40 - Wölfe im Fuchspelz (3)

Als man die Tür öffnete, schritten sie herein. Allen voran Kohar, der lebende blaue Tannenbaum, an dritter Stelle ein kleiner, gedrungener Mann mit auffallender Glatze und einem blau gefärbten Haargestrüpp, welches er wohl Bart schimpfte. In ihrer Mitte ein Mann, von dem Pat bereits wusste um wen es sich handelte, noch bevor es ihm irgendjemand sagen konnte.

Besagter Mann mit der blauen, schulterlangen Mähne und den auffälligen Bronzeringen durch Nase und Ohren, schritt durch die Reihen seiner Männer, schnurstracks auf die Venuari und die Surmesischen zu. Auch wenn er ein brauner Hund war, so wirkte seine Haut doch etwas blasser als die der übrigen Männer. Mit seinen kleinen, aufmerksamen Augen musterte er die Fremden genauestens, wobei er die vier Venuari anstarrte, als hätte er welche wie sie noch nie zuvor gesehen.

„Venuari", zischte er durch die strahlend weißen Zähne.

Niemand der Söhne Venuris' antwortete ihm.

„Ich bin Zadar, Hauptmann der Wüstenfüchse. Warum spült mir das Meer zu dieser Zeit vier Shahisapari in die gelbe Bucht?"

„Wir sind Verbannte", antwortete Mendo Warigna, „verstoßen von der Regentin Venuas."

„Regentin?"

Zadar spuckte aus, was ein aufgeregtes Gemurmel unter den übrigen Füchsen auslöste.

„Hat sich der schwarze Palu den Schwanz abgeschnitten und Titten wachsen lassen?"

„Der schwarze Palu ist tot. Seine Tochter ist ihm nachgefolgt."

Zadar begann zu lachen und kurz darauf fielen seine Männer in das Gelächter mit ein.

„Eine Tochter, so so. Welch Zeiten für Venua. Was sind das für Mannen, die sich von einer Frau knechten lassen? Mir scheint, die Männer des weiten Westens haben ihre Schwänze verloren."

Er blickte hinüber zu Pat und trat näher an ihn heran.

Zadar roch nach Kräutern und nassem Rauch, aber auch nach Verschlagenheit.

„Was ist mit dir? Hast du deinen Schwanz noch?"

Alle Blicke waren plötzlich auf ihn gerichtet und so sprach Pat das Erste, das ihm in den Sinn kam: „Ich bekomme dieses Mädchen aus Berwinkel, zuhause in Venua, nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht deshalb, weil es die erste und die letzte seit langer Zeit war, die ich gefickt habe. Sie roch so viel besser, als alles was mir anschließend in die Nase gekommen ist und wenn ich mir das Ganze rückblickend durch den Kopf gehen lasse, hätte ich kein Problem damit, meinen Schwanz an sie zu verlieren. Mich von ihr knechten zu lassen, würde mir mehr Freude bereiten, als sie mir Emorhor je bieten könnte. Aber da er noch immer zwischen meinen Beinen baumelt, scheint es so, als wäre das Glück gerade nicht auf meiner Seite."

Er blickte in Zadars stierende Augen und realisierte erst im Anschluss daran, welche Dummheit er soeben ausgesprochen hatte.

Doch Zadar lachte. Er lachte so laut, dass Pat zunächst gar nicht wusste, wie ihm geschah. Dann aber lachten sie alle. Die Wüstenfüchse, auch wenn diese vermutlich nicht ein Wort des Gesagten verstanden hatten und auch Rekard Amwaldt. Selbst die Surmesischen stimmten mit ein und sogar der rote Odo konnte sich ein ausladendes Lächeln nicht verkneifen. Und zu guter Letzt musste selbst Pat in das johlende Kollektiv mit einstimmen.

„Ihr seid witzig, Venuari."

Zadars Lachen verflüchtigte sich langsam wieder.

„Sagt, könnt ihr nur witzig sein oder könnt ihr auch kämpfen?"

„Wir alle sind ehemalige Soldaten der Regentin", erklärte Mendo Warigna.

„Alle außer ich", dachte Pat und verspürte beinahe so etwas wie Dankbarkeit, dass Warigna diesen Fakt unerwähnt ließ.

„Ausgebildet an Schwert, Speer, Bogen, zu Fuß und zu Pferde, alle..."

„Schon gut, schon gut", unterbrach Zadar Warignas Ausführungen „weshalb hat man gute Männer wie euch verstoßen?"

„Es gibt mehr Krieg und mehr Sold für einen einfachen Mann hier auf Namun. Nicht wahr?", sprach nun Rekard Amwaldt und fügte an: „Einige von uns tanzen lieber mit dem Schwert, als den ganzen Tag untätig mit einem Speer in der Hand herumzustehen. Und ich habe gehört, hier wird bald sehr viel getanzt werden. Wen interessieren daher schon die alten Sünden derer, die ein neues Leben beginnen, die tanzen wollen?"

Ein breites Grinsen zeigte sich unter dem großen bronzenen Nasenring des Fuchshauptmannes, dann trat er näher an Amwaldt heran: „Mich interessiert es. Und ich bin der Einzige, der zählt."

„Wir haben Männer getötet, die wir nicht töten sollten", platzte Warigna dazwischen.

Zadars Kopf fuhr zu ihm herum: „Ah, ein bedeutsamer Grund. Ihr versteht, wenn mich das stutzig macht. Männer töten, die eurer Regentin wichtig sind und euch nicht. Was ist mit den Männern, die mir wichtig sind? Woher soll ich wissen, dass ihr nicht einfach meinem Vetter die Kehle aufschlitzt, wenn sich für euch die Gelegenheit ergibt?"

Es folgte ein kurzer Befehl des Oberfuchses in der Hundesprache und sowohl Kohar, als auch der Glatzkopf zogen, zu Pats Entsetzen, ihre Bronzeschwerter. Er wich ebenso einen Schritt zurück, wie auch Pferd, Welpe und Knurrer.

„Woher weiß ich, dass nicht ihr Basa'a getötet habt?", knurrte er ihnen entgegen.

Ein eiskalter Schauer durchfuhr Pat. Er wusste es. Zadar wusste es und sie alle würden nun für Warignas Mord sterben. In diesem verfluchten Keller in der namunschen Hauptstadt Emorhor.

Mendo Warigna trat vor und war prompt nur noch eine Armlänge von Zadar entfernt. Die Klingen der Schwerter dessen beider Männer waren derweil bedrohlich auf seinen Hals gerichtet. Eine falsche Bewegung und die Füchse würden ihm den Kopf abschlagen.

„Basa'a ist tot, erstochen mit seinem eigenen Dolch. Welcher Mann lässt sich mit seiner eigenen Waffe erstechen? Kein Mann! Ich sage ‚Scheiss auf Basa'a'."

Auf Zadars überraschte Miene folgte nur einen kurzen Augenblick später ein, für Erleichterung sorgendes, lautes Auflachen.

Er erhob seine rechte Hand und schlug Warigna damit kameradschaftlich auf die Schulter: „Du hast recht, Narbengesicht. Scheiss auf den kleinen Hurensohn. Ihr gefallt mir, Venuari."

Die übrigen Füchse stimmten erneut in das Gelächter mit ein, ohne zu wissen, welche Worte gewechselt wurden.

Eine rasche Handbewegung Zadars später, brachte der junge Fuchs, der sie hergeführt hatte, Pergament und Tinte.

„Das Leben eines Fuchses ist ein ewiger Tanz. Wenn die verbannten Venuari Tänzer sind, dann werden sie wohl auch kein Problem mit einem Kontrakt haben, der sie bis an ihr Lebensende an ihre neuen Brüder bindet."

Mendo, Odo, Rekard, sie alle unterschrieben, ohne zu überlegen den, in fremden Lettern und auf ledriger Tierhaut verfassten, Vertrag, der sie bis an ihr Lebensende an die Kompanie band. Pat zögerte zunächst, obwohl er die große, bunte Feder bereits in die Tinte getaucht hatte. Es behagte ihm nicht einen Eid zu leisten, von dem er bereits jetzt wusste, dass er ihn brechen würde. Auch wenn er sich einzureden versuchte, dass er gegenüber ehrlosen, namunschen Hunden keine Pflichten habe, fühlte er sich schlecht, als er mit großem Schnörkel seinen Namen zu Papier brachte.

„Was zu tun ist, wird getan werden", flüsterte eine Stimme in seinem Kopf und prompt setzte seine Hand die Unterschrift auf das Papier.

Feierlich rief Zadar seine Männer dazu auf, ihren neuen Brüdern, zur Feier des Tages, die Hörner mit Wein zu befüllen. Ehe die Pflicht sie rufe sollen sie vom guten Roten aus dem Süden kosten.

„Hoch lebe unser Auftraggeber, Hohepriester Terek!"

Worte, die selbst Odo ihm mittlerweile übersetzen konnte. Der Starkwein hatte dessen Zunge gelockert, die Wangen gerötet und, wie es schien, sein Verständnis für die Hundesprache geschärft. Der alte Mann, der den Wein ansonsten bestenfalls in Maßen genoss, gab sogar ein kleines Lied von der Jungfrau Nara zum Besten. Odo pfiff seine Melodie mit der Inbrunst des Windes, doch der Lieblichkeit eines Singvogels, sehr zum Gefallen Zadars.

Auch wenn sie vermutlich weder Komposition, noch kokensische Jungfrau kannten, amüsierte das Liedchen auch die übrigen Wüstenfüchse, die angeregt im Takt dazu klatschten und mit den Fingern schnippten.

„Wie kommt es eigentlich, dass Ihr die venuarische Zunge beherrscht?", wandte sich Pat schließlich an seinen neuen Hauptmann.

Der Oberfuchs, der als Einziger keinen Wein trank lachte zum wiederholten Male laut auf. Pat konnte sich nicht helfen. Zadar spielte ihnen etwas vor.

„Meine Mutter war eine der tausend Bastarde von Curtos Wendell, mein venuarischer Freund", antwortete er.

„Als die Eiche der Westlande und seine roten Schlächter durch Willenfurt tanzten, flüchtete meine Großmutter mit meiner Mutter in die damals noch sicheren Ostlande und als die rote Flut schließlich über den Tiefwasser schwappte, setzten sie auf den großen Kontinent im Osten über. Ich habe Venua nie gesehen und verspüre auch keinerlei Verlangen danach. Mein Zuhause ist hier. Anders als auf dem Westkontinent kann hier nämlich auch der Bastard eines Bastards zu einem großen Mann werden, während eure Leute vor einer Möse buckeln. Eine Möse, die keinerlei Spaß bereitet. Namun hingegen ist der Ort, wo sich die Träume einfacher Männer noch wirklich erfüllen."

„Gelobtes Land", rief Amwaldt feierlich dazwischen und soff sein Horn mit einem Zug leer.

Zadar lachte erneut und fuhr sich durch seinen säuberlich gestutzten, blauen Bart: „Eine Stadt, wie Emorhor, welche sich gerade auf eine Belagerung vorbereitet, scheint natürlich nicht wie der Inbegriff eines Traumes. Die Katzen und die Hunde, die hier normalerweise durch die Straßen streifen, sind größtenteils in hungrigen Bäuchen verschwunden und selbst die Ratten haben mittlerweile keinen guten Stand mehr. Wenn wir Wüstenfüchse nicht wären, würden sich die Armen wohl bald gegenseitig auffressen. Doch ihr gehört nun zu einem privilegierten Kreis, meine neuen Brüder. Kein Hunger für euch. Wir haben Wein und Fleisch und die regelmäßige Besoldung ist ebenfalls sichergestellt. Ich würde der Mutter dafür danken, aber war es doch ihr Stellvertreter am Boden, der uns das ermöglicht hat. Auf unseren Auftraggeber, Terek Nam'Atamai!"

Kaum hatte Zadar seine Lobpreisung ausgerufen, stimmten auch schon alle in seinen Jubel mit ein.

„Ein Hoch auf Terek Nam'Atamai!" und „Lang lebe Terek Nam'Atamai!"

Auch Pat stimmte in den Lobgesang ein. Doch auch nur, weil er zu viel Angst hatte, es nicht zu tun. Einer schwieg dennoch.

Warigna, der Schweigsame, winkte Pat zu sich. Bereitwillig folgte dieser ihm in eine ruhigere Ecke des Kellers. Die herrschende Feierlaune wollte ihn nicht so recht anstecken. Hinter einer weiteren Reihe alter Weinfässer stapelten sich zahlreiche Holzkisten voller verstaubter, leerer Weinkrüge bis unter die Decke. Es roch nach feuchtem Holz und Dreck. Winzige Schuppentierchen flüchteten aufgeregt vor den Sandalen beider Männer in ihre dunklen Verstecke und hinterließen dabei feine Spuren im Staub. Auch wenn er Ungeziefer mittlerweile gewohnt war, so jagte ihm deren Anwesenheit doch noch immer einen leichten Schauer über den Rücken.

Zwischen Holzkisten und Weinfässern kamen sie also zusammen.

„Was hältst du von deinem neuen Hauptmann?", fragte Mendo mit spöttichem Unterton und ließ mit seinen durchdringenden, grünen Augen nicht von ihm ab.

„Er spielt uns etwas vor", flüsterte Pat voller Überzeugung.

„Das glaube ich nicht einmal. Er spricht unsere Sprache akzentfrei und bei Curtos Wendell streiten sich heute noch die Gelehrten, ob er mehr Frauen gevögelt oder mehr Kisten voll Wein geleert hat. Kein Grund ihm diese Geschichte nicht abzukaufen. Aber ich kenne Männer wie ihn. Er mag vielleicht kein Lügner sein, aber auch kein aufrichtiger Mann. Ein Blender vielmehr."

Und nun? Warum erzählte er ihm das? Ihm, Pat Mohor, seinem Feind, den er nicht in Venuris zurücklassen konnte.

Mendo Warignas Narbe leuchtete blutrot im schwachen Schein der nahen Laterne, deren Flackern ihre beiden Gesichter abwechselnd in Licht und Schatten tauchte.

„Wem gehört deine Treue?", stellte er ihm eine Frage, die für Pat so überraschend kam, dass er zunächst gar nicht wusste, was er darauf antworten sollte. War das ein Trick? Was wollte Warigna von ihm hören?

Wem gehörte Pats Treue?

Etwa ihm, dem Hauptmann aus alten Tagen? Wollte Warigna das hören? Oder gehörte seine Treue der Regentin? Ja, das musste die richtige Antwort sein.

Pat zögerte.

„Die Mission", rief er sich ins Gedächtnis.

„Soll der Wind mich auf die hinterste der tausend Inseln verschlagen. Wir sind hier, um unsere Heimat zu verteidigen. Was zu tun ist, wird getan werden."

Er öffnete seinen Mund zur Antwort und hauchte leise: „Meine Treue gehört Venua."

Das minimale Lächeln auf Warignas Lippen erleichterte ihn.

„Und das solltest du auch nicht vergessen", erklärte er ihm mit einem unangebrachten Nachdruck.

Mendo Warigna trat näher an ihn heran, so nah, dass Pat seinen sauren, weingeistigen Atem so intensiv riechen konnte, dass ihm beinahe schlecht wurde.

„Wir sind dem Ziel unserer Mission so nahe wie nie zuvor und dennoch hat uns der Muttergott ein Bein gestellt. Zumindest hat er es versucht, aber er hat nicht damit gerechnet, dass wir dennoch weiterhin geradeaus laufen werden."

Pat verstand zunächst nicht ein Wort von dem, was Warigna ihm da erzählte, doch sollte dieser sein verbales Rätsel recht schnell auflösen.

„Wie du weißt, wären wir ohne Rekard Amwaldt nicht hier, nicht hier unter diesen stinkenden Füchsen, deren Narrenkostüme uns Zutritt zur Hauptstadt verschafft haben. Ein wichtiger Mann, also. Ein Ermöglicher. Odo hingegen ist der Ruhepol, die Stimme der Vernunft. Ohne ihn weiß ich nicht, ob ich meine Sinne hätte beisammenhalten können. Auch er ist ein Ebner unseres Weges. Doch hier, in diesem Scheißhaufen von Stadt, gibt es einen noch wichtigeren Mann. Und just dieser liegt nun nutzlos inmitten sterbender Köter."

Jullen? Er sprach von Jullen?

„Er war der Schlüssel. Ich habe ihn gesehen, wie er Ratten und Mäuse in den Hecken und Büschen der schwarzen Mauern, auf achtzig, neunzig Meter Entfernung, mit seinen Pfeilen getroffen hat, während diese sich bewegten. Einen besseren Bogenschützen wirst du in Venua womöglich nicht finden. Deshalb holte ich ihn zu den Söhnen Venuris' und aus genau diesem Grund habe ich ihn auch für diese Mission ausgewählt. Sein Pfeil hätte auch auf über hundert Meter Entfernung den Mutterpriester durchbohrt. Er hätte derjenige sein sollen, der diesen Bastard zu seinem geliebten Gott befördert."

„Jullen wird wieder gesund werden."

„Solange werde ich nicht warten. Der König ist unterwegs hierher und ich habe vor diese Stadt möglichst noch dann zu verlassen, wenn diese noch nicht belagert wird."

„Wenn wir überhaupt fliehen können", dachte sich Pat, sprach es jedoch nicht aus.

„Ich habe als Hauptmann der Stadtwache immer meine Aufgaben mit größtmöglicher Sorgfalt erfüllt. Dazu gehörten auch Gespräche mit meinen ehemaligen Ausbildern. Lukwan Grauwasser, Hanz Gerin, Jenson Thurm oder auch Derek Wolvau. Ich vertraue auf das Wort dieser Männer, aber noch mehr vertraue ich auf meine eigenen Augen. Wenn ein Mann wie Derek Wolvau ins Schwärmen gerät, dann macht einen das neugierig. Und so kam es, dass ich auch dich beobachtet habe, Pat Mohor."

Auf was wollte Mendo Warigna hinaus? Doch nicht etwa...

Sein Lächeln verbreiterte sich, doch sah er dabei eher aus, wie ein Wolf, der einen in die Ecke gedrängt hatte und einem jeden Augenblick das Gesicht zerreissen wollte.

„Du, Mohor, wirst an Jullens Stelle den Bogen halten und den Pfeil abschießen, der Terek Nam'Atamai das Leben aushaucht. Wenigstens einmal, in deinem ansonsten nutzlosen Leben, wirst du zu etwas gut sein."

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