19 - Der Köter und das Mädchen (1)
Man hatte Lena davon abgeraten einen letzten Blick auf ihn zu werfen, doch hielt sie wenig von solcherlei gutgemeinten Ratschlägen. Sie war schließlich kein kleines Mädchen mehr. Zudem schien es ihr, als wäre es die einzige Möglichkeit sich von dem Wahrheitsgehalt dieser Schreckensnachricht zu überzeugen.
Seine rechte Gesichtshälfte war nurmehr eine aufgequollene, blutig-schmutzige Masse gewesen. Ein überaus grauenvoller Anblick, den sie wohl so schnell nicht vergessen würde. Dennoch wahrte sie die Fassung, als man das weiße Leinentuch anhob, um ihr einen prüfenden Blick zu ermöglichen.
Beim Urinieren aus einem der Fenster des langen Armes gestürzt, lautete das Fazit ihres Hauptmanns Tenth Barke, der sofort mitsamt vier seiner Männer zu der Unglücksstelle geeilt war.
Sicher, er hatte viel getrunken an diesem Abend, doch wer hätte schon ahnen können, dass ausgerechnet dem ansonsten so vorsichtigen Perem Penthuys ein solches Unglück widerfahren würde? Zwar betonte auch Jessel Schooke immer wieder, dass niemand sich deswegen Vorwürfe machen könne, doch das war Lena ohnehin bewusst gewesen.
Trotz allem blieb da dieser eine Gedanke im Kopf hängen, der immer wieder besagte, dass sie den alten Penthuys zwar nicht hätte aufhalten können, doch das es in ihrer Macht gestunden hätte, derlei Schweinereien auf dem Arm des Palastes zu untersagen. Und zwar von vornherein.
Es wäre schließlich nie dazu gekommen und infolge dessen hätte man die Feierlichkeiten zu Ehren ihres Vaters auch nicht abrupt beenden müssen.
Bohns' Bursche, Dieke Brahmen, hatte ihnen in dieser Nacht die Nachricht der Tragödie überbracht.
Nicht ihre Wachen waren es also gewesen, die den Toten entdeckten, sondern ein kleiner Junge.
Es warf erneut kein gutes Licht auf Barke, mit dessen Wirken Lena ohnehin mehr als unzufrieden war.
Er war in der Verantwortung und hatte es dennoch nicht für nötig gehalten einen Wachposten am Arm aufzustellen, welcher Penthuys hätte aufhalten können.
Auch wenn er diesen Titel offiziell nicht trug, so wurde er doch von ihren Gästen, bedingt durch seinen Sitzplatz, als ihr oberster Berater wahrgenommen. Welches Licht warf das nun auf sie selbst, wenn dieser Mann nicht einmal den Anstand besaß den Abort aufzusuchen? Würden die Männer und Frauen ihrer beiden Schwerter hinter ihrem Rücken anfangen miteinander zu tuscheln und sich die berechtigte Frage stellen, warum sich die Regentin mit derart manierlosen Zeitgenossen umgab?
Das Schwarz der Nacht war inzwischen von einem tristen Grauschleier abgelöst worden, welcher ihre Welt in eine schwere Trägheit tauchte. In unregelmäßigen Abständen ging dünner, fädenartiger Regen über Venuris nieder.
„Der Himmel weint", erzählte ihr die junge Sira, als sie auf ihr Zimmer gekommen war, auf das sie sich für eine Verschnaufspause zurückgezogen hatte. An Schlaf war jedoch kaum zu denken gewesen. Dazu war sie viel zu aufgewühlt. Der Grund weshalb ihre engste Vertraute unter ihren Bediensteten sie wecken sollte, wartete am Fuße der großen Marmortreppe des Palastes. Dort wo sie noch vor wenigen Stunden an Perem Penthuys' Seite gestanden und ihre beiden Schwerter empfangen hatte.
Nun lag sein Körper inmitten eines geschlossenen Sarges aus hellem Fichtenholz. Zwei Männer der Stadtwache hatten seine vorläufige und eilig herbeigeschaffte Ruhestätte, im Beisein der Regentin und ihres gesamten Beraterstabs, auf die Ladefläche eines prunkvollen Karrens gehievt. In Kürze würde dieser sich, in Begleitung sechs tapferer Männer, ausgesucht von Clewin Brock persönlich, für die etwa einwöchige Reise in die Hafenstadt Rinken in Bewegung setzen. Dort, so lautete der zu Lebzeiten geäußerte Wunsch Penthuys', würde er mit einem Schiff zur See hinaus fahren, um deren stille Tiefen als sein neues, ewiges Grab aufzusuchen.
„Wischt Eure Zweifel beseite und lächelt wieder", waren die letzten Worte gewesen, die er direkt an sie gerichtet hatte.
Einfache Worte, bei denen es ihr so schwer fiel Folge zu leisten.
Hatte sie in ihm doch nicht nur den letzten verbliebenen Menschen des Palastes verloren, der sich auch für sie als Person interessierte, sich um ihr inneres Wohlergehen sorgte. Auch ihren geliebten Mendo hatte sie fortgeschickt, ihm den Platz in ihrem Leben unter den Füßen weggezogen, so wie es von ihr erwartet wurde. Sie konnte nur hoffen, dass sich seine Wut, seine Trauer oder was auch immer er gerade verspüren mochte, unter Kontrolle halten und er darüber hinwegkommen würde.
Auch wenn es ihr widerstrebte, so musste sie sich doch wünschen, dass er eines Tages ein Mädchen finden würde, dass in der glücklichen Lage wäre seine Liebe mit jeder Faser ihres Körpers zu erwidern. Sie konnte, ja sie durfte nicht dieses Mädchen sein.
Auch wenn sie im Moment am liebsten ihr verfluchtes Erbe aufgegeben hätte, die Verantwortung gegenüber Venua einem Anderen aufzubürden wünschte, so konnte sie sich ihrer Bestimmung doch nicht entziehen.
Die ursprünglich für den Nachmittag angesetzte Ratssitzung würde bereits jetzt stattfinden, hatte sie ihrem Palastverwalter Schooke zeitnah mitgeteilt. Angesichts der allgegenwärtigen Probleme, sowie denen die ihnen in Zukunft noch drohen sollten, durfte sie einfach nicht noch mehr Zeit verlieren, als ihr ohnehin schon entglitten war.
Da sie den großen Ratssaal noch nicht wieder nutzen konnten, waren sie in einen kleinen, schmucklosen Raum ausgewichen, dessen ursprünglicher Zweck, unter den Stadtherren Moteems, Lena nicht bekannt war. Zuletzt diente er jedenfalls nur noch als eine Art Abstellkammer, in der man unter anderem überschüssiges Mobiliar, wie Tische und Bänke untergebracht hatte, wenn gerade einmal keine west- und ostländischen Delegationen zur Bewirtung anwesend waren.
Ungewohnt beengt fühlte man sich hier unter der wesentlich niedrigeren Decke, bei der sich ein aufrecht stehender Millot Menk wohl hätte ducken müssen. An dem verhältnismäßig kleinen, ovalförmigen Tisch, den man in der Mitte des Raums platziert hatte, fanden zwar alle ihren Platz, doch berührten gerade die breiteren Männer zu beiden Seiten ihre Nachbarn, was schon zu Beginn zu ersten Meckereien führte.
„Haben wir denn keine größeren Räumlichkeiten?", wollte Steinfurt wissen. Schooke schüttelte den Kopf. Natürlich gab es die, doch wurden die meisten von ihnen momentan durch ihre Gäste belegt oder bereits anderweitig genutzt. Zudem wollte man dem Schwert der Westlande nicht mehr Treppenstufen zumuten, als es unbedingt sein musste.
Die mit Decken und Tüchern abgehängten Möbelstücke, aber insbesondere die Porträts fremder Männer und Frauen, die man zwecks Platzgewinnung zur Seite geschoben hatte, wirkten wie große, stumme und unförmige Wächter aus einer alten Zeit, die sie heimlich beobachteten. Geister der alten Stadtherren, die sich, angesichts der neuen Zeiten hier versteckt hielten und eigentlich nur in Ruhe gelassen werden mochten.
Als schließlich alle Lebenden ihre Plätze eingenommen hatten, konnten sie endlich mit den bereits zuvor festgelegten Ordnungspunkten beginnen.
In den Westlanden habe man bereits mit den Bauarbeiten für die neue Kaserne in Willenfurt begonnen, erklärte Ben Lewel stellvertretend für Millot Menk. Dem Herren der Westlande steckte noch die vergangene Nacht in den alten Knochen, weshalb dieser es bevorzugte, seine rechte Hand für ihn sprechen zu lassen.
Lena konnte immer noch nicht verstehen, wie Menk den langen Weg zu Pferde in die Hauptstadt, in seiner körperlichen Verfassung, überhaupt überleben konnte. Aber er schien ja ohnehin unsterblich zu sein.
Darüber hinaus, so Lewel, plane man nun auch in den ländlichen Gegenden auszubilden. Dazu werde man wandernde Ausbilder einsetzen, die in provisorisch errichteten Zeltlagern den Bauern grundlegende Dinge des Kriegshandwerks vermitteln sollen.
Man könne schließlich nicht nur ein Heer aus Soldaten erschaffen, sondern müsse auch berücksichtigen, dass Arbeiter, Bauern und Händler weiterhin benötigt werden. So könne man das gemeine Leben aufrecht erhalten und dennoch sogenannte Reserven für den Ernstfall in der Hinterhand haben.
Eine überaus kluge Überlegung, fand Lena und wurde in dieser Meinung auch von Kal Zigel unterstützt, der ihr beipflichtete.
Natürlich vergaß Ben Lewel auch nicht der Regentin noch einmal, im Namen seines Herren, einen großen Dank auszusprechen, dass Sie und Venuris sich bereiterklärt hatten, im Vorfeld die Massen an jungen Männern aus ihrem Teil des Kontinents bei sich aufzunehmen und eine entsprechende ausbilderische Vorarbeit zu leisten, von der man nun im Westen selbstredend in hohem Maße profitiere. Eine schlichte Danksagung könne ja gar nicht ausdrücken, wie sehr man von jener Großzügigkeit beeindruckt sei.
„Wir sind ein geeintes Reich. Unsere gegenseitige Solidarität sollte selbstverständlich sein und nichts, wofür man sich gesondert bedanken müsse", erklärte Lena noch einmal. Die Zustimmung dafür drückte sich in kollektivem Nicken aus, wobei Lewels Bewegungen eher einer tiefen Verneigung gleichkamen.
Tai Fisi hingegen wirkte als Einziger in ihrer Runde völlig entspannt, auch während seines anschließenden Berichts.
Zwischen Lewel und Ciwysel hatte er Platz genommen und sich, vor sich hin lächelnd, zurückgelehnt.
Yaznark habe seit jeher in kleinem Maße Soldaten ausgebildet, alleine schon um die Schiffe der Seeblockade in ausreichender Zahl bemannen zu können.
Die Ostlande werden jedoch keinen teuren Neubau einer Kaserne anstreben, sondern ein ehemaliges Gehöft außerhalb ihrer Hauptstadt entsprechend herichten. Mindestens die Hälfte der Kosten solle unter den reichen Anhängern der Händlergilde aufgeteilt werden, um das einfache Volk zu entlasten.
Ein sehr nobles Vorgehen, wie Lena befand, für das der Herr der Ostlande kritische Blicke erntete, die jedoch wirkungslos an ihm abzuprallen schienen.
Gunnet Bohns, der einen neuen blondschöpfigen Burschen mitgebracht, diesen aber, wie gewöhnlich, nicht weiter vorgestellt hatte, konnte sich seine anschließende Spitze gegen Fisi anscheinend nicht verkneifen: „Löbliche Pläne, die man aus dem Osten vernehmen darf, werter Tai. Doch schaut man sich an, wie wenige Burschen den Tiefwasser überquert haben, um hier in der Hauptstadt eine Ausbildung zu erhalten, so könnte dem einen oder anderen, der Euch möglicherweise weniger wohlwollend gestimmt ist, der Gedanke kommen, dass es mit der Loyalität der Ostländischen nicht sehr weit her ist."
Doch auch darauf reagierte Tai Fisi, von einem kurzen Anheben der Augenbrauen abgesehen, eher unbeeindruckt. Er ließ von seinem schmetterlingsartigen Schnauzbart ab, an dem er die letzten Augenblicke herumgezupft hatte und nahm eine aufrechte Sitzposition ein. Es folgte ein herzliches Lächeln in die Runde, bei dem erneut seine beiden Goldzähne aufblitzten, was eine merkwürdige Wärme von Lenas Hals aufwärts bis in ihren Kopf steigen ließ.
„Unsere jungen Burschen sind willig und stark. Sie brennen darauf unser geliebtes Venua verteidigen zu dürfen. Doch ist es leider immer noch so, dass ihnen hinter dem besagten Tiefwasser eine nicht zu leugnende Abneigung entgegenschlägt, die einzig auf ihre Herkunft zurückzuführen ist. Das geeinte Reich mag, auf die Ländereien bezogen, längst Realität geworden sein, doch ist es leider noch nicht in den Köpfen der Bevölkerung angekommen. Wie ihr wohl bemerkt habt, stellt sich hier nicht die Frage der Loyalität. Vielmehr muss man sich fragen, welche Bestrebungen die West- und Mittlande bislang unternommen haben um diesem Meinungsbild entgegenzuwirken? Und da so etwas bereits im Kleinen anfängt, frage ich Euch, werter Gunnet, was habt Ihr persönlich dafür getan um eine Verbesserung der Gesamtsituation herbeizuführen?"
Alle Blicke wanderten zu dem alten Bohns, an dessen Mimik sich in den seltensten Fällen Emotionen ablesen ließen. Seine weißen Augen stierten, wie gewöhnlich, in den für ihn unsichtbaren Raum hinein und auch ansonsten saß er nur reglos schweigend da.
Lena kannte seine offen formulierte Abneigung gegen das Schwert der Ostlande nur zu genau.
Seine Worte klangen schließlich noch so klar inmitten ihres Kopfes. „Elender Straßenköter" war nur einer der Titel, mit dem er den Tai bedacht hatte. Dieser wäre ein Mann, mit dem sie am Besten nicht mehr, als nur ein paar Höflichkeiten austauschen sollte. Und natürlich war da auch noch die Behauptung, dass der Handelsherr sie doch am liebsten hinterrücks erdolchen würde.
Wenn sie sich nicht täuschte, schien sich gerade die Unterlippe des Blinden ein wenig bewegt zu haben und kaum war dieser Gedanke gedacht, da formulierte dieser auch schon seine Antwort. Die in Wahrheit nur wenigen Sekunden Stille, die Bohns zum Überlegen benötigte, hatten sich am Ende länger angefühlt, als sie tatsächlich dauerten.
„Ich diene Venua bereits mit all meiner Kraft, werter Tai. Doch tut Ihr gerade so, als wären Eure ostländischen Brüder und Schwestern frei von jeglichen Vorurteilen gegenüber dem Westen. Da frage ich mich, wie es sein kann, dass gerade von seiten der tüchtigen Händler immer wieder von gewaltsamen Übergriffen und Diebstählen hinter dem Tiefwasser berichtet wird? Lasst mich also die Frage an Euch zurückgeben: Was haben die Ostlande je dafür getan, um die Einigkeit in Venua zu beschwören?"
„Wir haben dem Glauben unserer Väter und Großväter abgeschworen", entgegnete der Handelsherr lächelnd und wirkte dabei fast ein wenig stolz, so als hätte er gerade einen Schwerthieb mit seinem Schild pariert und im gleichen Zug noch mit eben jenem Körperschutz eine Konterattacke ausgeführt.
Und dann erhob er sich plötzlich von seinem Sitzplatz. Sein güldenes Gewand mit den silbernen und grünen Federn, wirkte auf Lena immer noch äußerst sonderbar. Der Ostländische passte optisch so rein gar nicht in ihre Runde. Sein Haar, sein Bart, seine glänzenden Goldzähne.
Mit beiden Händen stützte er sich auf dem Rand des großen Tisches ab und ließ seine Augen über die Gesichter der Beraterschaft wandern. Die Regentin bedachte er hingegen keines Blickes und in Anbetracht dessen, was er zu sagen hatte, war es im Anschluss verständlich, weshalb er gerade Lena davon ausgeschlossen hatte.
„Ich weiß, dass es in dieser Runde Vorbehalte gegen mich gibt", sprach er nun deutliche Worte, mit klarer, ernster Stimme. Hatte er auf sie bislang den Eindruck gemacht, als wäre die bisherige Unterhaltung für ihn das reinste Vergnügen, nicht mehr als ein Spiel, welches er, mangels Herausforderung, mit einer beeindruckenden Leichtigkeit spielte, überraschte er mit seiner plötzlichen Ernsthaftigkeit.
Auch wenn sie es sich nur ungern eingestand, so fand sie seine Leichtigkeit, wie er sprach, wie er sich gab, auf eine gewisse Weise faszinierend.
„Ich bin ein ehrlicher Mann", führte er weiter aus, „weshalb ich Euch sagen muss: Ich verstehe Euer Misstrauen. Ich kann es mit jeder Faser meines Seins nachvollziehen. Es war mein Vater, der einen Krieg gegen Euch geführt hat. Die Ostlande stellten sich zu Beginn auf die Seite eines Wahnsinnigen aus Namun. Selbst Jahre danach wirkt es wie ein Affront, wenn ich, dem Samen Jogoos entsprungen, vor Euch trete und auch nur mein Maul öffne."
An den verdutzten Reaktionen der übrigen Männer, konnte Lena erkennen, dass diese von jener kurzen Rede mindestens ebenso überrascht waren, wie sie selbst.
Doch Fisi war noch nicht am Ende: „Doch lasst mich hier und jetzt eines klarstellen: Ich bin nicht mein Vater. Ich bin nicht hierhergekommen um Euch zu verhöhnen. Es liegt mir nichts ferner, als Unfrieden zu stiften, wie auch immer ich das in Euren Augen bewirken mag. Ich bin nur aus einem einzigen Grund hier und dieser Grund ist genau derselbe, aus dem sich jeder hier an diesem Tisch befindet. Wir stehen vor einem Krieg. Der Hohepriester und sein König haben sich nur aus einem einzigen Grund verbündet: Vergeltung! Nicht gegen die Westlande, nicht gegen die Mittlande und auch nicht gegen die Ostlande. Diese Unterteilung kennen sie nicht. Sie bedeutet ihnen nichts. Venua ist ihr Feind und Venua, das sind wir alle."
Noch bevor irgendjemand das vermutlich unerwartet klare Bekenntnis Tai Fisis sacken lassen konnte, rief Donte Herwet dazwischen: „Was könnt Ihr uns über diesen König erzählen?"
Natürlich musste diese Frage von ihrem Stadtverwalter kommen. Auch wenn er sich stets und gerne in Relativierungen verlor, so war der mondgesichtige Mann, mit den rosigen Backen und der grauen Lockenpracht, im Grunde ein großer Skeptiker der Aufrüstung des Militärs.
Doch anders als sein Kollege Gurravo Shrink, dem ausschließlich große Zahlen auf Papier Angst machten und der deshalb immer mal wieder sanfte Kritik an vermeintlich zu hoch ausgefallenen Ausgaben einstreute, sah Herwet lediglich den von Lenas Großvater besiegten Kontinent über dem Wasser vor Augen. Ein Zustand, der für ihn in Stein gemeißelt schien. Einmal besiegt, für immer besiegt. Wäre es doch nur so einfach, dachte sich Lena und seufzte nicht hörbar für die Anderen.
Dennoch war auch sie gespannt, auf die Informationen aus Namun, welche der Handelsherr ihr gestern Nacht nur bruchstückhaft mitgeteilt hatte.
Tai Fisi nahm nicht wieder Platz. Entgegen jeder Gepflogenheit zog er es stattdessen vor, während seiner folgendenen Ausführungen gemächlich um den Tisch herum zu stolzieren, die Hände in Höhe seines Steißbeins hinter dem Rücken verschränkt, dabei eingehend die verhüllte Einrichtung des kleinen Saals in Augenschein nehmend.
„Zu dem König, das namunsche Volk nennt ihn im Übrigen den ‚Tränenkönig', gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Das Bemerkenswerteste an ihm, ist wohl seine riesige Armee, manche sprechen von einhundertausend Mann, die er anführt."
Allgemeines Entsetzen legte sich über die Gesichter der Anwesenden, doch der Tai dachte nicht daran eine Pause einzulegen und fuhr weiter fort.
„Der König agiert allerdings weitestgehend im Norden Namuns und der dortige Regenwald ist für meine Informanten ein undurchdringliches Dickicht.
Interessanter finde ich jedoch ohnehin unseren Freund aus der Hauptstadt Emorhor. Wie bereits bekannt, schickt der Hohepriester seit geraumer Zeit unzählige Truppen gen Süden. Er trifft Vorbereitungen für einen Krieg, das kann nicht bestritten werden. Und er scheut sich auch nicht Söldner dafür anzuheuern. Man munkelt diesbezüglich sogar von einigen Venuari, die ihre Schwerter gegen die Heimat richten."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top