Mein eigenes Regal

Schreibwettbewerb von: Thedarkheart123
Anzahl Wörter: 2013
Thema: Eine Geschichte zu einem Bild schreiben.
Das Bild ist oben und somit nicht meines. (Ich hoffe, dass dies so in Ordnung ist.)
Nun wünsche ich dir viel Spass beim Lesen.

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In letzter Zeit fühle ich mich nur noch wie ein Platzfüller in einem Regal.
Ein Regal voller wichtigen Antiquitäten und ich bin nur eine kleine Vase, welche nicht den geringsten Wert hat und auch niemanden interessiert. Nur ein anderer Staubfänger, gefangen zwischen Wichtigkeiten. 
Und wenn Leute an mir vorbeigehen, staunen sie über die schönen Antiquitäten neben mir, aber mich lassen sie einfach ausser acht. 

Tagtäglich versuche ich mich davon zu überzeugen, dass dies auch in Ordnung ist. Dass es mich auch braucht und man die Aufmerksamkeit der anderen nicht braucht. Und Tagtäglich glaube ich meinen eigenen Lügen selbst nicht mehr. 

Als es dann wieder Sonntag ist, habe ich endlich wieder Zeit dafür, die ganzen Antiquitäten neben mir zu lassen und verlasse somit auch mein eigenes Gefängnis für einen Tag. 

Ich liebe meinen Job und will ihn ungern verlassen, aber die Leute dort machen mich fertig. 
Sie halten sich für etwas besseres. Was sie vielleicht auch sind, denn sie haben alle Erfolg, sie erreichen alles was sie wollen.  Als meine Mitarbeitenden einmal nach einem neuen Auftrag suchten, fanden sie schnell ihren Ort, ich aber fand ihn nicht einmal nach mehreren Monaten, sodass mein Arbeitgeber eingeschaltet wurde. 

Ich atme die etwas kalte Luft ein und sehe zum Waldrand. Ich bin schon lange nicht mehr in diesem Wald gewesen. 

Ich schiele kurz auf meine Armbanduhr und blicke dann zurück zum Wald. Ich habe noch etwas Zeit, weshalb ich mich nach kurzer Zeit entscheide, ein wenig darin spazieren zu gehen. 

Äste knacksen unter meinem Gewicht, als ich Schritt für Schritt über den grün-braunen Boden gehe. 

Einige Vögel zwitschern an nahegelegenen Bäumen, ein Bach ist in der Ferne zu hören und der Geruch von Laub und Geäst macht sich in meiner Nase breit. 

„Ich sollte wieder öfters hierhin kommen", entscheide ich in meinen Gedanken und folge dem kleinen Waldweg weiter, bis ich ein helles Leuchten zwischen dem ganzen Geäst erkenne.
Verwundert bleibe ich stehen und sehe in die Richtung. 
Als ich mehrere orange leuchtende Kreise sehe, runzle ich verwirrt die Stirn. 
Was ist das?

Nach einer Weile gehe ich langsam auf den mir nächsten Kreis zu.
Sacht erhebe ich meine Hand und streiche mit meinen Fingern über den leuchtenden Bogen. Ich erstarre, als meine Finger in der Oberfläche versinken. Nachdem ich mich etwas gefasst habe, ziehe ich sie schnell wieder heraus. 
Die Substanz beginnt sich mit kleinen Wellen zu bewegen. Wie erstarrt, starre ich auf das leuchtende Orange  und warte darauf, was als Nächstes passiert.

„Guten Tag", erklingt plötzlich eine Stimme neben mir, die mich so erschreckt, dass ich zusammenzucke und leise aufschreie. 

Ich drehe mich um und sehe sogleich in zwei kleine runde Augen. Ein kleines Wesen in einem grünen Anzug und mit einem orangen Bart steht vor mir. 

„Sie haben mich erschreckt!"
„Tut mir Leid, dass war nicht meine Absicht", erwidert das kleine Wesen vor mir. Seine spitzen Ohren zucken. 

Mit kleinen Schritten kommt es weiter auf mich zu: „Ich möchte dir etwas zeigen. Das Wertvollste in deinem Besitz", sagt das Wesen.  Ich runzle die Stirn. „Das Wertvollste in meinem Besitz? Was soll das sein? Und wer bist du überhaupt?"
„Ich bin ein Angestellter der Pro to", meint das Wesen. 

„Bei der Pro to? Was ist das?", mit diesem Namen hat das Wesen mein Interesse geweckt und die Hoffnung, einen neuen Kunden zu finden, kommt auf.

„Die Pro to bewahrt deinen wichtigsten Schatz auf", antwortet das Wesen, als wäre das alles selbstverständlich. 
„Ah! Dann arbeitest du bei einer Bank", sage ich überzeugt von meinem Einfall. Das Wesen schüttelt seinen Kopf. „Denkst du wirklich, dass das Wichtigste, was du hast, Geld ist?" Ich zucke mit den Schultern. „Was denn sonst?"

Das Wesen beginnt zu lächeln und dreht sich zu dem Kreis, den ich komplett vergessen habe. 

„Na, dein Leben mit deiner Geschichte!", antwortet das Wesen. Ich drehe mich ebenfalls wieder zum Kreis herum und stocke, als ich nicht mehr den Wald sehe, wie ich erwartet habe. 
Es sieht aus, als wäre auf der anderen Seite des Kreises ein riesiger Schrank, gefüllt mit Büchern, Ordnern und Blätterstapeln. 

„Was ist das?", frage ich das Wesen, welches verschmitzt zu lächeln beginnt.
„Das ist dein Lebensprotokoll", verkündigt das Wesen und springt in das Portal hinein. Ich schaue ihm dabei ratlos zu.
„Komm schon!", fordert er mich auf. 

Unsicher torkle ich auf den immer noch orange leuchtenden Kreis zu. Kurz davor bleibe ich aber stehen und sehe mich im Wald links und rechts neben mir um. 

Was passiert hier überhaupt? Das kann doch nicht real sein.

Ich schüttle meinen Kopf im Versuch dadurch aufzuwachen. Ich wache aber nicht auf. 

„Ich warte!", meint das Wesen und trommelt mit seinen krummen Fingern auf dem Regal herum. 
Ich seufze und schliesse meine Augen, während meine Hand auf den Kreis zugeht. 
Ich spüre die plötzliche Wärme, die meine Hand umgibt und mehr nicht. 
Vorsichtig öffne ich meine Augen. Langsam tauche ich mit meinem Arm tiefer in das Portal hinein und folge ihm schliesslich mit meinem restlichen Körper. 

„Endlich", sagt das Wesen und lächelt mich glücklich an. Ich sehe aber zu dem Regal hin und beginne die Bücher zu studieren. Sie haben keine Inschriften, scheinen aber noch gut erhalten zu sein und nicht oft angesehen. 

„Du meinst, das sind meine Protokolle?", frage ich das Wesen. 

Es nickt: „Du weisst doch, was ein Protokoll ist, oder?"

Ich nicke. Ich hatte täglich mit Protokollen zutun. Bei meinem Beruf, führe ich viele Meetings durch und muss zu jedem immer ein Protokoll gestalten, sodass man die wichtigsten Ereignisse nicht einfach vergisst. 

„Darf ich-?", frage ich und erhebe meine Hand zu einem der Bücher. 
„Ja", antwortet das Wesen und setzt sich derweilen an den holzigen Boden. 

Ich nehme das Buch, auf das ich vor wenigen Sekunden gezeigt habe und schlage die erste Seite auf. 

12. Januar, 2014

Ich lese die Inschrift. Dieser Tag war vor zehn Jahren, als ich noch 18 Jahre alt war. Ich erinnere mich nur noch daran, dass diese Zeit ziemlich verrückt war. 
Fast jeden Abend traf ich mich mit meinen Freunden und feierte mit ihnen bis fast fünf Uhr morgens. Am Tag darauf war ich dann immer so geschaffen, dass ich bei der Arbeit fast oder manchmal sogar ganz einschlief. 

Als ich mehr als 20 mal an meinem Schreibtisch schlief, hatte mein Arbeitgeber genug von mir und schmiss mich fristlos aus dem Geschäft. 
Meinem 18-jährigen ich ist damals nichts besseres eingefallen, als mich zu betrinken, weshalb ich bei einem meiner Vorstellungsgespräche mit einem üblen Kater auftauchte. 
Wie man sich vermutlich denken kann, wurde ich für den Job nicht eingestellt. 

Erst mit Ende 19 bekam ich mein Leben langsam wieder in den Griff. Ich holte mir von verschiedenen Leuten Hilfe und vor allem waren in jener Zeit meine Freunde so gut wie immer für mich da. 

Meine Freunde... ich verweile bei dem Gedanken an jene.  Wie geht es ihnen wohl?
Schon länger haben wir nicht mehr miteinander geschrieben, geschweige denn geredet. 
Ich arbeite mehr denn je und fand einfach nicht mehr wirklich die Zeit dazu. Vielleicht sollte ich sie aber einmal wieder anrufen. Nur um ihre Stimmen wieder zu hören und mir zu versichern, dass es ihnen gut geht. 

Ich schaue zurück auf das Buch in meinen Händen und überfliege einige Zeilen. Die wichtigsten Ereignisse des 12. Januars sind kurz und knapp zusammen gefasst. 

Meine Kündigung, die mein Leben komplett verändert hat, mir aber gezeigt hat wie scheisse ich damals gehandelt hatte und wie dumm ich doch war. 

Ich blättere einige Seiten weiter und bemerke, dass ab dem 24. September - 17. Dezember eine riesige Lücke lastet. 
Was war damals? Ich kann mich selbst nicht mehr wirklich an diese Tage erinnern. 
Ich kann mir aber vorstellen, was ich damals wohl getrieben habe. 

Ich sehe zu dem Wesen, welches mich vom Boden aus betrachtet. 
„Eine Frage: wer schreibt das hier eigentlich alles?"
Das Wesen zuckt mit den Schultern. „Deine Vergangenheit, Zukunft? Ich weiss es selbst nicht. Ich weiss nur, dass ich es hüten und dir einmal oder zweimal im Leben zeigen soll."

Ich nicke nachdenklich und stelle das Buch zurück, ziehe im nächsten Moment aber wieder ein anderes heraus. 

13. Oktober 2020

Ich sehe auf das Datum herab. 

2020 blieb in meinen Erinnerungen als das Jahr, in dem Corona uns heimgesucht hat. Ich musste von Zuhause aus arbeiten und wichtige Meetings über FaceTime führen.

Ich versuchte, mich auch von Zuhause aus zusammenzureissen und meine Aufgaben möglichst gut zu erledigen. Für einige war dieser Lockdown ein Segen, aber ich konnte mich in meiner Wohnung nie wirklich konzentrieren. 

Ich stand viel zu spät auf, hatte nicht wirklich einen Plan, was zu tun war und verpasste sogar manchmal meine eigenen Meetings. 

Ich hatte damals Glück, dass mein Chef nachsichtig mit mir war und meinte, dass es in Ordnung wäre, wenn ich mich wieder mehr konzentrieren würde. 
Ich gab mir ab diesem Tag mehr Mühe als zuvor schon und bekam es ziemlich gut hin. 

Ich lege das Buch beiseite und öffne erneut ein Neues.

29. September 2023

Dieser Tag ist nun fast ein Jahr lange her und ich kann mich noch genau an ihn erinnern. 

An dem Tag hatte ich einer meiner wichtigsten Präsentationen vor meinen Mitarbeitern und meinem Vorgesetzten. 
Ich übte schon Monate vorher nur für diesen Moment, war mir sicher, dass ich alles weiss, was ich sagen will. Habe meine Vorlagen tausendmal durchgeschaut, sodass sich nichts schiefgehen könnte. 

Doch wie immer, wenn man alles genau geplant hat, lief nicht alles nach Plan. Damit ich sicher nicht zu spät kam, machte ich mich eine Stunde zu früh auf den Weg. Ich hatte alles drei mal durchgesehen, damit ich ja nichts vergesse. 

Auf dem Weg zu meiner Arbeit kolidierte ich aber mit einem anderen Auto, welches in dem Moment, in dem ich vorbeifuhr, die Kontrolle über sein Auto verlor und mit mir zusammenprallte. 

Ich hatte mich glücklicherweise nicht gross verletzt. Nur einige Prellungen. Aber der Schock sass tief in meinen Knochen und nach dem ganzen Geschehen war ich nicht mehr in der Lage zur Arbeit zu gehen, geschweige denn die Präsentation abzuhalten. 

Ich sehe die geschriebenen Buchstaben an und blicke nach einer Weile zu dem Wesen. 

„Hast du alle gelesen?"
„Nein. Ich darf nicht", antwortet er mir und steht vom Boden auf.
Ich schaue ihm dabei zu. 
„Ich sollte weitergehen. Lies dich aber nur weiter durch. Wenn du genug hast, gehst du einfach wieder durch den Kreis zurück in den
Wald."
Ich nicke und blicke dem Wesen zu, wie es durch den Kreis springt und hinter Bäumen und Tannen verschwindet. 

Erst, als ich ihn zu 100% nicht mehr erblicken kann, drehe ich mich erneut zum Regal um und suche das nächste Buch aus.

Die Zeit vergeht, als ich Buch für Buch aus dem Regal ziehe und beginne zu lesen. 
Irgendwann habe ich mein Zeitgefühl komplett verloren. Ich suche nach irgendeiner Uhr, finde aber keine. Der Wald scheint noch immer im Tageslicht beleuchtet zu sein, weshalb ich kurzerhand beschloss, noch einige Minuten weiter in diesem Raum zu verharren und mich erst dann auf den Weg zurück nach Hause zu machen. 

Ich sehe mir das Regal vor mir an und suche nach irgendeinem Buch, welches ich noch nicht gelesen habe. Als ich eines erblicke, taucht plötzlich das Wesen wieder auf. 

„Du bist ja immer noch hier. Ist deine Vergangenheit so interessant?", fragt es, als es mich erblickt. 

„Ich weiss nicht", antworte ich. „Ich mag es einfach, in meinen schönen und auch schrecklichen Erinnerungen zu schwelgen."

„Schön, freut mich", meint das Wesen und beginnt mit seinen Armen zu fuchteln. „Ich denke aber, dass du nun besser gehen solltest. Zumindest, wenn du nicht zu spät zur Arbeit kommen möchtest."
„Wie meinst du das? Wie lange war ich denn hier?", frage ich verdutzt.
„Ich weiss nicht, wann du uns gefunden hast, aber deine Arbeit beginnt in einer halben Stunde."

Schnell drehe ich mich zum Ausgang. 
„Danke dir!", rufe ich noch, bevor ich durch das Portal springe. Genau in dem Moment, in dem mir die Kälte ins Gesicht schlägt, fällt mir noch eine Frage ein, auf die ich wohl nimmer wieder eine Antwort bekommen würde:

Woher wusste es, wann meine Arbeit beginnt, geschweige denn wo und was ich arbeite?

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