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Kiara
07:12 Uhr

"Warte.", hält er mich auf, als ich den Wagen verlassen will. Wir stehen auf dem Bürgersteig vor dem Club und mittlerweile sind die Straßen gut gefüllt.

Abwartend sehe ich ihn an und schaue zu, wie er hinter meinen Sitz greift und sein blaues Jackett hervor holt.
"Bleib sitzen.", bittet er mich und steigt dann aus dem Wagen aus.

Stirnrunzelnd beobachte ich ihn, wie er um den Wagen herumläuft und mir, nachdem er meine Tür geöffnet hat, das Jackett über den Kopf legt.

"Was soll das?", frage ich überrascht und will den schweren Stoff von meinem Kopf schieben, doch er hält mich auf.

"Tu mir den Gefallen und stell keine Fragen.", murmelt er und hilft mir aus dem Wagen, weil ich kaum noch etwas sehen kann.
Er schließt schnell die Tür hinter mir und führt mich direkt in den Club. Erst als die Tür hinter uns schließt und wir auf der Tanzfläche stehen, nimmt er den Blazer von meinem Kopf.

"Was sollte das?", frage ich erneut verständnislos nach.

Als Manuel seine Hand zu meinem Kopf hebt, zucke ich zurück und lasse seine Bewegungen einfrieren.
"Dachtest du gerade-"

"Was? Nein, ich hab mich nur erschro-"

"Dios du dachtest gerade, dass ich dich schlagen würde.", stellt er fassungslos fest, während seine Pupillen immer größer werden und er seinen linken Arm immer weiter senkt, mit dem er sein Jackett hält.

"Ich hab mich nur erschrocken.", rechtfertige ich mich.

Er mustert noch immer fassungslos mein Gesicht und mir entgeht dabei nicht, dass sein Blick viel zu lange an meinem Bluterguss am Auge hängen bleibt.
Langsam hebt er seine rechte Hand, während ich ihn schweratmend ansehe.

"Ich wollte dir nur deine Haare glatt streichen.", erklärt er mir fast flüsternd.

Nickend gebe ich ihm meine Erlaubnis und spüre kurz darauf seine warme Handfläche, die über meinen Kopf streicht.
Langsam und sanft. Seine bernsteinfarbenen Augen liegen auf meinem schwarzen Haar und verfolgen seine Hand, die durch meine Haare streicht.

Als im hinteren Bereich des Clubs eine Tür geöffnet wird, zieht er schnell seine Hand zurück und auch ich erwache aus meiner Starre.
"Hier, iss das auf und dann kannst du die Bar putzen.", räuspert er sich und drückt mir die Tüte in die Hand.

"Ich dachte, dass ich dir helfen-"

"Ich hab gesagt, dass du die Bar putzen sollst.", wiederholt er sich eindringlich und nimmt sich sein Croissant und seinen Kaffee aus der Tüte, die ich fest in beiden Händen halte. Ich habe keine Zeit mehr etwas zu erwidern, denn er ist schon an mir vorbei, sodass ich nur noch geradeaus gegen die Wand starre.

Urplötzlich ist mir der Hunger vergangen und beim Geruch des Kaffees, der in meine Nase dringt, wird mir schlecht. Irgendwie nervös und peinlich berührt stelle ich die Papiertüte auf der Theke ab und beginne die Bar zu putzen. Auch wenn der Rest vermutlich noch schläft, habe ich keine Lust noch länger zu warten.
Ich muss etwas tun, um den Kopf freizukriegen. Wenn ich nur herumsitze, muss ich wahrscheinlich immer wieder an seine Hand auf meinem Haar denken und an seine Reaktion, die danach gefolgt ist.

Seine Reaktion, als ihm klar geworden ist, was er da gerade tut.

Fast wütend schrubbe ich mit dem Drahtschwamm durch die Edelstahlwaschbecken,  weil die Bier- und Alkoholreste von gestern Abend stark kleben.
"Arsch.", brumme ich, weil Manuel mich wütend macht.

Immer wieder beginnt mein Herz zu rasen, wenn ich seine Schritte im Flur höre, weil ich mir erhoffe, dass er zu mir kommt. Aber immer wieder stelle ich fest, dass er nur zwischen einigen Zimmern im Flur hin und her läuft. Vermutlich trägt er Akten von einem Zimmer ins andere oder macht sich den 20. Kaffee in der Küche.

"Hör auf, dich da so reinzusteigern.", ermahne ich mich selber und atme tief durch.

Zwischen ihm und mir ist rein gar nichts passiert und er hat mir gerade eben noch gesagt, dass er nichts von mir will. In ein paar Tagen verschwindet er wieder, weil er jemand neuen für die Leitung eingestellt hat und dann sehe ich ihn nie wieder.

"Du kennst ihn gerade mal 3 Tage.", schüttel ich den Kopf und wische über die klebrige Holztheke.
Das getrocknete Bier auf der Tanzfläche stinkt modrig und verottet und normalerweise stört es mich nicht, doch heute ist es schrecklich. Immer wieder kriege ich das Gefühl, als müsste ich mich jeden Augenblick übergeben.

"Du siehst ja gar nicht gut aus.", erschreckt mich Ines.

"Erschreck mich nicht so.", atme ich erleichtert aus und werfe den dreckigen Lappen ins Spülwasser.

"Was war gestern los?", fragt sie mitleidig und kommt zu mir herüber, bevor sie sich auf einen der Barhocker setzt und in meine braune Papiertüte schaut

"Nichts dramatisches.", winke ich ab und setze mich auf die Theke.

"Nichts dramatisches? Wenn sogar der Chef dir hinterher läuft, dann muss es dramatisch gewesen sein.", schnaubt sie belustigt und nimmt einen Schluck von meinem Kaffee.

"Was soll das heißen.", frage ich irritiert und hole jetzt doch mein Croissant aus der Tüte.

"Manuel kümmert sich doch nur um die Finanzen, die Frauen hier sind ihm doch egal. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass da was zwischen euch läuft."

Ich kaue absichtlich lange, damit ich nichts auf ihre Worte erwidern muss.

"Naja, schade eigentlich. Aber natürlich ist so ein hübscher Mann verheiratet.", seufzst sie.

Mit großen Augen schaue ich sie an.

"Ich sags mal so. Von der Bettkante würde ich den auch nicht schubsen. Also sollte er mal auf deiner Bettkante sitzen...-", sie beendet ihren Satz nicht, zwinkert mir allerdings schmunzelnd zu.

Er saß auf meiner Bettkante und er hat mich abblitzen lassen, denke ich mir.
Aber jetzt weiß ich auch wieso. Wie konnte ich nicht erkennen, dass sein Ring ein Ehering ist?

"Ich will rein gar nichts von ihm und ich versichere dir, dass da nichts läuft. Und da wird auch nie was laufen. Ich bin froh, wenn er wieder weg ist.", lüge ich mich selber an und merke den Kloß in meinem Hals, der immer größer wird, sodass ich mein Croissant kaum noch herunter schlucken kann.

"Na da hast du ja Glück, ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass dieser Kerl schon vielen Frauen das Herz gebrochen hat.", lacht sie leise und schiebt mir meinen Kaffee herüber, bevor sie vom Barhocker hüpft.

"Ich mache mir eben ein Brot und dann helfe ich dir.", verabschiedet sie sich.

Stumm bleibe ich auf der Theke sitzen und schaue auf den dreckigen Boden.

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