Capitulo 146
Manuel
Immer wieder schlage ich auf den Boxsack im Keller ein. Seit Stunden bin ich hier unten und versuche mich abzulenken.
Seit Stunden dröhnt ihr lautes Schluchzen durch meine Ohren; seit Stunden erhellt es das Haus.
Ich betrachte meine aufgeschürften Fingerknöchel, die mich daran erinnern sollen, dass ich diesen Schmerz verdient habe. Tatsächlich brennen die offenen Wunden wie verrückt, doch trotzdem weiß ich, dass diese Schmerzen nicht nur ansatzweise an Kiaras gebrochenes Herz herankommen.
Nicht auch nur ein Stück.
"Du erinnerst mich immer mehr an deinen Onkel.", erschreckt mich Sylvia, die langsam die Treppe herunter schleicht und sich letztendlich in mein Sichtfeld stellt. Gelassen lehnt sie an der Betonwand, während sie mich abwertend mustert.
"Egal was du jetzt sagen willst, lass es.", unterbreche ich sie und schlage weiter auf den Sandsack ein.
"Es ist gleich halb drei. Nachts. Sie weint noch immer. Sie hat nichts gegessen, nichts getrunken. Sie kommt nicht heraus und sie will nicht reden-"
"Hör auf.", unterbreche ich sie und fahre mir übers verschwitzte Gesicht.
"Hat sie das verdient? Selbst wenn ihr Vater diese Schulden bei dir hat. Hat sie das verdient? Das Mädchen, dass dich das erste Mal leben lassen hat; das Mädchen, dass dich als Erste so hingenommen hat wie du bist. Hat dieses Mädchen sowas verdient?"
"Mierda! Ich habe gesagt, dass du aufhören sollst!", zische ich und trete meine Wasserflasche um, sodass sie durch den halben Raum fliegt und in der hintersten Ecke liegen bleibt.
"Hast du mit ihr geschlafen?", lässt sie nicht locker.
"Das geht dich überhaupt nichts an. Das ganze hier geht dich einen Scheißdreck an. Das ist meine Arbeit, mein Geschäft. Du weißt, dass du dich da rauszuhalten hast.", mache ich ihr klar, dass sie jetzt endlich leise sein soll.
"Deine Mutter hätte dich geköpft, das weißt du. Vergiss nicht, wo du her kommst. Vergiss nicht, wer deine Eltern sind.", murmelt sie enttäuscht und lässt mich schließlich alleine zurück im Keller.
Ich habe mich leiten lassen von meinen Gefühlen, weil ich sie nicht unter Kontrolle hatte. Erinnerungen schießen mir durch den Kopf.
Egal wie sehr ich mich ablenke; sie wollen nicht verschwinden. Ich werde sie nie los und ich bezweifle, dass ich es überhaupt jemals vergessen werde. Warum habe ich sie damals nicht einfach weggeschickt?
Warum habe ich ihr ein Dach über dem Kopf gegeben?
Warum habe ich sie nicht als Druckmittel gegen ihren Vater benutzt? Warum zur Hölle habe ich mir von ihr auf der Nase rumtanzen lassen?
Wieso habe ich ihr diese Bürojob bei mir gegeben?
Nur weil ich Idiot meine Gefühle nicht kontrollieren konnte?
Es gibt keinen Grund, warum ich sie genau jetzt festhalte. Ich hätte es schon viel früher tun können, aber ich habe es nie geschafft.
Nie.
Doch heute war sie hautnah dabei.
Den Kerl, der sie damals auf der Straße abstechen wollte, den kannte sie nicht. Da war meine Ausrede.
Doch den Staatsanwalt, den kannte sie.
Den kannte sie gut.
Und mit dem Staat spielt man nicht.
Den Staat bescheißt man nicht.
Nicht, wenn es auch nur einen da draußen gibt, der Bescheid weiß.
Und Kiara wäre immer eine Gefahr gewesen.
Niemanden juckt ein kleiner Penner, der Mädchen auf den Straßen von Sao Paulo absticht, aber jeden juckt ein toter Staatsanwalt.
Ich weiß, dass sie mit den Schulden ihres Vaters nichts zu tun hat. Als ich sie das erste Mal gesehen habe, wusste ich nicht, dass sie seine Tochter ist. Ich wusste, dass er zwei hat, aber ich wusste nicht, dass sie eine davon ist.
Als Druckmittel benutzen konnte ich sie schlecht, immerhin hat er kaum etwas für sie über. Es wäre ihm schlichtweg egal gewesen.
Dios, wie wütend hatte mich das damals gemacht, als er mir sagte, dass Kiara ihm egal sei?
Egal sei sie ihm.
Bullshit.
Wie kann dieses Mädchen einem egal sein?
Das ist unmöglich. Theoretisch und praktisch ist das unmöglich. Sobald sie einmal gelächelt hat, vergisst man sie nie wieder.
Ihre rosanen Lippen und die weißen, geraden Zähne brennen sich in dein Hirn. Tief. So tief, dass du alles mit ihr vergleichst. So tief, dass du sogar von ihr träumst.
"Hier."
"Dios, Sylvia! Hör auf mich zu nerven.", zucke ich zusammen.
Mit einem vollen Tablett mit Brot, Honig und Milch steht sie vor mir.
"Danke.", murmel ich und rutsche von dem kleinen Tisch, auf den ich mich zuvor zum Nachdenken gesetzt hatte.
"Das ist nicht für dich. Das ist für die Kleine. Geh da hoch, jetzt. Sofort.", befehlt sie mir.
"Ich glaube, ich bin der letzte, den sie sehen will.", brumme ich.
"Das ist mir scheiß egal, Manuel Jimenez. Jetzt, sofort.", wiederholt sie sich und drückt das Tablett absichtlich fester gegen meine Brust.
"Ich muss erst-"
"Jetzt!", wird sie laut und geht einen Schritt zur Seite, um mir den Weg zur Treppe freizumachen.
Dios.
"Und du kommst erst wieder herunter, wenn sie aufgegessen hat."
Ich weiß, dass sie nicht essen wird. Sie isst ja ohnehin schon kaum, damit mehr für ihre Schwester über bleibt.
Mürrisch laufe ich die Kellertreppen hoch, während Sylvia mir im Nacken hängt. Ich habe überhaupt gar keine Möglichkeit meine Geschäfte anständig und nach Plan zu regeln, wenn sich ständig jeder einmischt.
Erst Julio, dann Sylvia.
Wo soll das alles enden?
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