Kapitel 10
Kapitel 10
Im Stamm der dunklen Eiche war eine kleine Tür eingelassen. Draußen vor dem Baum lagen einige Stoffe zur Schau aus. Eine junge Fee betrachtete gerade einen sonnenblumengelben Stoff mit schwungvollen Mustern. „Der würde wunderbar zu dir passen!" Felicity holte einen Notizblock raus und notierte sich einen Namen und eine Nummer. „Ich bin mir da noch unsicher. Ich werde gleich mal die fertigen Kollektionen anschauen." Sie lächelte Felicity zu und knickste vor mir. „Tochter des Mondes." Sie richtete sich auf und schwebte zum Eingang des Ladens. Als sie durch die Tür verschwunden war, fragte ich Felicity stirnrunzelnd: „Tochter des Mondes?" Sie nickte. „Du wirst hier viele Namen bekommen. Mit deinem wirklichen Namen Mona wird dich hier kaum einer ansprechen. Nur gute Freunde." Sie erhob sich und flog zur Tür. „Und jetzt komm, Mona." Schmunzelnd trat ich in das Innere des Baumstammes ein. Was ich sah war unglaublich: Der gesamte Baumstamm war wie ein riesiges Einkaufszentrum aufgebaut. Es gab tausende Etagen, mit tausenden Kleidungsstücken und tausenden Feen die vom einen Raum zum Anderen flogen. Vor unseren Augen war ein kleiner Springbrunnen, in dem einige Münzen lagen. „Feentaler. So heißen die Münzen. Feen werfen sie hinein um Glück zu bekommen."
Felicity flog lächelnd in den zweiten Stock. Es gab hier keine Rolltreppen oder einen Fahrstuhl, ebenso wenig gab es ein Geländer, das die Feen der oberen Etagen vom Fallen hinderte. Hier mussten nun mal alle fliegen. Wir betraten einen Raum, der wie ein kleines Geschäft aufgebaut war. Alles wirkte harmonisch. Von der Decke hing ein gigantischer Kronleuchter auf dem etliche weiße Kerzen brannten. An mehreren Kleiderstangen hingen Kleidungsstücke in verschiedenen Farben. Ich entdeckte auch eine Art Kasse. An dieser saß eine pummelige Fee, die schon älter wirkte als Felicity oder sogar Silvana. Hinter ihrer runden Brille, die sie auf der Nasenspitze trug, befanden sich müde blaue Augen. Sie schrieb gerade etwas auf einen Zettel. Im Laden sahen sich einige Feen um. Einen Feenmann entdeckte ich nicht. „Pearl! Gut, dass ich dich treffe, wir müssen einiges vorbereiten! Ist die Lieferung mit den neuen Stoffen schon eingetroffen?" Die Kassiererin schwebte zu Felicity rüber. „Ja. Ich weiß wir können alles bei einem kleinen Snack im Ca-Fee besprechen. Die Lieferung kam eben rein. Ich habe die Auszubildenden damit ins Lager geschickt. Sie werden schon alles richtig einsortieren." Sie wendete sich mir zu „Salvador." Auch sie verneigte sich vor mir. Ich nickte ihr zu. „Mona, das ist Pearl. Sie arbeitet für mich in meinem Laden. Außerdem ist sie die zweite Ansprechpartnerin nach mir. Sie hat spanische Wurzeln, spricht aber meistens Deutsch." Mit einem Lächeln begrüßte ich sie. „Hallo, nenn mich doch einfach Mona." „Es ist mir eine Ehre, doch dies würde dir nicht gerecht werden, Tochter des Mondes." Der spanische Akzent in ihrer Stimme machte sie noch sympathischer. Eine Fee räusperte sich auffällig. An der Kasse hatte sich eine Schlange gebildet. „Ich werde mich nun wieder der Arbeit zuwenden. Wenn ich euch helfen kann, sagt mir Bescheid." Felicity nickte und wir verließen den Laden wieder. „Wir fliegen jetzt in einen Laden, der maßgeschneiderte Kleidungsstücke anfertigt. Dort wirst du mir helfen können."
Der Laden war geräumig und mit viel dunklem Holz versehen. Ein dunkelblauer Vorhang hinderte die Kunden daran, in den anschließenden Raum zu gelangen. Im Vorraum standen nur ein paar Kleiderpuppen, die wunderschöne Kleidung trugen. Es gab sehr viele Spiegel, die am Rand mit detailliert geschnitzten Mustern verziert waren. Vor diesen Spiegeln standen Podeste, damit sich der Kunde besser im Spiegel betrachten, und die Kleidung besser gekürzt werden konnte. Ein paar Sessel entdeckte ich auch. An jedem Sessel stand ein kleiner Tisch auf dem ein Block mit einem Stift lag. Felicity schwebte hinter den blauen Vorhang, ich folgte ihr. Im hinteren Raum lagen die außergewöhnlichsten Stoffe, die ich je gesehen hatte. Von dreidimensionalem Galaxienstoff zu harten Drachenschuppen und Blütenblättern. Die Decke des Raumes war sehr hoch. Sonst hätten die großen Regale mit den beschrifteten Kisten, gar keinen Platzt gefunden. Die Wände hingen voll, mit quadratischen Stoffausschnitten. „Das sind alle Stoffe, die wir im Moment haben. Die Neusten können vorne an der Kasse erfragt werden." Sie fuhr mit der Hand entlang der buntbeklebten Wand, während sie immer höher flog und in den Regalen etwas suchte. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis sie endlich: „Aha, da habe ich sie hingestellt!", rief. Mit einer riesigen Kiste in den Armen fiel sie eher zu Boden als, dass sie flog. Sie stellte die Kiste auf einen hölzernen Tisch, der in der Mitte des Lagers stand.
„Weil du ja sagtest, dass du keinerlei Kleidung besitzt, werden wir einige Stücke für dich schneidern." Sie wühlte in der Kiste herum, bis sie einige Rollen mit wunderschönen Stoffen gefunden hatte. Bepackt schwebte sie zurück in den Vorraum des Ladens. Mit einer Handbewegung befahl sie dem Ladenschild an der gläsernen Tür, sich umzudrehen, sodass der Laden für Außenstehende geschlossen war. Außerdem drehte sie mit einem Nicken den Schlüssel im Schloss um, damit wir nun wirklich nicht gestört wurden. „Zuerst werde ich Maß nehmen. Danach suchen wir die Art deiner Kleidung raus und ihren Stil. Wenn wir dann das grobe Gerüst haben, kannst du dir einige Stoffe auswählen. Dann werde ich dir zeigen, wie man von der Zeichnung, zum Kleid kommt." „Können wir das nicht einfach zaubern, statt zu nähen?" Fragte ich sie. „Wenn wir deine Kleidung zaubern, verliert sie an Qualität und Extravaganz." Sie zeigte mit dem Finger auf eines der Podeste vor dem riesigen Spiegel. „Wie in einer Zirkusshow. Wenn der Dompteur mit dem Finger auf das Podest zeigt und der Löwe hinaufspringt." Dachte ich, als ich mich auf die Erhöhung stellte. Felicity rollte ein Maßband aus und hielt es neben mir von meinem Kopf bis zu den Füßen. Ich versuchte, mich so still wie möglich zu halten, während sie die Länge und Breite meiner Flügel und Bauch- und Brustumfang maß. All die Zahlen schrieb sie auf und wir setzten uns in zwei der Sessel. Sie holte ein mit Tinte beschriebenes Buch aus ihrer Tasche hervor und blätterte darin rum.
„Ich würde sagen, wir fangen mit einem Kleid an, das du in Silvanas Gegenwart tragen kannst. Es sollte kurz sein, aber nicht zu kurz. Etwas kürzer, als bis zu deinen Knien. Der Ausschnitt sollte V-förmig sein. Es darf nicht zu auffällig werden, so als würdest du Silvana die Show stehlen, aber es darf auch nicht langweilig und eintönig sein. Du brauchst etwas besonderes, das deinen Charakter wiederspiegelt. Am besten mit Verzierungen deiner Wahl. Ich werde gleich einige Kisten mit Dekorativem Schmuck, den wir festnähen können, suchen. Um Schuhe können wir uns später kümmern. Ach, und was wir nicht vergessen dürfen ist, dass wir mindestens ein Kleid machen, dass deine Halskette und das exzellente Armband betont." Ich seufzte. „Ich dachte, ich würde dir eine Farbe sagen und du würdest ein einfaches Kleid nähen. Ich hätte nie gedacht, dass man dabei auf viel mehr achten muss!" Sie lächelte: „Glaube mir, wenn du erstmal die Stoffauswahl getroffen hast und die Ideen immer mehr Gestalt annehmen, wird es dir einen Mords Spaß machen, Kleidungsstücke zu fertigen. Warte einfach hier, ich suche nur schnell ein paar Dinge zusammen und dann können wir loslegen!" Felicity verschwand hinter dem Vorhang.
Sie zauberte den Tisch aus dem Lagerraum in den Vorraum des Ladens. Gefolgt von unzähligen Kisten, einer Nähmaschine und Beispielbildern. Die Reihe von Gegenständen schwebte vom Lagerraum bis zu mir und ließ sich dort nieder. Die zwei Sessel erhoben sich und glitten an den Tisch. Mit einer Kiste auf dem Arm stolperte auch Felicity wieder herein und die Arbeit begann. Als Erstes schütteten wir alle Kisten aus, sodass sich bunte Stoffe mit Glitzersteinchen und Spitze vermischten. Dann sortierte ich die optionalen Dinge und die Stoffe, während Felicity ein dickes Buch mit weiteren Stoffproben hervorholte und mir immer wieder Einige zeigte. Ich suchte mir zwölf Stoffe aus und während Felicity einige Kleidungsstücke für mich nähte, dachte ich mir Verzierungen für sie aus. Das eine sollte schwarz werden, wie meine Flügel. Aber durch dunkelblaue Pailletten vom Ausschnitt bis zur Taille, würde es nicht langweilig wirken. Das Nächste sollte aus einem zarten champagnerton gefertigt und am Rock mit viel elfenbeinfarbenem Tüll gepolstert werden. Ein etwas Längeres bekam eine Öl-grüne Farbe und einen mit Rüschen verzierten Rock. Die restlichen Stoffe wurden für T-Shirts, Hosen und Röcke verwendet. Einen weinroten wild-leder Rock mit antiken Knöpfen die in der vorderen Mitte abwärts verliefen, nähte ich selbst. Es war gar nicht so schwer und ich war mit dem Ergebnis mehr als zu Frieden.
Auch Felicity lobte mich für meine Arbeit: „Das hast du hervorragend gemacht, Mona! Ich denke, dass dies fürs Erste reichen wird. Gehe nun in deine Blüte und ruhe dich etwas aus. Ich werde mich gleich noch mit Pearl treffen. Aber zum gemeinsamen Abendessen mit Silvana, werde ich wieder zurück sein. Wenn etwas ist, denke fest an mich und versuche, in deinen Gedanken Kontakt mit mir aufzunehmen. Ach, und ich würde dir empfehlen, die Bücherei aufzusuchen. Schaue dich einfach im Wald etwas um. Jeder Baum hier ist beschriftet. Du müsstest sie also schnell finden. Suche dir einfach etwas über die Geschichte und Entwicklung der Feen raus." Sie umarmte mich. „Das hätte ich fast vergessen!" Sie verschwand wieder im Lager und kam kurz darauf mit einer kleinen Umhängetasche zurück. Sie sah aus, wie ein rundgeformtes Blatt und war mit einem Eichelhut verschlossen. „Es passt so viel hinein, wie du wünschst, dass hinein passt." Sie zwinkerte mir zu und packte all die Kleidung, die wir eben gemacht hatten, in die kleine Tasche. Sie schienen darin zu verschwinden. Als ich mir dachte: Ich möchte gerne das saphirblaue T-Shirt mit dem viereckigen Mustern darauf herausholen. Zog ich genau dieses T-Shirt heraus. „Aber denke daran, du kannst nur Dinge heraus holen, die du zuvor hineingetan hast." Sie deutete mir den Weg zur Tür und wir flogen in entgegengesetzte Richtungen. Sie zu dem Ca-Fee (Ja, es hieß wirklich Ca-Fee) und ich zu meiner Blüte. Dort fiel ich erstmal wieder in einen traumlosen Schlaf.
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