Die Cheribakef-Gräber von Gizeh

Die Cheribakef-Gräber von Gizeh

Kairo war … groß … und lärmig … und gerade zu ein Paradies für die Zwillinge, die es geschafft hatten, während unserer kurzen Stadttour mit Bill und Charlie ganze fünf Mal verloren zu gehen. Ganz zu Percys größtem Bedauern fanden sie allerdings jedes Mal wieder den Weg zur Gruppe zurück.

Die ersten Tage verbrachten wir beinahe nur im Hotel, allein schon um uns an das Klima zu gewöhnen. Es war so dermaßen un-britisch, dass das tatsächlich leichter gesagt als getan war. Glücklicherweise befand sich in einem der unteren Stockwerke ein großer, blau gekachelter Pool, in dem wir die meiste Zeit verbrachten, wenn wir uns nicht gerade auf dem Dach des Gebäudes einen Sonnenbrand holten. Mrs Weasley hatte die besten Cremes und Pasten in der Apotheke eingekauft, aber keine davon hielt die bleiche Haut der Weasleys oder meine blasse Viertel-Ufermenschenhaut davon ab, schon nach kürzester Zeit ungesund rot zu werden.

Auch stellte sich Ouassim Said als äußerst lustiger Gastgeber heraus. Wenn der Essenssaal außerhalb der Essenszeiten beinahe völlig leer war, saßen wir gerne bei ihm unten, tranken Tee und er erklärte uns ägyptische Brettspiele, brachte uns einige Brocken Arabisch bei und zeigte uns Zauber, die er während seiner Schulzeit gelernt hatte. Außerdem kannte er mehr Abenteuergeschichten als die Zwillinge und scheute nicht davor, sie uns bis spät in die Nacht hinein zu erzählen. Meist handelten sie von seiner Schulzeit oder aus der Zeit, in der seine Tochter in der Schule war, aber er kannte auch noch viel ältere Geschichten von seinen Ur-Ur-Ur-Großvätern, die irgendwann einmal irgendwo irgendeine versteckte und verfluchte Grabkammer geöffnet hatten.

Die beste Geschichte gab er allerdings zum besten, nachdem dem George unschuldig gefragt hatte, warum der Ägypter ein so perfektes Englisch sprach. Es folgten beinahe vier Stunden, die wir neben einem der Kamine im Esszimmer verbrachten und er erzählte. Von seiner Zeit nach der Schule, in der er sich auf dem Schwarzmarkt illegales Flohpulver für den Grenzübertritt besorgt hatte und dann mit etwa zehn Nebu in den Taschen durch halb Europa gewandert war, nicht ohne auszulassen, wie er von drei verschiedenen Zaubererregierungen verhaftet und mindestens zweidutzend verschiedene internationale Gesetze gebrochen hatten. Nur um in England seine spätere Ehefrau zu treffen. Eine Muggelfrau namens Cynthia Bringston, die in einem kleinen ordentlichen Vorort Londons wohnte und deren Eltern ihn wohl nie kennengelernt hatten. Nur, damit ihnen der Schock erspart blieb, dass ihre neunzehnjährige Tochter mit einem obdachlosen ägyptischen Zauberer durchgebrannt war.

Zusammen hatten sie eine Weile lang ihre Reise fortgesetzt, durch Paris, Madrid, Berlin und was ihnen eben noch so in den Sinn kam, bis Cynthia schwanger war und die beiden nach Ägypten zurückkehrten, wo Ouassim das Hotel seines Vaters übernahm und die beiden seine Tochter Ranin großzogen, ehe Cynthia an einer Muggelkrankheit erkrankte und sich weigerte, magisch geheilt zu werden.

Als er am Ende der Geschichte angelangt war, hatte totales Schweigen geherrscht. Der Tisch war überseht von benutzten Tassen und mindestens drei leere Teekannen standen auf dem Tresen. Niemand, nicht einmal Percy, hatte es gewagt, die Erzählung zu unterbrechen, auch wenn der genannte ein etwas pikiertes Gesicht gemacht hatte, als der Hotelbesitzer von den gebrochenen Gesetzen erzählt hatte.

Mitte unserer ersten Woche in Ägypten kündigten Mr und Mrs Weasley unten beim Frühstück das erste große 'Event' an. Wir kamen alle gewohnt müde an den längsten Tisch im Raum, wo bereits Frühstück auf uns wartete. Es gab Joghurt in rauen Mengen, außerdem Obst und Schalenfrüchte und natürliche jede Menge Tee, was es zu einer gehörigen Umstellung machte, aber ich kam deutlich besser damit klar, als die anderen Weasley, was vielleicht daran lag, dass ich bereits während meiner letzten Sommerferien bei den Ufermenschen eine ziemliche Nahrungsumstellung mitgemacht hatte … verdammt, es fühlte sich wirklich so an, als lägen diese Zeiten Jahrhunderte zurück, dabei war es gerademal ein Jahr gewesen.

Mühsam vertrieb ich die Gedanken in die hinterste Ecke meines Kopfes und konzentrierte mich auf Mrs Weasley, die sich gerade erhoben hatte. „Also … alle da? Gut so … Da wir die letzten Tage ja nur hier herumgedümpelt haben, dachten wir uns, dass es Zeit für einen kleinen Ausflug wird.“ Sie räusperte sich und warf ihrem ältesten Sohn einen kurzen Blick zu. „Bill hat vorgeschlagen, dass wir die allgemeine Urlaubszeit nutzen und er uns einige Grabkammern zeigt, solange dort niemand anderes arbeiten muss.“

Ich wechselte einen begeisterten Blick mit den Zwillingen, die sofort wie auf glühenden Kohlen saßen, ihren Bruder ausfragten und ihr Essen keines Blickes mehr würdigten.

„Gibt es noch … irgendwelche Schätze in den Kammern?“, fragte Fred begeistert und lehnte sich quer über den Tisch zu Bill, dabei völlig ignorierend, dass er seinen Ärmel dabei durch zwei Joghurtschüsseln und eine Obstschale zog.

„Und Leichen oder Skelette … ODER MUMIEN?“, legte George nach.

Bill grinste und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Ja, ja, ja, jein. Ich werd euch ganz bestimmt keine Grabkammern mit Zauberermumien zeigen, die sind bei Merlin wirklich zu gefährlich, aber hier und da liegen bestimmt noch die ein oder andere nicht-magische Leiche herum. Ob nun nur noch als Knochengerippe oder hübsch in Leinen eingewickelt weiß ich grad nicht, aber das werdet ihr ja dann sehen.“ Er zwinkerte den Zwillingen zu, die bereits begeistert am Pläne schmieden waren, ehe er ein etwas ernsteres Gesicht machte. „Aber ich muss euch um etwas bitten und das meine ich echt toternst. Fasst – nichts – an! Es ist nicht ohne Grund so, dass die Muggel denken, sie müssten irgendwelche Götterstrafen fürchten, wenn sie die Gräber entweihen. Die alten Ägypter waren äußerst … einfallsreich, was die Verteidigung ihrer Grabstätten anging. All die Hohepriester und Architekten waren ziemlich gerissen und haben mehr als einmal ihre eigenen kleinen Kreationen selbst nicht überlebt.“

Schaudernd wechselte ich einen Blick mit Ginny, die mir gegenüber saß und selbst die Zwillinge schienen die Worte ihres Bruders zur Abwechslung einmal wirklich ernst zu nehmen.

Als wir dann eine knappe Stunde später durch einen kleinen Hinterausgang auf eine ruhigere Nebenstraße hinaustraten, war die anfängliche Beunruhigung wieder allgemeiner Begeisterung gewichen.

Mit uns kam ein kleiner Zauberer vom Tagespropheten, der kurz zuvor aus dem Kamin gekugelt war und eindeutig falsch für eine Reise nach Ägypten gekleidet war. Erst recht, weil er eine riesige Kamera mit sich schleppen musste.

„Wie kommen wir zu den Pyramiden, Bill?“, fragte Ginny neugierig, während sie sich die roten Haaren mit einem Tuch nach hinten band.

„Wirst du schon sehen“, erwiderte ihr Bruder nur geheimnisvoll. „Aber ich wette, es wird dir gefallen!“

„Komm schon“, bettelte sie weiter. „Nur ein klitzekleiner Tipp für deine Lieblingsschwester!“

Er lachte, ließ aber nicht klein kriegen. „Komm schon Pirat, hör auf zu meckern und warte es einfach ab!“

Tatsächlich sah Ginny mit ihrem Kopftuch, den wilden, feurig roten Haaren und der lockeren Kleidung ein klein wenig wie eine Piratin aus den Muggelgeschichten aus und wir zogen sie damit auf, bis wir an einem kleinen, eingefallen Lagerhaus ankamen.

Percy betrachtete es skeptisch. „Muggelabwehr oder irgendwelche andere Tarnung vermute ich?“

„Nope!“ Charlie lehnte sich grinsend über die Schulter seines kleinen Bruders. „Dieses Gebäude sieht von innen exakt so aus, wie es von außen aussieht. Alt, kaputt und dreckig. Also passt lieber auf wo ihr hintretet!“ Glucksend übernahm er die Führung der Gruppe, während Bill sich ans Ende zurückfallen ließ.

Und er hatte nicht gelogen. Das Lagerhaus wurde wohl schon seit einiger Zeit nicht mehr genutzt. Ein Teil der Decke wirkte ziemlich undicht und eine Treppe, die eigentlich ins obere Stockwerk hinaufführte, war zur Hälfte nur noch Bauschutt.

„Seid ihr sicher, dass man dieses Gebäude noch gefahrlos betreten kann?“, fragte Percy leicht schnippisch, die Augen hinter seiner Hornbrille unverwandt auf die kaputte Treppe gerichtet.

„Keine Sorge, wir wollen nicht nach oben, Perc', wir gehen runter!“, erklärte Charlie und klopfte ihm lachend auf die Schulter. „Und wir sind sicher nicht das erste mal hier. Noch ist hier niemandem was auf den Kopf gefallen … obwohl es natürlich immer ein erstes Mal geben muss ...“

Mit diesen Worten und einem weiteren glucksenden Lachen führte er uns eine weitaus vertrauenserweckendere Steintreppe hinab, bis wir in völliger Dunkelheit in einem Gang standen, der, wenn man sich auf das Echo verließ, wahrscheinlich verdammt lang war.

„Lumos!“ Die Spitze von Charlies Zauberstab erhellte den Gang und zeigte, dass er perfekt rund und um einiges moderner als das Lagerhaus über ihm war. Bill hingegen war zur Wand neben der Treppe getreten und klopfte mit den Knöcheln auf den Stein, bis es auf einmal ungewöhnlich hohl klang.

„Endlich ...“ Er klopfte dreimal kräftig auf die Stelle und sagte dann mit lauter Stimme: „Bladvak!“ Ein leises Klicken ertönte und eine große Luke klappte aus der Wand.

„Was war das denn?“, fragte Fred neugierig und trat näher zu Bill, der nun etwas langes, elastisches aus dem Innenraum hievte.

„Koboldogack für 'Spitzhacke'“, erklärte er nebenbei und rollte das Ding aus.

„Seit wann kannst du – IST DAS EIN FLIEGENDER TEPPICH?“ George war augenblicklich Feuer und Flamme und Bill lächelte zufrieden.

„Da ich oft genug mit den launischen Viechern zutun habe, kann ich den ein oder anderen Fetzen Koboldogack – vor allem die Schimpfwörter für Zauberer und Rothaarige – und da es die einzige Sprache ist, die wahrscheinlich alle Gringotts-Mitarbeiter irgendwie können, wählen wir die Passwörter immer in ihr aus ...“ Sein Grinsen wurde breiter. „Und ja: DAS IST EIN FLIEGENDER TEPPICH!“

Im spärlichen Licht hier unten konnte ich zwar nicht sonderlich viel erkennen, aber besonders sah der Teppich am Boden nicht gerade aus. Es war ein dunkelroter Perserteppich, von dessen aufwändigen Mustern man allerdings nur noch Bruchteile erkennen konnte, weil er sehr alt, sehr zerschlissen und sehr dreckig war. Er war riesig, so riesig, dass die gesamte Weasley-Familie wahrscheinlich auch zweimal darauf Platz gefunden hätte.

„Alle an Bord!“, rief Charlie nun vergnügt und ließ sich ganz vorne im Schneidersitz auf den Teppich sinken.

„Warum fliegt Bill den Teppich nicht, Liebling?“, fragte Mrs Weasley verwirrt. „Hat er nicht etwas mehr Erfahrung damit?“

Bill klopfte seiner Mutter beruhigend auf die Schulter und zwinkerte seinem Bruder zu. „Keine Sorge, ich bin das verdammte Ding vielleicht öfter geflogen als Charlie, aber er brauchte nur drei Anläufe um dreimal besser zu fliegen als ich. Es gibt nun mal Leute, die mit den Füßen auf den Boden gehören und Leute, die in die Luft gehören, sei es nun auf einem Teppich oder auf einem Besen.“

„Du warst im Quidditchteam während deiner Hogwartszeit, oder?“, fragte ich neugierig, während ich mich hinter Charlie auf den Teppich setzte.

Er nickte grinsend und machte ein Gesicht, als wäre er in Gedanken wieder auf dem Quidditchfeld in Hogwarts. „Jep, Sucher und später Mannschaftskapitän. War 'ne verdammt lustige Zeit.“

„Und er war verdammt gut!“, wandte George ein und ließ sich neben mich sinken. „England wollte ihn haben, aber er ist lieber nach Rumänien gegangen.“

„Echt? Die Nationalmannschaft?“

Selbst im spärlichen Licht von seinem Zauberstab sah ich, wie Charlie rot anlief. „Nun ja, sie haben angeboten, aber ich hab mir so viel Mühe mit meinen UTZ's gegeben, da wollte ich erstmal schauen, was ich noch so machen kann.“ Er drehte sich um und überprüfte ob alle sicher auf dem Teppich platzgenommen hatten. „Und ich bereue es keine Sekunde, dass ich das Angebot ausgeschlagen habe, die Drachen sind spitze … Alle bereit? Gut ...“

Er beugte sich vor und umfasste die Teppichkante. Fachmännische rollte er sie ein Stück ein, wobei er seinen Zauberstab mit einrollte, dann umfasste er sie mit beiden Händen und murmelte etwas.

Ein unheimliches Zittern durchlief den Teppich, dann erhob er sich und es war das mit Abstand seltsamste Gefühl, was ich je erlebt hatte. Zwar gab der Teppich unter unserem Gewicht nicht sonderlich nach, trotzdem bot er auch nicht gerade das Gefühl von absoluter Sicherheit. Dafür fühlte er sich zu weich an. In regelmäßigen Abständen liefen kleine Ruckler wie Wellen durch den Stoff und jedes Mal aufs Neue erschrak ich dabei. Nein, Besen waren auf jeden Fall einem Teppich vorzuziehen, entschied ich im Stillen.

„Alle noch auf dem Teppich?“, fragte Charlie grinsend in die Runde. Zumindest er hatte eindeutig seinen Spaß. „Super, dann man Vollgas.“ Damit schloss er seine Hände fester um den Teppich und er schoss ohne weitere Vorwarnungen vorwärts.

Es war ein verdammt mulmiges Gefühl im Dunklen durch einen Gang zu schießen. Charlie schien jede Kurve zu kennen, aber für den Rest der Mitfliegenden war es sehr gut mit einer Achterbahnfahrt bei völliger Dunkelheit zu vergleichen. Wobei unserer Teppich leider keinerlei Sicherheitbügel hatte und man laufend das Gefühl hatte, gleich vom Teppich zu fallen.

Nach den ersten Sekunden hatte sich meine Finger in Georges Umhang gekrallt und er hatte lachend einen Arm um mich gelegt. Mein persönlicher Sicherheitsbügel quasi, auch wenn immer noch die Gefahr bestand, dass wir gemeinsam vom Teppich fallen könnten.

„Gibt es viele solche Tunnel in Ägypten?“, rief George fröhlich gegen den Flugwind an, während ich noch immer damit beschäftigt war, mein wild pochendes Herz zu beruhigen.

„In und um Kairo herum gibt’s sie öfter und in andere große Städte gibt es richtig breite Schnellbahnen noch weiter unten in der Erde“, erklärte Bill von hinten mit ebenso beiläufig munterem Tonfall. „In Ägypten sind fliegende Teppiche zwar erlaubt, aber langsam halten auch hier die Muggelschutz-Richtlinien Einzug und es ist für alle Beteiligten sicherer, auf die unterirdischen Hochgeschwindigkeit-Tunnel zuzugreifen.“

Charlie lachte. „Außerdem macht es doch im Dunkeln noch sehr viel mehr Spaß!“

Das war meiner Meinung nach Ansichtssache. „Woher weißt du, wann Abzweigungen kommen?“, fragte ich, sobald ich meiner Stimme wieder ausreichend Vertrauen schenkte.

„Das weiß ich nicht, aber dafür sind die Gänge mit einem besonderen Zauber versehen. Sobald es aktiviert ist, erhält meinen Zauberstab über dieses magische Netz alle nötigen Informationen zur Kursanpassung. Ziemlich praktisch das alles.“

Diese Information war zumindest etwas beruhigend. Seufzend lehnte ich mich gegen George und versuchte unsere kurze Reise bestmöglich zu genießen. Und lang dauerte sie wirklich nicht. Bereits etwa zehn Minuten später wurden wir langsamer und Charlie ließ den Teppich sanft auf dem Tunnelboden aufkommen.

Auch wenn die Reise nur noch halb so schlimm gewesen war, nachdem ich gelernt hatte dem Stück Stoff unter mir zu vertrauen, war ich am Ende doch heilfroh, wieder den festen und unnachgiebigen Steinboden des Tunnels unter meinen Füßen zu haben. Mr und Mrs Weasley, Ginny, Percy und vor allem dem Photographen vom Tagespropheten schien es da ähnlich zu gehen. Während Charlie noch den Teppich zusammenrollte und ihn in ein weiteres Geheimfach verfrachtete, zeigte uns Bill bereits den Weg an die Oberfläche zurück.

Es ging eine sehr sandige Steintreppe hinauf, bis zu einer Luke in der Decke. Bill öffnete entriegelte sie mit seinem Zauberstab, hielt aber mit der Hand am Holz kurz inne und drehte sich nocheinmal kurz zu uns herum. „Ähm … vielleicht als kleine Vorwarnung. Jetzt wird’s hell!“

Und es wurde hell. Gerade rechtzeitig kniff ich die Augen zu, doch selbst das rötliche Licht, dass es durch meine Lider schaffte, brannte bereits in meinen Augen, die sich gerade an die Dunkelheit im Gang gewöhnt hatten.

Wir standen in einer Art steinernem Unterstand direkt vor den Pyramiden von Gizeh und es war ein atemberaubender Anblick, sobald die Augen ihn zuließen. Groß und einschüchternd ragten sie aus dem Sand auf. Die riesigen Steinmonumente, neben denen man sich plötzlich unheimlich klein und unbedeutend fühlte. Selbst den Zwillingen klappte der Kiefer herunter.

„Wollen sie die Fotos gleich hier vor den Pyramiden machen? Drinnen könnte das Licht etwas ungünstig sein“, wandte sich an Bill den Photographen, der ebenso beeindruckt wie alle anderen die Pyramiden anstarrte und sich nur schwer von deren Anblick lösen konnte.

„Was … ach ja … die Photos“, stammelte er und fingerte an seiner Kamera herum. „Äh … genau … vielleicht … wenn es geht … könnten wir ein Stück zurück gehen, damit wir die Pyramiden auch drauf haben … ich meine … sie machen doch ordentlich Eindruck ...“ Er schien sogar beinahe seinen Schwitzen vergessen zu haben.

Seinem Vorschlag folgend traten wir ein ganzes Stück von den Pyramiden weg, sodass man sie gut im Hintergrund erkennen konnte. Er stellte sich noch ein Stück von uns entfernt auf und warf einen fachmännischen Blick durch seine Kamera. „Ja … ähm … vielleicht könnten Sie drei irgendwie nach vorne kommen und der Rest stellt sich dahinter auf … ja genau so … Sie vielleicht noch ein Stück nach rechts, Miss … nein, also von mir aus rechts, von Ihnen aus ist es links … ja, genauso!“ Er gab die Anweisungen und wir versuchten und bestmöglich vor den Pyramiden zu drapieren. Am Ende stand ich neben George und hinter Ron, dessen Ratte einen neugierigen Blick zu mir nach hinten warf und über die Schulter ihres Besitzer auf mich zu tippelte.

„Hey, Krätze!“ Ron umfasste sie und warf mir einen entschuldigenden Blick zu, ehe er sie in beide Hände nahm und mit dem Gesicht in Richtung Kamera hielt.

„Ein Lächeln für die Leser des Tagespropheten!“, rief der Photograph und alle winkten einmal in die Kamera, ehe wir uns wieder den Pyramiden zuwandten.

Erst jetzt fielen mir auch die Muggel auf, die hier und da in kleinen Grüppchen und deutlich zu erkennender Touristenkleidung um die Pyramiden herumliefen.

„Wolang jetzt?“, fragte Ginny ihren älteren Bruder neugierig.

„Noch ein streng geheimer Geheimgang?“, fragte Fred aufgeregt.

Bill nickte und führte uns wieder zu den Pyramiden hin. „Klar, wir wollen uns doch nicht mit den Muggeln um die besten Gänge in den Pyramiden streiten, oder?“ Er lachte. „Früher sind wir hier öfters mit alten Ägyptern aus der Stadt aneinander geraten, die ihre Touristen hier lang geführt haben, aber mittlerweile wurden gewissen Muggelabwehr-Maßnahmen getroffen, damit wir uns aus dem Weg gehen können.“

„Ist das nicht ein wenig unfair für die Muggel?“, wandte Ginny mit gerunzelter Stirn ein.

Bill zuckte mit den Schultern. „Ansichtssache, aber in meinen Augen ist es besser so. Die geheimen Grabkammern sollten lieber nicht von Muggeln entdeckt werden. Sie wären nicht die ersten, die als verfluchte Leiche weit unter der Erde enden würden.“

„Aber für uns ist es sicher?“, fragte Mrs Weasley unsicher nach.

„Sobald man die entscheidenden Flüche gebrochen hat und nichts anfässt, von dem man nicht weiß, dass es absolut ungefährlich ist, passiert einem hier nichts, Mum!“, erklärte er mit einem breiten Lächeln, das,wie ich in den letzten Tagen gelernt hatte, schon seit jeher sein 'Mum-beruhig-dich-ich-hab-alles-unter-Kontrolle-Grinsen' war. Damit bekam er sie wohl schon seit Jahrzehnten immer wieder rum.

„Na gut, Bill Liebling, aber wenn es zu gruselig wird, warnst du uns vor, ja? Ich glaube nicht, dass ich sowas auf meine alten Tage nochmal sehen will und auch Ginny ist ja noch ein wenig jung ...“

„Mum!“, fing Ginny sofort zu protestieren an, doch auf Mrs Weasleys Gesicht lag ein weiterer Gesichtsausdruck, den ich in den letzten Tagen zu Genüge kennengelernt hatte. Der 'Keine-Widerrede-Gesichtsausdruck' hatte bis jetzt leider immer etwas endgültiges gehabt.

„Also … ein super geheimer Geheimgang, ja?“, versuchte George das Gespräch auf das eigentliche Thema zurück zubringen.

Bill verdrehte die Augen und führte uns zielsicher direkt an der größten Pyramide entlang, bis er bei einem der riesigen Steinklötze innehielt. Neugierig schaute ich mich nach möglichen Geheimtüren oder versteckten Mechanismen um, doch ich konnte nichts erkennen.

„Nichts Auffälliges diesmal!“, erklärte Bill grinsend. „Bei anderen Pyramiden benutzen sie gerne schöne prunkvolle Geheimtore, die sich beim richtigen Passwort öffnen oder bedienen sich irgendwelcher Golems zum Schutze des Eingangs, aber eigentlich ist das nur Schnick-Schnack.“

„Ihr habt hier keinen Golem aufgestellt?“, fragten die Zwillinge enttäuscht.

„Leider nein. Dafür haben wir uns an den verborgenen Gleisen in King's Cross orientiert. Wir legen einfach einen magischen Schalter um ...“ Er schnippte mit dem Zauberstab gegen den Stein. „Und der Stein ist so massiv wie die Barriere zum Gleis Neun-dreiviertel.“

Ein seltsames Husten kam von Ron und alle drehten sich neugierig zu ihm um. Augenblicklich lief er bis zu den Ohrenspitzen rot an. „Und … das funktioniert auch? Immer, meine ich?“

Augenblicklich breitete sich auf Ginnys Gesicht ein breites Grinsen aus. „Stimmt! Du und Harry, ihr seid letztes Jahr gegen die Barriere gerannt, oder?“

„Genau!“ George schlug sich lachend mit der Handfläche gegen die Stirn. „Das war wegen Harrys Kamikaze-Hauselfen, oder? Der, der seine Post abgefangenen hat ...“

„Und den Klatscher verhext hat!“, fügte ich hinzu.

Charlie runzelte irritiert die Stirn. „Warum sollte ein Hauself das machen?“

Ron zuckte mit den Schultern. „Der war ein mega Harry-Fan und die ganze Zeit ziemlich durch den Wind, schätze ich ...“

„Hm ...“ Schulterzuckend hob Bill die Hand und ließ sie mühelos in den massiv wirkenden Stein gleiten. „Zum Glück haben wir keine Kamikaze-Hauselfen hier in den Pyramiden … obwohl die alten Ägypter sich gerne mit einigen ihrer Hauselfen haben begraben lassen. Es gibt in einigen der tieferen Grabkammern durchaus noch Hauselfen-Mumien … - Die ich euch aber nicht zeigen werde!“, fügte er mit strengem Gesichtsausdruck hinzu, als die Zwillinge sofort die Köpfe hoben. „Die haben die seltsamsten Angewohnheit. Kam schon vor, dass sie Leute angegriffen haben, nur weil die ein wenig Unordnung in die Grabkammer gebracht haben. Und mit Hauselfenmagie ist auch in toten Zustand nicht zu spaßen.“ Mit diesen Worten trat er zur Seite und wedelte ermutigend mit den Händen in Richtung Steinblock. „Also nun aber genug mit den Schauergeschichten. Gehst du vor, Charlie? Dann pass ich hier draußen auf, dass keiner gegen mysteriös verzauberte Steinblöcke rennt!“ Er zwinkerte seinem jüngsten Bruder grinsend zu und machte Charlie Platz, der in innerhalb weniger Augenblicke einfach im Stein verschwand.

„Der Nächste bitte!“ Er grinste. „Was denkt ihr, Ladies first?“

„Warum nicht?“, fragte Ginny grinsend. Sie griff nach meinem Handgelenk und zog mich kurzerhand mit durch den Stein.

Im Korridor dahinter war es dunkel … und kühler. Charlie stand mit erhobener und leuchtender Zauberstabspitze etwas weiter den Gang entlang und zwinkerte uns zu. „Na, nicht gegen den Stein geknallt?“

Ginny schüttelte lachend den Kopf. „Nein … ich hätte wirklich zu gern gesehen, wie Ron und Harry da in King's Cross gegen gerannt sind. Die Muggel haben bestimmt alle geschaut.“

„Und darüber wollen wir absolut keine Witze machen!“, fügte Mrs Weasley hinzu, die gerade ebenfalls durch die Steinmauer kam. „Wir hatten auch so mehr als genug Scherereien. Die Untersuchung gegen euren Vater, der Wagen, der nie wieder aufgetaucht ist und die Verwarnung in Hogwarts. Ich weiß nicht, was man daran lustig finden kann!“

„Es ist auch eher die Vorstellung, wie die beiden auf einem vollen Bahnhof gegen einen Pfeiler laufen, die ich lustig finde, Mum!“, erklärte Ginny kühl und mir fiel im dämmrigen Licht nur wage auf, was für einen finsteren Blick sie ihrer Mutter zu warf.

Glücklicherweise wurde die gespannte Stimmung von Fred und George gebrochen, die beinahe Zeitgleich durch den Stein gestolpert kamen und so viel Schwung hatten, dass sie mit ganzer Kraft gegen die gegenüberliegende Wand rannten und sich anschließend lachend die Köpfe hielten.

Bald war der enge Gang gut gefüllt. Bloß der Photograph war draußen geblieben. Laut Bill hatte der gute Mann sich einen kleinen schattigen Ort neben dem Unterstand des Geheimganges gesucht und versuchte seinen Kreislauf wieder unter Kontrolle zu bringen, bevor es an die Rückreise ging.

Im Licht von zehn Zauberstäben stapften wir durch den leicht sandigen Steingang. Ich lief direkt hinter Bill und schaute neugierig über dessen Schulter.

Der Gang endete etwa drei Meter weiter in einer Sackgasse. So schien es zumindest. Bill marschierte allerdings so selbstbewusst auf den glatten Stein zu, dass ich bereits irgendeine Geheimtür vermutete.

„Wenn es so viel gibt, was du uns ganz sicher nicht zeigst, was zeigst du uns stattdessen?“, fragte ich neugierig.

„Die Grabkammern des Cheribakef-Clans“, erklärte unserer Experte grinsend. „War eine alte Magierfamilie, die immer sehr gut mit den Pharaonen klar kam. In der Blütezeit des alten Ägyptens waren die Pharaonen immer Muggel, warum auch immer, aber sie umgaben sich meist mit einer ganzen Armee von Magier-Clans. Sie waren ihre Diener, Berater und Priester … die Grenzen verliefen damals noch recht fließend. Und ich glaube, die Magier waren ziemlich zufrieden damit, wie die Dinge lagen. Natürlich hätten sie die Macht leicht an sich reißen können. Aber von ihrer Position aus hatten sie quasi sowieso das Sagen, also warum sich die Mühe machen, wenn es so doch eh viel gemütlicher ist.“

Wir waren vor dem 'Tunnelende' angekommen und Bill schaute sich grinsend über seine Schulter hinweg zu uns um, ehe er die Hand auf den Stein legte und zielsicher die Finger in eine versteckte Kerbe gleiten ließ.

„Willkommen im Totenreich des Cheribakef-Clans, Inhaber der obersten Leitung in magischen Belangen zur Zeit von Cheops!“

Irgendein geheimer Mechanismus klickte und die Geheimtür glitt ächzend und stöhnend beiseite, um einen gerade zu schwindelerregend steile und enge Treppe hinab in eine unbekannte Finsternis offenbarte. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte auszumachen, was sich am Fuße der Treppe befand, aber es war einfach zu dunkel dafür … Doch … seltsamerweise hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas sich da unten bewegte …

„Und du bist sicher … dass da unten nichts mehr ist, was mit unserer Anwesenheit … unglücklich sein könnte?“, fragte ich sicherheitshalber, auch wenn ich versuchte, es wie eine Frage aus ein reinem Interesse klingen zu lassen.

„Absolut!“, versicherte Bill mir grinsend. „Wir haben die Cheribakef-Gräber schon letztes Jahr … aufgeräumt. Es ist vielleicht nicht die typische Touristenroute, die führen wir normalerweise nur durch die Gräber der 'niedrigeren' Magier, aber das einzige, was in dieser Pyramide hier noch gefährlich ist, ist das Grab der Großmagierin Hetepheres II, in dem wir gerade arbeiten. Einer ihrer Kampfzwerg-Hauselfen-Mumien hat Horatio eine ziemliche Bisswunde verpasst. Aber keine Sorge, alle Wege zu ihren Kammern sind erstmal sorgfältig versiegelt worden nach dem Zwischenfall!“ Ein einheitliches, enttäuschtes 'Ooohh' von Ginny, Fred und George und ein erleichtertes Seufzen von Mrs Weasley. „Wollen wir dann mal?“, fragte Bill breit grinsend.

Die Stufen waren alles andere als gut in Schuss. Hier und da fehlten ganze Steinbrocken und alles war mit einer feinen Sandschicht bedeckt, auf der man wunderbar ausrutschen konnte.

„Es wär' – vielleicht keine schlechte Idee – hier ein Geländer anzubringen – Bill, Schatz!“, keuchte Mrs Weasley von weiter hinten und ich musste ihr im Stillen zustimmen.

„Bis jetzt ist hier noch keiner in den Tod gestürzt, Mum!“, erklärte Bill beruhigend. „Es ist ja auch kein Touristen Gang. Ah … seht ihr, wir sind schon am Ende … Ich glaube, wir können ein wenig mehr Licht riskieren!“ Mit diesen Worten hob er seinen Zauberstab und klopfte behutsam gegen die Tunnelwand. „Willkommen im Herzen des magischen Hofstaates von Cheops. Von hier an heißt es: 'Nichts anfassen!“. Klar soweit? Vor allem ihr beide!“ Er warf den Zwillingen über seine Schulter hinweg einen ernsten Blick zu, doch die achteten gar nicht mehr auf ihn.

Der Anblick war einfach zu atemberaubend. Der Gang wurde kleinen Leuchtkugeln erhellt, die direkt unter der Decke schwebten. Wie eine Lichterkette zogen sie sich durch den ganzen Korridor und erleuchteten ein Spektakel an den Wänden, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Das hier konnte man nicht einmal mit Hogwarts vergleichen. Das hier war eindrucksvoller!

Der Gang war breiter als der schmale Korridor oder die Treppe. Man konnte ohne Probleme zu dritt nebeneinander gehen. Wirklich beeindruckend waren allerdings seine Wände.

Die Wand war vollständig mit Hieroglyphen und den charakteristischen Wandmalereien der Ägypter bedeckt, doch anders als in den Muggel-Sachbüchern, die wir in der Schule hatten, waren es nicht einfach in die Wand geritzte oder auf die Wand gemalte Zeichen. Sie bewegten sich. Und da die gesamte Wandfläche von ihnen bedeckt war, hatte es etwas unglaublich eindrucksvolles.

Begeistert drehte ich mich zu George um, der neben mich getreten war und mit offenem Mund zusah, wie ein Ägypter mit Vogelkopf an der Wand uns gegenüber wütend mit den Armen wedelte und uns mit lautem Gekreische beschimpfte. Auf der anderen Seite beobachteten Mr Weasley, Charlie und Ginny gerade, wie ein Ägypter in schimmerndem Gewand auf einem Pferdewagen die Tunnelwand entlang raste und dabei einige Hieroglyphen aus der Bahn warf.

„Das – ist – unglaublich!“, keuchte Fred, die Augen noch immer auf den schimpfenden Vogelmenschen gerichtet.

„Nicht wahr?“ Bill schaute ziemlich zufrieden drein, während er seiner Familie beim Staunen zusah. „Leute wie der da -“ Er deutete auf den Vogelmenschen, der prompt wieder zu zetern anfing. „Waren zu damaligen Zeiten sehr angesehen. In den alten religiösen Traditionen wurden viele Götter als Menschen mit Tierkopf dargestellt. Einige nahmen das als Anlass sich durch gezielt gewirkte Magie so zu verwandeln, dass sie von der Bevölkerung als göttlich verehrt wurden.“ Er grinste. „Es war allerdings eine ziemlich riskante Sache. Die herkömmlichste Variante war das Brauen von Vielsafttrank mit Tierfell oder -Federn. Das konnte funktionieren, ging aber meistens fürchterlich schief. Mit Tierbestandteilen hat das Zeug fürchterliche Nebenwirkungen.“

Ron gab ein Geräusch von sich, das etwas vom Winseln eines Hundes hatte. Überrascht drehten sich alle zu ihm um und er wurde augenblicklich rot und winkte ab. „Nichts … nichts. Ich kann mir nur … gut vorstellen, die Nebenwirkungen … ihr wisst schon ...“ Er brach ab, als er weiterhin neugierig und irritiert von allen beobachtet wurde.

„Jaaaa …“ Bill warf seinem kleinen Bruder einen skeptischen Blick zu, ehe er sich wieder dem Vogelmenschen zuwandte, dessen kleine Perlaugen auf Ron gerichtet waren. „Und selbst wenn die Verwandlung so funktioniert hat, wie sie sollte … Sagen wir's so, der Kerl hier – ich glaub er hieß Iunu – hatte für den Rest seines kurzen Lebens keine sonderlich klare Aussprache mehr.“ Wie zur Bestätigung fing das Bild wieder an zu krächzen und Bill verzog das Gesicht. „Okay, wollen wir weiter?“

Er führte uns noch eine Weile weiter durch den Gang und wir nutzten die Gelegenheit, um noch mehr von all den Bildern in uns aufzunehmen. Da gab es eine blutige Schlacht, etwa in der Mitte des Ganges, die beinahe die ganze Höhe der Wand in Beschlag nahm und sich nicht gerade schön anhörte. Etwas weiter hinten stritten sich ein Löwe mit Krokodilskopf und ein Stier mit menschlichem Oberkörper lauthals mithilfe kehliger Keuchlaute, die Fred und George sehr lustig fanden. Und ganz am Ende des Ganges fand wohl ein Fest statt, jedenfalls tanzten überall die kleinen Menschen und es wurde lauthals Musik gespielt.

Abgeschlossen wurde der Gang von einem großen, viereckigen Steinblock, auf dem die überlebensgroße Gestalt einer Frau gemalt war. Sie war hübsch, mit schwarzem seidigem Haar und großen dunklen Augen, die stark umschminkt waren. Sie trug ein weißes Gewand und schweren Goldschmuck. Aber irgendetwas irritierte.

„Sie hat Pfoten!“, hauchte Ginny und sie hatte recht. Die mit Gold-Armreifen schwer behangenen Arme endeten in haarigen Katzentatzen und das gleiche galt auch für ihre Füße. Wie zur Bestätigung verzog die Abbildung den Mund zu einem animalischen Lächeln und entblößte lange, gefährliche Reißzähne.

„Heißt das, dass der Vielsafttrank bei ihr besonders gut oder besonders schlecht funktioniert hat?“, fragte George mit schiefgelegtem Kopf. Die Frau antwortete mit einem tiefen Knurren.

„Was? Oh, bei ihr war es kein Vielsafttrank“, erklärte Bill und tätschelte das Bildnis besänftigend. „Hatifa hier ist von Geburt aus so ... gefährlich. Sphinx-Blut, wenn auch nur sehr wenig verleiht ungeahnte Fähigkeiten. Sie wurde von Rahotep dem Oberhaupt der Cheribakef aufgenommen, als sie gerade einmal neun Jahre alt war. Hatte keine magischen Fähigkeiten im herkömmlichen Sinne, aber konnte ziemlich gut mit ihrer ganz eigenen Magie austeilen. Hat sich, als sie älter war, als Beschützerin der Familie gefühlt, deswegen ist ihre Grabkammer auch die erste hier. Hat uns eine ganz schöne Rangelei eingebracht, an ihr vorbeizukommen.“ Damit wandte er sich wieder dem Bild zu und verbeugte sich. „Lässt du uns vorbei, Hatifa?“

Die Frau knurrte ein weiteres Mal, verstummte aber, als sie ihren Namen hörte und trat einfach zur Seite, sodass der Steinblock plötzlich völlig kahl war. Bill drehte sich zu uns um, zwinkerte und trat dann einfach durch den Stein hindurch.

Begeistert folgten wir ihm in die dahinterliegende Kammer. Sie war kleiner als erwartet, aber die Wände waren genauso reich verziert, wie im Gang zuvor. Sonst war der Raum gefüllt mit allerlei wertvoll aussehenden Alltagsgegenständen, einem großen Sarkophag und einigen Dingen, die so aussahen, als wären sie erst kürzlich hier hinein gelangt. Ein paar Federn und Tintenfässer lagen neben einem kleinen Tisch und ein paar ordentlich sortierte Pergamentrollen lagen dahinter.

Fred trat neugierig zu dem Sarkophag. „Schade … der ist leer ...“

„Besser so!“, betonte Charlie. „Zeig ihnen mal das Bild, was du mir letzten gezeigt hast, Bill!“

„Wartet kurz, ich geh es schnell suchen!“ Mit leuchtenden Augen kniete sich der älteste Weasley-Bruder neben die Pergamentrollen und entrollte eine nach der anderen.

„War das Hatifas Sarkophag?“, fragte Mr Weasley mit gerunzelter Stirn und gesellte sich zu Fred.

„Ja, ganz genau. Da drin lag ihre Mumie … Wie gesagt, war eine etwas unglücklich erste Begegnung, die wir mit ihr hatten ...“ Er hielt in seiner Suche inne und rollte seinen Ärmel hoch. „Hier … aber nachdem wir sie davon überzeugt haben, dass wir die Mumien ihrer Familie nicht aus irgendeinem Hexenwahn heraus zerstückeln und verbrennen wollen, war sie etwas zutraulicher.“

Drei lange Narben zogen sich über die Innenseite seines Oberarmes und ich konnte mir nur zu gut die Klauen vorstellen, die das verursacht hatten.

„Wo ist sie jetzt?“, fragte Percy vorsichtig und warf einen neugierigen Blick auf die Unterlagen, durch die sich Bill immer noch wühlte.

„Es gibt eine Sphinx-Station gleich hier in der Nähe, die wir uns irgendwann auch mal anschauen müssen. Ouassims Tochter arbeitet dort. Sie haben ein kleines Museum und kommen über die Runden durch Touristengeld und Spenden. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie glücklich sie waren, als wir ihnen eine Sphinx-Mumie überlassen haben. Sie haben beinahe doppelte Einnahmen gemacht und ich glaube Hatifa hat dort mehr Spaß als in dieser dunklen kleinen Kammer hier unten. Ah, da ist es ja!“ Er hielt ein Photo in die Höhe und Ron nahm es ihm neugierig ab.

Es zeigte den Sarkophag von Hatifa, diesmal allerdings in gefülltem Zustand. Die Mumie füllte die gesamte Länge des reich verzierten Sarges aus, allerdings war dieser … ziemlich groß.

„Ähm … Bill. Das Bild auf der Tür draußen …“

„Ist in etwa genauso groß, wie Hatifa zu Lebenszeiten war“, erklärte er breit grinsend. „Wir sind uns nicht ganz sicher, weil Mumien ja auch nicht ganz ihre Größe behalten, aber zwei Meter fünfzig waren es sicherlich.“

Ich starrte wieder auf das Photo. Die Mumie hielt in ihren bandagierten Pfoten ein furchterregendes Schwert und zwischen den Bandagen die ihren Kopf umhüllten, schimmerte deutlich sichtbar langes schwarzes Haar hervor.

„Das Schwert … ist cool!“, stellte Fred breit grinsend fest.

„Nicht wahr? … Und jetzt rate Mal, was das hier ist!“ Er beugte sich vorsichtig über den Sarg und zog etwas hervor, was dahinter verborgen lag. Oder besser, er hievte es mit einem angestrengtem Schnaufen nach oben und ließ es dann mit einem lauten Scheppern auf den Steinboden fallen. Es war ein riesiges Schwert mit einer seltsam geformten Klinge und es war über und über besetzt mit reichen Verzierungen.

„Für die Ägypter war das hier ein Chepesch-Schwert, auch wenn Menschen normalerweise mit etwas kleineren Versionen gekämpft haben!“, erklärte Bill, während den Zwillingen vor lauter Staunen beinahe die Augen aus dem Kopf fielen. „Ihr könnt es gerne anfassen. Alles, was daran mal verflucht war, wurde aufgehoben.“

Einige Sekunden lang verharrten Fred und George in einer Starre, dann stürzten sich die beiden wie die Wilden auf das Schwert und Percy verdrehte schnaubend die Augen. Bill hingegen schaute grinsend auf sie hinab und ging dann zum einzigen freien Stückchen Wand in der Kammer.

„Wenn ihr fertig seid … es gibt noch einige Kammern hier! Und versucht bitte, keine Körperteile abzutrennen. Das hier steht immer noch unter Denkmalschutz. Ihr könnt euch die Sauerei vorstellen!“ Er zwinkerte und klopfte dann mit den Knöcheln gegen den Stein.

Einige Sekunden lange passierte gar nichts, dann huschte das Abbild eines hageren Ägypters mit langer Nase und hervorstehendem Kinn auf den Stein und stierte auf uns herab. Er war deutlich kleiner als Hatifa, sogar ein wenig kleiner als Mr Weasley und Bill.

„Lässt du uns passieren, Niuserref?“ Der Mann neigte den Kopf und trat beiseite.

Es folgten ein ganzes Dutzend weiterer Grabkammern vollgestopft mit Schätzen, magischen Utensilien und leeren Sarkophagen. Zwei mal bekamen wir sogar echte Mumien zu Gesicht. Einmal die nicht-magische Frau von Raemsaf und einmal die nicht-magische Tochter von Neferhetepes, die mit ihrer Mutter zusammen begraben lag.

In jeder Grabkammer erklärte uns Bill ausführlich welche Flüche das Grab wie schützten und hatte zu beinahe jeder Kammer eine Geschichte auf Lager, die von den Schwierigkeiten des Fluchbrechens handelten. Manchmal waren bestimmte Gegenstände mit Flüchen belegt, die jeden, der es wagte sie zu berühren, mit seltsamen Missbildungen versahen oder dafür sorgten, dass Eindringlinge eines besonders unschönen Todes sterben würden. In anderen Kammern hatten die Mumien der Grabinhaber oder riesenhafte Golems für Ordnung gesorgt.

In der Grabkammer von Ptahschepses rettete Percy George um Haaresbreite davor, eine verfluchte Urne zu berühren, die ihm, nach Bills fachmännischer Einschätzung, wahrscheinlich zwei weitere Augen auf Kinnhöhe verpasst hätte. Und auch wenn George es für den Rest des Tages immer wieder herunterspielte, war ich doch recht froh darüber, dass ich private Gespräche mit ihm weiterhin unter vier und nicht unter sechs Augen führen konnte.

Die vorletzte Kammer war die Kammer von Bauefre. Er war irgendein geheimer Sohn Cheops, der wegen seiner magischen Kräfte vom Clan-Oberhaupt Rahotep aufgenommen war. Seine Kammer war um einiges größer als die Kammer von Hatifa ganz am Anfang der Tour und die Reichtümer stapelten sich problemlos bis unter die niedrige Decke. Bill stand bereits vor einer reich verzierten Flügeltür, die, im wahrsten Sinne des Wortes, aussah wie zwei Flügel, die den Durchgang versperrten.

„Hierlang geht es zur Grabkammer von Rahotep … Er hat die Methode mit Vielsafttrank ziemlich gut beherrscht. Hat sich selbst ein paar Flügel verpasst und hat trotz der Nebenwirkungen noch beinahe dreißig Jahre mit ihnen überlebt.“ Er nickte zwinkert in Richtung der Flügel. „War auch ziemlich stolz darauf. Allerdings ...“ Nun warf er Ginny einen entschuldigenden Blick zu. „Mum … ich weiß nicht, ob du da unbedingt mit rein willst … Ein paar Muggel haben es Mitte der Fünfziger geschafft durch einen der anderen Tunnel gerade in Rahoteps Kammer zubrechen. Es ist ihnen … nicht so gut bekommen.“ Fred und George tauschten einen aufgeregten Blick. Sie waren völlig aus dem Häuschen.

„Okay, Bill … Ich glaube, ich bleibe dann einfach hier … und vielleicht wäre es besser, wenn Ginny, Ron und Adriana auch hier -“ Sofort war das Theater groß. Und von allen zeterte Ginny am lautesten. Vielleicht war das der Grund dafür, dass am Ende zwar Ron und ich den anderen hinterher in die Grabkammer von Rahotep schlichen, Ginny aber mit ihrer Mutter in der vorletzten Kammer sitzen blieb. Selbst nachdem sich die 'Flügeltore' hinter uns wieder geschlossen hatten, hörte man noch immer die wüsten Beschimpfungen, die Ginny Mrs Weasley an den Kopf warf.

„Hoffentlich wecken sie keine unbekannten Grabwächter oder sowas“, gluckste Mr Weasley, als nun auch Mrs Weasley die Stimme hob und ihrerseits lauthals ihre Meinung vertrat.

„Dreimal darfst du raten, an wen Mum ihr Temperament vererbt hat“, flüsterte zu meiner großen Überraschung Percy und er und Mr Weasley kicherten stumm.

Die Grabstätte von Rahotep, Großmagier der Cheribakef war tatsächlich eindrucksvoll. Neben den Reichtümern und einem leeren Sarg befand sich in der Kammer allerdings auch jede Menge Schutt und ein großes, mit dicken Holzbrettern vernageltes Loch prangte schräg über dem Sarkophag.

„Krass ...“, kam es von Ron.

„Bei Merlins rosa-geblümten Wollsocken ...“, war Freds Beitrag.

In den Ecken der Kammer hockten oder lagen äußerst unglücklich dreinblickende Skelette. Klar, sie waren tot und hatten sicher wenig Grund glücklich zu sein, aber eindrucksvoll waren vor allem der Mann mit drei Köpfen und sechzehn Zehen an einem Fuß und das Skelett eines Mannes, dem wohl irgendein kleines Säugetier anstelle des rechten Beines gewachsen war.

Unbewusst stellte ich mich ein wenig näher zu George und legte einen Arm um ihn. „Du George?“

„Ja?“

„Du weißt gar nicht, wie sehr ich deine zwei Augen schätze ...“

„Ach das … wär' doch lustig gewesen.“

„Ganz und gar nicht!“, stellte ich trocken fest. „Du Percy?“

„Hmmm?“

„Da George es niemals wagen würde sowas zu sagen: Danke wegen vorhin!“

„Oh, jederzeit gerne wieder!“, erklärte Percy charmant und grinste.

Bill warf unterdessen einen Blick auf die Uhr. „Wow, schon so spät … Ich glaub wir sollten langsam zurück … sonst bringen sich Mum und Ginny noch gegenseitig um! Außerdem hab ich Hunger!“

„Hunger?“, fragte Ron schwach und warf einen weiteren Blick auf die Skelette.

„Bärenhunger!“, bestätigte Bill und wir machten uns auf den Rückweg.

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Ja ... es hat wieder lange gedauert, aber das Kapitel wollte einfach nicht fertig werden ... ich bin wirklich froh, dass es nun endlich ein Ende hat mit den Grabkammern ;)

Ich habe versucht, das ein oder andere aus meinem Amateur-Wikipedia-Ägyptenwissen einfließen zu lassen, aber da ich niemals in meinem Leben eine Pyramide besichtigt habe, bringt mir das nicht viel :) So ein Glück, dass es Google Bilder gibt :D

Sollte euer Ägyptenwissen etwas umfassender sein als meines (was durchaus wahrscheinlich ist ^^ ) Und euch kommt irgendwas seltsam vor, dann denkt euch einfach, dass das eine traditionelle Besonderheit der altägyptischen Magier ist ;)

Wer wissen will, wie ein Chepesch-Schwert aussieht, einfach mal googlen ... ;) mir gefällts ... Wer Fehler findet, darf sie behalten, ich hab einfach viel zu lange an diesem Kapitel gesessen, ich hab jetzt nicht die Nerven, nochmal durchzugehen :D

Ich hoffe es gefällt euch,

GANZ LIEBE GRÜẞE, magicstarlight! :D

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