43 - Was getan werden muss (2)
Je näher Pat kam, desto mehr konnte er erkennen.
Die Stadtwache hielt mit Doppelspeer und Schwert eine strikte Ordnung vor Ort aufrecht. Die Menschen, die am Fluss lagerten und die ihre Kolonne am gestrigen Tage attackiert hatten, wurden linksseitig in der Nähe des Kaposiqi gehalten. Auf der rechten Seite, an der großen Straße gelegen, versammelten sich die Einheimischen, wie auch einfache Soldaten und Söldner. Er mischte sich ebenfalls unter jenen Teil der Zuschauerschaft. Einige musterten ihn ausdruckslos, die meisten jedoch beachteten ihn schlicht gar nicht. Als aus dem Geraune und Getuschel der linken Seite plötzlich lautes Rufen und Gezeter wurde, erkannte Pat schließlich auch, was der Grund für ihr aller Zusammenkunft war. Im Schatten der riesigen Mauer tauchten eine Handvoll der Krähensöldner auf, die einige Männer und eine Frau auf den freien Platz führten. Diese trugen Augenbinden sowie Fesseln an Händen und Füßen und waren zudem alle miteinander durch ein dickes Seil verbunden, welches man ihnen um die Hüfte gebunden hatte.
Ein lautes Rufen erschallte hinter ihnen bis an seine Ohren, klar und deutlich. Pat hatte hier in Namun noch nie Männer in Rüstungen gesehen – bis jetzt. Vier Kerle mit Doppelspeer in beinahe lächerlich breiten, schwarzen Schutzpanzern. Beinahe hätte er über deren Erscheinung gelacht, wenn seine Augen sich nicht ungläubig an den fünften Mann geheftet hätten, der in ihrer Mitte ging.
Ein hochgewachsener alter Mann in roter Robe, missmutig dreinschauend. Inmitten des harten, ja beinahe verhärmten Gesichts thronte eine Nase so spitz wie der Schnabel eines Raubvogels.
Keine Frage, Pat hätte ihn auch ohne die Eskorte erkannt. Ohne dass sie alle ehrerbietend zur Seite wichen um dem mächtigsten Mann Namuns Platz zu machen, denn genau das war er. Genau das musste er sein.
Terek Nam'Atamai, derjenige, den er, Pat Mohor aus Rinken, würde töten müssen, um einen Krieg mit Venua zu verhindern. Und er kannte auch dieses Schauspiel. Er hatte das hier schon einmal gesehen.
Damals in der weißen Stadt, als dort vier Menschen mit dem mezert'schen Feuer verbrannt wurden.
Der Hohepriester trat vor die fünfzehn Gefangenen und blickte jeden von ihnen lange an, das Rufen der Linksseitigen ignorierend. Als Pat sah, dass die Wachen auf den Mauern lange Seile herabließen, erfüllte ihn dies mit Erleichterung. Niemand würde hier heute verbrannt werden, wenngleich doch fünfzehn Leben ihr Ende fänden. Er lauschte den Worten, die der Hohepriester mit seiner klaren, kräftigen Stimme sprach. Auch wenn er wieder nichts von dem verstand, was gesagt wurde, so konnte er seinen Blick nicht von dem alten Mann abwenden. Selbst als einer nach dem anderen der Verurteilten mit der Seilschlinge um den Hals die Mauer hinaufgezogen wurde, hatte Pat nur Augen für Terek Nam'Atamai, welcher seinen Blick nicht von den Todgeweihten abwendete, bis nicht auch der letzte von ihnen leblos an der Mauer hing.
Pat vernahm vereinzeltes Lachen in seinen Reihen, während auf der linken Seite zwischenzeitlich jeglicher Protest verstummt war.
Als der Hohepriester sich abwendete und den Platz verließ, löste sich auch die rechtsseitige Menschenmenge sehr rasch auf.
Für einen Moment betrachtete Pat die fünfzehn leblosen Körper an der Mauer, ehe auch er sich angewidert abwendete. Wer auch immer sie waren, ihr Tod lieferte ihm einen weiteren Grund den Mutterpriester töten zu wollen. So sagte er es sich vor.
Als er zu ihrem Bretterverschlag zurückkehrte, erblickte er zunächst den roten Odo, der in einen welken Dornenstrauch pisste, welcher an der Mauer wuchs.
„Wie geht's deinem Schädel?", ulkte Pat in dessen Richtung, woraufhin Odo einzig seinen Kopf kurz in Pats Richtung drehte und ihm einen vielsagenden Blick aus seinem zerknautschten Gesicht zuwarf.
Als Mendo Warigna aus ihrer rustikalen Schlafhöhle in die noch recht milde Sonne trat und sich ausgiebig reckte, kehrten alle belastenden Gedanken in Pats Kopf zurück, welche er gerade noch für einen kurzen Augenblick daraus hatte verdrängen können.
Nach ihrem gestrigen Gespräch war Warigna erneut dazu übergegangen, ihn zu ignorieren. Ein Stück Normalität im Land des Feindes. Pferd und Knurrer waren ebenfalls wach und nur wenig später, schlüpfte auch Welpe aus dem Bau. Einzig Amwaldt schlief noch tief und fest. Zumindest störte er sich nicht an dem allgemeinen Erwachen um ihn herum, bis Mendo Warigna ihn schroff anschnauzte und aufforderte aufzustehen. Ein Befehl, dem er murrend nachkam.
Odo trat derweil an Pat heran.
„Ich vertrage den Wein nicht mehr", bemerkte er leicht zerknittert.
„Du hast jedenfalls für großartige Unterhaltung gesorgt mit deinen Liedern. Du hättest ruhig auch ein wenig dazu singen können", bemerkte Pat lächelnd.
„So betrunken kann ich gar nicht sein", wiegelte er ab und warf sich seinen Waffenrock über.
„Wo hast du dich denn so früh herumgetrieben?", wollte er von Pat wissen.
Er erzählte Odo, wo er war und was er gesehen hatte, während sie sich allesamt auf den Weg zu Kohar machten, der den Neuen ihre Aufgaben zuweisen würde. Rekard Amwaldt murmelte unterwegs leise Flüche und Mendo Warigna stolzierte durch die Straßen, als sei dies Venuris und er immer noch der Hauptmann der Stadtwache.
Doch in der Verkleidung der Wüstenfüchse war er genauso viel wert, wie alle anderen auch. Der blaue Tannenbaum Kohar jedenfalls nahm keine Rücksicht auf das Narbengesicht, ließ diesen ebenso schuften, wie alle anderen.
In der sich immer weiter aufheizenden Luft kamen Pat und seine Kameraden schon bald mächtig ins Schwitzen. So schafften sie Holz einer abgebrannten Ruine die steilen Treppen zu den Wehrgängen der Mauer hinauf, damit die Baumeister des Mutterpriesters dort ihre Verteidigungsanlagen aufbauen konnten. Mächtige Gerätschaften, viel größer als die hölzernen Pfähler der Manyoya, welche offenbar dazu gedacht waren, die anstehende Belagerung zu brechen.
Als die Sonne dazu ansetzte ihr namensgebendes Haus zu übersteigen, verzogen sich die Füchse in den dunklen Keller einer angrenzenden Spelunke, wo sie ein dünnes, saures Bier zu trinken bekamen und sich von ihrer kraftraubenden Arbeit ausruhen konnten.
Amwaldt und Warigna hatten sich in eine dunkle Ecke zurückgezogen, wo sie ungestört miteinander reden konnten. Pat konnte sich denken, über was sie sprachen und wen sie wieder einmal als Letztes über ihre Beschlüsse informieren würden.
„Wozu noch die Geheimnistuerei", dachte er sich, „bald werden wir ohnehin alle sterben?"
Am späten Nachmittag wurden sie abkommandiert bei der Beladung dreier Wägen zu helfen.
So schleppten sie Säcke voller Nüsse und Getreide, Trockenfleisch, hartes Brot und ganze Räder gelben Käses aus den Tiefen der unterirdischen Läger. Sie rollten leere Fässer aus dem Dunkeln in die Sonne und befüllten diese mit Eimern voller Wasser.
„Die Brüder ziehen aus, um ganze Hunderschaften von Flüchtenden aus den Bergen in die Stadt zu holen", erzählte Amwaldt Odo und Pat, was er von den anderen Füchsen aufgeschnappt hatte und fügte sogleich mit einem miesgelaunten Knurren hinterher: „Als ob hier nicht schon genug Gesindel in den Kaposiqi scheißt. Der Mutterpriester holt sich seinen eigenen, kleinen Krieg hinter die Mauern. Ein Narr und ein Dummkopf, mehr ist er nicht."
In der folgenden Nacht schliefen Warigna und Amwaldt tief und fest. Somit war ihr Zeitpunkt, sein Zeitpunkt, noch immer nicht gekommen. Auf der einen Seite verspürte Pat Erleichterung, dass er die Sonne, so sehr er sie mittlerweile auch verachtete, ein weiteres Mal aufgehen sehen würde. Andererseits wollte er, dass dieser Wahnsinn endlich endete.
„Wir werden nicht sterben", sagte er sich plötzlich voller Überzeugung.
Amwaldt mochte gesagt haben, dass es wahrscheinlicher wäre, das mezert'sche Feuer zu überleben, denn ein Attentat auf den mächtigsten Mann Namuns. Doch ein durchtriebener Hund, wie Amwaldt einer war, würde sich nicht einfach seinem Tod ergeben. Auch Warigna sprach, wenn er denn sprach, lieber davon, die Stadt noch vor der anstehenden Belagerung zu verlassen. Er mochte wahnsinnig sein, doch war er auch berechnend. Möglicherweise, nein ganz sicher, hatten sich die beiden bereits einen Plan zurechtgelegt, wie sie alle zusammen ungesehen aus diesem Scheißhaufen von Stadt schlüpfen konnten. Vorausgesetzt sein Pfeil würde auch treffen.
Am Morgen erwachte Pat als Letzter, nachdem er aus einem Alptraum aufgeschreckt war, an den er sich jedoch nicht mehr erinnern konnte. Unter den Namun'schen herrschte Aufregung.
„Hast du nichts mitbekommen?", stieß ihm der rote Odo, heute Morgen wesentlich besser aufgelegt, in die Rippen.
„Wieso? Hab' ich was verpasst?", fragte Pat gähnend.
„Ein großes Feuer und ein toter Hund", erklärte Rekard gelangweilt, während er sich die Haare glattstrich, „und dieser tote Köter war zufällig auch noch die rechte Hand des Mutterpriesters. Womöglich nimmt uns hier jemand die Arbeit ab, wenn wir nur lange genug warten."
„Wir werden nicht warten", lautete die grimmige Antwort Warignas, „Bevor dieser Hundekönig hier aufschlägt, verschwindet diese Stadt hinter mir am Horizont, das habe ich geschworen."
„Wer hat das Feuer gelegt?", fragte Pat in die Runde.
„Knurrer meint, einer unserer Brüder hätte ihm erzählt, es sei ein tragischer Unfall gewesen", antwortete ihm Odo.
„Ein Unfall?", rief Rekard höhnisch und spuckte aus. „Ich habe dich immer für einen intelligenten Mann gehalten, Odo. Ich verwette meinen Schwanz, dass das das Werk von Befreiern war. Ich sagte doch schon, der Hohepriester hat sich seinen eigenen kleinen Krieg hinter die Mauern geholt."
„Mein Freund", erwiderte Odo, „nicht immer verbreitet sich eine Fehlinformation aus Dumm- oder Unwissenheit. Manchmal steckt auch Berechnung dahinter."
Darauf hatte ihr Kamerad schließlich nichts mehr zu sagen und entschied sich zu schweigen.
Anstelle von Kohar empfing sie am heutigen Morgen Deron, der kleine Mann mit Glatze und dem blauen Drahtgestrüpp, welches er wohl Bart schimpfte. Laut Amwaldt war er der Bruder des Mannes der Halbschwester von Hauptmann Zadar höchstpersönlich. Nicht mal Odo konnte sagen, wie man diese Art der Verwandtschaftsgrad bezeichnete.
Auf Nachfrage Warignas teilte ihnen Deron mit, dass Kohar am Vorabend zusammen mit Zadar und den roten Brüdern ausgeritten sei, um unter den Flüchtenden, aus irgendeiner unaussprechlichen Stadt, neue Männer zu rekrutieren.
Als sie wieder unter sich waren bemerkte Pat beinahe euphorische Anflüge auf Seiten des Narbengesichts.
„Er glaubt", berichtete ihm schließlich Odo, „dass der Zeitpunkt für unseren großen Auftritt kaum mehr günstiger werden würde, jetzt wo auch noch die Hauptmänner ausgeritten seien. Offenbar hat sich auch die große Krähe, ein Mann namens Herzverschlinger, mit auf die kurze Reise begeben. Ihre Stellvertreter seien allesamt Schwachköpfe und Weichlinge, sagt zumindest Amwaldt, und daher seien Arbeitsmoral, Aufmerksam- und Gewissenhaftigkeit der Männer an einem Tiefpunkt. Er spräche aus Erfahrung, sagt er."
Ein heißes Kribbeln erfasste Pats Nacken. Der Zeitpunkt, auf den sie alle schon so lange hingearbeitet hatten, rückte in großen Schritten näher.
Heute waren Sie dazu eingeteilt große und schwere Steine zur Verteidigung der Mauern einzusammeln und dort den späteren Verteidigern bereitzulegen. Ein eingestürztes Gebäude in der Stadtmitte lieferte mächtige Brocken, die sie auf ihre bereitgestellten Wägen luden und schließlich durch die holprigen Straßen transportierten, bis die Mittaghitze sie wieder für wenige Stunden ausbremste. Am frühen Abend berichtete ihnen der junge Welpe davon, dass die Menschen vor die Tore strömen würden, was zunächst auf Unglauben in ihrer Gruppe stieß.
Als sie schließlich mit der nächsten Fuhre im Gepäck die Wehrgänge erklommen, erblickten sie eine ganze Schar von Arbeitern, die mit Spaten und Hacken bewaffnet, Gräben aushoben und zu Erdwällen aufzuschichten begannen.
Rekard Amwaldt lachte angesichts des Schauspiels: „Damit beginnen sie reichlich spät. Wenn die Mauern, die Pfähler und unsere Steine diese Stadt nicht retten, wird ein bisschen umgeschichteter Sand auch nicht mehr viel Wirkung zeigen."
Odo zog nur skeptisch die Brauen nach oben: „Dabei müssen die Angreifer nicht mehr tun, als diese Stadt auszuhungern. Ohne die Nahrungslieferungen durch unsere Brüder, wird dies nicht allzu lange dauern. Nichtmal ein halbes Jahr. Wenn sie zudem noch den Fluss umleiten oder gar vergiften..."
„Nenn' sie nicht Brüder, Odo", schalte Warigna den alten Mann an, worauf dieser nur nickte und verstummte.
Warigna knurrte hingegen weiter vor sich hin: „Von mir aus können sie sich alle gegenseitig in ihre Ärsche ficken. Wir werden nicht mehr hier sein, um zu bezeugen, was passieren wird."
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