rebell, niemand sonst.
Und deswegen bin ich immer auf der Hut, darf mir keine Fehler erlauben. Ich muss in der Menge untergehen und das ist schwer, wenn ich regelmäßig zusammenbreche und schreie.
Jetzt sitze ich auf meinem Bett und starre die Wand an. Sie ist grau und leer, bis auf die Zeichnung die ich aufgehängt habe. Neun Jahre hängt sie dort schon und wird hoffentlich noch weitere neun dort hängen bleiben. Sie ist das letzte, was ich als Erinnerung habe.
Ich kann abends nicht zur Ruhe kommen, wenn ich sie nicht sehe.
Ich stehe auf und mache das Licht an. An dem Kalender an der Tür mustere ich die Striche, die für meine letzten Angstanfälle stehen.
Fünf in den letzten zehn Tagen, mehr noch als sonst. Das liegt an den Hungerspielen, sie verbinde ich mit den Toden meiner Eltern. Denn um diese zu verhindern waren sie Rebellen und nun sind sie tot und die Hungerspiele finden noch statt. Wie auch an dem Tag, wo Mutter und Vater ihr Leben ließen.
Das erste Kapitel, ich hoffe es hat euch gefallen und keine Sorge, dass war es erstmal mit Zeitsprüngen xD
Ich freue mich über jeden Kommentar, ob Lob oder Kritik ;)
Lg DobbyistderBeste
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