Deine Briefe Jahre später

Schreibwettbewerb von: Zeilenqueen25
Anzahl Wörter: 1085
Thema: Schreibe über eine Person die gerade durch einen besonderen Moment aus ihren Selbstzweifeln steigt.
Triggerwarnung: Mobbing und Selbstzweifel

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Liebe Arina
Heute meinte ein Junge aus meiner Klasse, dass ich zu hässlich wäre, um überhaupt rauszugehen. Es sei eine Schande, jemanden ansehen zu müssen, der so hässlich ist. Ich weiss, ich sollte mir seine Worte nicht so sehr zu Herzen nehmen, aber es verletzt mich trotzdem.

Einen Moment lang sieht Arina auf die geschriebenen Worte. Sie sind von einem jüngeren Kind geschrieben, da die Schrift noch nicht gut leserlich ist. Arinas Finger gleiten über den eingeklebten Brief.
Sie blättert auf die nächste Seite...

Liebe Arina
Warum gehen mir auf einmal meine Freunde aus dem Weg? Ich habe doch nichts gemacht, oder? Ich fühle mich echt schlecht. Ich wüsste gerne, was ich gemacht habe, aber sie wollen nicht mit mir reden. Ich habe versucht, auf sie zuzugehen und mit ihnen zu reden, aber sobald sie mich sahen, kehrten sie mir sofort den Rücken zu.

Arinas Gedanken schweifen in die Vergangenheit und verharren einen Moment dort.
Sie blättert weiter...

Liebe Arina
Sie haben wieder mit mir gesprochen. Sie sagten mir zwar nicht, was passiert war, aber ich bin so froh, dass sie wieder für mich da sind. Ich hatte echt Angst. Auch die anderen aus meiner Klasse haben mich heute in Ruhe gelassen.

Ein kurzes Lächeln huscht über Arinas Lippen. Wie naiv das Mädchen damals bloss war, aber sie war ja auch noch ein kleines Kind.
Arina blättert weiter...

Liebe Arina
Ich habe dir lange nicht mehr geschrieben, das tut mir leid. Ich brauchte etwas Zeit für mich. Meine Mitschüler in der Schule nerven. Heute wollte mich jemand zu Fall bringen. Sie haben versucht, ein Ast in die Speiche meines Fahrrades zu stecken. Ich war aber schlau genug und habe es schnell genug gemerkt und dies, obwohl meine Gedanken wieder bei meinen Freunden waren. Ich habe mich daran gewohnt, dass ich in die Schule kommen und sie mir entweder aus dem Weg gehen oder auf mich zukommen. Heute haben sie mich wieder ignoriert. Irgendwie schmerzt es. Aber du brauchst bloss keine Angst, um mich zu haben. Ich schaffe das schon. Wie du mir immer sagtest: Ich bin ein starkes, kleines Mädchen.

Arina schliesst ihre Augen und versucht sich aufzuraffen, um weiterzulesen.
Arina blättert weiter...

Liebe Arina
Ich weiss nicht, was ich tun soll. Ist etwas falsch mit mir? Ich sollte heute eine Gruppenarbeit zusammen mit meinen Freunden machen. Ich hätte über ein Thema sprechen sollen, in dem sich alle so gut auskannten. Ausser ich. Ich habe Scheisse erzählt und alle haben mich ausgelacht. Sie meinten, ob ich nichts könne. Aber das stimmt doch nicht, oder?

Arianas Brust füllt sich auf der Stelle mit Trauer und Wut.
Sie blättert weiter...

Liebe Arina
Ist es seltsam, dass ich plötzlich beginne zu zittern, wenn ich mit meinen Freunden eine Gruppenarbeit machen soll? Ist es seltsam, dass ich mir manchmal wünsche, mit jemandem anderen als meinen Freunden eine Gruppenarbeit machen zu wollen?
Verdammt, ich sollte dies nicht einmal denken.

Eine Träne fällt auf das Stück Papier vor Arina. Sie versteht nicht alles, was das Mädchen meinte, doch kann ihre Verzweiflung fühlen.
Die Schrift wird etwas deutlicher, was darauf hinweist, dass die Verfasserin älter wurde. Arina blättert weiter...

Liebe Arina
Ich wünschte, du könntest mir helfen. Meine Freunde meinen, ich trage komische Kleidung, aber was soll ich dann anziehen?

Arina runzelt ihre Stirn und wischt sich die Tränen etwas weg. Erst, nachdem sie einmal tief ein- und ausatmete, liest sie weiter...

Ich denke, ich werde schon etwas finden, was ihnen gefällt.
Das Thema von der Gruppenarbeit kenne ich nun aber so gut, dass ich hoffentlich nicht mehr zittern muss. Es ist ihnen nämlich aufgefallen und sie haben mich mit abschätzendem Gesichtsausdruck angeschaut. Ich kann es verstehen... ich bin seltsam.

Arina schüttelt frustriert ihren Kopf und blättert weiter...

Liebe Arina
Ich habe morgen wieder Mathematik. Ich will nicht gehen. Ich habe solche Angst davor. Immer dort passiert die grösste Scheisse.
Das letzte Mal, zum Beispiel, tat einer meiner Freunde so, als würde er mich schlagen wollen. Sie fragten mich, ob meine Eltern mich schlagen. Du weisst, das würden sie niemals tun. Ist es denn nicht normal, zusammenzuzucken, wenn einem jemand schlagen will? Jemand, dem man es zutrauen würde, dass die Person es auch durchziehen würde?
Ebenfalls ist Mathematik nicht meine Stärke, aber ihre schon. Ich fühle mich wie der letzte Idiot.

Arina bemerkt nicht mehr die Tränen, die über ihr Gesicht fliessen.
Sie blättert einfach weiter...

Ich hasse mich! Ich hasse mich! Ich hasse mich! Ich hasse mich! Warum mache ich immer alles kaputt? Warum bin immer ich es, die alles zerstören muss? Und warum heule ich nun wie ein kleines Kind? Ich will nicht mehr zur Schule! Ich will meine Freunde nicht mehr sehen! Ich will niemanden mehr sehen!

Arina schluchzt auf und hält eine Hand auf ihren Mund. Hätte sie gewusst, was ihre kleine Schwester alles durchmachen musste, hätte sie ihr eher versucht zu helfen. Auch wenn die Briefe nur kurz sind, konnte Arina ihre Schwester hören. Sie konnte sie flehen hören.
Sie hatte ihr geschrieben, doch die Briefe nie gegeben.
Arina sammelt ihren Mut und Blätter auf die nächste und letzte Seite. Die Schrift ist ausgeprägt, es müssen einige Jahre vergangen sein...

Liebe Arina
Ich denke, ich habe es geschafft. Ich kam von meinen falschen Freunden los und fand neue. Bessere. Sie unterstützen mich in jeder Situation meines Lebens. Auch die Leute um mich herum sind nicht mehr so fies. Natürlich mögen mich nicht alle, aber ich weiss, dass das normal ist.
Ich habe begonnen, mich selbst wieder zu respektieren und zu lieben. Auch wenn es in solchen Momenten nicht so aussieht, aber es wird irgendwann besser.
Ich war damals noch zu jung. Viel zu jung. Ich wusste nicht, wie man mit solchen Situationen umgehen sollte und habe mich deshalb immer mehr darin verstrickt und es in mich hineingefressen.
I
ch bin dir so dankbar, dass du mir damals zugehört hast. Ohne dich hätte ich es nicht so schnell geschafft, danke. Danke, dass du gemerkt hast, dass es mir nicht gut ging. Es ist immer noch nicht einfach für mich, über die Vergangenheit zu sprechen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass du dieses Buch einmal finden wirst. Und da die Briefe an dich adressiert sind, wirst du sie wohl auch lesen.
Und irgendwann kommt das Licht am Ende des Tunnels. Ich habe es gesehen und bin nun im Licht.
Mir geht es nun gut. Ich denke, mir ging es nie besser.
Falls du das liest, ruf mich an. Wir gehen zusammen essen und geniessen unser Leben.
Mit freundlichen Grüssen
Deine Schwester

Arina braucht einen Moment für sich. Sie sitzt mehr als eine Stunde auf dem Dachboden ihres ehemaligen Familienhauses da und schaut auf den letzten Brief. Dann holt sie ihr Telefon aus der Tasche und wählt die Nummer ihrer Schwester...

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