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Manuel
09:48 Uhr
Ich mache gerade meine Haare, als ich höre, wie ein Schlüssel in meine Haustür gesteckt wird.
"Du kannst auch klingeln, Onkel.", brumme ich leise und wasche meine Hände, bevor ich aus dem Bad gehe und meine Familie begrüße.
"Manuel, fast dachte ich, du würdest noch schlafen.", provoziert mich mein Onkel direkt.
"Ich habe schon gearbeitet.", lüge ich ihn an und fange mir dafür einen Schlag gegen den Hinterkopf.
"Du weißt doch, du kannst deinen Onkel nicht anlügen.", lacht meine Tante, woraufhin ich schmunzeln muss.
"Da hast du ja deinen besten Anzug angezogen.", stellt sie fest und streicht über den feinen Stoff von meinem weißen Hemd.
"Extra für meine Tante.", erlaube ich mir einen Spaß und umarme sie fest.
"Ich habe dich vermisst, Manuel. Du musst dich öfter melden.", ermahnt sie mich und küsst meine Wange.
"Du weißt doch, das Geschäft.", zucke ich mit den Schultern und löse mich von ihr.
Celeste steht hinter Amara und verkneift sich ein Grinsen.
"Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass du dich nur wegen dem Mädchen so rausgeputzt hast."
"Ich sehe immer so gut aus.", schüttel ich den Kopf, woraufhin meine Cousine mir gegen die Brust haut.
"Macho.", verdreht sie die Augen, lässt sich aber trotzdem von mir umarmen.
"Wo ist sie denn?", mischt sich meine Tante ein, während Miguel ihr den dunkelroten Mantel abnimmt.
"Vermutlich in seinem Bett.", brummt dieser.
"Ja, sie ist in meinem Bett. Aber nicht aus den Gründen, die du denkst.", brumme ich und verdrehe meine Augen.
"Nachdem du mir auf meine Nachricht nicht geantwortet hast, war ich mir da nicht so sicher."
Es ist ein Wink mit dem Zaunpfahl, das ist mir durchaus bewusst. Es geht ihm nicht um eine mögliche Affäre, sondern viel mehr darum, dass ich ihm nicht geantwortet habe.
"Silvia holt sie gl-"
"Na.", unterbricht mich Amara.
"Du fängst nicht an, wie dein Onkel, sondern holst sie selber. Sie ist immerhin dein Gast."
"Ich glaube kaum, dass ich Frauen so schlecht behandel wie dein Mann.", stichel ich absichtlich gegen meinen Onkel.
Während Celeste lacht und auch Amara ihre zuckenden Mundwinkel nicht verstecken kann, brummt Miguel.
"Pass auf deine Worte auf, mein Junge."
Er weiß, dass es nur Spaß ist. Immerhin bin ich nicht der einzige, der die Leute ärgert. Wenn einer Profi darin ist, dann ja wohl mein Onkel.
"Setzt euch ins Esszimmer, ich hole sie.", deute ich durch die breite, offene Tür und drehe mich um, als ich unterbrochen werde.
"Hallo."
Die sanfte, unsichere Stimme zieht meine Aufmerksamkeit auf sich, sodass ich die Treppe hochschaue, um Kiara das erste Mal heute zu sehen.
Unsicher wischt sie ihre Handfläche an der engen Jeans ab, während sie unter den Blicken meiner Familie so schutzlos oben auf der Treppe steht.
Während ihr Aussehen mir den Atem raubt, ergreift meine Tante fröhlich und herzlich das Wort.
"Du musst Kiara sein. Ich freue mich, dich endlich kennenzulernen. Mein Mann und meine Tochter haben mir schon so viel von dir erzählt."
Mit großen Schritten läuft sie die Treppe hoch und streichelt Kiara einmal über ihre glänzenden Haare, bevor sie sie in eine Umarmung zieht.
"Ich bin Amara, Manuels Tante."
"Kiara.", flüstert sie überwältigt zurück.
"Eh, aber das wissen Sie ja."
"Um Gottes Willen, wir siezen uns nicht. Du bist der Gast meines Neffens und somit ein Teil der Familie.", lacht meine Tante und zieht Kiara die Treppen herunter.
'Teil der Familie'
Sie weiß genau, dass das nicht geht.
"So sprachlos habe ich dich noch nie gesehen.", flüstert Celeste kichernd in mein Ohr, weshalb ich aus meiner Trance aufwache und den Blick abwende.
Auch mein Onkel sieht mich mich zuckenden Mundwinkeln an.
"Was hast du gestern gemacht?", fragt er mich, als ich an ihm vorbei gehe.
"Was soll ich gemacht haben?", brumme ich angepisst.
"Sie schaut überall hin, nur nicht in deine Augen. Was also ist gestern zwischen uns euch passiert?", lässt er nicht locker.
"Nicht jetzt.", murmel ich und ziehe die Zigarettenschachtel aus meiner Anzughose. Mit schnellen Schritten laufe ich durch mein Wohnzimmer und öffne die Terrassentür, um mir meine Zigarette, die bereits zwischen meinen Lippen steckt, anzuzünden.
"Kommst du hier aus Sao Paulo?", höre ich meine Tante fragen und schließe darauf hin die Tür hinter mir, damit ich dem Gespräch nicht zu hören muss.
Sie wissen genau, dass sie niemals ein Teil der Familie sein kann. Sie passt hier nicht rein und ich will, dass sie ein vernünftiges Leben führt. Sie soll nicht so leiden, wie meine Tante es getan hat. Wie oft hat sie sich Sorgen gemacht, als mein Onkel für mehrere Tage geschäftlich weg war? Wie schlimm war diese Zeit für sie, in der sie ohne ein Lebenszeichen von ihm im Haus auf und ab gelaufen ist?
Wie oft hat sie geweint, als die Haustür geöffnet wurde und nicht mein Onkel derjenige war, der das Haus betritt?
Wie häufig hat sie mit zitternden Händen auf ihr Handy geschaut, in der Hoffnung, dass diese Nachricht nun endlich eine von meinem Onkel ist?
Auch wenn sie es gut haben und wenn sie versorgt sind, ist dieses Leben Mist. Es macht die Nerven kaputt und sorgt dafür, dass man emotionslos wird. Es kann dir von heute auf morgen alles nehmen, ohne dass man damit rechnet.
Und jeder, der sich sein Leben frei aussuchen kann, sollte niemals dieses Leben wählen.
Niemals.
"Keine Lust auf den Familienplausch?"
Celeste quetscht sich durch den Türspalt und schiebt die Glastür hinter sich zu.
"Sie wissen genau, dass sie kein Teil der Familie sein wird.", murmel ich und ziehe an der glühenden Zigarette.
"Mein Vater hat es auch geschafft.", zuckt sie mit den Schultern und greift in meine Hosentasche, um die Zigarettenschachtel zu nehmen.
"Vergiss es. Er bringt mich um.", knurre ich und nehme ihr die Schachtel aus der Hand.
"Außerdem: Hast du vergessen, was deine Mutter alles durchstehen musste? Wie schlecht es ihr ging, als er Tag und Nacht unterwegs war und sich nicht gemeldet hat?"
"Er hat sich nicht absichtlich nicht gemeldet, Manuel. Er konnte nicht. Weil er versucht hat die-"
"Sprich es aus und es gnade dir Gott!", unterbreche ich sie zischend und bäume mich vor ihr auf.
Zickig kneift sie ihre Augen zusammen, bis ich mich wieder von ihr abwende. Wenn ihr Vater nicht hinter uns sitzen würde, hätte sie mir dafür schon längst eine Faust verpasst.
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