Kapitel 11

Elli POV

Felix starrte mich entgeistert an und Ani sah so aus, als würde sie bald in Ohnmacht kippen. Und Emma? Naja, sie sah nicht mehr wirklich zurechnungsfähig aus. Wahrscheinlich sah sie gerade rosa Elefanten.
Etwas Kaltes tippte an meine Schulter und unwillkürlich bekam ich Gänsehaut. Kita wohnte nun schon seit zwei Tagen bei mir, aber an ihr Geister-Ich hatte ich mich noch nicht gewöhnt, zumindest nicht an diese Kälte.
„Ähm, Leute, gute Nachrichten. Kita ist wieder da, aber als Geist, stumm und unsichtbar", versuchte ich zu erklären, aber meine Stimme bebte unüberhörbar. Felix hustete. „Ähm, bitte was?" Ani blinzelte zweimal und starrte auf die Stelle wo Kita vermutlich gerade stand. „Das...Das ist unmöglich, Elli. Das ist lächerlich." Sie lachte nervös. Sie hatte Geistergeschichten nie mögen, hatte immer Angst gehabt, wenn uns Oma die erzählt hatte. Was meine Großmutter nur dazu veranlasst hat, noch eine Stufe aufzudrehen. So bleich, wie meine Cousine aussah, hatte sie das bis heute noch nicht verkraftet.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Ich würde sie gerne umarmen, aber...naja, wäre viel gerade etwas unpassend. „Also...wie mit Geist?", wandte sich Felix wieder an mich, versuchte cool zu bleiben, was ihm aber nicht ganz perfekt gelang. Ich merkte ihm seine Unsicherheit an. Ich atmete tief ein. Die kalte Nachtluft brannte in meinen Lungen, ich hielt einen Huster zurück. „Kita...sie ist tot. Aber sie lebt, irgendwie, aber lasst mich erklären: Als Kita im Jenseits war, hat sie sich dazu entschieden, zurückzukommen, um uns zu helfen", erklärte ich. Ani fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Jenseits?", fragte sie schwach. Gott, gleich würde sie uns wirklich umkippen. Felix nahm ihre Hand, die stark zitterte. Dann blickte er mir ernst in die Augen. „Helfen? Wobei? Was ist los?"
Ich sah unsicher zu Kita hinüber, deren Augen ich natürlich nicht sehen konnte. Aber ich konnte mir ihren Blick vorstellen. Ein wenig spöttisch, ernst und vermutlich etwas angefressen. Immerhin hatte er sie...naja, umgebracht. Ich konnte ihre Gedanken erahnen.
Ich hörte Kies knirschen. Meine Geisterfreundin bewegte sich. Ich wusste, wohin.

Felix POV

Elli hatte aufgehört zu reden, blickte zu Boden und grinste. Dann hörte ich es auch. Jemand bewegte sich. Ich hörte Schritte. Meine Körperhaltung war angespannt, ich blickte wachsam um mich, wer das sein könnte. Dann spürte ich plötzlich einen eiskalten Atem im Nacken.
Sofort ließ ich Anis Hand los und wirbelte herum und holte aus. Doch da war niemand. Ich stolperte. Ich hatte mit einer Person gerechnet. Und...Gott, war ich dumm. Wenn es keine Person war...?
Ich spürte etwas. Eiskalt, und doch vertraut. Dann bohrte sich etwas Kaltes zwischen meine Augen. Ich wollte schreien, aber ich konnte mich zusammenreißen und stieß nur ein schweres, überraschtes Keuchen aus. Das war Kita. Zwischen die Augen...So, so hatte ich sie umgebracht.
Vor lauter Entsetzen und Überraschung gab ich meine Deckung auf. Großer Fehler. Ich spürte einen Luftzug, doch war zu langsam, dem kommenden Schlag auszuweichen. Voll auf die Nase. Mal wieder. Ich wunderte mich, ob ich irgendwann eine Operation brauchen würde, um mich davon zu erholen. Warum immer meine Nase?
Aber dieser Schlag war anders. Ellis Schläge waren voller Verzweiflung, Wut und Trauer gewesen. Aber Kitas Schlag? Pure Rache. Ich wehrte mich nicht, schrie nicht, obwohl es höllisch weh tat. Ich hatte das verdient. Ich kniff die Augen zusammen und grunzte. Schmerz, lass nach...
Mittlerweile, von den ganzen Schlägen, spürte ich nicht mal, dass ich blutete, erst, als das Blut meinen Mund erreichte. Instinktiv fing ich es mit der Zunge auf. Es schmeckte eisenhaltig und mir wurde etwas schlecht von dem Geschmack. Ich hasste Blutgeschmack im Mund.
Währenddessen stolperte ich ein paar Schritte zurück, versuchte, das Gleichgewicht und meine Würde zu behalten. Was mir beides, naja, so mittelmäßig gelang. Gerade, als ich mich wieder gefangen hatte, schickte mich ein gut gezielter Geistertritt endgültig zu Boden. Ich landete hart auf dem knirschenden Kies, biss die Zähne zusammen und stöhnte vor Schmerz in meiner Nase und meiner Hüfte. Fuck...
Benommen versuchte ich, mich aufzurappeln, aber plötzlich spürte ich einen Druck auf meiner Brust, der mir die Luft raubte. Ich röchelte. Die raue Schuhsohle eines Winterstiefels. Ich startete abermals den Versuch, mich aufzurichten, aber der Stiefel war unerbittlich, ich war vom Kampf geschwächt und ein roter Nebel machte sich am Rande meines Sichtfelds bemerkbar. Schmerz...Roter, stechender Schmerz. Plötzlich spürte ich etwas Eiskaltes, das an meinem Hals entlang strich und ließ sich dann auf meiner Kehle nieder. Und drückte zu mit einer stärker, getrieben von Hass, Wut und Trauer.
Ich sank zurück, rang verzweifelt nach Luft. Luft...Süße, kühle Nachtluft. Doch die Hand blieb unerbittlich. Der rote Nebel wurde dichter, ich spürte meine Augen hervortreten. Dann spürte ich einen eiskalten Atemhauch an meiner Wange, als würde mir Kita etwas ins Ohr flüstern wollen. Racheworte? Flüche? Oder etwas anderes? Ihr Atem ging stoßweise, sie war offensichtlich sehr erregt. Verständlich. Jetzt hatte sie die Chance...Die Chance, alles zu beenden. Ihren Mörder zu töten. Ich hatte es verdient.
Ich hörte auf, mich zu wehren. Irgendwo schrie Ani. Doch...alles war auf einmal nichtig. Der Nebel...er hüllte mich ein. Einen Schritt noch und ich war für immer weg aus dieser Welt, ließ die Scheiße hinter mir. Fand ich jetzt meinen letzten Frieden? Ein Schritt...ein...ein so kleiner Schritt...alles...alles für dieses Ende. Und es war nah...Ich musste nur einen letzten Schritt gehen...So klein...so...so unbedeutend...

Plötzlich wurde das Gewicht von mir runtergerissen. Mein Blickfeld wurde wieder klarer. Über mir stand Elli, die heftige Atemwölkchen ausstieß und offensichtlich etwas Unsichtbares festhielt. Kita. Offensichtlich wandte sie dich in ihren Armen, denn Elli schien ganz schön zu kämpfen. Dann hörte der Widerstand auf. Meine Cousine flüsterte eindringlich auf ihre Geisterfreundin ein. In ihren grünen Augen blitzte ein seltsamer Ausdruck.
Grunzend richtete ich mich auf. Oh shit...Das hatte gesessen. Ani konnte sich wieder rühren und stürzte zu mir. „FelixohmeinGottbistduokayshitschonwiederdeineNasebrauchstdueinTaschentuch?", fragte sie mich mit so einer Geschwindigkeit, dass sich die Welt um mich zu drehen begann. Was meine Übelkeit noch schlimmer machte.
Ich drehte mich zur Seite, weg von Ani und würgte einen Schwall Blut hervor und meine Schwester wurde blass um die Nase, ließ aber nicht meine Hand los. Ach, wie lieb ich sie doch hatte.

Ich blickte zu Elli, die meinen Blick auffing. Offensichtlich hat sie Kita umarmt, denn die war ruhig geworden. Die Brust meiner Cousine bebte. „Du nimmst Emma, wie ausgemacht. Ich nehme Kita. Es ist besser, wenn wir uns für heute Nacht trennen", stieß sie hervor. Ich nickte bloß und biss vor Schmerz die Zähne zusammen, als ich aufstand.
Emma hatte sich offenbar erholt und grinste mich hämisch an. Ich knurrte sie an, zog sie hoch und schleifte sie hinter mir her auf dem Kiesweg nach Hause. Ani verabschiedete sich noch von Elli und winkte Kita zaghaft zu, bevor sie mit grimmigen Gesichtsausdruck ihren Platz auf Emmas anderer Seite einnahm. Wo beim Tartarus hatten wir uns nur reingerudert...?

Kita POV

Sophie wohnte in der nächsten Kleinstadt, in einer Wohnung im Erdgeschoss. Ich hielt Ellis warme Hand, das war eine Bedingung gewesen, damit sie mich nicht verlor. Ihr Griff war verkrampft, sie starrte geradewegs auf die dunkle Wohnungstür direkt vor uns. Sanft drückte ich ihr zweimal die Hand, um zu versichern, dass alles gut werden würde und ich da war. Sie atmete kurz geräuschlos aus, dann betätigte sie die Klingel.

Ein Mädchen öffnete die Tür und meine Augen weiteten sich unwillkürlich. Eigentlich sah sie ganz normal aus. Eigentlich. Sie war ein Stück größer als ich, hatte schöne, braune Augen und eine Brille und ein zierliche Stupsnase. Für die meisten hätte sie wohl den Anschein als das unschuldige Mädchen von nebenan gehabt, wären da nicht ihre Haare...
Sie waren bunt in Regenbogenfarben, von grün über gelb über magenta über marineblau, in ganz vielen Rasterzöpfchen geflochten und gingen ihr bis zur Hüfte. Gepaart mit ihrem schwarzen Outfit zerstörte das Ganze ihr süßes Bild und ließ sie frech und keck wirken. Ein wenig wie dieses schelmische Teufelsemoji. Gefiel mir, irgendwie.

„Hallo Elli!", begrüßte sie meine Freundin und sah sie verwundert an. „Normalerweise meldest du dich, wenn du kommst!" Elli blickte sie ernst an. „Hey Rainbow Dash. Tut mir leid, es ist wichtig. Darf ich reinkommen?" Sophie nickte. „Klar. Ich bin aber momentan allein daheim. Magst du was trinken?", fragte sie höflich.
Elli entspannte sich sichtlich. „Perfekt", murmelte sie erleichtert. „Nein, danke, ich will nichts trinken. Können wir in dein Zimmer gehen?" Sophie runzelte die Stirn. „Bist du okay? Aber klar, gehen wir." Wir zogen uns noch schnell die Schuhe und Jacken aus, dann verschwand Sophie auch schon in einem Zimmer.

Meine Freundin nahm wieder meine Hand und führte mich hinter ihr in einen mittelgroßen, aber dafür sehr gemütlichen Raum. Was mir als erstes auffiel: Hier waren Bücher. Sehr viele Bücher. Eine kleine Privatbibliothek. So viele hatte noch nicht mal ich und meine Sammlung war schon beträchtlich. Sophie ließ sich auf ein Bett fallen, dass von einigen Kissen und Stofftieren bedeckt war. Süß. Ich schmunzelte. Ja, es gefiel mir hier. Auffordernd klopfte sie neben sich. „Setz dich hier her, Elli. Was gibt's?", plauderte sie freundlich los. Diese zögerte einen Moment, drückte sanft meine Hand und ließ dann los. Schließlich setze sie sich ebenfalls auf das Bett, welches leicht quietschte.
Elli ließ mich nicht aus den Augen und suchte nach Hinweisen, ob ich immer noch dort stand. Ich seufzte. Nach der Friedhofsache traute sie mir offenbar nicht mehr, was meine Intentionen anging. Verständlich. Aber das mit Felix...Das war nicht wirklich ich gewesen. In diesem Moment...Ich wollte ihn eigentlich nur zwischen die Augen fassen, dort, wo er mich erschossen hatte. Danach war es, als hätte mich irgendwas übernommen. Ich kann nicht mal so kämpfen. Ich war zwar mal in der Grundschule für eine Zeit Karate gegangen, aber ich wusste nicht, dass ich jemanden damit so fertig machen konnte. Und zum Schluss...Als ich ihm die Kehle zugedrückt hatte...Ich habe alles nur mehr gedämpft wahrgenommen. Die Welt war eiskalt und dunkel. Mein Kopf war leer. Ich hab Elli nicht gehört. Nicht gespürt, dass sie mich von Felix runtergezerrt hatte. Ich wusste nicht, dass sie es war. Wollte mich wehren. Aber anstatt mich zu bekämpfen, hat sie mich nur fest umklammert. Einerseits, damit ich mich beruhige, andererseits, dass ich mich nicht losreißen konnte. Und dann...war plötzlich wieder alles klar. Ich sah Felix am Boden vor mir, blutend, röchelnd. Besiegt. Ani, die in die Leere starrte, bleich und verängstigt. Die süße, liebe Ani. Die zu ihren Bruder stürzte, die Angst hatte. Um ihn. Vor mir. Furchtbar. Elli, die mich festhielt, auf mich einredete. Ich erinnere mich nicht mehr an ihre Worte. Aber ich weiß nur, dass ich plötzlich Luft holte, als hätte ich seit Minuten nicht geatmet. Ellis Griff festigte sich. Und dann...weinte ich. Ich weinte, schluchzte, vor Angst, vor Schreck über mich selbst. Verdammt...Ich hatte versucht, jemanden zu töten. Ich! Ich sackte zusammen, gab allen Widerstand auf. Ich...Ich war ein Monster. Ich war tot. Ein Geist. Und doch lebendig. Wer war ich? Wer bitte war ich? Ich spürte, dass sich Ellis Umklammerung zu einer Umarmung lockerte. Ich schluchzte nur noch mehr, holte zitternd noch mehr von der kalten Nachtluft. Ich hatte Angst...So Angst...

Ich schüttelte den Kopf, hatte erst jetzt bemerkt, dass ich ins Nichts gestarrt hatte. Ich blinzelte, ein, zwei Mal, blickte mich dann um und saß mich schräg gegenüber vom Bett auf den Teppich, streifte mit meinen Finger an Ellis Knöchel vorbei, um sie wissen zu lassen, wo ich war. Die sah kurz in die Richtung, wo wie mich vermutete und räusperte sich dann. Aber Sophie kam ihr zuvor. „Elli, ich kenne dich schon seit Jahren und hab es jetzt von Anfang an gewusst, dass was nicht stimmt, also frage ich dich nur ein Mal: Was ist los?" Ich schmunzelte. Sophie hatte anscheinend eine sehr gute Menschenkenntnis. Oder sie kannte Elli einfach sehr gut. Beides Dinge, die wir wohl gemeinsam hatten.
Ich beobachte, wie diese den Blick senkte, nach Worten suchte und begann, mit den Daumen über die Innenseite ihres Handgelenks zu streichen. Eine Art Tick? Sie schluckte, warf einen schnellen Blick Richtung Tür um zu checken, ob sie auch wirklich zu war. „Du...hast mir ja von dem Geisterbuch erzählt, das du gelesen hast, oder?", fragte sie zögernd. Sophie nickte langsam. „Und da stand ja auch drin, wie man einen Geist sichtbar macht?", hatte sie weiter nach. Ihre Freundin verengte die Augen zu Schlitzen. „Worauf willst du hinaus?", wollte sie wissen. Nervös lachte Elli auf, spielte noch immer mit ihrem Handgelenk. „Also, du weißt, wie man das macht?", wollte sie wissen. Sophie zog einen Augenbraue hoch. „Ich hab das Buch sogar hier. Aber das beantwortet nicht meine Frage." Elli holte tief Luft und zischte im Ausatmen: „Könntest du einen Geist für mich sichtbar machen?"

Elli POV:

Sophie riss die Augen auf. Sie funkelten vor Neugier und Staunen. „Ein Geist? Du hast einen echten Geist!", rief sie aufgeregt und rieb sich die Hände. „Cool!" Ein freches Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Ich zog eine Grimasse und lachte auf. „Ja, so kann man es auch bezeichnen." Sophie drehte den Kopf und suchte mit den Augen den Raum ab. Vermutlich nach Kita, beziehungsweise, dem Geist. „Ist er hier?", fragte sie und bestätigte damit meine Vermutung. Ich nickte. „Wer ist der Geist? Ein Verstorbener? Ein Poltergeist? Foltergeist?", hakte sie nach, wobei ihre Augen noch immer aufgeregt strahlten. Ich lachte. „Foltergeist? Sowas gibt's?" Sophie blickte mich todernst an. „Natürlich gibt es das", erklärte sie so, als wäre das das Selbstverständlichste, was sie je gehört hatte. „Ist sogar wichtig zum sichtbar machen." Ich schmunzelte. „Natürlich, natürlich, alles klar." Sophie blickte mich noch immer auffordernd an. Ich hatte ihre Frage noch immer nicht beantwortet.

Ich schielte zu Kita. „Ähem...also, kennst du noch Kita?", fragte ich unsicher. Sophie nickte. „Sie war doch deine Freundin, oder? Und ist sie nicht vor Kurzem..." Sie riss ihre Augen auf und realisierte. „Kita? Du willst Kita zurückholen!", rief sie aufgeregt und klatschte in die Hände. Ich hüstelte. „Also, eigentlich brauchen wir sie gar nicht zurückholen. Sie ist hier. Aber unsichtbar und stumm."
Ich spürte eine kalte Hand an meiner Schulter. Kita machte sich wieder bemerkbar, dass sie noch da war. Sophie war fasziniert. „Cool...Wo ist sie?", wollte sie wissen. Kita tippte gegen meine Schulter. Ich schmunzelte. „Sophie, halt mir mal deine Hand hin", forderte ich sie auf, meine Freundin nickte und gab mir ihre Hand. Kitas Finger lösten sich von meiner Schulter und strichen über Sophies Hand. Deren Augen wurden noch größer und pure Faszination trat in ihren Blick. „Das ist so cool", hauchte sie. Ich lachte. So ruhig und leise hatte ich sie selten erlebt. Sophie war von Natur aus temperamentvoll und durch und durch lebendig. Aber auch direkt und ehrlich, eine verdammt gute Zuhörerin. Und noch so viel mehr, was sie zu einem der besten Menschen machte, die ich kannte. Und zu eine meiner besten Freundinnen.

Ich sah ihr an, dass ihr tausend Fragen auf der Zunge brannten, doch bevor sie die stellen konnte, sagte ich schnell: „Und wie machen wir das jetzt? Also mit sichtbar machen?" Sophies Blick löste sich von ihrer Hand und ihre Miene wurde ernst und konzentriert. „Warte, ich hole schnell das Buch", antwortete sie mir, stand auf und strich mit dem Zeigefinger über die Buchrücken in dem Regalen. „Es müsste hier sein...Eragon, Seawalkers...Ah, hier!", murmelte sie und zog ein altmodisches Buch mit braunem Einband hervor. Dann ließ sie sich wieder zu mir auf Bett fallen. Sie öffnete das Buch und ich wunderte mich, wie neu und ungebraucht die Seiten wirkten. Anscheinend ein Wolf im Schafspelz, sah alt aus, war aber von 2017.
Schließlich hatte Sophie die richtige Seite im Inhaltsverzeichnis gefunden und schlug sie auf. Sie überflog kurz die Zeilen und sah mich dann an. „Gut, ich weiß, was wir machen müssen", verkündete sie und machte eine Handbewegung. „Kita, stell dich mal in die Mitte vom Raum. Ich hörte Schritte. Kita ging auf ihre Position. „Dann brauche ich ein Foto von ihr", machte Sophie weiter. Ich kramte mein Handy hervor und zeigte ihr ein Foto der lachenden Kita, das völlig aus dem Zufall entstanden war. Normalerweise mochte sie Fotos genauso wenig wie ich. „Geht das?", fragte ich. Sophie nickte. „Dann...eine Tasse Mehl. Wartet kurz", sagte sie, sprang auf und verschwand aus dem Zimmer, wobei sie einen großen Bogen um die Mitte machte. „Hehe, jetzt wirst du doch mit Mehl beschmissen", witzelte ich und rieb mir die Hände. Womit ich mir einen Boxer gegen die Schulter einhandelte. Aua.
Dann kam Sophie wieder in den Raum gerauscht mit einer Tasse Mehl in der Hand. Sie blieb stehen, sagte „Halt das" und drückte meiner unsichtbaren Geisterfreundin die Tasse in die Hand, welche bei der Berührung sofort verschwand. Sophie grinste. „Cool. Könnte man easy eine Bank ausrauben." Dann nahm sie wieder das Buch in die Hände. „Als nächstes...Ein...Tuch?" Sie runzelte die Stirn. Mit einer Geste bedeutete sie mir, aufzustehen und zog die blaue Tagesdecke unter meinem Allerwertesten weg. Dann packte sie sie Kita über den Kopf, sodass man nichts mehr von ihr sah. Naja, hatte man auch davor nicht. Beim dritten Versuch schaffte sie es endgültig, ihren gesamten Körper zu bedecken. Jetzt schwebte eine blaue Tagesdecke in der Mitte von Raum herum. Völlig normal.

Sophie atmete geräuschvoll aus. „Gut, dann kann es ja losgehen, na Halleluja", murmelte sie. Dann verzog sich ihre Miene wieder zu einem Grinsen und sie rieb sich eifrig die Hände. „Das wird so coooool!", rief sie begeistert und ich lächelte ebenfalls. Ihre freudige Motivation entlockte mir oft ein Lächeln. Einfach ansteckend.
Dann schloss ich die Augen und atmete ein letztes Mal tief durch. Na, hoffentlich ging alles gut. Ich stockte. Was wenn etwas nicht stimmte mit dem Buch? Es eher mehr ein schlechter Ghostbuster Roman als ein seriöses Geisterbeschwörungsbuch war? Ich drehte mich hastig zu Sophie, doch es war zu spät. Meine Freundin hatte bereits begonnen, mysteriöse Formeln und Wörter aufzusagen. Ganz konzentriert und mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte sie auf die fliegende blaue Decke in der Raummitte.

Ehara matou i te tauhou ki te aroha
E mohio ana koe ki nga ture me ahau ano hoki
Ko te tino pono ko taku e whakaaro nei
Kaore koe e whiwhi i tenei mai i tetahi atu taangata
Kei te pirangi noa ahau ki te korero ki a koe e pehea ana ahau
Me whakamarama koe

Dann hob sie sie plötzlich eine Hand und hielt sie vor sich. Langsam begann sie, mit den Fingern zu kreisen, immer schneller und immer wilder, bis sie schließlich unkonzentriert vor sich in der Luft rumfuchtelte. Ich schmunzelte. Na, ob das helfen würde...Zweifelnd blickte ich zu meiner unsichtbaren Geisterfreundin unter der Decke. Ich vermutete, dass sie selbst gerade kicherte, denn unter der blauen Decke bebte es. Sophie fokussierte sie weiterhin. Und Kita hörte nicht auf zu lachen. Ich runzelte die Stirn. Normalerweise war sie nicht die Person, die anfällig für heftige Lachkrämpfe war. Dann würde aus dem leichten Beben plötzlich ein Zittern, bis sich das in ein gekrampftes Krümmen wandelte. Alarmiert sprang ich auf. Das war definitiv nicht normal. „Sophie, Stopp!", gellte ich. Sie reagierte nicht, sprach weiter störrisch die Formeln vor sich hin. „Sophie!" Mit einer Hand wedelte ich vor ihren Augen. Aber sie blinzelte nicht mal.

Ich fluchte leise. „He, Sophie, schau doch her!", rief ich und schnipste mit meinen Fingern vor ihrem Gesicht. Keine Reaktion. Im Gegenteil. Ihre Haut wurde blass, ihre Hand begann zu zittern. Ihr Gesicht entspannte sich, sackte nach unten und...das komischste an der ganzen Sache war, dass sich ihre Iris plötzlich blitzblau färbte. Nein, da lief etwas ganz falsch. Sophie hatte sehr schöne, braune Augen!

E kore koe e tuku
E kore koe e tuku iho
E kore koe e oma haere ka whakarere i a koe
E kore koe e tangi
E kore rawa e poroporoaki
E kore rawa e korero teka ka mamae koe

Ihre Stimme wurde seltsam monoton, ihr Blick verlor sich weit hinter dem Horizont. Aus ihren Worten wurde ein Flüstern. Langsam kippte sie zur Seite, ihre Stimme schwand bis zu einem Hauchen. Sie überdrehte sie Augen und fiel zur Seite um. Im letzten Moment konnte ich sie noch sanft auffangen.
„Sophie!", gellte ich und beugte mich über sie. Hektisch suchte ich nach ihrer Halsschlagader und atmete erleichtert auf. Normaler Puls. Vielleicht etwas schnell. Aber im grünen Bereich.
Ich zog mich zurück und betrachtete sie. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Züge entspannt. Sie atmete tief und ruhig, als würde sie schlafen. Langsam floss auch das Blut in ihre farblose Haut zurück. Soweit ich es beurteilen konnte, war sie okay.
Dann hörte ich hinter mir ein dumpfes „Bumm". Ich fuhr herum. Die Decke lag am Boden, bedeckte eine Menschensilhouette. Ich keuchte. Kita! Ich warf einen schnellen Blick zu Sophie, dann stürzte ich zu meiner besten Geisterfreundin.

„Kita!" Ohne zu zögern riss ich die Decke von ihrem Körper. Ich stockte in meiner Bewegung und ließ das provisorische Tuch fallen. Kita...war sichtbar! Zögerlich kniete ich mich neben sie hin. Mit meinem Handrücken strich ich zärtlich über ihren. Ihre Haut war warm. Mein Blick wanderte ihren Körper auf und ab. Ich konnte es kaum glauben. Unwillkürlich stiegen mir Tränen in die Augen. Mit dem Ärmelende wischte ich sie weg und schniefte. Meine beste Freundin...Sie war ermordet worden. Begraben. Dann plötzlich wieder lebendig und jetzt...jetzt lag sie vor mir. Sie sah aus, als würde sie schlafen.
Ich beugte mich mit dem rechten Ohr über ihren Mund. Ein zarter Hauch streifte meine Haut. Ich zog mich zurück und tastete nach ihrer Pulsader. Er war schwach. Doch sie lebte. Kita lebte!
Plötzlich kniff sie ihre Augen zusammen, rümpfte ihre Nase. Dann blinzelte sie ein paar mal, bevor sie sich ein bisschen bewegte. Nur ein paar leichte Bewegungen. Aber sie tat sie! Sie selbst! Und ich konnte sie sehen. Dann stöhnte sie qualvoll auf. Ihr Gesicht guckte wie in einem schlechten Traum. Dann lag sie wieder reglos da. „Kita?", fragte ich und sah gebannt auf ihr Gesicht. Als sie sich wieder nicht rührte, rutschte ich ein Stück näher. „Kita?"

Bevor ich es fassen konnte, schlug sie die Augen auf und setzte sich ruckartig auf. „Heilige Scheiße!", stieß sie hervor und riss die Augen auf. Einen Moment später fasste sie sich an den Kopf, verzog schmerzvoll das Gesicht und kniff die Augen zusammen. „Kita, bist du okay?", stammelte ich, maximal verwirrt.
Im selben Moment hörte ich ein Raunen hinter mich. Sophie hatte sich ebenfalls aufgerappelt und rieb sich die Schläfen. Dann blickte sie mich an. Ich entspannte meine Schultern. Ihre Augen waren wieder braun. Doch plötzlich riss sie sie auf und schlug sich eine Hand vor den Mund. „Oh Gott", hauchte sie, Schock und Belustigung schwangen in ihrer Stimme mit. Dann sprudelte ein Lachen aus ihrer Kehle.
Kita starrte sie unverständig an. „Du warst...Sophie, nicht wahr?", meinte sie langsam. Rainbow Dash nickte. „Jepp, das bin ich. Und du bist Kita", erinnerte sie sie. Diese rieb sich die Augen und seufzte angestrengt. „Oh Mann...Jetzt hab ich Kopfschmerzen", stöhnte sie. Dann fokussierte sie erneut Sophie und verengte die Augen zu Schlitzen. „Warum hast du gelacht?", fragte sie. Ich presste die Lippen aufeinander. Dann hatte sie es also noch nicht bemerkt. Bedeutungsschwer hüstelte ich.

Kita blinzelte ein paar mal und schüttelte den Kopf. Geduldig wartete ich, bis sie sich vollkommen gefangen hatte. Dann sog sie scharf Luft ein und hob die Hände. Ich bemerkte, dass sie leicht zitterten. „Ähm...Leute?", stammelte sie und zeigte uns ihre Handflächen. „Ist das normal?"
Ihre Hände, die sie uns entgegenstreckte, waren von einer sanft leuchtenden, blauen Haut überzogen. Meine Geisterfreundin...War ein Geisterlicht!
Alles, ihre Haut, ihre Haare, ihre Augen, sogar ihre Kleidung, leuchteten in einem sanften Geisterblau! Sie sah wirklich aus wie einer dieser Cartoongeister, die man öfters in Comics oder Zeichentrickserien für Kinder sah.
Verblüfft und ungläubig starrte Kita auf ihre Hände. Oder besser, starrte durch. Denn wäre es nicht klischeemäßig genug, dass sie blau schimmerte, war sie auch noch leicht durchsichtig. Ein krächzendes Lachen kam aus ihrem Mund. „Das ist verrückt, so verrückt", sagte sie heiser.
In diesem Moment klatschte sich Sophie in die Hände und konnte ein Lachen nicht mehr halten. Kita und ich wirbelten uns zu ihr herum, wo diese laut lachte und vor Vergnügen hin und her wippte. „Ist das geil!", japste sie und konnte sich vor Lachen kaum halten. Unwillkürlich wanderten meine Mundwinkel nach oben, Kita ihre ebenfalls. Einen Moment später kugelten wir lachend am Boden und konnten uns kaum halten. Ich hielt einen Moment inne und musterte traurig lächelnd meine beiden Freundinnen, die mittlerweile Tränen in den Augen hatten. Ich konnte nicht sagen, was noch geschehen würde, aber eines wusste ich: Das Leben von keinem von uns würde jemals so wie vorher sein.


Naaaaaaa? Wie hat es euch gefallen? Ist viel passiert, nicht wahr? Über 4000 Worte, na Halleluja.

Wieder ganz liebe Grüße gehen raus an meine Darsteller:
Kitaranreader .... als Kita (und die Co-Autorin!! Nächstes Kapitel wieder bei ihr, das letzte ebenfalls natürlich.)
felixx5 .... als Felix (mit gebrochener Nase)
lovely-pineapple .... als Ani (die die dauerblutende Nase ihres Bruder versorgen muss)
SophieSeestatt .... als Sophie/Rainbow Dash (und seit neuestem Geisterbeschwörerin. Ich traue dir das zu 100% zu)

Ich bin gespannt Kita, was du daraus machst. Genug Stoff hast du ja;)
Und entschuldigt fürs lange Warten...💙🪶

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