43 - Was getan werden muss (1)
Der fremde Mond hüllte die kargen Straßen Emorhors in seine eigenartige Blässe. An das stinkende Gemisch all jener fremdartigen Ausdünstungen, die hier zusammenkamen, würde sich Pat wohl niemals gewöhnen können. Aus jeder Pore schien ihn diese Stadt zu verabscheuen und aus jeder seiner Poren verabscheute er diese Stadt. Er hasste das Essen, das sie ihm gaben, er hasste das Wasser, welches er trank. Er verfluchte das fliegende Ungeziefer, die Schwärme an bunten Vögeln, die diese Stadt heimsuchten. Es regnete an einem Tag soviel Scheisse vom Himmel, dass er manchmal dachte, es könnte auch schlicht die Art und Weise sein, wie diese Viecher ihre Missbilligung gegenüber Emorhor zum Ausdruck zu bringen gedachten.
Und ihr Geschrei und Gezeter am Tage würde schon sehr bald die ersten Männer und Frauen dazu bringen durchzudrehen, dessen war sich Pat sicher.
„Was kümmert mich diese Stadt? Was kümmern mich diese fliegenden Ratten? Bald schon werde ich tot sein", sagte er zu sich, während er seine linke Hand fester um den Kurzbogen schloss, welchen er bei sich trug. Das Holz aus dem dieser gemacht war, fühlte sich rau und pelzig an. Irgendein verfluchter, absonderlicher Baum, der hier inmitten dieses entarteten Geröllhaufens, der sich Hauptstadt schimpfte, seine Wurzeln schlug, hatte das Holz dafür geliefert. Ob auch die Pfeile aus ebenjenem Material gefertigt worden waren? Würde es den Mutterpriester scheren, wenn er eine ihrer Spitzen aus seiner Brust ragen sähe? Würde er nicht lieber wissen wollen, wer ihm da gerade das Leben aushauchte oder scherte sich ein sterbender Mann gar nicht mehr um derlei Fragen?
Pat schlich einem Schatten hinterher. Lautlos wie eine Katze und aufmerksam wie ein Wolf, der er war. Der venuarische Wolf auf der Jagd nach einer fetten namunschen Ratte. Die oberste und fetteste aller Ratten, die mit dem Hundekopf. Und er würde dieser Ratte heute Nacht das Leben aushauchen. Sein Rudelführer hatte ihm gesagt, es müsse erledigt sein, bevor die Ratte mit der Krone auf dem Kopf vor den Mauern des Rattennests auftauchen würde. Doch sein Rudelführer war auch ein wahnsinniggewordener Dummkopf, der noch immer davon überzeugt war, sein Fell heil aus diesem Haufen Scheiße herauszuschaffen.
Er gemahnte sich Gleichmut zu bewahren.
„Meine Treue gehört Venua", hatte er noch vor kurzem gesagt. Er mochte seinen Eid nie abgelegt haben und somit kein geschworener Soldat der Regentin sein, doch bei dem einen Gott, er war auch kein illoyaler Bastard wie Rekard Amwaldt. Er war gegangen um ein Held zu werden und alles Werkzeug, welches er dafür noch benötigte, trug er nun bei sich. Schritt um Schritt holte er sein Ziel ein und nur einen Pfeil, nur einen verdammten Pfeil würde er benötigen um einen Krieg zu verhindern.
Was zu tun war, würde getan werden.
Vor ihm tauchte er auf, hochgewachsen und glänzend unter dem fahlen Mondlicht. Ein Riese wie aus Stein gehauen, so schwerfällig wie er sich da bewegte. Terek Nam'Atamai, der Hohepriester der Mutter. Einer der Nachkömmlinge des Nobossops, der schon einmal versucht hatte Pats Heimat mit Schwert und Speer unter sein Joch zu zwingen. Damals war eine Armee nötig gewesen, um seine Schergen zurückzuschlagen. Heuer war es nur ein Pfeil, der ein wenig Blut vergießen würde.
Pat legte das tödliche Geschoss auf den Bogen auf. Sanft küsste der Schaft mit den roten Federn die straffe Sehne. Nur ein paar Schritte noch, nur um sicherzugehen, dass er ihn auch wirklich und ganz sicher treffen konnte. Worauf wartete er noch? Seine Finger versteiften, hinderten ihn am Schuss.
Plötzlich drehte sich der steinerne Klotz zu ihm um. Er wirkte viel kleiner und zierlicher, als Pat ihn von vorne sah. Terek Nam'Atamai trug Schnauz- und Kinnbart, wie auch die buschigen Augenbrauen in leuchtender Goldfarbe. Der Hohepriester löste das Bronzeschwert von seinem leichten Waffenrock und richtete es bedrohlich auf den Schützen, der ihn ins Visier genommen hatte.
„Ich wusste, dass du zu nichts gut bist, Mohor."
Hohn lag in Mendo Warignas Stimme. Pat konnte dessen verdammte Narbe, aus dem Augenwinkel heraus, durch die Dunkelheit der Straßen leuchten sehen.
„Der Goldgockel hätte dich, anstelle von Jullen auf das Sterbebett schicken sollen."
Je angestrengter Pat versuchte seine Finger zu entkrampfen, desto mehr spürte er, wie sich Angst in seinem Körper ausbreitete.
Er hörte entfernte Schreie aus der weißen Stadt über das Meer schallen. Ein, zwischen der gelben Bucht und der Hauptstadt, verendeter Namenloser, sein Gesicht war längst verblasst, sang derweil ein lautes Klagelied. Über einen Venuari, der geschwiegen hatte, während ein Unschuldiger geschunden und verstümmelt wurde.
Basa'a setzte seine Klinge an Pats Hals und da erkannte er sein Gesicht. Es war das Gesicht seines Vaters, der Hohn und Spott über ihm ausschüttete, so schwarz und heiß wie Pech. In Tore Mohors Gesicht pulsierte eine rote Narbe aus denen winzige Flammen züngelten, ehe plötzlich dieses fremde, groteske Gesicht in Flammen stand während eine unsichtbare Hand Pat die Klinge in den Hals rammte.
Keuchend erwachte er auf seinem schäbigen Bett aus kratzigem Stroh unter einem ebenso schäbigen Bretterverschlag. Er fasste sich an den Hals, dort wo er eben noch deutlich die Klinge gespürt hatte, doch da war nichts. Kein Blut, keine Verletzung. Nur ein Traum, nur ein verfluchter Traum.
Der rote Odo zu seiner Rechten und Pferd zu seiner Linken schliefen tief und fest. Ersterer hatte bei den Füchsen so viel Wein getrunken, dass es Pat auch nicht weiter verwunderte. Derweil ließ der Schein der Feuerkörbe auf den Mauern ein schwaches, flackerndes Licht durch die Ritzen der Bretter über ihren Köpfen sickern. An Schlaf war für Pat nicht mehr zu denken. So erhob er sich und trat aus dem Muff ihrer Unterkunft in die namunsche Nacht hinaus. Die Nachtwache erhob rasch ihr Haupt. Offenbar war der magere Mann mit dem blau-grauen Bart eingeschlafen und versuchte nun so zu tun, als wäre dem nicht so gewesen.
Pat kümmerte sich jedoch nicht weiter um diesen Fuchs. Er wusch sich den Schweiß von der Stirn. Selbst dann, wenn die Sonne sich bereits zu Bett begeben hatte, war es hier noch heiß. Immerhin kannte Emorhor nicht die Schwüle, wie die Wölfe sie in Surme ertragen mussten, doch „ein bisschen beschissen" war trotz allem immer noch „beschissen", wie es ein großer Denker ihrer Zeit, es musste ein gewisser Eukaris Wendt gewesen sein, einmal so schön formuliert hatte.
„Schau an, der Töter", hallte die Stimme Amwaldts freudig durch die Nacht.
„Was machst du so spät hier draußen?", fragte ihn Pat, als er Rekard aus einer dunklen Gasse auftauchen sah. Feixend griff sich sein Kamerad zwischen die Beine.
„Solltest du vielleicht auch mal wieder tun. Bist ja noch unentspannter als vorher, seit deinem Gespräch mit Warigna."
Er klopfte Pat mit der Hand auf die Schulter und grinste: „Glaub mir Töter, wenn du einmal von einer namunschen Schönheit mit Mandelaugen und schwarzem Haar gekostet hast, dann möchtest du so schnell nichts anderes mehr haben."
„Nenn mich nicht Töter!"
„Ach nicht? Warum wehrst du dich so dagegen? Dabei bist du doch gar keine Jungfrau mehr?"
„Ich habe niemanden umgebracht", entgegnete Pat erregt.
„Ich erinnere mich an zwei Männer aus der gelben Bucht und einen, der gerade in einem Armenhaus vor sich hinsiecht. Man muss nicht immer ein Schwert ziehen, um jemandem das Leben zu nehmen", erklärte sein Gegenüber mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen.
Pat musste sich zusammennehmen, um dem alten Mann nicht an die Gurgel zu gehen.
„Du hast mir einst erzählt", begann er in ruhigem Ton, als Amwaldt sich an ihm vorbeidrängen wollte, „das unter der Sonne Namuns dein Zuhause ist. Du hast geschworen uns an unser Ziel zu bringen und hast dein Wort gehalten."
Amwaldt blickte ihn misstrauisch an. Etwa wie jemand, der überrascht war, über das, was er angeblich gesagt oder getan hatte?
„Warum bist du also noch hier? Warum hast du dem Wolf noch nicht ‚Auf Nimmerwiedersehen' gesagt?"
Amüsiert biss sich der Söldner auf die Unterlippe: „Ich habe noch nicht alles getan, was ich versprochen habe."
„Ist das so?", gab sich Pat interessiert an Amwaldts angeblichen Versprechungen.
„Ja", blaffte dieser nur barsch zurück, „und es interessiert mich nicht, was du denkst und was du weißt oder glaubst zu wissen. Ich jedenfalls weiß, dass ich mir jetzt mein kleines bisschen Schlaf verdient habe, der mir noch bleibt, ehe unsere neuen Herren uns mit unseren neuen Aufgaben bekannt machen werden."
Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, suchte sich Amwaldt seinen Platz im Stroh um dort offenbar genauso sorglos zu schlafen, wie er wachte.
Egal wie sehr Pat es auch versuchte, an Schlaf war nun erst recht nicht mehr zu denken. So griff er bald darauf seinen Waffenrock auf, legte sich sein Bronzeschwert um und marschierte in die langsam zu Ende gehende Nacht hinaus. Als Wüstenfuchs konnte er sich recht unbehelligt durch die Stadt bewegen und solange er ein Schwert trug, musste er sich auch keine Sorgen machen.
Er spazierte entlang der hohen Mauern, bis er zu dem braunen Strom kam, den sie Kaposiqi nannten.
Es wirkte beinahe unwirklich, dem dahinfließenden Wasser zuzuschauen. Ein Quell des Lebens inmitten dieser toten Wüste, auch wenn er eher eher wie ein Strom flüssiger Scheisse aussah. Shahisapari aus Venua, wie er einer war, tranken das Wasser nur, wenn es zuvor abgekocht worden war. Selbst Amwaldt bestand darauf. Die Sonne begann allmählich über die Mauern zu lugen. Noch war sie schwächlich und rot, doch bald schon würde sie wieder als gelber Feuerball über ihnen stehen und denjenigen zusetzen, die nicht schlau genug waren, sich in die Schatten zu retten.
„Welch feindliche, barbarische Welt Namun doch ist", schoss ihm dabei durch den Kopf. Hier würde er sterben? Im Angesicht des, mindestens ebenso rohen, Muttergottes?
Er schüttelte sich kurz, wollte er doch andere Gedanken denken.
Pat sah in der Ferne die Lichter und Feuer derjenigen, die am Ufer des Flusses lagerten, wie eine Armee von Maden, die sich über einen reifen Kadaver hermachte. Radau hallte von dort zu ihm herüber, doch Pat hatte genug von Geschrei und aufständischen Kötern.
Er überquerte den Kaposiqi über eine schmale Brücke und war überrascht, dass er auf Anhieb das Armenhaus ausfindig machte, in dem Jullen allein und vermutlich voller Angst und Zweifel untergebracht war.
Doch auch dieses Mal gewährte ihm der dickbäuchige Wachmann mit dem schief sitzenden Lederharnisch und dem von Rostflecken übersäten Schwert, keinen Eintritt.
„Freund, krank, Shahisapar", versuchte Pat sich verzweifelt zu verständigen. Schließlich forderte er die alte Frau zu sprechen, die seine Sprache beherrschte. Vielleicht würde sie ihn ja zu Jullen vorlassen. Dann bemerkte er jedoch, dass er weder wusste, was „alt" noch was „Frau", in die Hundesprache übersetzt, hieß. Hatte sie ihm nicht ihren Namen verraten? Er überlegte angestrengt, doch gab schließlich entnervt auf. Er spuckte aus und ging zornig den Weg zurück, den er gekommen war. Vielleicht, wenn er den Mutterpriester getötet hatte, würde er hierher zurückkommen und dem Wachmann noch seine Klinge in den fetten Wanst bohren. Das würde Pat vermutlich gefallen und er könnte anschließend zumindest mit einem freudigen Lächeln aus dem Leben scheiden.
Seine Gedankenspiele wurden jäh unterbrochen, als er, erneut am Kaposiqi angekommen, in der Ferne eine immer größer werdende Ansammlung raunender Menschen beobachtete, die nahe der nördlichen Stadtmauer zusammenkamen. Er sah einige seiner Kameraden, andere Wüstenfüchse, wie diese dorthin unterwegs waren, während sie laut untereinander zu diskutierten schienen. Pat glaubte das Wort „Feind" aus ihrer Unterhaltung aufgeschnappt zu haben. Auch wenn er falsch liegen mochte, folgte er ihnen doch mit etwas Abstand entlang des Ufers, wo sich ihnen unterwegs noch mehr Menschen anschlossen. Alte Männer und Frauen, junge Mädchen, kleine Kinder, aber auch Männer anderer Kompanien, wie es schien. Zwei Kerle mit tiefen Furchen auf beiden Wangen überholten ihn schnellen Schrittes, warfen ihm währenddessen abschätzige Blicke zu und kommentierten seine Erscheinung mit Worten, die er wieder nicht verstand. Er konnte sich denken, was sie sagten.
„Krähen" hatte Amwaldt sie genannt.
„Geht ihnen aus dem Weg", hatte er gesagt. Auch wenn Pat sich nur zu gerne mit beiden angelegt hätte, seine Wut auf den fetten Wachmann des Armenhauses war schließlich noch immer präsent, so ließ er sich doch auch durch deren Provokation zu keiner Dummheit hinreißen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top