17 - Krieg (1)

„Für jeden von uns einen Krug Bier! Und wehe, sie sind nicht sauber", rief Eukaris Wendt und verfehlte mit seiner flachen Hand nur knapp den Hintern der Kellnerin, was schon einem kleinen Kunststück glich. Ein Gesäß so breit wie der Arsch eines Gauls, war nicht wirklich etwas, was man als ein Geschenk des einen Gottes ansehen konnte. Auch wenn das manche Männer, wie etwa der alte Wendt, ein wenig anders sahen. Er vergöttere ja diesen Arsch und würde am liebsten sein Gesicht darin vergraben, wie er nicht müde wurde zu betonen.

Kella, so lautete der Name eben jener, schon etwas in die Jahre gekommener Dame mit dem blass-bräunlichen Haar und den ebenso blass-braunen Augen, die eine fleckige Schürze um die breite Taille gebunden hatte, die dadurch eher wie das Segeltuch eines kleinen Bootes wirkte.

Pat war in Gedanken noch oft damit beschäftigt, die Geschehnisse aus Venhaven vor seinem inneren Auge ablaufen zu lassen. Noch jetzt bekam er ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend, wenn er an das blutverschmierte Gesicht von Fride Demme dachte, der von einem Wurfgeschoss des zornigen Mobs getroffen wurde und daraufhin später dann aus seinem Sattel gefallen war.

Trotz des unerfreulichen Vorfalls, als den man ihn schlicht ab tat, war ihre Reise von Erfolg gekrönt.

Der Herr der Ostlande, der den gesamten Weg zurück stumm in seiner goldenen Kutsche verharrte, war sicher in der Hauptstadt angekommen. Eine solch glorreiche Leistung, als solche betitelte sie zumindest Wendt in seiner leicht spöttischen Art, müsse auch ausgiebig gefeiert werden.

„Mohor, wo willst du hin? Du kommst auch mit", hatte der alte Mann ihm zugerufen, als er bereits im Begriff gewesen war, den Weg zurück in sein Quartier, zu seinen Freunden, anzutreten.

So saßen sie nun zu Siebt im mulmig warmen Schankraum des Gasthauses ‚Zur schwarzen Katze' und warteten auf ihre erste Runde Bier, die wohl kaum ihre letzte sein würde. Mit Ausnahme von Jullen, der als Vorreiter ihre Ankunft ankündigte, dem guten Fridebraht, der noch immer über Kopfschmerzen klagte und diese nicht noch weiter zu befeuern gedachte und natürlich ihrem Hauptmann, hatten sich alle Söhne Venuris am größten Tisch in der linken, vorderen Ecke der Taverne, ganz in der Nähe der Eingangstüre, eingefunden.

Warigna und sein Hauptmannskollege Clewin Brock, welcher die Eskorte für Millot Menk anführte, würden zusammen mit den Gästen der Regentin speisen.

„Dann müssen wir uns zumindest nicht mehr groß zusammenreißen", meinte Merett Ott dazu. Dieser erachtete die, von den Hauptmännern geforderte, Disziplin als eine lästige Notwendigkeit, freute sich daher umso mehr, wenn er ihnen eine Zeit lang nicht mehr unter die Augen treten musste und sich somit „entkrampfen" konnte, wie er sagte.

Wenn er nicht gerade in einer Eskorte mitritt oder einer seiner Lieblingsbeschäftigungen, dem Trinken, frönte, war er Wachführer im südöstlichen Stadtteil, welcher gerne als das Hurenviertel bezeichnet wurde. Dort, wo die Liebe für jeden erschwinglich war, wirke sie „wie ein ranziges Stück Obst, welches jegliches Ungeziefer aus allen Ecken und Ritzen anzog". Prügel und Pöbeleien, waren hier an der Tagesordnung und es benötigte einen entschlossenen, respekteinflößenden Mann und seine wenig zimperlichen Untergebenen, um jenen Teil der Stadt nicht im Chaos versinken zu lassen. Eine Aufgabe, wie geschaffen für den vermeintlich stärksten Mann der Mittlande.

Ott saß zu Pats Rechten und während er sich seinen langen, zopfartigen Kinnbart um die Finger seiner rechten Hand wickelte, seine wohl einzige, echte Marotte, schlug er seinem Nebenmann mit seiner Linken leicht gegen die Schulter und lachte: „Schau nicht immer so ernst, Junge! Vor uns musst du nicht deinen Schwanz zwischen die Beine klemmen."

Pat lächelte. Er sollte wirklich so langsam hinter sich lassen, was in Venhaven geschehen war, sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren und nicht ständig mit den Gedanken in der Hafenstadt verweilen.

So rieb er sich die leicht schmerzende Schulter und antwortete in Otts Richtung: „Tut mir Leid, dass ich nicht bei der Sache war. Ich habe nur gerade darüber nachgedacht meinen Schwanz zwischen die Beine deiner Mutter zu klemmen."

Seit ihrem Ritt zurück nach Venuris war Ott so etwas wie ein guter Freund von ihm geworden.

Schallendes Gelächter ertönte und auch Pat musste, nachdem er in die Gesichter seiner Kameraden geblickt hatte, unweigerlich mitlachen. Ja sogar der sonst so stille und in sich gekehrte, rote Odo Lanzkamp wackelte grinsend auf und ab. Ott selbst lachte am lautesten von allen und riss Kella, die gerade wieder an ihren Tisch getreten war, einen Bierkrug aus den Händen, um diesen in einem Zug zu leeren. Das Bier rann in seinen Bart, tropfte von dort auf seine Hose und bildete letztlich einen nassen Flecken, der ganz so aussah, als hätte er sich gerade eingenässt.
„Bring mir noch eins, Kella, und eine Flasche Feuerwasser für mich und den jungen Pat hier, damit wir heute noch einen Mann aus ihm machen können."

Eigentlich war es den Rekruten, wie Pat immer noch einer war, verboten sich des nachts außerhalb der Kaserne herumzutreiben, doch schien sich nun wirklich niemand an dieser Tatsache zu stören. Ebenso wenig hinterfragten seine Kameraden, dass ausgerechnet jemand, der noch nicht vereidigt worden war, zuerst Seit an Seit mit ihnen ritt und nun auch noch mit ihnen zusammen den den Krug erhob und jedem am Tisch zuprostete, als wäre er schon lange Zeit ein Teil ihrer Truppe.

Zu Beginn ihrer Reise hatte das noch anders ausgesehen. Man konnte nicht sagen, dass es Ablehnung gewesen war, die ihm entgegenschlug, doch herzlich aufgenommen fühlte er sich schon gar nicht. Einzig der junge Jullen war bereit gewesen, mehr als nur einige wenige Worte mit ihm zu wechseln. Er war es auch, der Pat erklärte, dass es seine Gründe hat, wenn Hauptmann Warigna einen auserkor in seinem Gefolge mitzureiten. Die gleiche, nichtssagende Erklärung hatte ihm bereits sein Freund Ben geliefert.

Andererseits konnte er nur wegen seiner herausragenden Fähigkeiten im Kampf ausgewählt worden sein. Alles andere machte keinen Sinn. Vielleicht sollte er heute Abend einfach nur die Wertschätzung des Hauptmannes genießen, der ihn als Nachrücker von Marcos Guthtrunk zu den Söhnen Venuris' holte. Ja, heute Abend mussten solche Gedanken weichen.

Vater sollte ihn jetzt mal sehen. Er verschwende sein gottgegebenes Talent, hatte er von ihm zu hören bekommen. Ebenso, dass er seine Familie entehre, wie ein weiterer Vorwurf lautete. Das konnte nun niemand mehr behaupten.

Ganz im Gegenteil sogar. In seiner neuen Familie genoss er endlich die Wertschätzung, die er verdiente.

Irgendwann würde er nach Rinken zurückkehren und dann würde Mohor Senior mit eigenen Augen sehen, dass er irrte und dass aus seinem Sohn, wider Erwarten, doch kein Narr geworden war.

Mit dem ersten Schluck des sogenannten Feuerwassers, welches Ott sich hatte bringen lassen, spülte er alle seine übrigen Zweifel hinfort.

Wie ein heißer Strom bahnte sich das klare Gesöff seinen Weg in Richtung Pats Magen. Es war alles andere als schmackhaft und hinterließ ein kurzweiliges Brennen auf der Zunge und in seiner Kehle, doch fühlte er sich anschließend, aus ihm unerfindlichen Gründen, sorgenfrei.

Sollen doch der namunsche Hundepriester und sein königlicher Freund einen erneuten Krieg anzetteln. Venuas Feinde würden chancenlos an ihnen zerschellen, an den Söhnen Venuris', daran bestand für ihn kein Zweifel.

Was auch immer sie da drüben über dem Wasser auszuhecken vermochten, mittlerweile war der Westen zu einer unbesiegbaren Macht aufgestiegen und er selbst ein wichtiger Teil hiervon.

Als bereits ein wenig Zeit vergangen war, schwang plötzlich unerwartet die Türe auf und die kalte Nachtluft schnitt sich durch den dicken, warmen Dunst im Inneren des Schankraumes. Im ersten Moment dachte Pat, dass es Jullen war, der dort im Türrahmen stand, was sich jedoch augenblicklich als Trugschluss erwies, denn ein junger, blonder Mann, in edler Kleidung, betrat schließlich die Räumlichkeiten.

Links und rechts umarmte er zwei junge Mädchen an deren Hüfte. Aufgrund ihrer bemalten Gesichter war relativ schnell klar, dass es sich dabei höchstwahrscheinlich um zwei Huren handelte, jedoch um keine, die für jeden erschwinglich gewesen wären. Um in dieses Vergnügen zu kommen, musste man schon zu dem besser betuchten Teil der Hauptstadt gehören.

Doch was führte den jungen Mann dann ausgerechnet hierher?

Sicher, die „Schwarze Katze" war nicht irgendeine Kaschemme, in der irgendwelche zwielichtige Gesellschaft abstieg, dennoch wirkte dieser Mann ein wenig fehl am Platze.

Ohne den ihren oder auch nur irgendeinen anderen Tisch eines Blickes zu würdigen, schritt er zwischen den, nur spärlich besetzten, Plätzen hindurch Richtung Theke und verwickelte den alten, ergrauten Wirt in ein Gespräch, welches Pat, aufgrund der Lautstärke, nicht verfolgen konnte.

Überhaupt schien er der Einzige zu sein, der ernsthaft Notiz von diesem bunten Vogel genommen hatte. Seine Kameraden waren hingegen längst wieder dazu übergegangen ihre Krüge zu erheben, um auf Kella, sich selbst und die Regentin anzustoßen. Flugs packte er seinen halbvollen Trinkbehälter und stieg in die neuerliche Runde mit ein.

„Auf unsere Regentin", rief ihnen ein fetter Mann zu, welcher in der dunklen Nische auf der gegenüberliegenden Seite saß. Häme lag in seinen Worten.

„Während sie und ihre Goldscheisser sich die Bäuche vollschlagen und mit den besten Zutaten bekochen lassen, bleibt die Küche meines Gasthauses kalt, weil mir alle meine Bediensteten abgezogen wurden. Erst unsere Münzen, jetzt noch unsere Arbeitskraft", bemerkte er verärgert und nahm einen weiteren Schluck seines Getränks.

Ruckartig erhob sich Rutleff Daber von seinem Platz, was den nölenden Fettsack zusammenzucken ließ: „Halt dein Maul oder du kannst, neben Münzen und Arbeitskräften, auch noch deine Zähne beklagen!"

Mit weit aufgerissenen Augen musterte der Fremde den Mann der Stadtwache und beschloss daraufhin wohl, dass er seinen Ärger besser für sich behalten sollte.

Rutleff Daber, eigentlich ein ebenso ruhiger, wie angenehmer Zeitgenosse war, laut Jullen, einer der loyalsten Anhänger der Regentin, weshalb seine Reaktion niemanden an ihrem Tisch wirklich überraschte. In seiner Gegenwart schlecht über Lena Venua zu reden oder sie gar zu beschimpfen, war nicht sonderlich ratsam.

Zu Zeiten der Stadtherren stand es noch unter Strafe die Oberen zu beleidigen, doch der große Palu hatte dieses Gesetz gekippt, es als „vor Arroganz triefend" bezeichnet.

Wie Jullen Pat auf ihrem Weg nach Venhaven erzählte, zogen Wendt und Ott ihren Kameraden Daber gerne damit auf, indem sie sich gegenseitig fragten, wie eine Regentin wohl schmecke oder ob man sie nur mit goldenem Geschirr reiten dürfe.

Zumeist hatte Daber dafür nur ein gequältes Lächeln übrig, wenngleich er innerlich kochte und sich unter größter Anstrengung zurücknehmen musste.

Heute konnte Lanzkamp seinen guten Freund Daber jedoch besänftigen und wieder dazu bringen sich hinzusetzen. Der rote Odo war ein ehemaliger Mauerwächter, patrouillierte also nicht in der Stadt, sondern über ihren Dächern. Kein sonderlich angesehener Posten, wurden doch diejenigen, die ihn bekleideten oftmals als Faulpelze und Nichtskönner betitelt.

Mittlerweile war Lanzkamp jedoch für die Einteilung der Wachen auf der West- und Südmauer zuständig. Geschätzt wurde er außerdem für seine Ruhe und Besonnenheit. Als überaus belesener und intelligenter Mann, hatte auch sein Wort großes Gewicht unter den Männern.

„Wenn ich mir solch ein Geschwätz anhören muss, bekomme ich Brechreiz", schimpfte Daber, immer noch aufgebracht.

„Lieber wieder Krieg, als auch nur einen Tag auf eine wohlschmeckende Mahlzeit zu verzichten", fügte er an und wäre beinahe nicht mehr aus dem Kopfschütteln herausgekommen, wenn ihm Kamerad Ott nicht ein Gläschen mit dem Feuerwasser gereicht und ihn förmlich zu einem gemeinsamen Austrinken gezwungen hätte.

„Nun, wenn wir den Krieg vermeiden, dann sicherlich nicht, weil die Regentin unsere beiden Schwerter und ihre Gefolgschaft bekochen lässt", scherzte Wendt und erntete dabei einen wütenden Blick aus Dabers Augenwinkel.

„Das behauptet auch niemand, mein alter Freund", warf der rote Odo ein und rieb sich den Schaum seines Bieres aus dem roten Oberlippenbart.

„Jetzt wo Menk und Fisi in der Hauptstadt sind", fuhr er fort, „werden wohl endlich Entscheidungen getroffen werden, die schon zu lange auf sich warten lassen. Die neuen Kasernen wollen gebaut werden. Unsere Schiffe sind marode. Wenn Namun wirklich auf einen Krieg aus ist, dann müssen alle unsere Schwachstellen beseitigt sein."

„Deine Worte sind so weise, Odo. Wieso sitzt du nicht als Berater am Tisch der Regentin? Stattdessen scheuchst du schwachköpfige Jungspunde über die Mauer", lachte der alte Eukaris, während Odo nur genervt mit den Augen rollte, sich allerdings nicht zu einer Antwort genötigt fühlte.

„Könnt ihr nicht mal das Thema wechseln?", klagte Rekard Amwaldt, der eitle, ehemalige Söldner.

„Wenn ihr mir nämlich noch länger mit diesem Politikmüll auf die Nerven geht, suche ich mir angenehmere Gesellschaft.", drohte er erhobenen Fingers und deutete vorsorglich in Wendts Richtung, womit er dessen Antwort im Keim zu ersticken gedachte.

„Spar dir deine dummen Sprüche, Eukaris", reichte er nach, noch ehe Wendt seinen zahnlosen Mund öffnen konnte, „so gerne ich dich mag, aber irgendwann ist der Bogen überspannt. Ich habe die letzten Tage genug von deinen Kommentaren gehört. Es ermüdet mich."

Bevor noch irgendwer weitere Worte hervorbringen konnte, schwang die Tür der Taverne ein weiteres Mal auf. Dieses Mal war es nun wirklich Jullen, der den Raum betrat und übertrieben lächelnd auf ihren Tisch zustolzierte.

„Der schöne Jullen beehrt uns", rief Ott, lachte laut und schob ihm den leeren Stuhl neben sich zu, den er eigens für seinen jungen Kameraden freigehalten hatte.

Jullen hatte sich doch tatsächlich noch die Zeit genommen frische Kleidung an- und von dem teuren Duftwasser aufzulegen, welches ihn nach Blumen duften ließ. Er besaß, wie die meisten der Söhne Venuris', eine kleine Hütte im schwarzen Hort und, nach eigener Aussage, eine Angebetete in der Oststadt, die wohl zunächst einmal warten musste.

Kaum hatte er sich auf seinem Stuhl niedergelassen, bekam auch er, von seinem Sitznachbarn Ott, einen freundschaftlichen Fausthieb gegen die Schulter zu spüren. Je mehr dieser trank, desto weniger hatte er seine eigene Kraft unter Kontrolle: „Na, wie war es bei der Regentin? Erzähl schon", platzte es aus ihm heraus, während der Getroffene sich unter leicht schmerzverzerrter Miene seine Schulter rieb.

„Ich habe nur mit dem Palastverwalter und einigen Wachen gesprochen. Unsere Regentin war da leider noch nicht anwesend. Schade eigentlich. Ich hätte, nach den letzten Tagen, gerne mal etwas Schönes gesehen. Etwas, das sich angenehm von euren hässlichen Visagen abhebt", scherzte er und winkte nebenbei Kella an ihren Tisch.

„Kameraden, auf unsere erfolgreiche Mission", rief er feierlich, als sie ihm den ersten Krug Bier überreichte.

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