14
Valerie starrte ihn fassungslos an, als seine Worte in ihr wie ein Donnerhall nachklangen. Ihre Brust zog sich zusammen, und sie fühlte sich, als ob ihr der Boden unter den Füßen weggezogen worden wäre.
„Du hast die Tür aufgelassen", wiederholte er, und seine Stimme war zitternd, fast verzweifelt. „Hättest du sie nicht aufgemacht, wäre Kaya nicht rausgerannt. Du hast sie in den Verkehr gelassen, Valerie!"
„Was?!", schrie sie ihn an, ihre Stimme voller Wut und Schmerz. „Du wirfst mir vor, dass es meine Schuld ist?!"
Die Dunkelheit der Nacht schien sie zu umhüllen, der Regen prasselte auf ihre Köpfe, doch in ihrem Inneren war es wie eine flammende Hitze, die alles verbrannte, was einmal da gewesen war.
„Du bist immer der, der sich vor allem versteckt, Samuel! Dein verdammter Vater... du tust nie etwas gegen ihn! Und jetzt schuldest du mir, dass unser Leben hier zu einem Albtraum geworden ist?!"
Samuel schloss die Augen, seine Fäuste ballend, als er versuchte, sich zu sammeln. Es war ein brennendes Bedürfnis in ihm, sie in diesem Moment zu halten, sie zu beruhigen. Aber er konnte nicht. Nichts an diesem Tag machte Sinn, nichts fühlte sich richtig an.
„Ich habe nie gewollt, dass das passiert", murmelte er, doch seine Stimme war schwach, schwankend. „Ich..."
„Du hast nichts gewollt, Samuel! Du hast einfach zugesehen, wie dein Vater alles kaputt gemacht hat! Und du... du hast uns kaputt gemacht! Kaya ist tot, Samuel. Und du bist nicht in der Lage, sie zu retten, weil du die ganze Zeit in dieser verdammten Illusion lebst, dass du es alleine schaffen kannst!"
Er konnte ihre Worte nicht mehr ertragen. Sie brannten in ihm wie Säure, gruben sich tief in seine Seele. „Ich habe sie nicht rausgeschmissen! Ich... ich habe sie nie weggeschickt, Valerie! Es war mein Vater, es war immer er!"
„Und was hast du getan?", schrie sie, Tränen mischten sich mit dem Regen, der nun wie kaltes Mauerwerk auf sie niederprasselte. „Du hast nichts getan, um uns zu beschützen! Du hast nicht gegen ihn gekämpft! Und du hast sie ausgerechnet im entscheidenden Moment nicht einmal geschützt!"
Ihre Worte trafen ihn, als hätte sie ihm eine Faust ins Gesicht geschlagen. Es war, als würde alles, was er dachte, und alles, was er versuchte aufzubauen, in sich zusammenbrechen. Samuel fühlte sich hilflos, ausgeliefert und enttäuscht von sich selbst, von allem.
Sie ließ ihn stehen. Er wollte es einfach alles wieder geradebiegen...
Sie rannte, sobald er sie nicht mehr sehen konnte. Sie wollte raus, raus aus der Stadt, raus aus diesem Leben, einfach weg. Sie hatte ihn geliebt, dachte sie zumindest.
Sie wollte zusammenbrechen, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Es interessierte sie nicht, wie Samuels Vater von dem Spiel Wind bekommen hatte, doch er hatte Wind davon bekommen, und als er mit Gläsern nach Samuels Katze geworfen hatte, hatte dieser nur daneben gestanden. Sie holte ihr Handy heraus und hoffte, dass der Regen ihre Tippfähigkeit nicht einschränkte.
Sie öffnete WhatsApp und schrieb der einzigen Person, der sie noch vertraute:
Valerie:
Es tut mir leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Ich brauche dich jetzt. Bitte hilf mir. Ich kann nicht mehr.
Ihre Finger zitterten, als sie die Nachricht abschickte. Der Regen vermischte sich mit den Tränen, die unaufhörlich über ihr Gesicht liefen. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon unterwegs war, wie viele Straßen sie einfach nur im Zorn und in der Verzweiflung hinuntergerannt war. All das, was sie sich aufgebaut hatte, war zerbrochen. Ihr Leben fühlte sich wie ein zerfetztes Puzzle an, aus dem keine Teile mehr zusammenpassen wollten. Samuel, sein Vater, Kaya... alles war so falsch, so leer geworden.
Sie wusste nicht, wie sie sich weiter durch den Regen bewegen konnte, wie sie den ganzen Schmerz und die Wut überstehen sollte. Sie hatte sich in den letzten Monaten immer wieder selbst erzählt, dass sie für alles kämpfen würde – für Samuel, für sie beide. Doch jetzt war nichts mehr übrig. Nichts außer dieser Leere und der quälenden Frage, warum alles so aus dem Ruder gelaufen war.
Während sie das Handy wieder in ihre Tasche steckte, hörte sie Schritte hinter sich. Eine vertraute Stimme rief ihren Namen.
„Valerie!"
Es war Samuel.
Sie drehte sich nicht um. Der Klang seiner Stimme drang wie ein dumpfer Schlag durch den Regen, doch er bedeutete nichts mehr.
„Geh einfach", flüsterte sie mehr zu sich selbst, ohne sich wirklich selbst zu hören. „Geh einfach."
Doch Samuel hörte nicht auf.
„Valerie, bitte, warte!"
Seine Stimme war verzweifelt, und sie konnte hören, wie der Schmerz in seinen Worten mit jeder Sekunde wuchs. Aber es war zu viel. Zu viel, um es noch zu ertragen.
„Was willst du von mir, Samuel?", Ihre Stimme brach fast, als sie sich schließlich umdrehte. Ihre Augen waren rot von den Tränen, und die Wut in ihr ließ sie fast kochen. „Du hast mich betrogen. Du hast mich und Kaya betrogen. Du bist nie da gewesen, wenn es darauf ankam! Was willst du mir jetzt noch sagen? Was soll das noch bringen?"
„Valerie, bitte..." Er stand wenige Meter hinter ihr, die Hände an die Brust gepresst, als würde er versuchen, sich selbst zu beruhigen. „Ich kann nicht ohne dich. Du bist alles, was mir noch bleibt. Du musst mir glauben..."
„Hör auf!", schrie sie, die Hand in die Luft reißend. „Hör einfach auf, mir immer wieder diese leeren Worte zu sagen, Samuel! Was bringt das alles noch?"
Ein Schmerzenslaut entglitt ihm, als er einen Schritt auf sie zu machte. „Ich weiß, dass ich alles kaputt gemacht habe. Ich... ich bin nicht der Mann, der du wolltest. Aber ich will es besser machen. Ich will für uns kämpfen. Ich liebe dich, Valerie. Du musst mir glauben."
„Lass es", zischte sie, ihre Augen blitzten vor Wut. „Es ist zu spät. Du hast alles zerstört, und ich kann nicht mehr in dieser Lüge leben. Du bist nicht der, den ich geliebt habe. Du hast dich verändert, Samuel. Und ich habe nie gewusst, wie du wirklich bist, bis jetzt. Du bist genauso wie ich dachte – ein junger Mann, der sich seinen Eltern nicht widersetzen kann. Also geh."
Samuel erstarrte. Er wusste, dass sie recht hatte. Er hatte nur zugesehen, als sein Vater mit Glas nach Kaya geworfen hatte. Hätte er auch nur zugesehen, wenn er Valerie mit Glas beworfen hätte? Er wusste es nicht.
Doch ihre Antwort war wie ein Donnerschlag:
„Du hast keine Ahnung, was du getan hast."
Ihre Augen verengten sich, als sie die letzten Worte noch einmal an ihn richtete, leiser, aber dafür umso durchdringender:
„Ich habe dich geliebt, Samuel. Geh jetzt."
Samuel wollte noch etwas sagen, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Alle Worte, die er noch finden wollte, blieben in ihm stecken, als er einfach nur vor ihr stand und spürte, wie die Distanz zwischen ihnen immer größer wurde. Es gab keinen Weg zurück. Sie hatte sich von ihm abgewendet.
Mit einem letzten, verzweifelten Blick verschwand er in der Dunkelheit. Sie hörte die Schritte langsam verblassen, bis er ganz verschwunden war. Valerie drehte sich wieder weg und blickte auf das Handy, das immer noch in ihrer Hand lag. Die Nachricht war noch immer nicht beantwortet. Ihre Finger waren nicht fähig, einen weiteren Gedanken zu fassen, als sie weiterging.
Im Inneren fühlte sie sich leer. Die Welt um sie herum verschwand in der Dunkelheit des Regens, und alles, was noch zählte, war die Nachricht, die sie hoffte, bald zu erhalten.
Valerie:
Ich brauche dich jetzt. Bitte hilf mir.
Ein leises Vibrieren in ihrer Tasche ließ sie innehalten. Ihre Hände zitterten, als sie das Display berührte. Die Antwort war sofort da.
Simon:
Ich bin auf dem Weg.
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