17 - Krieg (2)

Pat hatte schon viel über die angebliche Schönheit der Regentin gehört, doch mit eigenen Augen durfte er diese bislang leider noch nicht erblicken. Sie begab sich nur selten unters Volk. Das letzte Mal, dass sie den Palast verlassen hatte, war zur Beerdigung ihres Vaters.

Auch Jullen hatte ihm bereits ausgiebig von der angeblich schönsten Frau der Welt erzählt, die sich dort hinter den weißen Palastmauern versteckte. Von solcher Reinheit, dass selbst die Trauer ihrem lieblichen Gesicht nichts hätte anhaben können, als sie sich, am Grabe ihres Vaters, an ihr Volk gewandt und ihren Dank für deren Mitgefühl ausgesprochen hatte.

Als einer der Söhne Venuris', die unter dem Kommando des Hauptmannes Mendo Warigna standen, der in Kürze mit Lena Venua und ihren Gästen speisen würde, käme aber wohl auch er, Pat Mohor aus Rinken, bald zu der Ehre, sich endlich von dem Gerede überzeugen zu können.

„Da habt ihr es, Männer", reckte Ott seine beiden Arme in die Höhe, als müsse er etwas verkünden, „wir sind nicht nur unangenehme Gesellschaft, wie es uns Rekard erzählen möchte, sondern jetzt auch noch unansehnlich, wie es der schöne Jullen spricht."

Während alle in sein Gelächter miteinstimmten, winkte Amwaldt erneut beleidigt ab: „Ich habe nie behauptet, dass ihr unangenehme Gesellschaft seid. Mir fehlt lediglich die Lust mich immer und immer wieder mit euch über die Probleme Venuas unterhalten zu müssen."

„Erzähl uns doch stattdessen von deinem langen Aufenthalt im Land der Mutter", schlug Kal Beer vor.

Auch wenn Pat bereits ein wenig die benebelnde Wirkung des Bier-Feuerwassergemisches in seinem Kopf spüren konnte, so kam er dennoch nicht umhin, den leicht spöttischen Unterton aus Beers Stimme herauszuhören. Andererseits war es wenig verwunderlich. Der bleiche Kal verachtete die Anhänger der Mutter beinahe so sehr, wie Eukaris Wendt die Ostländischen. Amwaldt warf er letztlich immer wieder vor, mit jenen Missgeburten des falschen Gottes gemeinsam geritten zu sein.

Beleidigt erhob sich Amwaldt, unter gemurmeltem Protest, von seinem Platz, nahm seinen Mantel von der Stuhllehne und verließ schnellen Schrittes ihre Runde. Auf die lautstarken Versuche von Ott, Daber und Fenske ihn zum Bleiben zu überreden, reagierte er nicht mehr.

„Hat er geschickt gemacht", warf Jullen in die Runde ein, „können wir doch jetzt sein Bier bezahlen, während er sein Geld irgendwelchen Huren in die Ritzen schiebt."

Das rief natürlich Eukaris Wendt auf den Plan, der sich, seinem Grinsen nach zu urteilen, wohl schon wieder den nächsten verunglimpfenden Spruch vorbereitet hatte: „Ich frage mich sowieso, wie der Kerl das hinbekommt. Er schmiert sich schon seit Jahren irgendwelche aufwendigen Kräutermischungen in die Haare, um zu verschleiern, dass er in Wirklichkeit ein alter Schwanz ist, aber ficken tut er wie ein Jungspund. Kann mir das mal einer erklären?"

„Angeblich", erwiderte der rote Odo in seiner gewohnt monotonen Art, „haben die Ostländischen früher ein Pulver aus Namun importiert, welches alten Männern ihre jugendliche Kraft zurückgab. Vielleicht hat Rekard ja noch gute Kontakte in die alte Heimat."

Pat horchte auf. Was sollte das jetzt heißen?

Auch wenn es ihm ein wenig unangenehm war nachzuhaken, alleine schon deshalb weil er nicht wie ein Dummkopf dastehen wollte, so tat er es dennoch.

„Kontakte in die alte Heimat? Die Seeblockade unterbindet jeglichen Kontakt mit Namun."

Was folgte waren verdutzte Blicke seiner Kameraden, auf die unmittelbar ein erheitertes Lachen folgte. Bis hierhin hatte er die ausgelassene Stimmung und die fröhliche Runde genossen, doch wenn der Spaß auf seine Kosten ging, fand er es plötzlich nicht mehr so lustig.

Ott stürzte derweil sein, gefühlt zehntes, Gläschen Feuerwasser hinunter und packte Pat, dieses Mal etwas sanfter, an die Schulter: „Es wundert mich, dass du da oben in Rinken noch nicht davon gehört hast, aber vermutlich muss man dafür zum einfachen Volk gehören oder zumindest ausgiebig mit diesem zu tun haben."

Da. Wieder dieser unsägliche Vorwurf, er wäre ein reicher, verzogener Junge.

Pat versuchte zu lächeln, auch wenn er nicht glaubte, dass es sehr überzeugend wirkte.

„Jeder weiß um die Schmuggelei", winkte Beer ab und fuhr weiter fort, „Man muss schon ein verdammter Zweitweltler sein, um davon nichts mitzubekommen."

Pat schenkte Beer ein Lächeln und entgegnete: „Du hast Recht. In der Zweitwelt pfeifen wir auf die Geschichten von Venua. Dort unten wird nur gevögelt, gesoffen und gefressen. Also erleuchtet mich mit eurem Wissen, ihr weisen Männer der Oberwelt."

Selbst Beer musste daraufhin lachen, doch der rote Odo lieferte die Erklärung: „Natürlich patrouillieren unzählige Schiffe der Ostländischen zwischen den Kontinenten, doch können auch sie nicht alle Wege blockieren. Es stehen schwere Strafen auf das Missachten des Handelsverbots, das ist wahr. Und wie man so hört, soll der Tai deswegen auch schon so einige Köpfe hat rollen lassen. Und doch gibt es immer wieder Männer, die sich einen Dreck darum scheren."

„Männer wie Weißauge zum Beispiel", warf Jullen ein, woraufhin der rote Odo sein Gesicht zu einer belustigten Grimasse verzog.

„Weißauge ist eine Märchengestalt, ebenso wie die Wolfsmenschen aus den Schattenwäldern", spielte er die Aussage des jungen Burschen herunter.

„Jetzt entpuppst du dich auch noch als ein Wirrkopf", schob schließlich Rutleff Daber, an Jullen gewendet, nach, absolut davon überzeugt, dass wenn Weißauge tatsächlich existieren würde, die Familie Venua längst alles dafür getan hätte, ihn zu jagen und festzunehmen.

Doch wer war dieser ominöse Mann?

„Das Problem mit diesem Kerl ist doch", meldete sich schließlich Odo wieder zu Wort, während er Kella mittels Fingerschnippen auf seinen leeren Bierkrug aufmerksam machte, „wenn es ihn wirklich gäbe, wäre er wohl ziemlich mies in dem, was er tut. Berühmte Schmuggler sind für gewöhnlich eingesperrt oder tot."

„Wenn wir schon beim Thema sind", brachte sich nun Wendt in das Thema ein, „Irgendwann werde ich unserem geliebten Schankweib noch ein Kind in den Bauch schmuggeln", lenkte er mit lauter Stimme vom bisherigen Thema ab, woraufhin Kella ihm, leicht rosa verfärbt, ein verschämtes Lächeln schenkte und dabei beinahe noch Odos Krug zum Überlaufen brachte, den sie gerade am Nachfüllen war.

Sie mochte viel zu alt für Pat sein, doch erst jetzt bemerkte er, dass sie nicht anders auf dieses, wenn auch sehr ungewöhnliche, Kompliment reagierte, als all die jüngeren Damen, von denen er selbst unzählige mit seinen eigenen Schmeicheleien umgarnt hatte.

Es kam ihm dann aber doch wieder etwas befremdlich vor, als der alte Wendt sich von seinem Platz erhob, den Arm um seine vermeintliche Herzensdame legte und sie, unter ihrem halbherzigen Protest, sanft auf seinen Stuhl niederdrückte. Ihr riesiger Hintern fand nicht einmal genügend Platz auf der Sitzfläche und ragte links wie rechts darüber hinaus.

„Du hast erstmal genug gearbeitet. Du wirst jetzt mit uns zusammen eine Runde trinken", verkündete Wendt unter lautstarker Zustimmung seiner Kameraden, in die auch Pat mit einstimmte. Irgendwie tat ihm die beinahe verschüchtert dreinblickende Kella ein wenig Leid, war es ihr doch sichtbar unangenehm. Wahrscheinlich bekam sie in ihrem Alter und mit ihrem üppigen Gesäß nur noch wenige Komplimente und wirkte deshalb so unsicher. Ein paar Schluck Bier würden da sicherlich zu ihrer Entspannung beitragen.

Ganz und gar nicht dazu beitragen konnte das wütende Rufen des Schankwirtes, der seine einzige Bedienstete lautstark aufforderte „ihren fetten Arsch" in Bewegung zu setzen und wieder zurück an die Arbeit zu gehen. Ansonsten würde er sein Vorhaben, ein jüngeres und vor allen Dingen hübscheres Mädchen an ihrer Stelle zu beschäftigen, noch einmal überdenken.

Doch Eukaris Wendt dachte nicht im Traum daran seine Kella, die rasch der Forderung des Wirtes Folge zu leisten versuchte, so schnell wieder aus ihrer fröhlichen Runde ziehen zu lassen.

Erneut drückte er die Frau, dieses Mal etwas vehementer, auf seinen Stuhl nieder und musterte stattdessen mit mürrischer Miene den alten Mann hinter dem Thresen.

„Scheiss dich mal nicht so ein", war Wendts Antwort.

„Wir trinken jetzt zusammen ein Bier. Unser junger Freund hier wird dir in dieser kurzen Zeit zur Hand gehen", fügte er schließlich lachend an.

Es dauerte einen Moment, bis Pat realisierte, dass er damit gemeint war.

„Das werde ich auf keinen Fall tun", war seine erste Reaktion, während er in reihum erheiterte Gesichter blickte. Er mochte seinen Treueeid noch nicht abgelegt haben, er mochte der Jüngste von ihnen allen sein, doch war er nicht ihr Laufbursche. Der Hauptmann höchstpersönlich hatte ihn zu den Söhnen Venuris' geholt.

„Du solltest froh sein", bemerkte Jullen, der aufgestanden und an seine Seite getreten war, „dass du nur ein bisschen Bier und Wein nachschenken musst. Du hast mich als den Jüngsten abgelöst. Ich musste schon ganz andere Dinge für unseren verschworenen Haufen erledigen. Ich kann mich dunkel an diese eine Nacht erinnern, als mir eine handvoll Hurenwächter an den Kragen wollten."

Widerwillig, doch begleitet vom Applaus seiner Kameraden, denen er im Moment nichts Gutes wünschte, erhob sich Pat von seinem Stuhl. Erst jetzt bemerkte er, dass er etwas wacklig auf den Beinen war. Nicht das er kaum mehr imstande gewesen wäre geradeaus zu laufen, doch war sein Körper bei Weitem nicht mehr so unbeeindruckt, wie bei seinem letzten Gang in den dunklen Hinterhof des Gasthauses, wo er seine Blase gegen einen Baum entleerte.

Dabei konnte er noch vereinzelt Kerzen aller Größen in den Fenstern der Gasträume in den Obergeschossen brennen sehen. Wer ein Zimmer in der ‚Schwarzen Katze' belegen wollte, so erzählte man, der musste für gewöhnlich schon einige Münzen da lassen.

Er ergriff den großen Krug, welchen Kella auf ihrem Tisch abgestellt hatte, er war beinahe leer, und begab sich an den Tresen. Es waren kaum noch Gäste im Raum, wie er feststellen musste. Noch weniger als bei ihrer Ankunft, was aber eher daran liegen mochte, dass sich der Großteil der Menschen der Stadt niemals hierher verirren und einen vergleichsweise horrenden Preis für ein Bier bezahlen würde, welches sie in den dunklen Spelunken, die es hier schließlich wie Unkraut gab, für den halben Preis bekommen konnten.

Andererseits, so hatte Eukaris auf ihrem Weg hierher getönt, gäbe er sich nicht mit der Pissbrühe ab, die anderswo ausgeschenkt werden würde. Wer das beste Bier der Stadt genießen wolle, und das wäre gerade einmal gut genug für die Söhne Venuris', den müsse es zwingend in die ‚Katze' ziehen, wie er sie nannte.

Pat hatte besagte Pisse, die scheinbar überall als Alternative angeboten wurde, noch nicht kosten können. Immerhin würde er als Rekrut, der nicht gerade im Auftrag des Hauptmannes unterwegs war, seinen Platz in der Armee riskieren. Er musste immer wieder an die funkelnden Augen des arroganten Schreibers Huuke Zigel denken, als er zwei Jungen, just wegen solch einem Vergehen, unehrenhaft entlassen hatte. In diese Miene wollte er nicht blicken, weshalb er stets dem Drang widerstand sich des Nachts aus der Kaserne zu schleichen. Und würde er, aus welchem Grund auch immer, trotzdem auf eine derart dumme Idee kommen, so könnte er sich darauf verlassen, dass ihn seine Freunde Rott, Ben, Ruker, Temu und Tesso daran hindern würden.

Mit mehr Wucht, als er eigentlich in seine Bewegung legen wollte, knallte er den Nachfüllkrug auf den hölzernen Tresen.

„Kein Grund mein Inventar zu zerlegen, Junge", knurrte ihm der alte Mann dahinter, mit griesgrämiger Miene, entgegen.

Pat war wütender, als er es eigentlich sein wollte. Sein Herz schlug schneller als sonst. Ja, seine Wut war berechtigt. Nur weil er einige Jahre weniger zählte, musste er hier den Deppen spielen. Warum hatte er nicht seinen Mund aufgemacht und ihnen gesagt, dass er kein Köter sei, der ihrer Belustigung diente? Herumzufluchen würde ihm jetzt jedoch auch nichts bringen, rief er sich rasch wieder ins Gewissen. Ein Mann war er, kein Narr. Für einen Narren war kein Platz bei den Söhnen Venuris'. Auch nicht bei den Männern der Stadtwache. Und erst recht nicht in seinem neuen Leben.

Es war nichts weiter als eine dumme, kleine Tradition, die auch Jullen bereits über sich ergehen lassen musste. Und irgendwann würde nach ihm wieder jemand zu den Söhnen dazustoßen und er würde sich höchstwahrscheinlich genauso über dessen ungewollte Aufgaben amüsieren, wie es seine Kameraden jetzt taten. Dann würde er sich an diesen Abend zurückerinnern und womöglich gar darüber schmunzeln.

Genau, das waren vernünftige Gedanken. Zorn war für die Narren, ein kühler Kopf hingegen für den baldigen Mann der Stadtwache, Mitglied der venuarischen Armee, den Erben der roten Rebellen.

Auch sie würden Venua gegen jede Bedrohung aus Namun verteidigen.

Er holte ein paar Mal tief Luft, ließ einen langen Seufzer folgen, mit dem er alle schlechten Gedanken aus sich herauszupusten schien. Zumindest fühlte es sich so an.

Während der Wirt mit dem Zapfen frischen Bieres beschäftigt war, seine Kameraden, insbesondere Eukaris, mit ihrer neuen Tischgefährtin Kella ihre Zoten rissen, schwang die Tür, links neben dem Tresen, auf, welche zu den Gästezimmern führte. Aus ihr hervor, trat eine der beiden Frauen, die vorhin in Begleitung eines blonden, jungen Mannes die Taverne betreten und ihren Tisch passiert hatten. Ihre langen, kastanienbraunen Haare waren zerzaust, die Farbe, mit der sie ihr Gesicht bemalt hatte, ebenfalls nicht mehr frisch und auf ihrer rechten Gesichtshälte gar etwas verschmiert. Ihr dunkelgrünes, schulterfreies Kleid saß schief und hätte beinahe eine ihrer beiden üppigen Brüste preisgegeben, wenn sie sich den Stoff nicht gerade noch rechtzeitig zurechtgezupft hätte. Sie stolzierte, ohne das Geschehen im Raum zu beachten, an den Tresen, musterte Pat mit desinteressiertem Blick und klopfte anschließend dreimal auf das Holz.

„Hey, alter Mann! Ich brauche ein Bier", rief sie, wandte sich dabei von Pat ab. Ihre Stimme klang etwas heiser. Sie verströmte einen latenten Duft von süßem Schweiß, welcher sich mit den Klängen eines undefinierbaren, blumigen Duftwassers vermischte. 

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