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Manuel
19:13 Uhr

Seit 8 Tagen hat sie nicht mehr mit mir geredet. Seit 8 Tagen habe ich nicht mehr zu Hause geschlafen.
Seit 8 Tagen geht sie mir kontinuierlich aus dem Weg. Immer wenn ich in denselben Raum komme, geht sie.

Sie senkt ihren Kopf und geht.

Seit 8 Tagen habe ich nicht einmal in ihre hellblauen Augen geschaut.

Es geht ihr nicht gut, das merke ich. Sie isst nicht richtig und bleibt lieber für sich in ihrem Zimmer. Sie arbeitet fleißig und verschwindet direkt nach ihrer Schicht. Sie schaut sich nicht mal mehr das Training der anderen an.

Nachdenklich betrachte ich ihr Geburtstagsgeschenk, dass ich letztes Wochenende für sie geholt habe.

Tanzunterricht.

So, wie sie es sich gewünscht hat.

"Kiara, komm. Du musst mal aus deinem Zimmer raus. Komm mit auf die Bühne. Wir zeigen dir die Choreo, morgen bist du doch 18.", höre ich Rita durch den Flur rufen. Ich werde hellhörig und stehe auf, um die Tür von meinem Büro zu öffnen.

"Nein, ich sollte das nicht tun. Ich bin noch nicht 18 und Manuel hat uns gesagt, dass er das nicht will.", lehnt sie unsicher ab.

Zufrieden höre ich ihr zu.

"Ach komm, der ist in seinem Büro. Außerdem darfst du doch wohl trainieren.", überredet Rita meine Kleine.

"Aber du sagst ihm, dass du mich gezwungen hast.", gibt Kiara nach. Ich trete demonstrativ vor meine Tür in den Flur und ziehe die Aufmerksamkeit der beiden auf mich.

"Manuel.", stellt Rita ertappt fest.

Kiara sagt nichts. Sie schaut schnell weg, als ich meinen Blick auf sie lege. Ich mustere sie, wie sie unsicher neben Rita steht.
"Rita, hast du meine Anweisung nicht verstanden oder willst du sie nicht verstehen?"

"Ich dachte nicht, dass es dir so ernst ist.", runzelt Rita die Stirn.

"Wir stehen unter Beobachtung und deshalb müssen wir uns besonders an die Jugendschutzgesetze halten. Eine 17 Jährige hat auf dieser verfickten Bühne nichts zu suchen."
Als ich fluche, zuckt Kiara zusammen.

"Auch nicht zum üben?", versteht Rita mich anscheinend nicht.

"Willst du üben, Kiara?", frage ich sie nun auffordernd. Indirekt warne ich sie, aber sie scheint meine Warnung nicht zu verstehen.

"Ja, ich würde gerne üben.", fällt sie mir in den Rücken.

"Schau mich an und sag das nochmal.", fordere ich sie auf. Sie soll mir in die Augen schauen und mir sagen, dass sie an dieser dreckigen Stange tanzen will.

"Ich gehe schonmal vor.", flüstert Rita ihr ins Ohr und verschwindet aus dem Flur.

Kiara hingegen beißt sich auf die Innenseite ihrer Wange und bringt keinen Ton über ihre Lippen.

"Wenn du das nur tust, um mich zu provozieren - herzlichen Glückwunsch.", murmel ich leiser, weil ich sie nicht verschrecken will.

"Ich will nur auf andere Gedanken kommen.", rechtfertigt sie sich.
Noch immer schaut sie auf den Boden zwischen uns.
An ihrer Stimme höre ich heraus, dass sie noch immer erkältet ist.

Ich mache einen Schritt auf sie zu und schaue um die Ecke, um sicherzugehen, dass uns niemand sieht und hört.
"Ich vermisse dich.", sage ich ihr die Wahrheit und lasse sie wissen, dass sie mir fehlt.

Sie presst die Lippen aufeinander, während sich Tränen in ihren Augen bilden. Stumm wende ich den Blick ab, weil ich sie nicht weinen sehen will.

Nicht schon wieder.

"Tut mir Leid, ich wollte nicht-", beginne ich, bevor sie mich unterbricht.

"Schon gut. Alles gut.", winkt sie ab und holt tief Luft.
"Also wie gesagt, ich wollte mich nur ablenken. Ich gehe dann mal.", beende sie unser erstes Gespräch nach langer Zeit.
Am liebsten würde ich sie aufhalten, aber alle sagen mir, dass ich ihr Zeit geben soll.

Also tue ich das.
Oder auch nicht.

"Du hast morgen Geburtstag.", halte ich sie auf.
Was ist das für eine dumme Aussage? Natürlich weiß sie, dass sie morgen Geburtstag hat. Kiara bleibt stehen und dreht sich leicht lächelnd um.

Bevor sie zu mir hochblickt, wischt sie sich eine Träne von der Wange.

Ich habe sie schon wieder zum Weinen gebracht.

"Ja.", nickt sie ruhig.

"Habt ihr was geplant?", räuspere ich mich und schiebe meine Hände in die Taschen meiner Anzughose.

"Wir wollten später was trinken gehen. Rita kennt da so einen Club.", erklärt sie mir nervös.

"Welcher Club?", frage ich direkt.

Sie zuckt mit den Schultern.
"Ich kenne ihn nicht. Keine Ahnung. Du musst Rita fragen."

Das werde ich.
Natürlich werde ich das.

"Wieso sucht Rita aus, wo ihr an deinem Geburtstag hingeht? Warum suchst du das nicht aus?", stelle ich sie auf die Probe.

"Das muss ich mir jetzt nicht geben.", brummt sie und lässt mich im Flur zurück.

"Und jetzt schön abhauen, so ist es richtig.", rufe ich ihr provozierend hinterher. Diese ganze Situation geht mir so dermaßen auf die Eier, dass ich es an der falschen Person auslasse.

"Ach weißt du was?", dreht sie sich schimpfend um und kommt wieder zurück.

"Was.", knurre ich und stelle mich gerade hin.

"Hier.", zeigt sie mir ihren Mittelfinger.
"Fick dich. Du kannst mich mal."

Perplex schaue ich sie an und bleibe sprachlos. Dann verschwindet sie endgültig. Hat sie gerade- Sie hat mir doch gerade nicht-
Nein.
Das ist gerade nicht wirklich passiert.

Wütend gehe ich in mein Büro und knalle die Holztür zu. Mit einem lauten Knall schlägt sie ins Schloss, während ich mich wieder vor meinen Schreibtisch setze.
"Mierda!", fluche ich und schlage mit der flachen Hand auf meinen Schreibtisch.

Anstatt ein normales Gespräch mit ihr anzufangen, streite ich mich wieder mit ihr.

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