03 - Der Tränenkönig (3)
Die in Summe achthundertachtundsiebzig Stufen, die hinauf in den goldenen Raum führten, waren für Terek bei Weitem nicht mehr so einfach zu bewältigen, wie noch vor einigen Jahren. Schwer schnaufend und, trotz einiger Pausen, und mit schmerzenden Gelenken erreichte er schließlich die, wieder einmal in goldenes Licht getauchte, Halle, in der bereits Quensy auf ihn wartete.
Dieser eilte ihm entgegen um ihn zu seinem Platz zu führen, was Terek direkt ablehnte. Wirkte er auf seine Mitmenschen wirklich so geschafft in dieser alten Hülle die sein Körper war?
Der junge Bursche Quensy, der den dreißigsten Tag seiner Geburt noch nicht begangen hatte, war mit einer schwarzen, lockigen Mähne gesegnet, für die ihn sämtliche Mädchen Emorhors vergötterten. Sein Mund mit den vollen Lippen war von dünnem, dunklem Flaum umringt. Sein Gesicht wies sehr androgyne Züge auf und seine Augen leuchteten unnatürlich blau. Eine in Namun sehr seltene und daher exotische Augenfarbe. Er behandelte Terek oftmals wie einen alten Mann. Obwohl er es stets gut meinte, hasste Terek dies, wies ihn allerdings jedes Mal freundlich darauf hin, dass er keine Hilfe benötigte, wenn er nicht darum bat. Dann lächelte Quensy ihn verlegen an. Selbst seine Zähne waren perfekt. Gerade und strahlend weiß. Auch wegen seiner Art zu Lächeln war er in der Damenwelt begehrt.
In seiner Jugend, die gefühlt erst gestern, aber in Wahrheit schon vor einer halben Ewigkeit zu Ende gegangen war, war es Terek gewesen, der die Herzen der Frauen höher schlagen ließ. Damals, kurz nach dem großen Krieg, waren gutaussehende und gut gebaute, große Männer wie er ein überaus rares Gut und dadurch umso begehrter, auch wenn sein Herz stets bei M'Kelya gewesen war. Noch bevor er zum einzig wahren Glauben, zur Mutter, fand, war er ein wilder Heißsporn gewesen. Einem Kerl wie Quensy hätte er damals mit seinen bloßen Fäusten das hübsche Gesicht zerbeult, doch damals war er ja auch nur ein dummer Junge gewesen. Ein sorgenloser Junge, der in seiner Liebe zu M'Kelya, besonders in deren Augen zu ertrinken drohte. Heute hingegen lag die ganze Last Namuns auf seinen Schultern. Just in diesem Moment wünschte er sich wieder in die Zeit seiner Jugend zurück. Zurück in die Arme M'Kelyas.
Als Terek an dem kleinen hölzernen Tisch Platz nahm, ließ sich Quensy an seiner rechten Seite nieder. Er trug, wie auch Terek, eine dünne, rote Robe, die ihm bis zu den Knöcheln reichte. Vor zwei Jahren hatte er den jungen Burschen zu seiner rechten Hand ernannt, nachdem dessen Vorgänger, der leicht ergraute Benysma Gemu'Sakao, an einem Fieber erkrankte und anschließend im Schoß der Mutter Platz nehmen durfte. Manchmal erwischte sich Terek dabei, wie er bedauerte, dass sich Zet nach Sandes Tod zur Ruhe gesetzt hatte. Aber wäre der alte Mann wirklich die bessere Wahl gewesen?
Nacheinander trafen, jeweils von zwei Wachen begleitet, der Stadtverwalter Yilbert Zur'Konyett, der große Malto sowie Hernak Kreum'Barbero, der Oberbefehlshaber der Stadtwache Emorhors ein.
Yilbert setzte sich an das linke Tischende neben den Hohepriester. Er war ein entsetzlich hässlicher, hagerer und kränklicher Mann Mitte Vierzig. Man sah ihm die Anstrengung an, die ihm der Aufstieg in den goldenen Raum auch dieses Mal bereitet hatte. Mit einem dünnen Stofftuch tupfte er sich die dicken Schweißperlen von der Stirn. Wenn Yilbert mit einem sprach, starrte einen sein linkes Auge an, während das rechte den Blick gegen seine eigene Nase wandern ließ. Sein Haaransatz hatte sich bis zur Mitte seines Schädels zurückgezogen, während die wenigen dünnen Haare ein Gemisch aus Schwarz und Silber darstellten. Er trug ein feines, oranges Gewand, mit grünen geschwungenen Linien verziert, und verströmte den fast schon penetranten Geruch exotischer Düfte, mit denen er sich stets auf dem wöchentlichen Markt eindeckte und anschließend einparfümierte.
Hernak war das genaue optische Gegenteil von Yilbert und setzte sich, wenn auch wohl unbewusst, dementsprechend an das andere Tischende. Er war muskulös und breit gebaut. Sein dunkles Haar war voll, schulterlang und sein dichter schwarzer Bart verbarg seinen Mund. Man konnte nie wirklich sagen, ob Hernak nun lächelte oder nicht. Wobei letzteres wohl wesentlich häufiger vorkam. Er war kein Mann großer Worte oder Emotionen. Sprach er etwas, so hielt er sich stets so kurz und knapp wie nur möglich. Dennoch war er der beste Ratgeber, dem Terek hier in der Hauptstadt zur Verfügung stand, wenn es denn zu einem bewaffneten Konflikt mit dem krysarischen König kommen sollte.
Der große Malto, der sich an der Tischseite gegenüber Terek und Quensy niedergelassen hatte, war hingegen ein rattengesichtiger Mann, den man auf den ersten Blick wesentlich älter einschätze, als er in Wirklichkeit war. Unter seinem schlichten, grauen Gewand, ragten zwei schmutzige Füße hervor, die in abgewetzten Sandalen steckten und an denen links einer, sowie rechts zwei Zehen fehlten. Dem Gemurmel zufolge hatte er seine Zehen einst als Wettschulden eingelöst, weil er, ohnehin ein Mann aus ärmlichen Verhältnissen, nicht genug Münzen besaß um seine Schuld zu begleichen.
Sein Haupthaar war ungleichmäßig und grob vom Kopf geschoren und unter einer unförmigen, ebenfalls grauen Kopfbedeckung aus Filz verborgen. Seine kleinen Augen funkelten beinahe gelb und unter seiner spitzen kleinen Nase ruhten zwei dünne Lippen, wie Striche in sein Gesicht gezeichnet, was ihm das besagte rattenartige Antlitz bescherte. Lächelte er, zeigten sich kleine, goldgelbe Zähne, die er durch sein ständiges Knirschen regelrecht abgewetzt hatte. Malto war ein Mann von niederer Geburt, was man, wenn man ihn nicht ansah, dann wenigstens an seinem fehlenden Zweitnamen bemerkte, was auch darauf hindeutete, dass er ein vaterloser Bastard war. Doch war Malto für Terek derzeit so wichtig wie kein Anderer.
Der, zumindest ihm gegenüber, sehr unterwürfig daherkommende kleine Mann, der alleine aufgrund seiner Körpergröße seinen Beinamen „der Große" verpasst bekommen hatte, unterhielt Beziehungen in alle Städte des Kontinents und war dadurch bestens über sämtliche wichtigen Dinge informiert: Stimmungen in der Bevölkerung, Gerüchte, sowie natürlich vermeintliche Informationen über den mysteriösen, krysarischen König, die zurzeit jedoch noch außerordentlich spärlich daherkamen.
Er war es auch dem Terek die Information weitergab, dass immer weniger Namuner zur Mutter beteten und sich im Geheimen anderen Göttern zuwandten. Dass das Volk in diesen Zeiten größtenteils wieder mit seinem alten Sonnengott oder dem, einst im Götterkonflikt gepriesenen, einen Gott aus dem Westen liebäugelte, konnte Terek verstehen. Viele seiner Vorgänger hatten es unter Strafe gestellt anderen Göttern zu dienen, doch er war überzeugt davon, dass man mit Überzeugungskraft und gutem Willen mehr erreichen konnte, als mit Blut und Gewalt. Die Mutter überzeugt mit ihrer Barmherzigkeit und wird ihre Kinder wieder auf den rechten Weg führen, dachte sich der Hohepriester. Sie würde ihm zeigen, wie er dies für Sie forcieren konnte.
Wenn er diese Zuversicht doch auch in Bezug auf seine Brüder und Schwestern aus dem Norden hegen könnte.
„Es ist mir wie immer eine Freude, mit Euch an diesem Tisch hier sitzen zu dürfen", eröffnete Yilbert ungefragt die Runde.
„Und mir wie immer eine Freude Euch und auch die geschätzten Herren Hernak und Malto im Rat der Fünf begrüßen zu dürfen", erwiderte Terek und schaute dabei jedem der Männer kurz in die Augen, während er seinen Mund zu einem Lächeln geformt hatte. Einzig Hernak erwiderte das Lächeln nicht, sondern nickte Terek nur stillschweigend zu, wie es eben seine Art war.
„Wie geht es Emorhor?", fragte Terek an seinen linken Tischnachbarn gewandt. Yilbert schien sich die Antwort auf diese Frage bereits zurechtgelegt zu haben, denn er rieb sich die Hände und setzte sich aufrecht hin, während er ein zähnefletschendes Grinsen zeigte und dabei, wie immer, in zwei verschiedene Richtungen blickte.
„Wir haben wieder einige Einwohner verloren seit wir das letzte Mal getagt haben. Siebzehn Tote, elf davon aus dem Armenhaus, fünf sind eines normalen Todes inmitten ihrer Familien verschieden, ein Unfall mit einem Karren. Sechzehn junge Männer und Frauen haben die Stadt mit unbekanntem Ziel verlassen oder sind schlichtweg verschwunden. Wir haben aber auch vier Geburten gezählt, alle Kinder sind wohlauf und gesund. Dies sind zumindest unsere dokumentierten Zahlen. Desweiteren haben wir in den letzten Tagen einhundertsechsundsechzig Fremde der Stadt verwiesen, aber durch den Markt strömen die Meisten von ihnen wieder in unsere Stadt."
Hernak nuschelte etwas in seinen dichten Bart hinein, wovon Terek die Worte „Wir" und „unter Kontrolle" herauszuhören glaubte.
„Die Fremden tauchen von Tag zu Tag zahlreicher vor unseren Toren auf. Sie kommen aus den unbefestigten Siedlungen rund um die Hauptstadt herum und suchen Schutz hinter unseren Mauern. Nur können wir sie nicht alle beherbergen. Wir platzen aus allen Nähten", führte Yilbert weiter aus.
„Wir haben die Frauen und Kinder so gut es ging untergebracht, aber den vielen Männern..." –
„Speer in Hand, für uns kämpfen", bemerkte Hernak, diesmal wesentlich deutlicher in seiner Aussprache.
„Viele von ihnen haben ein erhebliches, kriminelles Potenzial. Geben wir ihnen Waffen, werden sie sie auch gegen uns einsetzen", intervenierte Yilbert.
Quensy hob die rechte Hand in die Höhe um sich Gehör zu verschaffen: „Wir können nicht alle bei uns aufnehmen, werter Yilbert, da habt Ihr Recht. Aber diese Menschen ersuchen uns und somit auch die Mutter um Hilfe. Unsere Mutter verwehrt den Hilfsbedürftigen nicht die helfende Hand. Und diese Kriminellen, wie Ihr sie nennt, haben Hunger und sind verzweifelt. Das kann selbst ein Kind der Mutter dazu bringen sich zu vergessen."
Yilbert nickte so tief, dass er sich fast den Kopf an der Tischkante anschlug: „Ihr habt durchaus Recht, die Mutter ist gut und daran gibt es auch keinen Zweifel. Wenn wir sie aber in Emorhor nicht aufnehmen können, müssen wir sie gen Süden oder Osten in die anderen Städte weiterleiten."
Auf der einen Seite lag Hernak gar nicht so falsch, dachte sich Terek. Über je mehr kampfbereite Männer Namun verfügte, desto besser konnte man sich gegen den krysarischen König verteidigen.
Vielleicht musste es nicht einmal zu einem Krieg kommen, wenn die eigene Armee nur groß und somit auch abschreckend genug war. Doch würden ein paar hundert Krieger mehr, die möglicherweise nicht einmal gewillt waren zu kämpfen, einen Unterschied machen? Niemand kannte die Truppenstärke des Feindes, auch die Informationen, die Malto zugetragen wurden waren nur vage Vermutungen und schwankten oft auch sehr stark.
Doch auch Yilbert hatte insofern Recht, dass Emorhor nur über begrenzte Aufnahmekapazitäten verfügte.
„Wir müssen aber auch an unsere Freunde denken", warf Yilbert ein und fügte an: „Die beiden nördlichsten Städte Haasmehor und Rokhejlhor verfügen nicht über genügend Männer. Wenn der König angreift werden sie zuerst an deren Stadttoren kämpfen. Wenn wir dem Vorschlag Quensys folgen wollen, dann schicken wir ihnen ein Teil unserer Männer zur Verteidigung und lassen die kampftauglichen Burschen vor unseren Toren, in unserer Kaserne ausbilden. Somit können wir unsere Truppenstärke aus alten tagen wieder komplett herstellen, eventuell sogar vergrößern."
Hernak grunzte belustigt und für einen kurzen Moment glaubte Terek ein Grinsen unter dem dichten Haargestrüpp gesehen zu haben. Er wusste sofort, wie er diesen Vorschlag aufgenommen hatte.
Malto meldete sich nun zu Wort. Er sprach leise und langsam: „Der Grund weshalb die Menschen uns die Stadttore einrennen ist nicht, weil sie keinen Speer in der Hand hätten um sich zu verteidigen. Sie haben Angst. Unter unserem Volk werden Gerüchte verbreitet, dass der Feind uns zahlenmäßig haushoch überlegen ist. Habt Ihr Euren parfümierten Hintern schon einmal vor die Stadttore bewegt, Stadtverwalter? Dann hättet Ihr sehen können, dass sich unter den Schutzsuchenden nahezu keine kampftauglichen Männer verstecken. Wen wollt Ihr also ausbilden? Und dann wollt Ihr unsere Männer nach Norden schicken? Wenn die Krysari angreifen, werden sie Haasmehor und Rokhejlhor wie eine Flutwelle wegspülen. Das Land unterhalb der toten Steppe ist dünn besiedelt und die Städte sind ungünstig positioniert. Die Geschichte hat uns doch gelehrt, dass genau sie ein dankbares Ziel darstellen. Selbst zu Zeiten der beiden alten Königreiche wurden die Städte im Grenzgebiet immer wieder von den Krysari angegriffen und teilweise besetzt. Weshalb sonst hätte der ehrenwerte Tasmanuk so viel Energie darauf verwendet Krysas Machtbestrebungen zu unterbinden? Wozu also diese beiden Städte stärken?"
Yilberts Gesicht verfärbte sich rot vor Empörung. Prompt fing er an zu stammeln: „Ihr wollt unsere Freunde in Haasmehor und Rokhejlhor im Stich lassen? Sie dem Feind überlassen?"
Hilfesuchend blickte er zu Terek und Quensy und hoffte darauf, dass einer von ihnen diesem abscheulichen Plan widersprechen würde, doch war es Hernak, der sich zu Wort meldete: „Gut! Soldaten in Hauptstadt holen, gemeinsam kämpfen", murmelte er und in seinen Augen loderte das Feuer der Begeisterung. Hernak Kreum'Barbero liebte den Kampf und er liebte seinen Speer. Die Aussicht auf eine blutige Auseinandersetzung mit einem Feind, der mit ihm gemeinsam den Todestanz tanzte, wie die Namuner den bewaffneten Zweikampf auf Leben und Tod nannten, versetzte ihn wahrlich in Erregung.
Nun sprach Terek, der sich interessiert die Worte seiner Ratgeber angehört hatte und zu einer Entscheidung gekommen war: „Mein geschätzter Yilbert. Ich möchte, dass Ihr dafür Sorge tragt, dass genügend Wagen und Karren, sowie ausreichend Zug- als auch Reittiere zur Verfügung stehen. Wir werden alle Frauen, Kinder, alte Männer und die, die nicht zum Kampf bereit sind in den Süden und somit in Sicherheit verfrachten. Hernak, Ihr werdet dem ehrenwerten Stadtverwalter genügend Männer zur Verfügung stellen, die die Menschen begleiten und beschützen werden. Den Männern die kämpfen wollen, werdet Ihr eine entsprechende Ausbildung zuteil werden lassen. Quensy wird dafür Sorge tragen, dass wir alle nötigen finanziellen Mittel bereitstellen, die hierzu benötigt werden.
Solange wir keine Nachricht unseres Gesandten erhalten haben, werden wir weder Männer in die nördlichen Städte schicken, noch welche von dort abziehen."
„Sollte er es tatsächlich in die Hauptstadt schaffen, so wird er vermutlich nur Ruinen vorfinden. Wenn er richtig Pech hat, werden sich dort sogar einige dieser krysarischen Hundesöhne aufhalten, die ihm die Kehle aufschlitzen werden", hatte Zet ihm über seinen Gesandten und dessen Friedensgesuch gesagt und Terek damit nur noch weniger Hoffnungen auf eine friedliche Lösung gemacht. Aber er durfte hier und heute nicht zweifeln.
„Euch, Malto, möchte ich vorerst bitten zu bleiben. Ich habe noch etwas mit Euch persönlich zu unterreden", verkündete Terek alsdann und während sich Hernak direkt im Anschluss von seinem Platz erhob und auf den langen Weg zurück machte, blickte Yilbert den Hohepriester entgeistert mit seinem einen Auge an, während das Andere weiterhin unentwegt gegen seine eigene Nase stierte. Yilbert Zur'Konyett wirkte fast so, als hätte Terek ihn persönlich beleidigt, als er sich schließlich ebenfalls erhob, sich mit ausschweifender Armbewegung verbeugte und ebenfalls den Rückweg antrat.
Malto blieb seelenruhig, entspannt gegen die Rückenlehne des Stuhls gelehnt, sitzen und knirschte mit seinen kleinen gelben Zähnen, wodurch er laute, malmende Geräusche erzeugte. Auch Quensy, die rechte Hand des Hohepriesters, verließ seinen Platz nicht und musterte Malto mit seinen strahlend blauen Augen. Terek wartete ab, bis die Schritte der anderen beiden Ratsmitglieder und der Wachen, die sie begleiteten, restlos verstummt waren, dann holte er tief Luft und atmete gemächlich wieder aus. Er hatte seine beiden Hände vor sich auf den Tisch gelegt und rieb sich die kalten Fingerspitzen warm. Während er sprach, blickte er weiter seine Hände an: „Ihr wart von Anfang an nicht überzeugt davon um Frieden zu ersuchen. Warum habt Ihr nicht gegen den Vorschlag gestimmt?"
Er blickte wieder zu Malto auf und sah, dass dieser keine mimische Reaktion auf diese Frage zeigte und wieder mit seiner ruhigen Stimme antwortete: „Solange es die Hoffnung auf Frieden gibt, sollte man ihn auch anstreben".
Er ließ die Augen zu Quensy und anschließend wieder zurück zu ihm wandern: „Andererseits glaube ich nicht daran, dass wir um das Blutvergießen herum kommen werden."
Terek nickte vor sich hin. Zets Worte. Das waren Zets Worte, dachte er sich. Hätte Malto über das gleiche Wissen, wie die ehemalige rechte Hand von Hohepriester Sande verfügt, wäre auch seine Schlussfolgerung dieselbe gewesen, war Terek sich sicher.
„Wenn Ihr meine ehrliche Meinung hören wollt", begann Malto und beugte sich vor in Richtung der Tischfläche, auf die er seinen linken Unterarm legte, auf welchen er wiederum nun das Gewicht seines Oberkörpers verlagerte, „so denke ich, dass wir auf keinen Fall die Männer aus den beiden Grenzstädten abziehen sollten, zumindest nicht komplett. Wenn der Angriff erfolgt werden die dortigen Verteidiger zur besten Informationsquelle, die wir nur bekommen können. Sie können uns über die gegnerische Truppenstärke, ihre Bewaffnung, ihre Rüstungen, ihre Anführer, sie können uns über alles Auskunft geben und wir können uns darauf einstellen. Sie können uns zeigen, wie lange wir mit welcher Besatzung einer Belagerung standhalten können. Einer meiner Informanten könnte uns seine Erkenntnisse mittels gefiederter Nachrichtenträger zukommen lassen."
Dieser Plan klang so falsch, aber Malto hatte auch Recht. Solange ihr Feind sich im nördlichen Regenwald versteckte, wussten sie nichts über ihn. Eine Belagerung in ihrem Teil des Kontinents würden ihnen hingegen Aufschluss über dessen Stärken und Schwächen liefern. Doch die Bewohner und Verteidiger zweier Städte dafür zur Schlachtbank führen? Die Mutter würde so etwas nie gutheißen und ihr Zorn würde über sie kommen. Er war ihr höchster Stellvertreter am Boden. Man konnte gar sagen, dass er der große Bruder einer riesigen Schar von Kindern war und er sie beschützen musste. Kein großer Bruder würde seine Geschwister zu seinem eigenen Vorteil ans Messer liefern. Doch ein kleines Opfer um womöglich einen Großteil seiner Brüder und Schwestern zu retten sollte doch erlaubt sein? Er wischte diesen Gedanken rasch beiseite. So waren, in gewisser Weise, doch auch der krysarische König und dessen Volk seine Geschwister. Die schwarzen Schafe zwar, aber sie waren von seinem Blut. Schon lange bevor das Königreich Krysa überhaupt existierte, waren sie ein Volk gewesen, im Blute geeint.
„Ich kann die Zweifel, die Ihr hegt nachvollziehen. Es gibt keine einfachen Lösungen, aber wir müssen uns entscheiden. Wenn die Schwarzträne über uns kommt, müssen wir vorbereitet sein", unterbrach Malto die Gedankengänge Tereks.
Doch war es nicht das, was den Hohepriester aufhorchen ließ: „Was habt Ihr da gesagt?", hakte er mit zusammengekniffenen Augen nach, so als hätte er nicht richtig verstanden, was der rattengesichtige Ratgeber soeben von sich gegeben hatte.
„Ich sagte wir müssen vorbereitet sein", antwortete Malto und schien aufgrund Tereks plötzlicher Aufgewühltheit sichtlich überrascht.
„Nicht das", fuhr dieser ihn schroff an. Auch Quensy hatte sich ihm nun mit fragendem Blick zugewandt.
„Wie habt Ihr den Krysari-König soeben genannt?" – „Schwarzträne, Tränenkönig, weinender König, Krysa-Bastard. Das Volk hat viele Namen für ihn."
Mit einem lauten Krachen kippte der Stuhl des Hohepriesters nach hinten um, als dieser sich, wie von einem Skorpion gestochen, in die Lüfte erhob. Er war sich nicht sicher, welchen Eindruck er gerade vermittelte, doch schien er sogar den sonst so besonnenen Malto zu verwirren.
„Geht es Euch gut?", fragte dieser mit einem leicht besorgt klingenden Unterton.
„Ich danke Euch, wie immer, für Eure Ratschläge, Malto. Doch muss ich Euch nun bitten zu gehen! Ich fühle mich nicht sehr wohl. Ich werde mir alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen und Euch auf jeden Fall konsultieren, sollte ich erneut auf Euren guten Rat angewiesen sein. Aber bitte geht jetzt!"
Malto nickte einmal und verließ anschließend wortlos den goldenen Raum, dessen Leuchten nun langsam in das nächtliche Blau überging. Sie waren hier der Mutter so nahe, wie nirgendwo anders.
Terek blickte zu Quensy hinüber und in dessen Augen konnte er sehen, dass dieser nun auch verstanden hatte.
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