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Kiara

Als ich kraftlos die Arme senke, streicht er sein Hemd und seinen grauen Mantel glatt und schaut mich unbeeindruckt an, bevor er auf die Leiche zeigt.
"In seiner rechten Hand hält er ein Messer."

Wütend wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und drehe mich um. Tatsächlich glitzert die lange Metallklinge im Sonnenlicht und obwohl er tot ist, hält er das Messer fest in seiner Hand.

"Ich- Nein, dass-"

"Und noch was. Du hast Glück, dass du noch ein Kind bist und ich dich nicht anpacke, aber schubs mich nach deinem 18. Geburtstag in 4 Wochen nochmal und du endest wie der Bastard auf dem Bordstein.", zischt er mir entgegen und greift wie selbstverständlich nach meiner Tasche.

"Los, komm.", fordert er mich auf ihm zu folgen.

"Ich werde nicht mit dir mitgehen. Außerdem liegt hier eine Leiche, was passiert mit ihm? Wir können ihn doch nicht einfach hier liegen lassen?", rufe ich ihm nach und bewege mich keinen Zentimeter.

"Siehst du den Wagen dahinten?"
Manuel hat sich umgedreht und deutet auf einen schwarzen Cadillac Escalade. Das tiefe schwarz glitzert in der Morgensonne; fast wie in einer Werbung.

"Julio wartet nur darauf, dass wir hier verschwinden, damit er die Leiche entsorgen kann. Also hopp.", fährt er fort und umgreift meinen Oberarm, um mich mitzuziehen.

"Außerdem stellst du dich ganz schön an. Das ist doch nicht deine erste Leiche, die du siehst, oder?"

"Das macht es doch nicht weniger schlimm?", zicke ich ihn fassungslos an und jogge ein paar Schritte, um zu ihm aufzuholen.

Manuel hat sich dazu entschieden nicht weiter mit mir zu diskutieren, sodass wir stumm hintereinander in das Büro von Tevez laufen. Unzählige Zettel und Akten liegen auf dem Schreibtisch und ich vermute, dass Manuel sie alle herausgeholt hat.

"Setz dich dahin.", murmelt er und lässt meine Tasche auf den Boden fallen, nachdem er auf das Sofa gezeigt hat.
Nach einem kurzen zögerlichen Moment laufe ich augenverdrehend an ihm vorbei, um seiner Aufforderung nachzukommen.
Nachdem ich mich gesetzt habe, zieht er den langen, dicken Mantel aus, der ihm offen gesagt verboten gut steht, und kniet sich vor mich.

Nervös beobachte ich, wie er meinen rechten Knöcheln umfasst und meinen Fuß auf seinem Oberschenkel ablegt.
Dann zieht er ein weißes Tuch aus der Hosentasche und beginnt das frische Blut von meinen weißen Schuhen zu wischen.

Völlig überfordert verfolge ich jede seiner Bewegungen.
"Das ist nicht nötig."

"Sie sind neu, oder nicht?"

"Ja.", räuspere ich mich und kralle meine Finger fester in das Leder des Sofas.

"Also.", beendet er den kurzen Austausch und widmet sich meinem linken Schuh.

Ich bin überrascht, dass so jemand wie er Mädchen die Schuhe putzt. Versteht mich nicht falsch, aber jemand wie er sieht nicht mal aus, als würde er seine eigenen putzen. Warum also kümmert er sich darum, dass meine wieder sauber sind?

"Vielleicht kann mich ja jemand nach Hause bringen?", wechsle ich zaghaft das Thema und schaue zu, wie er das blutige Tuch in seiner Anzughose verschwinden lässt, nachdem er sich vom Boden hochgedrückt hat.

Mit Händen, tief versenkt in seiner grauen Anzughose, schaut er mich skeptisch an.
"Nein, du bleibst hier. Die vier Wochen bis zu deinem Geburtstag putzt du, danach kümmerst du dich um die Gäste."

Um die Gäste kümmern.
So nennt man Prostitution hier also.

"Kann ich auch hinter die Bar?", stelle ich ihm eine Frage, die mit einem abwertenden Schnauben quittiert.

"Jetzt stellt sie auch noch Ansprüche, die feine Dame.", redet er in der dritten Person über mich und setzt sich hinter den Schreibtisch.

Abwartend schaue ich ihn an und erwarte eine richtige Antwort auf meine Frage, doch es tut sich nichts. Stattdessen zündet er sich eine Zigarette an und pustet den Rauch ins Licht.

"Tevez hat es gehasst, wenn man in seinem Club geraucht hat.", merke ich an.

Manuel befeuchtet seine Unterlippe und sieht schmunzelnd zu mir herüber.
"Gut, dass Tevez nicht mehr unter uns ist."

"Arschloch.", flüstere ich und stehe vom Sofa auf, bevor ich nach meiner Tasche greife.

"Nochmal.", fordert Manuel mich auf und hat sich von dem Lederstuhl erhoben. Schnell hat er mir die Tasche aus der Hand genommen, sodass ich den Raum nicht verlassen kann.

"Gib her.", brumme ich und will nach der Tasche greifen, während er sie schnell wegzieht, sodass ich daneben greife und fast das Gleichgewicht verliere.

"Ich bin also ein Arschloch? Nachdem ich dafür gesorgt habe, dass sich keine Schweine an einer Minderjährigen vergreifen? Nachdem ich deinen Vergewaltiger und Mörder erschossen habe? Und nachdem ich deine Schuhe sauber gemacht habe?", stirnrunzelnd schaut er mich an, wobei mir nicht entgeht, dass sein Blick kurz auf meine Lippen fällt, als ich kurz drauf beiße.

Wütend schaue ich an ihm vorbei.

"Ein Danke habe ich übrigens noch nie aus deinem Mund gehört."

"Wirst du auch nie.", zische ich.
Wegen ihm bin ich doch überhaupt in diese Situationen geraten. Diesen Kerl hätte er nicht erschießen müssen, wenn er mich nicht rausgeschmissen hätte.

"Warten wir's ab.", nickt er und drückt mir meine Tasche in die Hand. Seine Finger sind erstaunlich warm, obwohl er so viel Kälte ausstrahlt.
Wenn ich ihn genauer anschaue, dann sieht er nicht einmal so alt aus, wie ich ihn schätze.

Manchmal, da kann er 35 sein und manchmal 25. Es kommt immer drauf an, in was für einer Stimmung er ist.
Wenn er lacht, dann ist er 25.

Aber jetzt? Jetzt wirkt er wie 35.

"Wenn du deine Sachen weggebracht hast, kannst du wieder kommen und hier aufräumen.", ruft er mir hinterher.

Sauer ahme ich ihn nach, während ich in mein neues altes Zimmer laufe. Dieser Typ ist so selbstsicher, dass er ohne mit der Wimper zu zucken Fremde auf der Straße abknallt. Er ist sich so sicher nicht gesehen zu werden, dass er sich das traut.

Und seine Handlanger stehen schon bereit, um alles zu beseitigen. Wenn ich jetzt nach draußen gehen, wird von dem Mord nichts mehr übrig sein.

Darauf wette ich.

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