13

Valerie kam nach einem langen Tag in der Stadt nach Hause.
Es war spät, der Himmel war schon tief in Dunkelblau gehüllt, und die Straßen waren leer. Der Gedanke an ein ruhiges Abendessen und den Duft von Samuel, der wahrscheinlich schon in der Küche auf sie wartete, ließ ihre Schritte leichter werden.

Sie hatte gerade ihre Schlüssel in das Schloss gesteckt, als sie die Tür öffnete.

Plötzlich, wie aus dem Nichts, hörte sie einen lauten Knall, der sehr nach Glas klang, das zerbrach.

Valerie stürzte schnell durch den Flur, riss die Tür zum Wohnzimmer auf. Dort standen Samuel und sein Vater. Beide waren mehr als zornig und schrien: „Also hast du uns die ganze Zeit angelogen, Samuel?!"
„Nein, hab ich nicht, Dad, lass es mich doch erklären!"
„Ich lasse mir nichts von so einer Enttäuschung wie dir sagen!" Er begann wieder, Gläser nach Kaya zu werfen, die erschreckt auffauchte.
„Ist sie auch Teil deines kleinen Plans?"
Erst jetzt bemerkten die beiden Valerie, und sein Vater blickte auch sie erzürnt an. Dann richtete sich sein Wut wieder gegen Kaya, die wie festgefroren an Valerie vorbeirannte und aus der Haustür lief.

„Kaya, bleib hier!" Valerie rief und rannte die Auffahrt hinunter, ohne einen Moment zu zögern. Die Katze lief flink und entschlossen, ohne sich um den Garten oder die Straße zu kümmern.
„Kaya, warte!"
Kaya war schneller, als sie geahnt hatte, und rannte nun auf die Hauptstraße zu.

„Kaya!" Valerie schrie verzweifelt, als die Katze vor einem herannahenden Auto plötzlich stehen blieb. Der Motor des Fahrzeugs war kaum zu hören, doch Valerie wusste, dass es zu spät war.
„Kaya, bleib stehen!" Sie rannte nun noch schneller. Ihre Füße drückten fest auf den Asphalt, als sie sich immer weiter dem Tier näherte. In diesem Moment hörte sie hinter sich das Hupen eines weiteren Autos, und als sie sich noch weiter auf die Straße stürzte, sah sie das Fahrzeug mit immer näher kommendem Tempo auf sich zukommen.

„Nein!", schrie sie panisch.

Samuel.
Er rannte ebenfalls. Valerie konnte hören, wie er hinter ihr schrie, doch in dem Moment, als sie die Straße erreichte und sich dem Auto näherte, kam alles viel zu schnell.

Ein kurzer, ohrenbetäubender Knall.

Valerie lag auf dem kalten Asphalt, atmete schnell, und als sie Samuel in die Augen sah, war sie für einen Moment zu erschöpft, um etwas zu sagen. Das Adrenalin stieg ihr immer noch in den Kopf, und sie spürte ihren Herzschlag so laut in ihren Ohren, dass sie fast glaubte, es würde sie erdrücken.

„Kaya", flüsterte sie heiser, versuchte sich aufzurichten.

„Es ist okay", sagte Samuel mit belegter Stimme. „Sie ist okay."

Doch Valerie wusste, dass es nicht okay war. Sie war zu schnell, zu wild, als Kaya erneut in den Verkehr gerannt war. Sie musste sicherstellen, dass es ihrer Katze gut ging.

Sie setzte sich mit seiner Hilfe auf. Sie wurde nicht angefahren. Samuel hatte sie kurz vor dem Aufprall zurück auf den Bürgersteig gezogen. Kaya lag auf der Straße, ein Auto hielt wenige Meter hinter ihr an. Eine Pfütze Blut ergoss sich um die schwarze Katze, und auch die Reifen des Autos waren voller Blut. Es war ein Albtraum. Mehr und mehr Autos kamen zum Stillstand, während sie in Samuels Armen saß und weinte. Er hatte den Tierarzt angerufen, der schneller als sie geahnt hatten gekommen war. Valeries Sicht war verschwommen, und sie nahm alles nur sehr gedämpft wahr.

Der Raum im Notarztwagen war stickig, und Valerie hatte Schwierigkeiten, ihren Atem zu kontrollieren. Ihre Hand zitterte, als sie sie in ihrem Schoß ballte, und sie fühlte sich so leer, als wäre alles in ihr zerbrochen. Ihre Gedanken rasten – doch der Schmerz, der sich in ihrem Herzen ausbreitete, war der einzige, der wirklich zählte.

Samuel saß neben ihr, die Hand fest um ihre, während der Notarzt sich immer wieder nach hinten drehte, um einen Blick auf sie zu werfen. „Sie ist in Schock", sagte der Arzt mit beruhigender Stimme, als würde es für ihn eine Selbstverständlichkeit sein. „Aber es wird ihr wieder besser gehen. Ihre Vitalwerte sind stabil. Sie ist stark."

Valerie versuchte, sich auf seine Worte zu konzentrieren, aber sie konnte nicht. Ihre Gedanken waren immer noch bei Kaya, der schwarzen Katze, die wie ein Schatten in ihren Erinnerungen umherstreifte. Sie hatte sie gehört, wie sie kurz aufgejault hatte, kurz bevor alles in einem brutalen Moment explodierte.

Es war zu schnell passiert. Zu abrupt. Und jetzt... war alles, was sie fühlen konnte, dieser schneidende Schmerz.

Der Tierarzt kam mit gesenktem Kopf zu ihr herüber. „Mister Hunter, es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen. Ihre Katze ist tot und ihre Kinder auch..."
Sie versuchte, sich auf die Worte zu konzentrieren, doch sie verstand nur ein Wort. Kinder. Kaya hatte Kinder gehabt. Das bedeutete, dass sie schwanger gewesen war... Sie wusste nicht, was passierte, aber plötzlich begannen die Tränen noch stärker als zuvor zu fließen. Sie wollte weg, einfach weg. Ihre Trauer wurde nun von einem noch stärkeren Gefühl verdrängt: Wut. Wut auf Samuel und seinen verdammten Vater. Hätte er sie nicht zurückgezogen, hätte sie Kaya vielleicht retten können. Sie sprang auf und entschied zu gehen. Sie wollte nicht mehr an diesem Albtraumhaften Ort bleiben.

Sie hörte Schritte hinter sich und wusste, wer das war: Samuel...

Er machte einen Schritt auf sie zu. Sie funkelte ihn rasend an und pikste ihm mit ihrem Finger in die Brust.
„Du verdammtes Arschloch, was fällt dir ein?!" Ihre Stimme war eine Oktave höher gewandert, und sie schrie ihn an.

Nun bildete sich auch in seinen Augen Wut ab.
„Mir?! Was fällt dir denn ein, einfach auf die Straße zu laufen?"
Sie lachte hysterisch auf.
„Ich wollte unsere Katze retten, die du rausgeschmissen hast!"
„Ich hab die blöde Katze nicht rausgeworfen, das war mein verdammter Vater!"

Oh, wie sie ihn hasste – ihn und seine ganze Familie.
„Val...", versuchte er mit einem sanfteren Tonfall, sie zu beruhigen.
„NEIN, SAMUEL!!!" Er zuckte zusammen.
„Mein Name ist VALERIE!"

Sie bemerkte den verletzten Ausdruck in seinen tiefbraunen Augen, doch es interessierte sie keineswegs. Er hatte es versaut, alles kaputt gemacht, und sie war nicht bereit, ihm zu vergeben – zumindest noch nicht. Sie drehte sich um und verschwand in die Tiefen der dunklen Nacht. Er blieb zurück, an die Wand gelehnt, vor der sie gerade noch gestanden hatte. Tränen benetzten seine Wangen, da auch er genau wusste, dass sie nicht zurückkommen würde. Und er verstand sie. Er hatte sich wie ein Arsch verhalten, nicht nur heute. Ihre beiden Herzen waren an diesem Tag zerbrochen, und seines würde nie wieder heilen. Das wusste er auch, doch er war nicht bereit aufzugeben. Er folgte ihr und hatte sie schnell eingeholt. Sie war wieder an der Wohnung.
„Valerie!" Er versuchte es wieder mit Sanftheit, doch sie wollte es nicht hören.
„Du und deine scheiß Familie müssen immer alles kaputtmachen!" Der Regen vermischte sich mit den Tränen auf ihren Wangen.
„Es war nicht meine verdammte Schuld!" Er war kurz davor, den Verstand zu verlieren.
„DU HAST DIESE SCHEIßTÜR AUFGEMACHT! WÄRE DAS NICHT PASSIERT, WÜRDE KAYA NOCH HIER SEIN!"
Das traf sie wie einen Schlag in die Magengrube.




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