Kapitel 25
Kapitel 25
Ich war zu einer blassen Salzsäule erstarrt. Saphrim rüttelte vorsichtig an meinem Arm. „Du bist was?", keuchte ich langsam. „Titanias Sohn. Der jüngere Bruder von Lorosha." Seine Augen waren bei diesem Satz irgendwie dunkler geworden. „A-aber... D-deine...", zitternd zeigte ich auf seine Engelsschwingen. Er lächelte traurig. „Es hat schon einen Grund, warum ich hier eingesperrt bin." „Aber das ist schrecklich!", stieß ich hervor. Und unterdrückte das Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen. Er zuckte die eckigen Schultern. „Wir reden von Titania. Lorosha bringt mir einmal pro Woche Seife und Essen. Früher hat er mir erzählt, was draußen so los ist, doch inzwischen hat er sich irgendwie verändert. Die Macht hat ihn verändert..." Er zuckte wieder mit den Schultern und zwinkerte. Ich musste lächeln. Wie konnte er sein Leben lang in einen Turm eingesperrt sein und jetzt auch noch Witze darüber machen? Bewunderung kam in mir auf. „Du bist süß." Sofort schnellte meine Hand vor meinen Mund. Hatte ich das gerade etwa laut gesagt? Bitte, bitte nicht... „Du auch...", sagte er mit selbstzufriedenem Grinsen. Falls es denn noch ging, wurde ich in diesem Moment noch röter als vorhin. „Ich habe das Gefühl, dich ewig zu kennen", flüsterte er nun. Er nahm meine Hand und streichelte sie langsam mit seinem Daumen. Dann sah er mich an. „Du darfst niemandem von mir erzählen..." Sein Flüstern bereitete mir eine Gänsehaut. Gut, dass wir saßen, sonst wäre ich spätestens jetzt umgefallen! Er war so unglaublich hübsch und sexy...
Wartend sah er mich an. In diesem Moment hätte ich mich selbst Ohrfeigen können. Wie konnte es nur sein, dass mir ein Junge, den ich seit einer Viertelstunde kannte, so den Kopf verdrehen konnte? Ich musste ihn angestarrt haben, wie ein dummes Schaf. Was sollte er denn jetzt von mir denken? Schnell zog ich meine Hand aus seiner. Die Zuckerwatte in meinem Kopf lichtete sich ein wenig. „Werde ich nicht..." Dennoch war ich nicht in der Lage mehr als ein Flüstern hervorzubringen. Er betrachtete mich mit seinen wunderschönen Augen noch eine Weile und sagte schließlich: „Gut." Dann stand er auf und zog mich auf die Beine. Obwohl sie aus Wackelpudding waren, hielt ich das Gleichgewicht. „Du solltest besser gehen..." Ich nickte langsam und wechselte dann zu einem heftigen Kopfschütteln. Fragend sah er mir in die Augen. „Lorosha... Ich kann da nicht wieder runter..." Seufzend lehnte ich mich an die steinerne Wand des Turmes. Saphrims Augen funkelten wütend. „Was hat er dir angetan?" Sofort musste ich innerlich grinsen. Er sorgte sich um mich... „Nichts, ich bin rechtzeitig geflohen. Deswegen bin ich ja hier..." Erleichtert stellte er sich vor mich. „Und deine Flügel. So kannst du nicht gehen..." Mit einer zarten Handbewegung strich er über meine schwarze Flügelpracht. Schonwieder Gänsehaut. Unsere Gesichter waren nur noch wenige Zentimeter von einander entfernt. Er sah mir in die Augen und räusperte sich. „Das geht wirklich nicht...", flüsterte er. Am liebsten hätte ich gefragt, warum dies nicht ginge. Dabei fielen mir mindestens tausend Gründe ein, mich nicht in ihn zu verlieben. Einer davon war, dass ich ihn seit etwa zwanzig Minuten kannte. Ein anderer vielleicht, dass er der Sohn Titanias war und damit auch der Bruder von Lorosha, der mich eben beinahe vergewaltigt hatte. Aber selbst die Tatsache, dass er mit Sicherheit vollkommen verrückt sein musste, weil er sein ganzes Leben in einem zehn Quadratmeter großem Zimmer gelebt hatte, brachte mich nicht dazu, ihn wegzustoßen und aus diesem Turm zu rennen.
Er beugte sich zu mir herunter. Mein Atem setzte aus. Alle Gründe des „Neins" waren plötzlich aus meinem Kopf verbannt. Es gab nur ihn und mich. Keine dunkle Königin, die ihren eigenen Sohn in einen Trum eingesperrt hatte, weil er nicht aussah, wie die Masse. Und keine Fragen, die sich in mir festgesetzt hatten, seit ich diese Welt betreten hatte. Seine Lippen nährten sich den Meinen, doch bevor sie sich berühren konnten, hatte er mich in die Mitte des Raumes gestellt. Irgendwie erleichtert aber auch enttäuscht kratzte ich mich am Arm. Eine Angewohnheit, die mich seit klein auf verfolgte und sich nicht unterdrücken ließ. Es war gut, dass nicht mehr passiert war. Ich hatte nun wirklich keine Zeit, mich zu verlieben. Ich musste die Welt retten!
Gedankenverloren strich er erneut über meine Flügel. Sie schimmerten wieder. Mit einem Lächeln verwandelte ich sie zurück in den mickrigen Flügelschein, der mich als Sklavin auszeichnete. „Deine Eigenen gefielen mir besser", sagte Saphrim wieder mit diesem unverschämten Grinsen. Auch er wirkte verlegen. Wie er sich jetzt durch die dunklen Haare fuhr. „Mir auch...", flüsterte ich. Er räusperte sich. „Teleportation?", fragte er dann schnell. Ich nickte und sammelte meine Kräfte. Dann wünschte ich mir, bei Simba zu sein. Als ich meine Augen öffnete, stand ich neben ihm im Flur des großen Schlosses. „Du sollst nicht zaubern!", schimpfte er. Und führte mich durch das Labyrinth und schließlich zu ihm nach Hause. Er hatte seine Rolle als großer Bruder inzwischen mächtig perfektioniert. Würde ich ihm das mit Saphrim oder gar das mit Lorosha erzählen, er würde mir verbieten jemals wieder dieses Schloss zu betreten. Er hatte mir außerdem angeboten, für immer bei ihm zu leben. In dem spitzen, kalten Sklavenstein. Nicht, dass ich eitel und verwöhnt wäre und dort nicht leben wollte, weil es zu klein, dreckig oder leblos war. Ich konnte nicht. Ich wollte nicht für immer ein Besitz von Titania sein, nur weil mich die Tatsache, jemanden umzubringen, nicht begeisterte. Dennoch verstand er es, eben ganz der große Bruder.
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