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Kiara

"Kiara, da seid ihr ja.", ruft uns Amara über den langen Tisch zu und kommt zu uns herüber.

"Ignorier die Blicke der anderen einfach.", flüstert Manuel mir ins Ohr und drückt meine Hand nochmal fester.

Einfach ignorieren.

Er sagt das so selbstverständlich.

Dabei ist das gar nicht so einfach.

"Manuel hat mir gerade erst geschrieben, dass wir Kirschkuchen für dich besorgen sollen. Es dauert noch ein wenig, bis er hier ist. Tut mir Leid.", entschuldigt sie sich für etwas, was ich zunächst gar nicht verstehe.

Peinlich berührt schaue ich zu Manuel hoch, der mich nur teilnahmslos ansieht, anstatt mir zu helfen.
"Das wäre aber nicht nötig gewesen. Das- Ich habe das nur so am Rande erwähnt. Ich wusste nicht, dass ihr euch extra die Mühe macht.", schüttel ich langsam den Kopf.

"Aber natürlich. Jeder hier soll sich wohlfühlen, du ganz besonders, Liebes.", nickt sie und streicht mir über den Oberarm.

"Ich esse auch jeden anderen Kuchen. Ich liebe Kuchen, wirklich. Das wäre nicht nötig gewesen.", versuche ich es erneut.
Sie sollen nicht denken, dass ich pingelig bin.

"Quatsch. Setzt euch, unsere Haushälterin holt ihn gerade vom Bäcker. Sie wird in 10 Minuten wieder zurück sein.", lässt sie meine Widerrede nicht zu und schiebt uns zu den zwei freien Plätzen.
Auch wenn alle anderen beschäftigt sind und wild durcheinander durch reden, habe ich das Gefühl, dass trotzdem alle genau zugehört haben.

Und das ist ein scheiß Gefühl.

Manuel drückt mich sanft auf den freien Stuhl und lässt sich neben mir nieder, wobei er seine Hand nie ganz von meinem Knie nimmt.

Er gibt mir Sicherheit.

Doch während Manuel sich direkt mit anderen Leuten unterhält, sitze ich still schweigend neben ihm und versuche mich irgendwie einzubringen.
Aber es klappt nicht.

Niemand schaut mich an, niemand will mit mir reden.

Ich rede mir ein, dass nicht meine Person das Problem ist oder meine Art, sondern einfach der Fakt, dass ich aus keiner reichen und einflussreichen Familie kommen.

Nicht zu vergessen der Fakt, dass ich ganz offensichtlich nicht aus Mexiko komme.

Ich bin ein armes Mädchen, das in ihren jungen Jahren noch nichts erreicht hat und das machen sie mir klar.

Das geben sie mir zu spüren.

"Sie ignorieren dich nicht, weil sie dich nicht mögen.", höre ich eine Stimme von gegenüber.

Auch wenn alle laut mit einander sprechen, kann ich die leise Stimme direkt hören.

Celeste.

"Du siehst aus wie sie. Sie haben Respekt vor dir. Und sie trauen sich nicht, dich anzusehen, geschweige denn dich anzusprechen, weil Manuel bereits seine Pfoten auf dir hat. Nimm das nicht persönlich, im Gegenteil. Nutze das, das ist deine Stärke hier.", fährt sie leise fort.

Auch wenn sie mir gegenüber sitzt, habe ich diesmal nicht das Gefühl, als würde uns jemand zuhören.

"Sie wissen, dass du ihm gehörst. Und wenn mich nicht alles täuscht, hat er das in der Kirche allen deutlich gezeigt, oder?", will sie eine Antwort aus mir locken.

"Hat er?", frage ich räuspernd und rutsche unruhig auf dem Stuhl hin und her.

"Und wie er das hat. Er hat dich keine Sekunde losgelassen, nichtmal als Zara ihn angegraben hat. Sag bloß du hast seine tötenden Blicke nicht gesehen, die er den Männern zugeworfen hat?"
Provokant zieht sie eine Augenbraue hoch und verschränkt ihre zierlichen Arme vor der Brust.

"Nein.", gebe ich unsicher zu.
"Nein, habe ich tatsächlich nicht."

"Süß.", haucht sie fast zischend.

"Problem?", hake ich direkt nach.

"Auf keinen Fall.", knickt sie ein, während ihre Mundwinkel zucken.
"Wollte dich nur testen, aber schlagfertig bist du ja. Dann kommst du mit seinen Cousins sicherlich gut klar. Denn da darf ein loses Mundwerk nicht fehlen.", warnt auch sie mich vor Manuels Familie.

"Manuel hat mich schon vorgewarnt.", merke ich beiläufig an.

"Sicher hat er das. Die Frage ist nur, ob er es verharmlost hat."

"Verharmlost?", runzle ich die Stirn.
Warum sollte er es verharmlosen?

"Ja. Verharmlost. Hätte er dir ihren wahren Charakter offenbart, wärst du vermutlich kaum hier.", zuckt sie mit den Schultern.

"Celeste, ich kann dich hören.", mischt sich Manuel plötzlich ein und lehnt sich leicht in ihre Richtung.

"Gut, denn sie werden sie zerreißen, wie Wölfe ein Reh.", faucht sie und lehnt sich ebenfalls ein Stück nach vorne.

"Werden sie nicht, weil ich da sein werde.", knurrt Manuel zurück.

"Manuel, was meint Celeste?", werde ich lauter, weil mir hier keiner die Wahrheit sagen will.

"Nichts. Sie übertreibt.", blockt er ab und widmet sich wieder den anderen.

Wütend schiebe ich seine Hand von meinem Knie und erhebe mich.
"Wo ist das Bad, Celeste?"

"Ich bringe dich.", nickt sie und steht ebenfalls auf.

"Du bleibst hier, Kiara.", wendet sich Manuel wieder an mich und schaut mich diesmal an.

"Ich muss mal, Papa.", fauche ich leise und kneife meine Augen zusammen.

"Kiara!", wird er energischer, doch ich höre nicht mehr auf ihn. Er hat mich hier hin mitgenommen, weil er mir anscheinend auch seine Familie vorstellen wollte. Und jetzt erfahre ich, dass es hier Leute gibt, die alles andere als freundlich und wohlwollend sein sollen.

Mit großen Schritten laufe ich um den lange, gedeckten Tisch herum und spüre Miguels und Amaras Blick in meinem Nacken, während Celeste sich bei mir unterhakt und mich zum Bad begleitet.

"Ich dachte, er hätte dir gesagt, dass sie unangenehm sind.", beginnt sie, während wir den langen Flur lang laufen.

"Hatte er auch, ja. Aber ich dachte, dass sie vielleicht ein paar Sprüche bringen, mehr nicht."

"Oh ja, das werden sie. Darauf kannst du Gift nehmen. Und wenn sie merken, dass du nicht drauf antwortest oder ihnen aus dem Weg gehst, werden sie aufdringlicher. Also halte dich lieber von ihnen fern.", erzählt sie mir.

"Keine Sorge, nichts lieber als das.", versichere ich ihr.

"Gut. Hier ist das Bad. Ich warte hier.", teilt sie mir lächelnd mit und lehnt sich gegen die sandfarbene Wand gegenüber vom Gästebad.

"Ich warte. Du kannst wieder zu den anderen gehen.", höre ich plötzlich Manuels Stimme durch den Flur hallen, als ich gerade das Badezimmer betrete.

"Und was, wenn ich nicht wieder zu den anderen gehen will?", erwidert Celeste provokant und bietet ihm die Stirn.

"Celeste."
Ihr Name geht ihm so federleicht und trotzdem ermahnend von den Lippen, dass ich eine Gänsehaut bekommen.

"Manuel?", fragt sie zuckersüß.

"Zisch ab.", betont er jedes einzelne Wort, sodass sie letztendlich die Augen verdreht und sich geschlagen vom Acker macht.

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