18 - Die purpurne Ranke (3)

„Ich mag dich nicht richtig kennen, Peseo", war Matto der Erste, der das Wort ergriff, nachdem auch die alte Karah endlich zu Ende gegessen hatte, „und ich will dir nicht zu nahe treten, aber du scheinst mir so ganz anders zu sein, als dein Bruder."

Der überraschten Miene ihres Onkels nach zu schließen, hatte dieser nicht mit einer solchen Bemerkung gerechnet. Seine Stirn lag wieder einmal in Falten und seine buschigen Augenbrauen waren in Verwunderung nach oben gewandert. Noch bevor er antworten konnte, war es jedoch erneut Matto, der sprach: „Versteh mich nicht falsch. Ich kann verstehen, dass dir nach dem Tod deines älteren Bruders noch nicht nach Lachen zumute ist. Aber ich meine auch, rein äußerlich, passt ihr beide so gar nicht zueinander."

„Nur weil wir vom gleichen Blute waren, bedeutet das nicht, dass wir uns nicht voneinander unterscheiden dürfen", gab Peseo mit beherrschter, aber eindeutig unerfreut klingender Stimme zurück.

„Nun, man soll ja die Frucht nicht nach ihrer Schale beurteilen", lachte Matto, woraufhin ein verhaltenes Glucksen von Jeika und Karah folgte. Er und seine Frau standen schließlich gemeinsam vom Tisch auf. Sie um die Schälchen abzuräumen, Er um endlich das Feuer zu entfachen, wofür er seinen Sohn, Hader, um Hilfe bat.

Suki hatte während dem Essen immer wieder ihren Blick zu ihm hinüber schweifen lassen. Nicht ein einziges Mal war er erwidert worden. Beinahe genauso freudlos wie ihr Onkel, wenn auch ohne die mürrische Aura, hatte er die Anfeurer in sich hinein geschaufelt. Seine Hände und insbesondere seine Finger waren mittlerweile groß und klobig, nicht mehr wie damals, als er Suki von sich weggestoßen hatte. Überhaupt erinnerte nichts mehr an den kleinen Jungen von damals, der insbesondere durch sein Lächeln und seine nicht wegzudenkende gute Laune aufgefallen war.

„Ich hatte noch gar nicht die Gelegenheit dir mein tiefstes Beileid auszudrücken, mein Kind", vernahm Suki plötzlich Emsis Stimme und sofort war ihr klar, dass nur sie damit gemeint sein konnte.

Sie blickte auf und tatsächlich, der fast schon greise Mann blickte sie aus seinen beiden trüben Augen an. Seine Frau nickte nur zustimmend und wirkte dabei überaus traurig.

„Mein Vater ist jetzt an einem besseren Ort", gab Suki zurück und zwang sich erneut zu einem Lächeln.

Sie mochte keine Beileidsbekundungen mehr hören, bewirkten diese doch genau das Gegenteil ihres angedachten Zwecks. Sie machten sie wütend. Wütend darüber, dass sie ihrem Vater nicht helfen konnte. Wütend darüber, dass sie ihn nicht rächen konnte, denn es war schließlich niemand da, den man hätte zur Rechenschaft ziehen können. Nur eine namen- und gesichtslose Leiche, die in Kutuks Hütte lag und zu stinken begann.

Für einen kurzen Moment konnte man nur das Knistern der Holzscheite vernehmen, dass den zurückhaltenden und daher gedämpften Lärm des immer noch wie gelähmt erscheinenden Lebens in ihrer Siedlung, übertönte. Suki zuckte kurz zusammen, als Peseos Stimme, gewohnt kraftvoll durch die Stille drang: „Sein Tod wird nicht ungesühnt bleiben", sprach er, fast schon wie eine Drohung gegen einen Unsichtbaren.

„Und wer soll dafür sühnen?", rief Matto, der gerade dabei war die Fische über seinem frisch entfachten Feuer zu platzieren. Er klang fast schon ein wenig belustigt bei seiner Frage, aber vermutlich bildete Suki sich das nur ein.

„Was soll diese dumme Frage?", blaffte ihr Onkel zurück.

Diese Mal lachte Matto laut und ein unheilvoller Schatten legte sich zeitgleich über Peseos Gesicht.

Dieser war äußerst gewandt darin seine guten Gefühle zu verstecken, sofern er zu solchen überhaupt imstande war, doch für diese vermeintliche Provokation hatte er keinen Deckmantel parat.

Sein Gegenüber, Emsis, schien sichtbar irritiert, doch bevor er seinen Mund öffnen konnte, wirbelte Matto herum, ein amüsiertes Grinsen im Gesicht, in seiner rechten Hand einen spitzen Stock, auf dem er einen noch rohen Fisch aufgespießt hatte.

„Weshalb diese unverständlichen Mienen?", fragte er in die Runde, ließ jedoch wieder keine Zeit für eine Antwort.

„Das war eine durchaus ernstgemeinte Frage", fuhr er fort, „denn immerhin ist derjenige, der den tödlichen Pfeil auf unseren ehemaligen Kayken abgeschossen hat, mittlerweile tot. Also noch einmal: Wer soll dafür sühnen?"

Mit dieser Frage blickte er Peseo mitten in dessen Gesicht, was dieser, ohne mit der Wimper zu zucken, stur erwiderte und antwortete: „Du willst hier doch nicht etwa andeuten, dass dieser Tote die Männer des Kaymo getötet hat?"

Für einige Sekunden verharrten die beiden Männer, schwiegen sich wie zwei Felsen an.

Aneka schnaufte schon wieder schwer. Die gerade herrschende Anspannung machte ihr schwer zu schaffen. Erst durch ein neuerliches Lächeln brachte Matto die Lockerheit zurück: „Das denke ich natürlich nicht", bemerkte er knapp und platzierte den Fisch wieder über dem Feuer.

Er bat seinen Sohn Hader wieder Platz zu nehmen, was dieser, ohne jede Gefühlsregung, auch tat.

Auch Emsis meldete sich nun zu Wort, gab seine persönliche Einschätzung langsam und bedacht zum Besten: „Ich denke es ist unbestreitbar, dass diese Erdenläufer die Leibgarde abgeschlachtet haben, doch..."

Matto schnitt ihm das Wort ab, jedoch ohne sich von der Feuerstelle abzuwenden: „Doch genauso mussten der Kal-Händler und sein Begleiter sterben. Das solltest du nicht vergessen, mein lieber Emsis. Die einen erzählen die Erdenläufer hätten zuerst angegriffen, die anderen sagen, dass der Angriff von den Männern des Kaymo ausgegangen wäre. Vielleicht sollten wir uns an den Nebel wenden und hoffen, dass wir unsere Antworten aus ihm erhalten"

Während Emsis getroffen schwieg und seinen Blick senkte, hatte Peseo seine rechte, auf dem Tisch liegende Hand, zur Faust geballt. Er konnte seine Wut nicht mehr länger verbergen: „Anstatt unsere Toten zu beleidigen, solltest du dich mit den Tatsachen beschäftigen", knurrte er.

Auch wenn jedem an ihrem Tisch klar gewesen war, dass Matto mit seiner letzten Bemerkung nicht im Geringsten gegen die Opfer der großen Verkündung ätzen wollte, so war es doch wenig verwunderlich, dass ausgerechnet ihr humorbefreiter Onkel für solche Aussprüche kein Fell besaß.

Das Matto sich weiterhin unbeeindruckt um das Essen kümmerte und ihnen, auch während seiner folgenden Antwort, weiterhin den Rücken zugekehrt ließ, trug nicht wirklich zu einer Entspannung bei.

„Welche Tatsachen?", fragte er nur kurz und knapp.

„Viele sind gestorben. Das sind unsere Tatsachen. Mehr haben wir nicht", fügte er an.

Suki konnte Matto nur im Stillen beipflichten. Das Einzige, das ihr Onkel im Sinn hatte, war Unmut gegenüber den Erdenläufer zu schüren. Nur daran schien er interessiert zu sein.

Und so genoss sie es, wie ihr Onkel da saß, eine vom Zorn verzerrte Fratze zeigend und offensichtlich nicht in der Lage etwas zu entgegnen. Das sie sich an diesem Tische noch amüsieren würde, wäre ihr vorher niemals in den Sinn gekommen.

„Verstehe ich das richtig", brummte Emsis, der mit seinen langen, dünnen Fingern nachdenklich seine rechte Wange massierte und schließlich wieder Blickkontakt zu Peseo herstellte, „dass du die Menschen der Oberwelt dafür bestrafen willst, was geschehen ist?"

Und zum ersten Mal gab er seine Absichten, vor Sukis Augen, offen zu, als er auf die Frage mit einem unmissverständlichen Nicken antwortete.

An den Gesichtern von Karah und Jeika konnte man erkennen, dass es auch für sie wenig Sinn ergab. Würde er sich mit seinen Aussagen etwa enttarnen? Würde Peseo zumindest allen an diesem Tisch Versammelten beweisen, dass er auf keinen Fall geeignet war, der nächste Kaysu der Buranier zu werden?

„Bevor dir Matto das Wort abschneiden konnte, lieber Emsis, hast du bereits richtig angemerkt, dass Erdenläufer buranisches Blut vergossen haben. Dass dabei auch zwei von ihnen den Tod gefunden haben, stört mich dabei keineswegs."

Dieses Mal stand er von seinem Platz auf, um Mattos Einwand im Voraus zu unterbinden. Er nahm das abgetrennte Horn, welches er immer an einer Schnur um den Hals trug, in seine rechte Handfläche und wandte seinen Blick nicht mehr davon ab, während er erzählte: „Dieses Horn stammt von dem ersten Bock, den ich damals erledigte, als ich noch ein junger Mann war. Eigentlich sind es friedliebende Tiere. Einzelgänger, die die ewigen Berge niemals verlassen, die niemals in unsere Siedlungen vordringen würden. Dringt man jedoch in ihren Lebensraum ein, ist es mit ihrer Friedfertigkeit vorbei, dann kennen sie weder Angst noch Erbarmen. Dieser eine Bock blutete aus derart vielen Wunden, die wir ihm mit Pfeilen und Jagdspeeren zugefügt hatten, dass ich schon dachte, er würde niemals mehr sterben.

Die Hornböcke sind nicht so dumm, wie man annehmen möchte. Sie wissen, dass wenn du dich auf einem Baum oder einem für sie nicht zu erklimmenden Felsen in Sicherheit wiegst und von dort aus attackierst, sie keine Chance haben dich zu bekämpfen und ziehen sich demnach zurück. Es ist daher unerlässlich ihnen auch am Boden zu begegnen."

Peseo lächelte, ließ das Horn aus seiner Handfläche gleiten, wodurch es wieder in Höhe seiner Brust umherbaumelte. Aufmerksam waren weiterhin sämtliche Ohren gespitzt. Auch Suki wollte unbedingt erfahren, worauf ihr Onkel letztendlich hinaus wollte. Dieser nahm wieder Platz und ließ seinen, immer noch verbissenen, aber bei Weitem nicht mehr so grimmigen, Blick über die Gesichter seiner Gegenüber schweifen: „Ich kletterte von meinem Baum und machte durch lautes Rufen und Winken auf mich aufmerksam. Er war bereits zweimal zusammengebrochen, hatte sich aber immer wieder aufgerappelt. Laut schnaubend setzte er zu einer neuerlichen Attacke an, seine Hörner voraus, mit der Absicht mich zu durchbohren, so wie er es bereits unzählige Male erfolglos bei meinen Kameraden versucht hatte. Ich legte meinen Pfeil auf und zielte. Bevor er mir zu nahe kommen konnte, ließ ich los und traf genau zwischen seine Augen. Es war das letzte Mal, dass der Bock zu Boden ging.

Als ich mich ihm schließlich näherte, konnte ich in seine Augen blicken und war überrascht, was ich sah. Nicht Angst und Verzweiflung spiegelten sich darin, wie man es bei einem sterbenden Tier erwarten konnte, sondern noch immer Zorn und Entschlossenheit, welche erst erloschen, als ich ihm den Speer ins Herz rammte. Ich brach ein Stück seines Horns ab und behielt es als Andenken."

Aneka erhob sich. Auf ihrem Kleid zeichneten sich mittlerweile nasse Ränder an Hals und unter ihren Armen ab und das obwohl sie ihre übertrieben auffällige Stola bereits beiseite gelegt hatte. Sie musste Jeika wohl noch mehr beneiden, als Suki es tat, der ebenfalls, ob des vielen Stoffes, den sie am Körper trug, der Schweiß auf der Stirn stand und die sich wünschte, sie hätte sich ebenfalls so schlicht gekleidet, wie Mattos Frau.

Ihm kam Aneka nun zu Hilfe, denn er hatte, völlig unbeeindruckt von Peseos Geschichte, schon damit begonnen die Fische von ihren Spießen zu lösen. Erst jetzt realisierte Suki den wundervollen Duft, den diese verströmten und der einem glatt das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ.

„Wusstet ihr", hielt ihr Onkel prompt die, ihm zu entgleiten drohende, Aufmerksamkeit fest, „dass Hornböcke über einen sehr schlechten Geruchsinn verfügen? Sie erkennen ihre Artgenossen anhand ihrer Hörner. Und obwohl ich seit jeher dieses Horn um meinen Hals trug, habe ich noch keines von ihnen mit dieser vermeintlichen Tarnung täuschen können. Und was ich mich nun frage ist Folgendes: Wenn selbst diese dummen Tiere in der Lage sind diesen Trick zu durchschauen, warum ist es der Großteil von uns nicht? Warum ist beispielsweise Matto, der die Weisheit aus der Erde absorbiert zu haben scheint, nicht in der Lage das Offensichtliche zu sehen?"

Der Angesprochene zeigte nun erstmals wieder Interesse an Peseo. Gerade war er dabei gewesen, den vor ihm liegenden Fisch mit frischen Kräutern zu garnieren, was er nun unterbrach, um seinen Gästen wieder seine Vorderseite zu präsentieren. Er hatte wieder dieses süffisante Grinsen aufgelegt, welches ihren Onkel zuvor so zur Weißglut gebracht hatte, doch dieses Mal wirkte es weniger überzeugend, wie Suki feststellen musste.

„Welche offensichtliche Tatsache ist mir denn entgangen?", fragte er, wobei sich hier ebenfalls etwas Unsicherheit in seinen dennoch leicht verächtlichen Tonfall gemischt hatte.

„Wer unseren Attentäter weiterhin für einen echten Buranier hält, der glaubt auch, dass es noch eine Welt hinter den ewigen Bergen gibt", antwortete ihr Onkel, blickte dabei jedoch gen Nebel.

Eine kühne Behauptung, die ihr Onkel da aufgestellt hatte und die zunächst einmal jedermann erstarren ließ. Der Unbekannte, trotz seiner auffällig milchigen Haut, kein Buranier? Das würde zwar erklären, warum niemand sagen konnte, um wen es sich bei dem Attentäter handelte, doch dann rief sie sich wieder ins Gedächtnis, dass man seine Leiche vor den Augen der Anderen in Kutuks Hütte weggesperrt hatte. Es war also gar nicht möglich gewesen ihn zu identifizieren, was ohnehin schon schwer genug sein sollte, denn da war ja auch noch die Sache mit seinem nicht mehr vorhandenen Gesicht.

„Das wird dir niemand glauben", war die überaus enttäuschende Antwort, die Matto parat hatte, auf die ihr Onkel jedoch nicht mehr reagierte, sondern weiterhin den Nebel anstarrte.

Ebenfalls deprimierend oder vielleicht doch eher beängstigend, war das zustimmende Nicken von Emsis auf den Monolog Peseos. Einer schien es also bereits zu glauben.

„Wir sollten wohl besser mit dem Essen beginnen", warf Aneka mit brüchiger Stimme ein. Jetzt erst realisierte Suki, weshalb ihre Tante Matto zur Hilfe gekommen war. Sobald nicht mehr nur ausschließlich Harmonie in der Luft lag, begann sie sich schlecht zu fühlen. Mit Problemen, selbst wenn es nur in ihren Augen welche waren, konnte sie schlichtweg nicht umgehen. Und so war ihre einzige Lösung gewesen, die Beteiligten mit Essen zum schweigen zu bringen. Schweigen. Nicht dieses aufwühlende Gerede. Die einzige Möglichkeit innerlich wieder zur Ruhe zu kommen, bevor sie schlimmstenfalls gar noch in Tränen ausbrechen konnte, was stets der Fall war, wenn ihre eigenen Gefühle sie überforderten.

Sie half also Matto die wunderschön hergerichteten Holzplatten zu verteilen. Suki und Hader waren die Ersten, die von Aneka versorgt wurden. Der vom Feuer gebräunte Fisch war appetitlich auf einem Bett aus purpurnen Blättern aufgebahrt. Wenn sie sich richtig erinnerte, nannten die Erdenläufer es seltsamerweise Blaukraut, was ihrer Meinung nach keinen Sinn machte. Plötzlich kam ihr der Gedanke, dass sie sich wohl nicht mehr lange an den wohlschmeckenden Geschenken von Dis Vater werden laben können. Die Händler werden nicht mehr zurückkehren und falls doch, war sie sich nicht sicher, wie ihre Mitmenschen reagieren würden. Schon gar nicht, wenn einige von ihnen ihrem Onkel und seinen Behauptungen Glauben schenken würden, so wie Emsis es vermutlich bereits getan hatte.

Die Ansprache zu Ehren ihrer Ahnen blieb dieses Mal aus, stattdessen wünschte Matto allen, dass seine zubereitete Mahlzeit schmecken und jeden von ihnen sättigen würde. Zudem wäre er hocherfreut, wenn seine beiden künftigen Kontrahenten, er blickte jeweils kurz zu Emsis und Peseo, sich noch für eine weiterführende Unterhaltung bereiterklären würden. Und bevor er sich setzte, warf er Suki ein kurzes Lächeln zu. Ob er wohl wusste, dass sie auf seiner Seite stand? Irgendwie überkam sie das Gefühl, er wisse Bescheid. Wenn er das nur anhand ihrer Mimik erkennen konnte, dann war dies eine Gabe und überaus erstaunlich zugleich. Sie hoffte doch sehr, dass Matto ihrem Onkel in einer anschließenden Diskussion noch aufzeigen würde, dass er falsch lag. Sie traute ihm auf jeden Fall zu passende Antworten auf das Geschwätz Peseos zu finden.

Unabhängig davon, was in einer anschließenden Gesprächsrunde auch herauskommen sollte, für Suki war jetzt bereits klar: Matto sollte der nächste Kaysu werden. Er wäre die beste Wahl für die Buranier.

Und wenn dieser Schritt getan wäre, dann würde sie ihn auf jeden Fall auch zum neuen Kayken wählen.

Und während sie sich bereits einen möglichen Verlauf der kommenden Ereignisse ersann, hatte man um sie herum schon mit dem Verzehr von Peseos Fang begonnen. Vorsichtig öffnete Suki den am Bauch aufgeschnittenen Seebewohner und erblickte, dass Matto ihn gar mit einer süß-pikanten Paste aus getrockneten Früchten und Wurzeln gefüllt hatte. Er wusste also auch, wie man Gaumen und Zunge eine Freude bereiten konnte. Genüsslich nahm Suki einen großen Bissen. Das Fleisch und insbesondere die Füllung waren zwar noch sehr heiß, doch spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte Sukis Magen sich wieder daran erinnert, dass er doch eigentlich sehr hungrig gewesen war, wodurch der große, heiße Brocken in ihrem Mund letztlich kaum zerkaut ihren Rachen hinunterrutschen musste.

Sofort verspürte sie ein leichtes Brennen in ihrem Mund, welches von der beigemischten Wurzel stammte. Hiervon hatte Matto, allem Anschein nach, ein wenig zuviel des Guten beigemischt. Sie räusperte sich lautstark, während ihr vereinzelt die Tränen in die Augen schossen. Ein Schluck Wasser wäre jetzt wohl nicht verkehrt. Ein ungewöhnlich warmes Kribbeln erfasste ihren Unterkiefer. Noch einmal räusperte sie sich, ohne dass es wirkliche Linderung brachte.

Ihre Tante Aneka fragte sie ebenfalls noch, ob sie sich denn verschluckt habe, doch das war es nicht.

Und als Suki ihre Antwort sprechen wollte, merkte sie, dass ihre Stimme versagte.

Sie stand auf, sich auf der Tischplatte abstützend, und rang nach Luft, so als ob es im Stehen einfacher ginge, als im Sitzen. Doch ihr Hals war plötzlich wie verschlossen. Sie spürte einen kalten Schauer auf ihrer Stirn. Ihr eigenes Röcheln übertönte das immer lauter werdende Gemurmel der Anderen. Auch ihre Tante hievte sich nun auf ihre Beine, packte sie an der Schulter.

Suki schubste sie von sich weg. Aneka beengte sie nur. Als Suki schließlich herumwirbelte, weg von ihr, stürzte sie über ihren hölzernen Stumpf und fegte gar noch ihr Mahl vom Tisch, während sie erfolglos versuchte sich an dessen Kante festzuhalten.

Gefolgt von einem dumpfen Schlag fiel sie zu Boden.

Was sie auch tat, ihr blieb weiterhin die Luft weg. Panisch umklammerte sie mit beiden Händen ihren Hals, so als könnte sie somit irgendetwas bewirken. Ihr Onkel kam auf sie zugerannt, während sie wild zappelnd auf dem weichen Boden lag und keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Der Nebel über ihr wirkte so bedrohlich, wie nie zuvor. Ihre Augen drückten sich förmlich aus ihren Höhlen, ihr Kopf ächzte, als hätte ihn jemand mit einem großen Stein beschwert und immer wieder, immer wieder aufs Neue versuchte sie verzweifelt Luft zu holen.

Mittlerweile nahm sie die tatenlos um sie herumstehenden Gestalten nur noch als stumme, schwarze Schatten in einem lärmenden Krach von dröhnendem Donner wahr. Einzig ihr Onkel war auf seine Knie gefallen und hielt sie in seinen Armen fest, schlug ihr mit der flachen Hand gegen die Brust.

Sie spürte, wie etwas warm und feucht an ihren Schenkeln herunterlief, doch auch das spielte für sie keine Rolle mehr. Sie würde sterben. Das war sicher.

Sie musste einen letzten Versuch starten noch einmal Luft in ihre Lungen zu pressen. Sie öffnete ihren Mund, zumindest glaubte sie das, nachdem sie weder mehr ihre Lippen, noch ihre Zunge spüren konnte.

Ein letztes Mal! Bitte nicht sterben! Noch ein allerletzter Versuch!

Er scheiterte. Die Welt endete in einem grellen, weißen Licht.

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