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Nachdem sie ihren Tanz beendet hatten, stellten sie sich wieder in eine der Ecken der Tanzfläche. Die Musik war immer noch laut, doch sie fühlte sich plötzlich viel leiser an, fast wie eine entfernte Erinnerung. Valerie brauchte einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen, und als sie sich von Samuel löste, merkte sie, wie sich ihre Schultern entspannten.
Immer wieder kamen Leute auf sie zu und machten ihnen Komplimente. Manche hatten ihren Blick nie von den beiden genommen, andere waren von der Chemie, die sie ausstrahlten, überrascht. „Ihr tanzt fantastisch!", „So natürlich, als hättet ihr nie etwas anderes getan!" Die Worte prasselten auf sie ein, begleitet von begeisterten Blicken und Lächeln. Samuel nahm es mit einer gewissen Leichtigkeit, nickte und lachte höflich. Valerie hingegen fühlte sich immer unwohler. Es war nicht das Lob, das sie störte, sondern die Tatsache, dass es von außen so aussah, als wären sie wirklich ein Paar. Immer wieder schlich sich ihr der Gedanke ein, wie viel von dem, was sie gerade erlebte, echt war – oder ob sie nur eine Rolle spielte, die sie nie gewollt hatte.
"Es wird nicht weniger, oder?", fragte sie, als eine weitere Gruppe auf sie zutrat, diesmal mit einem besonders überschwänglichen Paar, das nicht aufhören konnte, von ihrer „tollen Chemie" zu schwärmen.
„Nein, aber ich hab's dir ja gesagt. Du bist einfach eine Naturtalentin", antwortete Samuel, sein Lächeln war jetzt eher ein bisschen selbstironisch.
Valerie nickte, versuchte, ihre innere Unruhe zu verbergen. Sie zwang sich zu einem Lächeln, als die Gruppe sich langsam verabschiedete und sie wieder für sich waren. Der Lärm und die Menschenmengen, die einen wilden, fast chaotischen Eindruck machten, verschmolzen langsam zu einem fernen Hintergrundgeräusch. Doch dieser Moment der Stille währte nicht lange, denn schon bald kam der nächste angetäuschte „zufällige" Begegnungsmoment.
Valerie war heilfroh, als die Party endlich zu Ende ging. Die letzten Gäste verließen langsam den Raum, und der Raum, der eben noch voll von Leben und Energie war, wirkte plötzlich weit und leer. Sie spürte eine Erleichterung, als sie die Tanzfläche verließ und in die frische Luft trat. Das war das Ende des Spiels, zumindest für heute. Der Abend hatte mehr von ihr verlangt, als sie erwartet hatte – mehr Nähe, mehr Aufmerksamkeit, mehr Interaktion, als sie je gewollt hatte. Es war nicht, dass sie keine Gespräche mochte oder keine Komplimente schätzte, aber in dieser speziellen Umgebung, mit all den Blicken und der Rolle, die sie spielte, hatte es sich irgendwann falsch angefühlt.
„Na, was sagst du? Mission erfüllt?", fragte Samuel, als er sie zu ihrer Jacke begleitete.
„Ja, zumindest für heute Abend", antwortete sie und strich sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. „Mission erfüllt. Aber ganz ehrlich, ich bin froh, dass es vorbei ist."
„Kann ich gut verstehen", sagte er, als sie sich draußen in die kühle Nachtluft begaben. „Du hast das großartig gemacht. Der ganze Abend war wie aus einem Film."
„Ich denke, ich sollte mich bei dir bedanken", erwiderte sie mit einem schiefen Lächeln, „auch wenn du mich beinahe in den Wahnsinn getrieben hast."
Samuels Eltern traten zu ihnen. „Hey, ihr beiden, wir wollen die romantische Stimmung nicht unterbrechen, aber wir würden Samuel jetzt für heute entführen. Er schreibt morgen eine wichtige Prüfung." Die Gesichter der beiden strahlten, und der Plan hatte tatsächlich funktioniert. Samuel drehte sich noch einmal zu ihr um und küsste, wie am Tag davor, erneut ihre Hand. „Auf Wiedersehen, Val!" Der Spitzname überraschte sie, und sie grinste. „Auf Wiedersehen, Sam!" Nun war er der, der überrascht aussah, sich jedoch wieder fing und mit seinen Eltern zum Ausgang ging. Simon schlich ihnen hinterher und nickte ihr zum Abschied noch zu.
Sofort kam ihre Mutter quasi zu ihr gesprungen. „Oh, du und Samuel versteht euch ja doch sehr gut!"
Sie lächelte noch etwas länger, mitspielen und dann ins Bett fallen. „Ja, ich und Sam verstehen uns sehr gut."
„Also seid ihr schon bei Spitznamen?", fragte ihre Mutter entzückt. Sie nickte und lächelte. „Ich geh jetzt schlafen, es war ein langer Abend, und ich muss mich ausruhen!" Sie ging in ihr Zimmer und ließ sich in ihr Bett fallen. Nach einigen Minuten schlief sie ein.
Im Schlaf fiel Valerie in einen Traum, der sich weich und sanft anfühlte, als ob er direkt aus einem Film stammte, wie Samuel es gesagt hatte. Der Raum um sie herum war verschwommen, die Wände verschwanden in einem Nebel aus Licht und Farben, die nicht ganz real, aber auch nicht ganz unnatürlich waren. Sie fand sich auf einer weiten Wiese wieder, das Gras war saftig grün, und der Himmel über ihr strahlte in den sanften Farben des frühen Abends. Es war still, aber nicht unangenehm – eine ruhige Stille, die nur von der sanften Melodie des Windes durch die Bäume begleitet wurde.
Vor ihr stand Samuel, genau wie im echten Leben – doch irgendwie anders. In diesem Traum schien er sich von allem zu befreien, was real und greifbar war. Er trug ein lockeres, weißes Hemd, das im Wind flatterte, seine Augen leuchteten sanft, das in den Unendlichkeiten des Himmels verschwand. Es war ein Lächeln auf seinen Lippen, das gleichzeitig vertraut und geheimnisvoll war. Er sah sie an, als ob er sie wirklich verstehen würde – ohne Worte, nur durch den Blick.
„Du bist wunderschön", sagte er und griff nach einer ihrer Haarsträhnen, zwirbelte sie spielerisch herum. Sie konnte nicht sprechen. Sie starrte ihn an, ihr Mund war leicht geöffnet, gefangen im Moment. „Was, wenn ich einfach...?" Er verstummte und lehnte sich näher zu ihr.
Seine Hand streifte sanft ihr Gesicht, und sie spürte die Wärme, die von ihm ausging, wie eine ruhige Flutwelle, die sie langsam ergriff.
Er beugte sich weiter vor, bis sein Gesicht fast das ihre berührte. Valerie spürte das sanfte Ziehen in ihrer Brust, die Vorahnung, dass etwas sehr Wichtiges auf sie wartete – und doch konnte sie sich nicht bewegen. Es war, als wäre der Traum selbst ein stilles Versprechen, ein Moment, in dem alles möglich war, aber gleichzeitig auch ungreifbar.
„Lass uns diesen Moment noch ein bisschen länger festhalten", sagte er leise. Er zog sie wieder näher zu sich, und dieses Mal gab es keine Zweifel, keine Bedenken mehr. Der Traum nahm sie vollständig in sich auf, umhüllte sie mit einer beruhigenden Wärme, als er sie zärtlich in seine Arme schloss.
Ihre Lippen fanden sich in einem Kuss, der so weich war, dass es fast so schien, als würde der Himmel selbst stillhalten, um ihm zuzusehen. Es war kein leidenschaftlicher Kuss, sondern ein sanfter, nahezu schüchterner Kuss, der jedoch eine tiefe Vertrautheit trug. Sie schloss die Augen und ließ sich von ihm führen, als ob sie ihm vertrauen konnte, ohne nach einem Ausweg suchen zu müssen.
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