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Kiara

Mein Verstand sagt mir, dass ich meine Spuren verwischen und mich aus dem Staub machen sollte, aber mein Herz sagt mir etwas anderes.
Es bittet mich fast darum, ihm noch mehr Schmerzen zu zufügen und in den Keller zu gehen. Ich kann mir nur vorstellen, was dort ist, und genau das, scheint das Problem zu sein.

Ich kann es nur erahnen.

Aber das will ich nicht. Ich will es sehen. Will es wissen.

Während ich zur Kellertür gehe, stehe ich völlig neben mir. Immer wieder versuche ich meine Tränen zu trocknen - vergeblich.
Ebenfalls vergeblich rüttel ich an der Kellertür. Sie ist abgeschlossen und lässt sich nicht öffnen.

Wütend trete ich dagegen, bevor ich in den Jackentaschen an der Garderobe nach einem Schlüssel suche. Jede Tasche durchwühle ich zweimal, bis mir über dem Türrahmen etwas ins Auge sticht.
Im Licht glänzt ein Stück Metall.

Mit klopfendem Herzen steige ich auf das Sideboard im Flur, um an den Türrahmen zu kommen. Tatsächlich liegt oben auf ein Schlüssel. Vielleicht ist es besser, wenn er nicht passt und ich nicht sehe, was dort unten ist.

Was genau ich nicht sehen darf; wovon ich nichts wissen darf.

Mir wird schwummrig, als ich das Schloss knacken höre. Dann springt die kleine Tür auf. Im Keller ist es dunkel, doch auch wenn ich jetzt normalerweise wieder gehen würde, ziehe ich es durch.

Wie in Trance knipse ich das alte Licht ein und steige die staubige Holztreppe hinunter. Der Keller passt so überhaupt nicht zu dem Rest des Hauses. Er ist alt, staubig, schmutzig.

Gruselig.

Die freiliegenden Wasserleitungen knartschen und erschrecken mich jedes Mal aufs neue.

Weinend stehe ich vor der verriegelten Tür, während mein Verstand mir sagt, dass ich verschwinden soll, bevor Manuel nach Hause kommt, und mir mein Herz sagt, dass ich nachschauen soll.

Es fleht mich an, verletzt zu werden.

Mit schlotternden Knien, mit zitternden Händen, hebe ich den großen Balken weg. Woher ich die Kraft aufbringe, weiß ich nicht.
Vermutlich ist es das Adrenalin, dass mir durch den Körper schießt.

Die Tür klemmt, weshalb ich stärker an ihr ziehe.

Stärker

Und stärker

Immer stärker, bis sie sich öffnet.

Doch was ich dann sehe, hätte ich besser nicht sehen sollen.

"Oh mein Gott!", schreie ich panisch und stolpere drei Schritte zurück, bevor ich rückwärts auf den Betonboden fallen.

"Scheiße!", kreische ich völlig aufgelöst und versuche vom Boden aufzustehen.

Mitten in dem Raum sitzt eine Männerleiche gefesselt auf einem Stuhl, die Kehle aufgeschnitten. Mit aufgerissenen Augen starrt sie mir direkt in die Seele.

In der riesigen Blutlache am Boden spiegelt sie sich.

"Nein.", weine ich laut und versuche wieder mich hochzudrücken. Meine Muskeln zittern so sehr, dass ich es nicht schaffe.
Ich habe keine Kraft.

Es ist, als könnte ich diesen Ort nicht mehr verlassen.

Und dann bilde ich mir ein, dass die Leiche immer näher kommt.

Als ich dann auch noch Reifen auf dem feinen Schotter höre, setzt mein Herz aus. Doch egal wie schnell ich versuche aufzustehen, so schnell ist die Person im Haus. Ich höre die Lackschuhe auf dem teuren Marmor und weiß direkt, dass es Manuel ist.

Vier Schritte macht er, dann bleibt er stehen.

Ich will leise sein, aber es gelingt mir nicht.
Schluchzend starre ich der Leiche in die Augen, während ich es mit aller Kraft schaffe, aufzustehen.

Auch wenn Manuel oben ist, renne ich. Ich renne den Keller entlang zurück zur Treppe, an dessen Ende Manuel steht.
Panisch halte ich mich an der Wand fest und renne wieder zurück.
Aber wohin?

Zu dem toten Mann?

Bitter weinend, panisch vor all der Angst, bleibe ich vergeblich stehen.

Ich muss hier raus.

Mein Hals schnürrt sich zu, während ich Manuels Schatten an der betonierten Wand sehe. Nach Luft japsend und weinend blicke ich immer wieder zwischen Manuels Schatten und der Leiche her.
Der Schweiß rennt mir nur so von der Stirn und plötzlich fällt mir auf, wie klitschnass meine Haare sind.

Mein Herz droht aus meiner Brust zu springen, so doll schlägt es gegen meinen Brustkorb. Mit langsamen Schritten kommt Manuel die vielen Stufen herunter und schlagartig wird mir bewusst, dass ich mich verteidigen muss.

In meiner Panik, renne ich zu der Leiche und greife nach dem Messer in der Blutlache. Das kalte Blut berührt meine Fingerkuppen und jagt mir eine Gänsehaut über den Körper. Schluchzend und völlig fertig mit den Nerven weine ich bitterlich, weil ich realisiere, was ich hier tue.

Bevor Manuel unten im Keller ankommt, laufe ich den Flur entlang und fange ihn vorher ab.

"Bleib wo du bist!", schreie ich ihn heiser und schweratmend an, während ich das Messer ausstrecke.

Er steht 6 Stufen von mir entfernt und hebt langsam seine Hände.
"Ganz ruhig, Kiara."

"Kein Schritt weiter!", brülle ich erneut, auch wenn er sich nicht bewegt.

Ich kriege kaum Luft und bin kurz vor einem Nervenzusammenbruch, doch es geht hier um mein Leben.
Mein Leben, dass ich mit aller Kraft verteidigen muss.

"Kiara, wir können über alles reden.", beginnt er, während er seine Hände noch immer hochhält.
Fast so, als würde er sich ergeben.

Er trägt noch seinen Mantel und hat sich anscheinend vorhin einen Anzug angezogen.

"Gib mir deine Waffe.", fordere ich ihn unruhig auf.

"Kiara, bitte. Beruhig dich und hör mir zu. Ich kann dir alles-"

"Die Waffe!", brülle ich unter Tränen, woraufhin er zusammen zuckt. Schluckend kneift er seine Augen zusammen, während ich das Messer kaum noch halten kann. Durch das alte Blut, ist der Griff so rutschig, dass meine Hand kaum noch Halt hat.

"Okay. Ich nehme jetzt meine rechte Hand runter, um nach meiner Waffe zu greifen, okay? Sie steckt hier in meinem Hosenbund."
Manuel dreht sich leicht, um mir seine Waffe zu zeigen, bevor er langsam nach ihr greift und sie aus seinem Bund zieht.

"Leg sie vor dir auf die Stufe und dann geh. Geh zurück.", fordere ich ihn verzweifelt auf. Zitternd umgreife ich das Messer fester.

"Kiara, mach keinen Scheiß. Bitte.", will er mich beruhigen, doch dafür ist es viel zu spät. Mein Körper hat sich so weit in die Sache hereingesteigert, es gibt keinen Ausweg mehr. Nach Luft schnappend warte ich, bis er die Waffe ablegt und einige Stufen rückwärts hochgeht.

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