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Kiara
"Er ist gerade draußen.", räuspere ich mich, als Silvia unsere beiden Teller auf den Tisch stellt. Wir beide schauen kurz zu Manuel, der mittlerweile mitten auf der Terrasse steht.
"Es ist selten, dass er sich die Zeit nimmt, um hier am Tisch zu essen. Wenn er eins nicht leiden kann, dann wenn er beim Telefonieren gestört wird. Also lassen wir das Essen lieber kalt werden.", zwinkert sie mir lächelnd zu, bevor sie wieder in der Küche verschwindet.
Ganz von alleine wandert mein Blick auf seinen trainierten Rücken, der sich unter dem weißen Hemd abzeichnet, während er das Handy an sein Ohr hält und energisch diskutiert. Ich kann nicht genau verstehen, was er sagt, da er hin und wieder auf Spanisch spricht und sein Dialekt zu stark von meinen Sprachkenntnissen abweicht.
Schnell schaue ich auf meinen Teller, als er sich umdreht, die Zigarette auf den Boden wirft, um sie auszutreten, und letztendlich das Telefonat beendet.
"Adios."
"Du hättest mir ruhig Bescheid geben können, dass das Essen fertig ist.", ruft er mir zu, bevor er über die Türschwelle tritt.
Bescheid geben?
Ich dachte, er hat es nicht gerne, wenn man ihn stört.
"Ist gerade erst gekommen.", rechtfertige ich mich ein wenig überrascht und putze meine schwitzigen Hände an meiner Hose ab.
Warum ist mir plötzlich so heiß und warum sieht er plötzlich noch besser aus, als ohne hin schon?
Seine kräftige Hand umschließt die Rückenlehne seines Stuhls und zieht ihn zurück, damit er sich lässig hinsetzen kann.
Mit einer federleichten Bewegung schiebt er mir mein Besteckt herüber.
"Ist Kartoffel-Kürbis-Suppe. Magst du das?"
"Ich habe es noch nie gegessen, aber es riecht gut.", erkläre ich ihm ehrlich und nehme den Löffel in meine Hand.
Er schaut mich abwartend und auffordernd zu gleich an. Will er jetzt wirklich sehen, wie ich meinen ersten Löffel Kartoffel-Kürbis-Suppe esse?
"Los, probier schon.", meldet er sich zu Wort.
Stumm rühre ich die Suppe um und schiebe mir eine Löffelspitze zwischen die Lippen. Die heiße Suppe erwärmt meinen Mund und schmeckt dabei auch noch fantastisch.
"Ist lecker."
"Habe nichts anderes erwartet.", nickt er zufrieden und beginnt auch zu essen.
"Guten Appetit.", flüstere ich.
"Dir auch, Pequenina.", lächelt er leicht.
Schon wieder gibt er mir diesen Kosenamen. Er nennt mich dauernd Kleine, obwohl ich gar nicht klein bin.
Ja, ich bin kleiner als er, aber nicht klein für eine Frau.
"Wo schlafe ich?", wechsel ich das Thema und puste leicht gegen die dampfende Suppe auf meinem Löffel.
"Hier auf dem Sofa."
Manuel nickt nach rechts und deutet auf eines der schwarzen Ledersofas, die U-förmig um einen glänzenden Glastisch herumstehen.
"Okay.", nicke ich und esse weiter.
Ich spüre seinen Blick auf mir, aber da es nicht das erste mal ist, dass er mich mustert, versuche ich es auszublenden.
"Das war ein Spaß.", merkt er an.
Überrascht hebe ich meinen Kopf an und schaue ihm ins Gesicht.
"Du kannst in meinen Schlafzimmer schlafen, ich penne dann hier unten."
"Nein, nein. Das ist in Ordnung. Schließlich nimmst du mich ja nicht gerade freiwillig bei dir auf. Es ist ja eher so, dass-"
"Ja?", unterbricht er mich auffordernd.
"Wie ist es denn?"
"Also-", räuspere ich mich, aber habe keine Antwort parat.
"Merk dir eins. Alles was ich tue, tue ich freiwillig. Wenn ich etwas nicht will, dann mache ich es auch nicht. So einfach ist das.", fährt er fort und löffelt seine Suppe weiter.
"Ich dachte, weil dein Onkel dir das ja irgendwie aufgebrummt hat.", murmel ich erklärend.
"Ich habe selber schon mit dem Gedanken gespielt und eigentlich war er der Grund, weshalb ich es nicht ausgesprochen habe. Jetzt wo er es vorgeschlagen hat, brauchte ich mir keine Gedanken mehr machen.", erklärt er mir und lehnt sich zurück, weil er bereits aufgegessen hat.
"Irgendwie komisch oder? Ich meine, dir kann es vollkommen egal sein, was mit mir ist und trotzdem sitze ich hier und du lässt mich bei dir wohnen.", schüttel ich irritiert den Kopf.
"Du solltest dir weniger Gedanken über mich machen, sondern eher über deinen Vater und wie du das Regeln kannst. Ich kann dich nicht ewig hier wohnen lassen.", zuckt er mit den Schultern und sieht mich noch einmal ernst an, bevor er nach meinem Teller greift und ihn zusammen mit seinem in die Küche bringt.
"Ich werde nichts gegen meinen Vater unternehmen. Ich werde mir was eigenes aufbauen und den Kontakt abbrechen, sobald ich meine Schwester daraus geholt habe.", erwidere ich etwas lauter, damit er mich hört.
Manuel erwidert nichts außer ein spottendes Schnauben.
"Wie oft soll er dir noch eine runter hauen, bis du kapierst, dass ihm rein gar nichts an dir liegt?"
"Wie bereits gesagt, immer wenn er das tut, ist er betrunken. Das spiegelt seinen wirklichen Charakter überhaupt nicht wieder.", fauche ich, weil er mir langsam auf die Nerven geht.
"Ich würde niemals auf die Idee kommen, meine Tochter zu schlagen. Nicht betrunken, nicht einmal auf Drogen. Ich könnte so high sein, wie ich will. Niemals, wirklich niemals würde ich die Hand gegen eine Frau heben, geschweige denn gegen meine Tochter.", wird auch er laut und schließt mit einem lauten Knall die Küchentür hinter sich.
"Es ist eine Schande, dass ich überhaupt mit dir darüber diskutieren muss.", fügt er gehässig an und greift nach der leeren Kippenschachtel, die noch auf dem Esstisch lag.
"Mein Vater würde mich auch nicht schlagen, wenn er nicht betrunken wäre."
"Merkst du was? Dieser kleine Nebensatz, den empfinde ich als störend. Wenn und aber. Bullshit. Einfach Bullshit. Wenn dein Vater ein guter Vater wäre, dann bräuchtest du diesen Nebensatz nicht einmal!"
"Alleine die Tatsache, dass du heute morgen noch dachtest, dass ich dich schlagen würde, zeigt doch, wie oft er es getan hat.", zischt er und stützt sich auf dem Esstisch vor ihm ab.
Ich bleibe stumm.
"Oder? Sag mir, dass ich Unrecht habe und ich höre auf.", verlangt er eine Antwort von mir.
Tränen steigen mir in die Augen, doch ich will ihm die Genugtuung nicht geben. Es geht ihn rein gar nichts an.
"Hm? Wie oft hat er dich schon geschlagen? Wie oft war dein toller Vater besoffen?", hört er nicht auf.
Ich schüttel den Kopf.
"Ich weiß es nicht.", flüstere ich letztendlich.
Ich kann es wirklich nicht beantworten. In den letzten Monaten ist es immer häufiger passiert, sodass ich die Zahl nicht einmal schätzen kann.
Manuels Gesichtszüge werden weicher, als er mit seinen bernsteinfarbenen Augen eine Träne verfolgt, die über meine Wange rollt.
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