44 - Die Bestien (3)
Nach Surme würde man sich dem Norden zuwenden. Fisi vermutete, dass der Hohepriester sich deshalb für ein Bündnis mit dem König entschieden hatte, um Zugang zu den massiven Holzvorräten des alten Königreichs zu erlangen, weil er damit Kriegsschiffe bauen lassen wolle.
„Ihre Nussschalen aus minderwertigem Holz werden brennen, ehe sie vom Stapel laufen werden und auch von ihren Werften wird nichts mehr übrig sein, wenn wir erst mit ihnen fertig sind."
Auf Menks Drängen, offensichtlich nach vorheriger Einflüsterung durch den jungen Mehr, legte Kal Zigel schließlich auch noch lang und breit seine Pläne für die Eroberung Surmes durch ihre Bodentruppen dar. Ein Vortrag, dem die Männer aufmerksam, und mit gespitzten Ohren, folgten. Lena kannte das Vorhaben mittlerweile in- und auswendig. Tagelang hatte Zigel mit allen Größen der venurischen Stadtwache zusammengesessen und jene ‚Kriegsanleitung', wie Fisi sie einmal im Scherz bezeichnet hatte, in all ihren Facetten, mit mehreren möglichen Verlaufsszenarien, ausgearbeitet. Zu ihrer und Fisis Zufriedenheit. Mehrmals fielen Lena, während Zigels Ausführungen, die leuchtenden Augen der Männer am Tisch auf. Tiere auf dem Sprung, wie sie erkannte. Sie lechzten nach dem Blut des Feindes. Gut so. Desweiteren ertappte sie sich einige Male dabei, wie ihre Blicke ungewollt auf dem jungen Menk verweilten. Wie ansehnlich und stattlich er doch war, selbst jetzt wo er nur dasaß und Kal Zigel lauschte. Wie es sich wohl anfühlte, durch sein lockiges Haar oder über seine flaumigen Wangen zu streichen? Unweigerlich musste sie an ihren Halbonkel Magnus Strietkamp denken und an eine weitere Verantwortung, welche auf ihr lastete.
„Ein Thema für nach dem Krieg", dachte sie sich und musste sich doch über dieses aufregende Kribbeln in ihrem Bauch wundern. Zum Glück konnte niemand sehen, wo sie mit ihren Gedanken tatsächlich war. Nach außen hin bewahrte sie schließlich Haltung.
Als es draußen bereits zu dunkeln begann und ihre Zusammenkunft endete, war sie müde und erschöpft, aber auch hochzufrieden. Sie schlief diese Nacht so gut, wie noch nie, seit sie in Venhaven residierte.
Es dauerte noch zwei lange Tage, bis die ‚Goldschein' den Dekarchenhafen anlief. Dem Gedränge an den Ufern des kleinen Hafenbeckens nach zu schließen, war besagtem Schiff binnen jener beider Tage der Ruf einer sagenumwobenen Legende zuteilgeworden. Jeder Mann, aber auch Lena, war gespannt darauf, was es denn nun sein könnte, jene Waffe, welche die Venuari, mächtiger machen sollte, als die nicht minder legendären Feuerreiter Mezertes.
Lena stand am Rande des Hafenbeckens an der Seite ihres obersten Beraters, Kal Zigel und Dymen Steinfurt, die sich alle drei angeregt unterhielten. Was es auch sein sollte, dass der ostländische Heerführer Ozario Zana ihnen hier vorführen lassen würde, im Nachhinein fiele es Kal Zigels Verantwortungsbereich zu.
Palu Menk gesellte sich an ihre Seite. Sie musste ihren Kopf neigen, um zu ihm aufblicken zu können: „Habt Ihr die Waffe schon gesehen?", fragte er, den Blick auf das sich nähernde Schiff gerichtet.
„Nein, auch für mich ist es das erste Mal", erwiderte sie. Ihr Herz klopfte. Ihre Anspannung in Erwartung der „Bestie" war also weit größer, als sie vermutet hatte.
„Heute Morgen ist ein Falke aus Venuris eingetroffen", berichtete Menk freudig, „meinem Vater geht es gesundheitlich wieder besser, berichtet Almuth Stein. Er habe erklärt, sich binnen der nächsten drei Tage wieder auf den Heimweg Richtung der Furt zu machen."
„Das freut mich sehr für Euch, aber vor allem auch für den treuen Millot."
„Meine hohe Mutter wird erleichtert sein, ihn wiederzusehen. Sie war gegen diese Reise, hat ihn gedrängt, er solle mich an seiner statt in die Hauptstadt entsenden. Er jedoch beharrte darauf, er sei es seinem alten Freund schuldig."
Sehr wahrscheinlich hätte Palu ihr etwas mehr Trost gespendet, als sein Vater es zu tun vermochte.
„Wie hat Eure Mutter erst reagiert, als Ihr schließlich gen Venhaven gesegelt seid?"
„Sie hat viele Tränen vergossen", Menk stockte kurz, ehe er weitererzählte, „aber so sind Mütter nun einmal. Erfüllt von Sorgen, die aus Liebe geboren sind. Ich sagte ihr ‚Wir werden siegreich zurückkehren' und dass sie keine Angst um mein Wohl haben müsse. Die roten Rebellen siegten als ein Haufen von Bauern, Handwerkern, einfachen Kaufleuten und Bettlern, mit Waffen in den Händen. Was also sollten die Namunschen den besten Soldaten, die der Kontinent je gesehen hat, entgegenzusetzen haben? Darauf hatte sie schließlich keine Antwort mehr."
Er lachte und auch Lena konnte sich daraufhin ein Kichern nicht verkneifen. Nein, Palu Menk war so gar nicht wie sein Vater.
„Meine Geschwister hingegen haben mich und meine Entscheidung von Anfang an unterstützt. Sie wären, glaube ich, am liebsten mit in diesen Krieg gezogen."
„Eure jüngeren Geschwister? Ernsthaft?"
„Ja. Ben ist ein Heißsporn. Neugierig, aufgeweckt, manchmal vielleicht etwas zu ungestüm. Ich habe ihm gesagt, dass er auf der Furt bleiben muss. Für den Fall, dass mir doch etwas zustoßen sollte, wäre er schließlich der Erbe meines Vaters, euer künftiges Schwert der Westlande. Er war nicht sehr erfreut darüber, dass ich allein loszog. Meine Schwester Dea hingegen..."
Er lächelte breit über beide Ohren.
„Sie hat ihren Zwillingsbruder dafür ausgelacht."
„Eure Schwester sollte eher stolz auf den Mut Ihres Bruders sein", kommentierte Lena ihr Verhalten.
Wieder lachte Palu und wenn Millots Sohn lachte, so klang es irgendwie so...ehrlich.
„Dea hätte dafür wohl einen etwas anderen Begriff verwendet. Ihr müsst wissen, meine Regentin, Deanita ist ein wenig eigen. Gleichwohl ein hochintelligentes Mädchen. Oh, das ist sie. Das vielleicht gescheiteste junge Ding, das ich jemals kennen werde. Auch sie ist übrigens der Ansicht, dass wir diesen Krieg gewinnen werden."
„Ihr habt noch eine Schwester."
„Richtig. Nun Hanna ist...sie ist eben Hanna. Ich glaube nicht, dass ihr wirklich bewusst war, wohin ich gehe, was ich dort tue. Wir haben uns zum Abschied lange und herzlich umarmt, dann hat sie wieder angefangen Lieder über die Jungfrau Nara zu singen."
Hanalka Menk, das zweitälteste Kind von Alilly und Millot, war eine Schwachsinnige, das war bekannt. Doch Palu Menk schien trotzdessen eine Art geschwisterliche Liebe für sie zu empfinden, dies konnte sie in seinen meerblauen Augen sehen.
Ein Horn wurde geblasen, lang und laut und unterbrach ihre Unterhaltung abrupt. Grollend ritt der tiefe Ton über die Wellen hinweg an ihre Ohren. Das silbergraue Segel mit dem purpurfarbenen Schwert darauf wurde langsam eingeholt, stattdessen schoben sich unzählige Ruder aus den dafür vorhandenen Öffnungen, zu beider Seiten der Galeere, und brachten Zanas Schiff auf Kurs. Ein schwimmender, hölzerner Tausendfüßler, der über die etwas unruhigen Wogen langsam dahinkroch. Der Wind zerrte derweil unnachgiebig an den Mänteln, Umhängen und Roben der Schaulustigen im Dekarchenhafen. Lena spürte einen einsamen Regentropfen, der ihr gegen die Wange flog.
Es dauerte nicht lange, da hatte sich das Schiff so gedreht, dass die Figur der lächelnden Meerjungfrau am Bug sie direkt anzublicken schien. Sie hatte ihre Arme weit ausgebreitet und so sah es nun aus, als wolle sie die Venhavener zur Begrüßung allesamt erst einmal ausgiebig herzen.
Als die ‚Goldschein' nah genug, jedoch noch nicht in das Hafenbecken eingefahren war, warf man den Anker. Das Schiff schien tatsächlich zu scheinen, wie Lena bemerkte. Nicht jedoch golden, wie es der Name vermuten ließe, sondern eher wie in blasses Mondlicht getaucht. Beinahe gespenstig, aber andererseits auch wieder magisch schön. War es das Holz selbst oder irgendeine seltsame Farbe, das es trug? Sie konnte es nicht sagen. Ein Beiboot wurde ins Wasser gelassen. Zwei Mann ruderten, zwei trugen Speere in den Händen und Rüstung am Leib und ein fünfter saß, in eine violette Robe gehüllt, in ihrer Mitte – Ozario Zana. Fisis Heerführer sparte ebenso wenig am Prunk, wie das Schwert der Ostlande selbst. Seine Robe spickten goldene Federn und Goldfaden, weiße Rüschen umspielten seine haarigen Arme und den Kragen um seinen kräftigen Hals. An jedem seiner Finger glänzte ein eiserner, blank polierter Ring. Sein Gesicht war hart und von einem mächtigen, tiefschwarzen Bart bedeckt. Sein ebenso schwarzes Haupthaar hatte er zu beiden Seiten wie zwei mächtige Widderhörner geformt. Er war vermutlich etwas älter als Fisi, doch wirkte er trotzdem beinahe jugendlich agil und stark.
„Ein ungemein außergewöhnliches Äußeres", dachte Lena sich. Unter den Westländischen vernahm sie vereinzeltes Gekicher. Sicher, sie mochte solcherlei Reaktionen verstehen, aber machte sie es dennoch ein klein wenig wütend, dass es einigen am nötigen Respekt mangelte.
„Meine Regentin", sprach Zana, kaum das er einen Fuß auf das Festland gesetzt hatte, woraufhin er sofort ehrerbietend auf sein rechtes Knie fiel.
Mit „Mein Herr", begrüßte er auch den Herren der Ostlande mit der nötigen Ehrfurcht.
„Darf ich vorstellen, meine Regentin, meine Herren", Fisi trat an Zanas Seite, legte ihm beinahe brüderlich die Hand auf die Schulter, „Ozario Zana, Sohn des Kriegshelden Nicolo Zana, Schwertführer Yaznarks, Oberbefehlshaber der Seeblockade und treuer Heerführer der ostländischen Truppen. Ein Mann wie ein Fels, den keine Welle brechen kann, an dem alle seine Gegner zerschellen."
Das traf es gut. Der Mann zeigte mindestens ebenso viele Emotionen wie ein Felsen, wie Lena grübelnd feststellte.
„Was hast du uns aus unserer geliebten Hauptstadt mitgebracht, Zana?"
Argwöhnisch blickte der Heerführer zu seinem Tai hinüber, verzog dabei keine Miene. Nicht einmal Fisis freudige Ausstrahlung konnte offenbar auch nur einen winzigen Funken in dem Felsenmann zum Glimmen bringen.
Wortlos wandte er sich der See zu und gab den Männern an Bord der ‚Goldschein' ein Zeichen, ehe er sich wieder zu Lena umdrehte. Mittlerweile hatte es leicht zu nieseln begonnen.
„Ihr solltet Eure Ohren zuhalten, meine Regentin", lautete sein Ratschlag.
Sie zögerte zu lange, als plötzlich ein ohrenbetäubender Donnerschlag, lauter als jedes Gewitter, dass Lena jemals vernehmen durfte, die Luft erfüllte. Selbst Palu Menk neben ihr war zusammengezuckt. Einige waren vor Schreck gar auf ihren Hintern gelandet, wiederum andere hatten die Arme über ihren Köpfen zusammengeschlagen und sich weggeduckt, als hätte jemand auf sie geschossen.
Noch ein Donnern und noch eines, in ihrer Heftigkeit dem Ersten in nichts nachstehend.
Und erst beim zweiten und dritten Male realisierte Lena den aufsteigenden Rauch auf Deck des Schiffes und die zuvor durch die Luft wirbelnden Feuerbälle, die gut hörbar zischend und krachend, weit entfernt, auf der Meeresoberfläche einschlugen und dabei riesige Wasserfontänen aufwirbelten, welche anschließend langsam, wie dünne Nebelschleier, herniederrieselten um sich wieder mit dem Meer zu vereinen.
Aufgewühltheit erfasste die Menschenmenge, die wie wilde Vögel ihre Köpfe in sämtliche Richtungen drehten, ihre Nebenmänner und -frauen anstarrten und sich nur kurz darauf in einem wirren, lauten Gegacker ergaben.
Zanas Mundwinkel zuckten leicht, während Fisis Lächeln sich so breit gestaltete, dass es beinahe schon grotesk wirkte.
„Habt Ihr es gesehen, meine Regentin? Habt Ihr das gesehen? Ein Wunder! Sie haben daheim ein wahres Wunder geschaffen", frohlockte er und konnte nicht aufhören, Ozario Zana anerkennend den Rücken zu tätscheln.
„In erster Linie habe ich es gehört", antwortete sie ihm und massierte sich ihre Ohren. Ein leises, monotones Lied spielten sie für ihren Kopf.
„Was war das?", fragten Kal Zigel und Dymen Steinfurt beinahe gleichzeitig. Horas Horn hingegen war offenbar sprachlos und Joran Mehr hatte gar ein wenig Farbe im Gesicht verloren, wenn Lena dies richtig beobachtet hatte. Frix half derweil Donte Herwet auf die Beine. Sie konnte auch schon wieder erste Lacher in ihrem Rücken vernehmen, da sich wohl irgendjemand in den hinteren Reihen vor Schreck in die Hose gemacht hatte.
Palu Menk hatte derweil seine Arme in die Seiten gestemmt, während sich der Unglaube auf seinem Gesicht in Zuversicht und Anerkennung wandelte, wie sie seinem ernsten Nicken entnahm. Sie bemerkte dabei die feinen Regentropfen auf seinem Gesicht und in seinen Haaren.
Der Tai kicherte derweil. Der Blick in die Gesichter der Anwesenden bereitete ihm höchstes Vergnügen: „Das, meine Lieben, war unser süßer Sieg."
„Unsere Bestien", schoss es Lena durch den Kopf. Nun brach sich ebenfalls ein Lächeln auf ihren Lippen Bahn. Des Tais Worte wärmten ihr das Herz, durchströmten es mit purem Glück und Heiterkeit. Sie konnte ihn nur bewundern. Vom kritisch Beäugten zum Siegbringer binnen zweier Tage. Nicht nur sein Lächeln war pures Gold.
„Meine Herren", sprach die blaue Palu, „ich wünsche einen süßen Schlaf. Im Morgengrauen stechen wir in See."
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