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Kiara

Obwohl ich versuche mich langsam auf seinen Schoß zu setzen, greift Manuel fest nach meinen Hüften und zieht mich regelrecht auf seinen Schoß. Bevor ich überhaupt realisieren kann, was ich hier gerade mache, hat er seine Arme um mich gelegt, um auf dem Laptop herumzutippen.

"Ich diktiere dir die Zahlen von den Monatsabschlüssen und du schreibst sie auf, in Ordnung?"
Der warme Atem seiner rauen Stimme prallt gegen meinen Hals, weshalb mir ein Schauer über den Rücken läuft.

Während ich versuche meinen Körper unter Kontrolle zu bringen, schiebt er mir einen Block und einen Kugelschreiber vor die Nase.

"Alles gut?", spricht er mich erneut an und beugt sich kurz zur Seite, um mir ins Gesicht schauen zu können.

"Klar.", hauche ich mit einem leichten Lächeln.
Es ist doch alles gut, oder?
Aber warum fühle ich mich dann nicht so?

Ich fühle mich wie in Trance.
Ausgelaucht und erschöpft.

Müde und nicht richtig anwesend.

Die letzten Tage haben sich richtig angefühlt.
Sicher und ein Stückweit besonders.
Zum ersten Mal habe ich mich lebendig gefühlt.

Bei ihm.

Wegen ihm.

Er sagt, dass das zwischen uns eigentlich nicht geht.

Aber er küsst mich.

Und wie er mich küsst.

Unter seinen Händen schmelzen ich wie Butter. Wie ein Marshmallow über der heißen Flamme des Lagerfeuers. Ich verglühe in seinen warmen Händen, wie ein Asteroid der in die Atmosphäre der Erde eintritt.

Aber fühlt er dasselbe bei mir?

Bin ich für ihn vielleicht nur ein Lückenfüller?

"Du solltest doch die Monatszahlen aufschreiben, die ich dir diktiere.", lacht er leise in mein Ohr und reicht mir den Stift.

"Sorry.", murmel ich peinlich berührt.
Ich war so in meinen Gedanken vertieft, dass ich gar nicht mitbekommen haben, wie er mir die Zahlen diktiert hat.

"Möchtest du dich lieber hinlegen? Ich schaffe das auch alleine, keine Sorge.", fragt er mich stirnrunzelnd und sieht mich an.

"Ja, ich bin irgendwie k.o.", lüge ich und drücke mich von seinem Schoß hoch. Er entfernt seine Arme von mir und während ich sein Büro verlasse, spüre ich seinen intensiven Blick in meinem Rücken.
Die Luft in dem kleinen Büro ist plötzlich viel zu stickig, als dass ich noch vernünftig atmen könnte.
Schwungvoll stoße ich die Tür auf und eile über den engen Flur zur Hintertür, um frische Luft zu atmen.
Die Kieselsteine knirschen unter meinen Schuhen, während ich über den Hof laufe und tief Luft hole.
Ich senke erschöpft meinen Kopf und erkenne zwischen den kleinen Steinen Manuels aufgerauchte Zigarette, die er vor zwei Tagen auf den Boden geworfen hat.

Stumm schiebe ich meine Hände in die Taschen meines Hoodies und trete die Steine weg.

"Wo treibt sich mein Neffe herum?", erschreckt mich eine mittlerweile bekannte Stimme.

Hastig drehe ich meinen Kopf in die Richtung, aus der Miguel kommt. Er hat die Hände tief in den Hosentaschen vergraben und schlendert seelenruhig über den Kies, während eine Zigarette zwischen seinen Lippen steckt.

Ich räuspere mich nervös.
"Im Büro."

Seufzend nimmt er elegant die Zigarette zwischen seine Finger und pustet den Rauch in den Himmel. Er schaut der dunklen Wolke einen Augenblick hinterher, bevor er seinen Weg zu mir fortsetzt.
"Er sollte hier bei dir sein, wenn du draußen alleine bist.", schüttelt er unzufrieden den Kopf.

Unschlüssig darüber, was ich seiner Aussage erwidern soll, bleibe ich stumm.

"Dabei hat er eigentlich vom Besten gelernt.", fügt er leise hinzu und drückt seine Zigarette in seiner Hand aus.
Mit großen Augen starre ich auf die Glut, die langsam auf seiner Haut erlischt. Gemütlich schmeißt er die Zigarette auf den Boden und schiebt mit seinem schwarzen Lackschuh etwas Kies über den braunen Stummel.

"Komm.", fordert er mich auf und öffnet die schwere Stahltür.

"Ich bleibe noch einen Augenblick draußen.", lehne ich freundlich ab und zwinge mir ein Lächeln auf, um nicht ganz so gekränkt und nachdenklich zu wirken.

Miguel bleibt in der Tür stehen und dreht seinen Kopf langsam zu mir.
"Du bist also lebensmüde."

Seine Aussage hört sich an wie eine Feststellung und seinem Blick nach zu urteilen, verstehe ich sie richtig.
"Bitte?", frage ich mit zitternder und viel zu hoher Stimme.

Er schnalzt locker mit der Zunge.
"Mein Neffe hätte dich gar nicht hier alleine lassen dürfen. Also komm bitte mit.", erklärt er mir nicht wirklich, warum ich nicht alleine in diesem Hinterhof bleiben darf.
Es gab nie ein Problem, warum also soll ich jetzt plötzlich nicht mehr in den Hinterhof gehen dürfen?
Während ich versuche meine Gedanken zu ordnen, laufe ich durch die offene Tür, die Miguel mir freundlicherweise aufhält. Schweigend laufe ich neben ihm her und öffne die Tür zu meinem Zimmer.
Ich rechne jeden Augenblick mit einem Einwand von ihm, doch er kommt nicht. Schnell schließe ich die Tür hinter mir und lehne mich dagegen.

"Was zum Teufel ist diese Familie?", flüstere ich meinem Spiegelbild zu.

Verstört fahre ich mit meinen Händen über mein Gesicht und beginne mein verschollenes Handy zu suchen.
Ich kann mich auch überhaupt nicht mehr daran erinnern, wo ich es als letztes hatte.

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