Prolog: Statement
Unruhig wälzte sich der junge Mann in seinem viel zu kleinen Bett hin und her. Immer wieder strampelte er, versuchte vor einer potenziellen Bedrohung zu fliehen und doch wusste er, dass er diesem Bösen nicht entkommen konnte.
Erst als er seine grünen Augen öffnete, wusste er, dass diese schreckliche Nacht nun vorbei war und ein langweiliger nächster Tag folgen würde. So war das eben, wenn man an der Paradies-Schule war.
Die Paradies -Schule ist eine Einrichtung, in welcher psychisch kranke Kinder und Jugendliche behandelt werden. Neben der Behandlung ihrer psychischen Probleme, ist es möglich, dass diese Schüler ihren Schulabschluss machen können und sich so auf ein Studium vorbereiten können. Aus diesem Grund wurden die Schüler auf drei Häuser aufgeteilt. Vor- und Grundschüler kamen in das Haus Maria, Mittelschüler in das Haus Rose und Schüler der Oberstufe kamen in das Haus Sina. Zudem gab es zum Leidwesen aller auch noch eine Schuluniform. Man hatte ihnen erzählt, das dies eingeführt wurde, um Mobbing vorzubeugen, doch das bezweifelte der junge Mann in seinem Bett. Denn gemobbt wurde auch so. Auch wenn alle Schüler dieselbe Uniform trugen, gab es einen einzigen Unterschied. Nämlich das jeweilige Hauswappen.
Der Blick zu seinem Wecker verriet ihm, dass er bereits spät dran war und trotzdem blieb er einfach liegen und starrte zur Decke. Er hasste es hier. Denn auch wenn alle Erwachsenen immer so taten, dass sie ihm helfen wollten, so hatte er bisher immer das Gefühl gehabt gegen eine riesengroße und mehrere Meter dicke Betonwand zu sprechen. Denn genau das war es, was die Lehrer und Ärzte dieser Einrichtung verstanden. Nämlich rein gar nichts. Niemand nahm sich ausreichend Zeit für die Patienten, jedenfalls war es bisher immer so gewesen.
Gedankenverloren hob Eren Jäger eine seiner Hände und betrachtete die Narben an seinem Handgelenk und Unterarm. Mehrere dünne Linien zierten seinen Arm. Einige heller und wiederum andere leuchtend rot. Aber keine von ihnen war jemals tief genug, um endlich dieses armselige Leben hinter sich zu lassen.
Jedes Mal, wenn er einen scharfen Gegenstand in seinem Fleisch spürte, war dies wie eine Erleichterung. Je tiefer er schnitt, desto besser fühlte er sich. Schließlich war er nicht ohne Grund an dieser Schule und zählte wohl auch zu den härtesten Fällen.
Als Eren später auf dem Weg zum Unterricht war, ignorierte er einfach alle entgegenkommenden Schüler. Schließlich gab es nur sehr wenige, mit denen er sich hier verstand. Einer davon war Armin Alert, welcher die Diagnose Asperger hatte. Auch wenn der Blonde starke Probleme hatte, soziale Bindungen einzugehen, so hatte es mit Eren auf Anhieb funktioniert. Die Beiden wussten selbst nicht, wieso das so war. Denn Armin hatte weiterhin arge Probleme mit seiner Krankheit und der daraus folgenden sozialen Inkompetenz. Zumindest anderen gegenüber. Eren konnte er sogar ab und zu in die Augen schauen, was er bei anderen eigentlich gar nicht schaffte. „Guten Morgen Eren..." Vernahm er die leise Stimme seines blonden Freundes, als er gerade in seinen Klassenraum gehen wollte. Mit einem leichten Grinsen sah der Braunhaarige zu seinem besten Freund, welcher auf ihn gewartet hatte und gemeinsam betraten sie den Klassenraum. „Hey Armin. Du musst doch nicht immer vor dem Klassenzimmer warten. Geh doch schon allein rein." Begrüßte er den Blonden, als sie sich auf ihre Plätz niederließen. „Du weißt, dass ich das nicht kann." Murmelte der Kleinere von Beiden und Eren glaubte in diesem Moment ein Spur Ärger in seinem Blick zu erkennen, der allerdings im gleichen Moment wieder verschwunden war. Armin war kein Mann vieler Emotionen. Generell sah er eigentlich immer recht neutral aus, aber das lag wohl auch an seiner Krankheit.
Als der Unterricht anfing, erregte ein klein gefalteter Zettel unter seinem Tisch, seine Aufmerksamkeit. Eren fischte ihn unter dem Hohlraum seines Tisches hervor und faltete ihn, unsichtbar für den Lehrer, auseinander. Es kam nämlich ab und an mal vor, dass er solch einen Zettel unter seinem Tisch vorfand. Denn es gab da eine Person, die ebenso einen Hang zum selbstverletzenden Verhalten hatte.
Heute,
nach der Schule. Üblicher Ort.
Ich bring was mit.
Marco
Eren zerknüllte den Zettel und lächelte dabei leicht. Denn seit seiner letzten Aktion, war es nun wirklich erheblich schwieriger geworden überhaupt an irgendwelche spitzen Gegenstände zu kommen. Aber scheinbar hatte Marco Bott, sein magersüchtiger Freund, etwas ergattern können. Na, vielleicht wurde dieser Tag ja nun doch nicht ganz so scheiße. Eren konnte es jedenfalls kaum erwarten, zu sehen, was der Sommersprossige dabeihaben würde.
Auch wenn Eren zwar pünktlich im Unterricht gewesen war, so war er doch zumeist nur körperlich anwesend. Er war bei weitem nicht dumm, das große Problem war, er hatte keine Lust und aufgrund diverser Medikamente, fiel es ihm auch schwer, sich zu konzentrieren. Die meiste Zeit während des Unterrichts, verbrachte er mit dem Kopf auf dem Tisch oder starrte aus dem Fenster. Wahrscheinlich waren seine Lehrer am Verzweifeln, aber was sollte er machen? Jetzt nachdem er den Zettel gelesen hatte, konnte er an nichts anderes mehr denken. Alles in seinem Kopf drehte sich nur noch darum, dass er sich später wieder frei fühlen konnte. Die Unbeschwertheit, wenn er den Schmerz fühlte, war so berauschend, dass er süchtig danach geworden war. Als dann aber endlich die langersehnte Schulglocke klingelte, verließen alle schnellstmöglich das Klassenzimmer. Als Armin und Eren gerade auf dem Weg zum nächsten Klassenraum waren, ertönte plötzlich eine Durchsage. Wie nervig das war, das man sie nicht einmal in ihren Pausen in Ruhe lassen konnte. Eren wünschte dem armen Schlucker, der nun öffentlich gedemütigt werden würde, innerlich alles Gute und bog gerade um die nächste Ecke, als er ausgerechnet seinen Namen hörte.
„Eren Jäger, du findest dich nach dem Unterricht in Dr. Ackermanns Büro ein."
Erklang es nüchtern durch die Lautsprecher und ihm wurde speiübel. Wieso gerade er? Wussten diese Idioten von Lehrer und Möchtegernärzte denn nicht, dass er nun zum Gespött aller geworden war? Armin sah ihn nur mit vor Schreck geweiteten Augen an, ehe sie wieder neutral wurden. „Hast du wieder etwas ausgefressen?" Erklang plötzlich eine weitere Stimme auf dem Gang und allein das reichte aus, dass sich sein ohnehin kurzer Geduldsfaden enorm spannte. „Schnauze du Pferdefresse, oder hat man dir nicht beigebracht, andere Menschen nicht von der Seite anzuquatschen?" Eren spürte die aufkommende Wut in seinem inneren, doch Armin legte beschwichtigend eine Hand auf den Arm des Braunhaarigen. „Eren... beruhige dich... ignoriere ihn einfach. Wir müssen weiter." Auch wenn Armin von schwacher Statur war, schloss sich seine Hand fest um Erens Handgelenk und er zog ihn einfach weiter. „Aber Armin... ich hätte das schon selbst geregelt. Diese Flachpfeife verspeise ich zum Frühstück!" Entgegnete Eren etwas schroffer als er es Armin gegenüber beabsichtigte. Manchmal gingen einfach die Pferde mit ihm durch. Aber das es bei Jean Kirschstein ganz besonders schnell ging, lag wahrscheinlich daran, dass dieser Narzisst es auf seine Schwester abgesehen hatte. Immer wieder und in wirklich jeder freien Minute versuchte er sie anzubaggern und das konnte Eren, als großer Bruder, einfach auf den Tod nicht ausstehen. Da er auch nur noch seine Schwester hatte, vermutete er selbst eine Art Schwesterkomplex zu haben und wenn man sich Mikasa so ansah, beruhte das wohl auch auf Gegenseitigkeit. Denn auch wenn sie nur seine Adoptivschwester war, so liebte er sie, wie seine eigene. Das dieses Pferdegesicht nun also einen Nerv bei ihm traf, war dann wohl selbstverständlich. Armin tat sein Bestes, um ihn von Jean wegzuziehen, doch dieser Vollidiot konnte es einfach nicht lassen und stiefelte ihnen auch noch nach. Wenn er auf eine Abreibung aus war, konnte er die von ihm aus auch bekommen. Eren spannte seine verborgenen Muskeln an und blieb stehen. Womit sein blonder Freund allerdings nicht gerechnet hatte. „Gibt es hier ein verschissenes Problem?" Ach nein, ... nicht auch noch der... dachte sich Eren und hoffte, dass er seine Gedanken nicht zufällig laut ausgesprochen hatte. Denn vor ihnen stand niemand geringeres als dieser Vollidiot von Assistenzarzt, Auruo Bossard. Er war, seit Eren ihn das erste Mal gesehen hatte, ein richtiges Ekel gewesen, denn dieser Knilch hatte ein viel zu großes Ego und war dazu auch noch ziemlich aufgeblasen. Womöglich musste er etwas das zu klein geraten war, kompensieren. Außerdem kursierten Gerüchte, dass ausgerechnet Dr. Ackermann sein Vorbild sei. Er nutzte jede verfluchte Gelegenheit, um sich wichtiger zu machen, als er es in Wirklichkeit war und versuchte damit den Oberarzt und ganz besonders die Oberschwester aus Haus Sina zu beeindrucken. Wirklich lachhaft...
Als ob sich die Oberschwester Petra Ral von so einem peinlichen Getue beeindrucken lassen würde. Wahrscheinlich war sie mindestens so genervt, wie alle anderen auch und war hingegen viel zu nett, um es ihm direkt ins Gesicht zu sagen. Womöglich würde er sich dann wohl endlich die Zunge abbeißen. Was schon wieder witzig wäre... Denn das war ihm wohl schon das eine oder andere Mal passiert. Eren konnte sich noch sehr gut an seine Anfangszeit an diesem Ort erinnern. Bossard hatte ihm gerade die Leviten lesen wollen, als er sich dabei mitten im Satz so stark auf seine Zunge gebissen hatte, dass er Eren dabei Konkurrenz machen konnte, wenn er sich selbst verletzte. Nur mit aller größter Mühe hatte sich der Braunhaarige zurückhalten können und nicht lauthals losgelacht. Ja, das war wirklich mehr als nur witzig gewesen. Nein, es war saukomisch gewesen.
Nun aber stand Bossard mit lässig verschränkten Armen vor ihnen und zog dabei eine seiner Augenbrauen nach oben. „Also wir haben hier keine Probleme. Wenn wir dann jetzt zu unserem Klassenzimmer gehen dürften?" Fragte Eren mit zusammengebissenen Zähnen. Vergessen war die Pferdefresse, denn jetzt gab es einen neuen Störenfried, den der Grünäugige noch weniger leiden konnte. Bossard war schließlich nicht umsonst ein inkompetentes Arschloch.
„Na Jäger, geht dir dein kleiner Arsch schon auf Grundeis? Ich will nicht in deiner Haut stecken, wenn du nachher zu Dr. Ackermann gehst. Viel Spaß noch..." Damit drehte sich Bossard wieder weg und Armin griff instinktiv nach der Hand des Größeren. Doch mit der Hand war es dieses Mal nicht getan. Nein, der kleine Blonde warf sich regelrecht auf den vor Wut schäumenden jungen Mann. Wie gesagt... ein inkompetentes riesengroßes Arschloch...
„Eren, beruhige dich bitte... Komm, wir zählen gemeinsam...Ich helfe dir. 10, 9, 8, 7, ..." Noch immer strampelte der Größere von Beiden, doch mit jeder Zahl, die ihm von Armin aufgezwungen wurde, verließ ihn immer mehr die Wut. „... 6, 5, 4, ..." Zählte nun auch Eren mit. Die Gegenwehr erstarb allmählich. „...3, 2, 1... Alles okay bei dir?" Fragte Armin, als Eren mit geschlossenen Augen vor ihm stand. Bossard, dieses Arschloch, hatte sich natürlich verpisst, schließlich waren sie von ihm ja nichts anderes gewohnt. „Ja... jetzt geht es wieder. Aber dieser Pisser hat nichts Besseres zu tun, als mir das noch mal brühwarm zu erzählen. So eine scheiße zieht dieser Vollidiot immer mit mir ab und ich weiß nicht, warum er so extrem gegen mich ist." Erklärte sich der Braunhaarige und sah sich nach dem Pferd um. Doch Jean war ebenso verschwunden.
Erens Vorahnung, dass dieser Tag zum Kotzen werden würde, war scheinbar alles andere als eine Vorahnung gewesen. Es war die beschissene Realität und er würde später einen Teufel tun und zu diesem arroganten Oberarzt zu gehen. Er hatte schließlich eine Verabredung und die wollte er um nichts auf der Welt verpassen. Er brauchte es, wie die Luft zum Atmen...
Als der Unterricht endlich vorbei war, sprintete der Braunhaarige regelrecht aus dem Klassenzimmer. Armin hinterfragte das nicht, da er glaubte, dass er sich umgehend auf den Weg zu Dr. Ackermann machte. Doch das war sicher nicht sein Ziel.
Marco wartete bereits am üblichen Ort, als Eren schließlich ankam. Sein Herz klopfte wie verrückt, als er das sommersprossige Gesicht erblickte, welches ihm ein zaghaftes Lächeln schenkte. „Da bist du ja, musstest du nicht zu Ackermann?" Fragte der Schwarzhaarige und sah Eren dabei neugierig an. Dieser Schnaubte nur ungläubig und lachte tonlos auf. „Als ob ich dahin gehen würde, wenn ich hier eine Verabredung mit dir habe... Also, lass mal sehen, was du mitgebracht hast." Antwortete Eren so lässig wie möglich und lehnte sich neben Marco an die Hauswand. Dieser zog ein kleines Schälmesser aus seiner Tasche und hielt es Eren hin. „Alter wie krass, wo hast du das aufgetrieben?" Fragte der Braunhaarige, während er das kleine spitze Messer nicht aus den Augen ließ. „Ich hatte heute mit meiner Gruppe Kochdienst und niemand hat bemerkt, das eins gefehlt hat." Grinste der Sommersprossige leicht verlegen und überreichte dem Größeren das Messer. Ehrfürchtig sah er es an, dann piekte er sich damit in den Daumen und beobachtete, wie das Blut aus der kleinen Wunde quoll. „Willst du, oder soll ich anfangen?" Fragte Eren und hatte das dringende Bedürfnis heute ein wirkliches Statement zu setzen. Erst dieser beschissene Traum, dann die Lautsprecherdurchsage, die Pferdefresse und zu guter Letzt auch noch dieses aufgeblasene Schwein, Bossard. All das schlauchte und er hatte das Gefühl in einem Kinderbecken kläglich ersaufen zu müssen. Wahrscheinlich hatte er deshalb schon längere Zeit den Wunsch, endlich für immer die Augen zu schließen.
„Mach du ruhig... du hast es scheinbar wirklich nötiger. Schon allein, weil dieser Dr. Ackermann sicher schon nach dir suchen wird." Meinte Marco relativ gelassen, denn hier würde Ackermann sicher als letztes suchen. „Außerdem wirst du die Klinge sicherlich nicht kaputt machen, also tu dir keinen Zwang an." Witzelte der blasse, dünne Junge und beobachtete wie Eren das scharfe Ende des Messers zuerst gegen seinen Unterarm drückte.
Ein brennender Schmerz wallte durch seinen Körper und Eren begann zu lachen.
„Ey... mach mal langsam, nicht so tief, oder willst du etwa..." Raunte Marco leise, als ihm langsam klar wurde, was Eren da wirklich vorhatte. Denn schließlich hatte Marco bisher nie den Mumm gehabt, die Klinge so anzusetzen. Nein, er hatte sich bisher immer damit begnügt, sich nur leichte, bis mittelschwere Fleischwunden zuzufügen. Während Marco vor Ehrfurcht erstarrte, beobachtete Eren wie gebannt das Blut, welches bereits über sein Handgelenk lief und er drückte dann sogar noch ein bisschen mehr zu. Er zog das Messer ein Stück weiter nach unten, bis er bei seinem Handgelenk angekommen war. Eren war wie hypnotisiert, als er zusah, wie das Blut immer schneller zu laufen begann und setzte dabei das Messer auf gleicher Weise an den anderen Arm. Doch, ehe er den Schnitt vollenden konnte, spürte er, wie ihm schwindlig wurde und ihm fiel das kleine Messer dabei aus der blutverschmierten Hand. „Ey... Eren, mach mir hier nicht schlapp... Scheiße!" Fluchte Marco hysterisch, als der Braunhaarige langsam an der Wand hinabrutschte und dann träge auf dem Boden sitzen blieb. „Besser... du ... gehst jetzt, ... Marco..." Hauchte der Braunhaarige leise und schloss träge seine Augen. Er bekam kaum mit, wie sein sommersprossiger Freund das kleine Messer vom Boden aufhob und damit schnellstmöglich das Weite suchte. Nein, Eren hatte seinen Frieden mit der Welt geschlossen, als sein Bewusstsein schlussendlich wegdriftete.
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