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Kiara
06:17 Uhr

Als ich aufwache, ist es ruhig. Keine Musik, kein Gegröle und keine hämmernden Bässe. Stumm quäle ich mich aus dem Bett und fahre mir durchs Gesicht, bevor ich mir einen dicken Pullover überziehe und mein Zimmer verlasse.

Es scheint noch niemand wach zu sein und durch ein kleines Fenster am Hinterausgang wird mir klar, dass die Sonne gerade erst aufgeht.
Zufrieden öffne ich die Tür zum Hinterhof und blicke direkt auf einen schwarzen Audi. Unter meinen Schuhen knirscht es, als ich auf den groben Schotter trete und die Tür hinter mir ins Schloss fällt.

"Scheiße.", brumme ich, weil ich jetzt nicht mehr reinkomme, und rüttel vergeblich an der Tür.

"Ich hab 'nen Schlüssel.", erschreckt mich Manuel, der rauchend neben der Tür lehnt.
"Was machst du schon hier?"

"Das gleiche könnte ich dich fragen.", nuschel ich und ziehe die Kapuze meines Hoodies über den Kopf, weil es eisig ist.

"Rauchen."

Augenverdrehend laufe ich an ihm vorbei und lehne mich mit viel Sicherheitsabstand neben ihn an die Wand.
"Wäre mir nicht aufgefallen, wenn du es mir nichts nochmal gesagt hättest."

Er zieht noch einmal an der Zigarette, dann wirft er sie auf den Boden und tritt sie aus.

"Das ist nicht gut für die Umwelt.", ermahne ich ihn mit verschränkten Armen, während mein Blick auf dem Auto liegt.

"Fang bloß an wie meine Tante.", meckert er und schiebt die Zigarettenschachtel in seine Anzughose.
"Willst du dich mal reinsetzen?", fragt er mich nach kurzer Sprechpause und deutet auf das Auto.

"Das ist deins?"

"Sicher.", nickt er und zieht seine Augenbrauen zusammen.

Langsam gehe ich auf den Wagen zu und schaue ihn mir aus der Nähe an. Trotzdem das Wetter in den vergangenen Tagen so schlecht war, ist er blitzblank. Mein Körper spiegelt sich in dem tiefschwarzen Lack des teuren Audis, während ich meine Hand hebe und mit den Finger den Lack berühren will.

"Na.", ertönt Manuels Stimme und erschreckt mich, sodass ich meine Hand zurückziehe.
"Der ist frisch gewaschen. Ich will keine Fingerabdrücke auf der Karre haben."

"Ups.", flöte ich und stütze mich absichtlich mit der flachen Hand auf der Motorhaube ab.

Er stößt ein belustigtes Schnauben aus, während er seine Hände in die Anzughose schiebt und langsam aber bestimmt auf mich zu kommt.
"Es gibt nur einen Grund, warum weibliche Handabdrücke auf der Motorhaube meines Wagens sein dürfen."

"Und der wäre?", frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen.

Abwartend mustere ich ihn, als er endlich vor mir stehen bleibt und sich zu mir herunter beugt.
"Wenn ich die Frau, der diese Handabdrücke gehören, ficke."

Mit diesen Worten umschließt er mein Handgelenk und entfernt meine Hand von dem Lack. Mit feuerrotem Gesicht räuspere ich mich und habe das Gefühl, als müsste ich ganz schnell diesen Pullover los werden. Plötzlich schwitze ich ungemein, obwohl es unter 10 Grad hier draußen sind.
"So genau wollte ich es gar nicht wissen."

"Nicht?", fragt er überrascht und schließt den Wagen auf.

"Nein, deine ekeligen Fantasien interessieren mich nicht.", murmel ich peinlich berührt, weil ich doch tatsächlich daran denke, wie ich diejenige sein könnte, die er dort-

"Wer hat denn was von Fantasien gesagt?", lacht er plötzlich und lächelt mich breit an.

Meinen schockierten Gesichtsausdruck versuche ich hinter meinen Haaren zu verbergen, doch er entgeht ihm nicht.
"Los, steig schon ein.", gluckst er und öffnet mir die Beifahrertür.

Mit gesenktem Blick laufe ich an ihm vorbei, um in den Wagen zu steigen. Er bewegt sich keinen Zentimeter, sodass es ziemlich eng zwischen uns wird, aber er packt mich nicht an. Dieses Arschloch will mich nervös machen, aber verhält sich dabei völlig korrekt.

Seine Linke Hand lässt er in seiner Hosentasche, seine rechte liegt auf der Tür. Solange, bis ich im Auto sitze. Er schlägt die Autotür zu, bevor er um die Motorhaube herum geht und sich neben mich ins Auto setzt.

Der Innenraum ist blitzblank und es riecht neu.

"Er ist noch nicht alt, oder?"

"4 Monate. Ist aber nur geleast.", erklärt er mir und tritt auf die Bremse, um den Audi zu starten.

"Firmenwagen?"

"So in etwa.", nickt er.
"Wollen wir rumfahren?"

Seine Fragen überraschen mich.
"Wenn du nichts zu tun hast?"

"Pause tut ganz gut. Dann können wir dir was zum Frühstück holen.", schlägt er vor und legt den Rückwärtsgang ein, um den Wagen zu drehen.

"Du tust das aber nicht nur wegen gestern, oder?"

Er schnaubt.
"Du hast mir gestern eindeutig klar gemacht, dass du keine Sonderbehandlung von mir willst. Also nein, ich mache das nicht wegen dem Bastard. Ich habe selber Hunger und einen Kaffee brauche ich auch."

"Dann habe ich nichts gesagt.", stimme ich zu und schnalle mich an.

Manuel heizt vom Hinterhof seines Clubs in Richtung Autobahn, während ich gedankenverloren aus dem Fenster schaue.
"Was genau ist dein Beruf?"

Einhändig lenkt er den Wagen über die Straßen.
"Einer, von dem du nichts wissen solltest."

"Ich bin nicht so sensibel, wie ich vielleicht aussehe.", verdrehe ich die Augen, weil ich es satt habe, dass mir jeder denkt, ich wäre zu unschuldig für die Wahrheit.

"Oh keine Sorge, sensibel siehst du nicht aus. Trotzdem geht es dich nichts an.", schüttelt er den Kopf und fährt viel zu schnell auf die Autobahn. Zum ersten Mal kann ich über ganz Sao Paulo gucken und bin für einen Moment sprachlos.

Aus dem Radio ertönt gleichzeitig der Refrain von Bronski Beat's Smalltown Boy.

Die Sonne lässt die vielen Hochhäuser funkeln, sodass sie sich kaum noch vom glitzernden Meer abheben.

"Ich brauche dich nicht fragen, ob du oft am Meer bist, oder?"

"Nein.", antwortet Manuel leicht lachend.
"Keine Zeit."

Ich nicke.
Eigentlich schade. Das Meer ist nah und gleichzeitig so fern. Ich kann nicht mal schwimmen, daher gab es nie einen Grund auch nur einen Fuß in den Sand zu setzen. Wenn man mal davon absieht, dass ich gar keine Möglichkeit hatte, jemals in die Nähe des Strands zu kommen.

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