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Kiara
"Auch wenn das jetzt hier nicht hingehört und mein Onkel mir vermutlich für diese Worte die Ohren langziehen würde - Ich hab Kopfkino.", flüstert er leise und schiebt mich die breite Treppe hoch.
"Du musstest ja unbedingt mit dem Zaunpfahl winken.", beschwere ich mich, dass er ja wohl selber Schuld sei.
"Die Vorlage war zu gut.", zuckt er mit den Schultern.
"Das hier ist mein Zimmer gewesen."
Manuel drückt die Türklinke links von mir herunter und öffnet die Tür, bevor er das Licht einschaltet und mich in das große Zimmer schiebt.
"Wie lange hast du hier gewohnt?"
"Bis ich nach Mexiko-Stadt gezogen bin. Danach war ich nur kurz hier, drei Monate vielleicht. Und dann bin ich rüber nach Brasilien.", erklärt er mir und schließt die Tür hinter sich.
Seelenruhig lehnt er sich dagegen und überkreuzt die teuren Lackschuhe.
"Deine Tante hat mir erzählt-"
"Ich möchte darüber nicht reden.", unterbricht er mich.
"Ich wollte nur sagen, dass es mir Leid tut.", lasse ich mir den Mund nicht verbieten.
Ich erkenne, dass er den Kiefer aufeinander presst, während er meine Worte verarbeitet.
"Das muss es nicht."
Ich verdrehe die Augen.
"Nein. Aber ich bin heute für dich da. Und an allen anderen Tagen auch. Du musst es nicht annehmen, aber du sollst es wissen."
Er senkt seinen Blick und presst seine Lippen aufeinander.
Als er wieder zu mir hochschaut, sind seine Augen rot und feucht.
"Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn sie noch da wären.", flüstert er.
"Sie sind da. Auch wenn du sie nicht mehr siehst. Meine Mama ist auch da. Jeder ist da."
"Ja, vielleicht hast du recht. Aber trotzdem tut es weh. Ich glaube, dass es erst aufhört, wenn ich die Mörder gefunden habe. Zumindest hoffe ich das.", erklärt er mir.
"Aber das macht sie nicht wieder lebendig."
"Du sollst dich nicht in meine Arbeit einmischen.", erinnert er mich und reibt sich über die glasigen Augen.
"Tue ich nicht, das war ein Fakt.", erwidere ich und küsse seine Wange.
"Du solltest dir häufiger mal was von mir annehmen. Ich glaube, das würde deinem Dickkopf gut tun."
"Dickkopf? Das hört sich nach den Worten meiner Tante an.", runzelt er süffisant die Stirn und legt seine Arme um mich.
"Wir haben uns eben gut unterhalten.", zucke ich mit den Schultern.
"Ich hoffe, du hast ihr nur gutes über mich erzählt.", wackelt er mit den Augenbrauen.
"Sicher.", lache ich leise und lehne meinen Kopf an seine Brust.
Sein Herz schlägt schnell und lässt mich schmunzeln.
"Aufgeregt?", provoziere ich ihn mit kribbelndem Bauch.
"Nein.", erwidert er selbstsicher.
"Nein?", wiederhole ich seine Worte unglaubwürdig.
"Nein. Nicht aufgeregt.", wiederholt er sich.
Dann ist es ruhig, bevor er wieder das Wort ergreift.
"Verliebt.", verbessert er mich.
Mein Herz setzt aus, während mein Gehirn versucht zu verarbeiten, was meine Ohren gerade aufgefasst haben.
Völlig gleichgültig, völlig unbeeindruckt hat er dieses Wort ausgesprochen.
Völlig schmerzlos ging dieses Wort über seine vollen Lippen.
Er hat sich in mich verliebt?
"Manuel? Kommt ihr? Wir müssen gleich zur Kirche.", ertönt Miguels Stimme und lässt mich zusammen zucken.
Ich drücke mich von ihm weg und schaue ihn überfordert an.
"Ich-"
"Du musst nichts sagen. Ich hatte sowieso nicht geplant, dir das zu sagen. Zumindest nicht jetzt.", erwidert er ernst und verliert sich einen Augenblick in meinen Augen.
Bevor ich etwas erwidern kann, öffnet er die Tür hinter sich und schiebt mich aus seinem Zimmer. Schnell knipst er das Licht aus und zieht die Tür wieder zu.
Stumm greift er nach meiner Hand und zieht mich durch den Flur.
12:48 Uhr
Unsicher schaue ich mich um.
Die Kirche ist voll und jeder schaut uns an.
Wirklich jeder.
Manuels Hand umschließt meine fest, vermutlich um mir Nervosität zu nehmen, aber es bringt nicht viel. Mein Herz rast so schnell, als würde es mir gleich aus der Brust springen. Die meisten Leute kenne ich nicht, doch das Gesicht einer Person sticht mir ganz besonders ins Auge.
Zara sitzt in der zweiten Reihe und schaut zu uns herüber.
Eher zu Manuel.
Als sie dann auch noch aufsteht und auf uns zu kommt, könnte ich kotzen - im Strahl.
Mit arrogant langen Schritten kommt sie auf uns zu und bleibt dicht vor Manuel stehen.
"Hey.", flüstert sie und würdigt mich keines Blickes.
"Hey Zara.", begrüßt er sie räuspernd.
Ich will seine Hand loslassen, doch er umschließt sie mit seinen Fingern nur noch fester.
"Ich bin für dich da. Aber das weißt du ja.", nickt sie mit einem leichten Lächeln auf den aufgespritzten Lippen, während sie ihre Hand hebt und sie ihm auf die trainierte Schulter legt. Zweimal streicht sie über den Stoff seines pechschwarzen Jacketts, bis sie die Hand langsam senkt.
Aber sie senkt sie nicht einfach nur - nein.
Sie führt sie über seine Brust und streicht sein Hemd zwei mal glatt, obwohl es überhaupt gar nichts zum glatt streichen gibt.
"Hi. Zara, richtig? Ich glaube wir haben uns schonmal gesehen, erinnerst du dich? Hat es dir die Sprache verschlagen, oder warum kannst du mich nicht begrüßen?", mische ich mich ein und schaue sie unschuldig an.
Während ich auf eine Antwort warte liegt ihr gehässiger Blick auf mir, bevor sie sich ein Lächeln aufzwingt.
"Verzeihung. Kiara, richtig? Manuel hat mir schon viel von dir erzählt."
"Ist das so? Manuel hat mir nämlich auch viel von dir erzählt.", gehe ich ebenfalls auf ihre Provokation ein.
"Kiara.", räuspert sich Manuel leise und drückt meine Hand kurz.
"Ja? Ich hoffe nur gutes?", zwinkert sie ihm verführerisch zu, bevor sie wieder mir ins Gesicht schaut.
"Wie man es nimmt.", ärgere ich sie.
"Du sollst ganz schön nervig sein, aber das habe ich mir bei unserer ersten Begegnung schon gedacht. Außerdem mag Manuel es nicht, wenn du nach seiner Aufmerksamkeit bettelst aber ich habe die Vermutung, dass dir das noch niemand gesagt hast, denn sonst würdest du ja jetzt nicht so dämlich vor uns stehen und mit meinem Partner flirten, oder?"
Manuel fährt sich mit der linken Hand über den Bart.
"Zara, entschuldige uns jetzt bitte. Die Messe fängt gleich an."
Zugegebenermaßen überrascht es mich, dass er sie nicht in Schutz nimmt, sondern der Situation einfach aus dem Weg geht.
"Das hätte nicht sein müssen.", murmelt er letztendlich doch, nachdem er sich leicht zu mir herunter gebeugt hat und mich zur Holzbank ganz vorne führt.
"Doch, weil du ja nicht die Eier hast, ihr das zu sagen.", lasse ich mich nicht davon abbringen, dass ich das einzig richtige getan habe.
"Das ich Eier habe, steht außer Frage. Immerhin hattest du sie gestern noch in der Hand, oder?"
Unbeirrt drückt er mich auf die Bank und setzt sich seelenruhig neben mich.
"Manuel.", erwidere ich empört mit roten Wangen.
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