Kapitel 50- Das Gift
Madline
Ich befand mich noch immer im Avatarzustand und versuchte, das Gift zurückzudrängen. Und ich war wütend. Meine Wut wurde zu unerträglicher Hitze, die sich in meinem Körper sammelte. Die Luft um mich herum begann zu knistern, als wäre sie elektrisch aufgeladen. Energie hüllte meinen gesamten Körper in eine Art Schutzmantel, während ich noch immer versuchte, das Gift zu bekämpfen. Es fühlte sich ganz so an, als wollte ich eine Glasscheibe allein mit den Händen zerbrechen. Tatsächlich zerbrach die Scheibe und die Scherben fielen klirrend zu Boden, falls es denn einen gab. Langsam glitt ich zurück in meinem Körper und rief die vier Elemente gleichzeitig um Hilfe. Ich berührte jedes einzelne von ihnen gedanklich mit den Fingerspitzen, woraufhin diese anfingen zu kribbeln, als würden tausend Ameisen über sie laufen. Die Hitze breitete sich weiter in mir aus, hinunter zu den Zehen und in die Fingerspitzen. Die Elemente umkreisten mich und gaben mir zusätzliche Kraft. Ich hielt die Hitze solange fest und merkte, wie sich meine Seele im Körper manifestierte, bis sich beide vereint hatten.
Mit einem Ruck öffnete ich die Augen und blickte geradewegs in die Spitze einer Klinge, welche rasendschnell auf meinen Hals zuschoss. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Wie konnte ich sie aufhalten? Zu lange sollte ich jedenfalls nicht zögern. Ohne zu wissen, was ich genau tat, ließ ich die Hitze aus meinen Fingerspitzen entweichen und vereinte sie mit der Luft. Vor meinen Augen bildete sich noch rechtzeitig eine unsichtbare Wand. Die Klinge sauste nieder, traf auf den Schutzschild und wurde samt seines Besitzers zurückgeschleudert. Asche wurde aufgewirbelt und ich verkniff mir den Hustenreiz. Ein dumpfer Schrei war zu hören und ich kam blitzschnell auf die Füße. Die Energie schoss zurück in meinen Körper und ich gab mir alle Mühe, sie zu halten. Mit wutverzerrtem Gesicht ging ich ein paar Schritte auf meinen Angreifer zu und beobachtete, wie er sich stöhnend aufsetzte. Seine Miene war schmerzverzehrt.
"Du...", keuchte ich, als er sich stöhnend aufrichtete. Ich brachte den Satz nicht zu Ende, da ich mich noch immer darauf konzentrierte, die Energie nicht zu früh loszulassen. Er blickte mich durch die Löcher in seiner Maske feindselig an, aber ich hielt seinem Blick stand. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus und ich zitterte leicht, was allerdings auch an der Kälte liegen könnte. Meine Füße hoben vom Boden ab, ohne dass ich irgendwelche Magie einsetzte und der Wind zerzauste mir die bluverklebten Haare. Ich konnte spüren, wie die Energie selbst durch jede kleinste Ader schoss. In mir brannte ein loderndes Feuer, das mir neue Kraft gab, sich aber nich so leicht kontrollieren ließ, wie ich gedacht hatte. Diese Kraft konnte mich vernichten.
Der Schattenherr musterte mich mit einem hasserfüllten Blick. Er wusste natürlich, was sich mit dieser Energie anrichten ließ und suchte dann die Umgebung nach seiner Klinge ab. Sie lag weit hinter mir in der Asche, sodass er zuerst an mir vorbeikommen musste, um sie zu bekommen. Es sei denn...
"Schatten", knurrte er und deutete auf die mit Asche bedeckte Klinge. Einer löste sich aus dem Kreis und schoss pfeilschnell auf die Klinge zu, doch ich war schneller. Ich bat das Element Luft zu mir und ließ es zu mir schweben. Da es mich äußerst schwächte, Luftmagie einzusetzen und gleichzeitig die Hitze in meinem Körper zu halten, nahm ich es behutsam in meine Hände. Allerdings traf die Hitze in meinen Fingerspitzen auf die Schneidefläche der Klinge, welche unter meinen Fingern pulsierte und ich verbrannte mir mit einem schrillen Aufschrei die Finger. Die Schatten um mich herum brachen in schallendes Gelächter aus, was ich jedoch ignorierte. Auf der Klinge lastete ein Fluch, soviel war klar. Sie hätte nicht pulsiert, wenn sie vorher nicht mit Magie berührt worden wäre. Die Waffe fiel scheppernd auf den Boden und blieb vor mir in der Asche liegen. Die Gier des Schattenherrn konnte ich ihm von der Miene ablesen.
"Versuch es nicht", zischte ich ihm zu und streckte meine Handflächen dem Boden entgegen. Graue Ranken sprossen unter der Asche empor und zogen das Schwert am Griff unter die Erde, bevor die schwarze, klebrige Flüssigkeit die Ranken schwarz färbte und die Pflanzen abstarben.
"Der Fluch wird nicht mehr bestehen und die Waffe wird solange unter der Erde liegen, bis eine Person mit reinem Herzen Gebrauch von ihr verlangt", erklärte ich mit kraftvoller Stimme und reckte meine Arme gen Himmel. Der Schattenherr erhob sich und warf seinen Untertanen einen vielsagenden Blick zu. Ich konnte seinen nächsten Schritt problemlos vorraussagen und trotzdem musste ich noch etwas abwarten. Jetzt komm schon!
"Wir haben viel zu lange gewartet. Ergreift sie!", kommandierte er, womit ich schon gerechnet hatte. Das ließen sich seine Anhänger nicht zwei Mal sagen. Mit lauten Gebrüll schossen sie von allen Seiten gleichzeitig auf mich zu. Ich zeigte nicht, wieviel Angst mir das wirklich machte. Und dann endlich zuckte der Blitz am Himmel, auf den ich gehofft hatte. Der Blitz senkte sich vom Himmel herab, direkt auf mich zu und ehe ich mich versah, befand ich mich direkt im Auge des Blitzes. Meine Hitze kollidierte mit der des Blitzes. Für einen Moment war ich mir sicher, dass ich nach dieser Tat sterben musste. Die Kraft des Blitzes war zu stark, sie würde mich töten. Die Energie schoss in Strömen durch meine Fingerspitze und traf mit dem Blitz zusammen. Ich biss die Zähne zusammen, um nicht laut loszuschreien und leitete die Energie weiterhin in meinem Körper. Ich wusste, wann ich die Kraft loslassen musste. Jetzt!
Ich schnappte nach Luft und der Blitz saugte die letzte Energie aus meinem Körper, sodass ich einfach loslassen musste. Was mir wie eine Minute vorkam, dauerte für die Schatten nur wenige Sekunden. Der Blitz verschwand und die Kraft entlud sich, verwandelte sich zu einer mächtigen Feuerbrunst. Ich schleuderte sie von mir weg auf die Schatten zu. Ihre schockierten Gesichter waren das Letzte, was ich von ihnen sah. Die Feuerbrunst zerfraß ihren Körper und plötzlich vernahm ich von überall her gedämpfte, qualvolle Schreie, den des Schattenherrn eingeschlossen und mir wurde klar, dass ich, Madline, das unscheinbare Mädchen für all das verantwortlich war und ich gerade eine ganz andere Seite von mir kennenlernte. Ich sah, wie die schwarze Maske des größten Schattens zu Boden fiel und erhaschte einen kurzen Moment auf sein narbenübersähtes Gesicht. Sein linkes Auge war nur mehr ein verbrannter, schmaler Schlitz, seine blauen, dünnen Lippen waren aufgeplatzt. Die Augenbraue über dem verbrannten Auge fehlte. Er riss die Augen weit auf, bevor ihm die Energie das letzte bisschen Leben aushauchte und er kraftlos in sich zusammenfiel. Der zerfetzte Umhang glitt zu Boden und bedeckte die schwarze, unbeschadete Maske. Kurz bevor die letzten beiden Schatten von der Feuerbrunst getroffen werden konnten, warfen sie einen leblosen Körper, der mir nun zum ersten Mal auffiel, zu Boden und versuchten der Energie zu entkommen. Meine Hände errichteten ohne meinen Befehl eine Schutzblase um den leblosen Körper. Zwei letzte Schreie durchschnitten die Luft, dann packte mich ein Schwindelgefühl und zerrte mich in die Asche, sodass ich auf dem Bauch lag. Wind wehte mir die Haarsträhnen aus dem Gesicht und Stille legte sich über das Feld. Es war vorbei. Meine Augenlider waren schwer, doch ich durfte nicht zulassen, dass sie sich vollständig senkten. Ich blickte durch einen winzigen Spalt auf die Aschekörner, die vor meinen Augen vom Winde verweht wurden und auf die verfallene Ruine. Fast glaubte ich, zwölf weitere, schwarze Schätzen zwischen den verfallenen Überresten der Ruine zu erkennen, aber als ich kurz blinzelte, waren alle zwölf Gestalten verschwunden. Vielleicht hatte ich ja halluziniert, das ließ sich in meinem jetzigen Zustand nicht ausschließen. Seltsamerweise wusste ich, dass das vorhin nicht meine Augen gewesen waren, durch die ich geblickt hatte. Erst jetzt sah ich wieder durch die, die wirklich mir gehörten. Ich wollte mich aufrichten, aber mein Körper protestierte dagegen. Er ließ sich nicht mehr kontrollieren.
Augenblicklich setzte der Regen ein und wusch das Blut aus meinen Haaren. Ich wünschte, er würde all meine Sorgen rein waschen. Vielleicht war es sogar besser, wenn ich starb, dann könnte ein anderer Avatar diesen Job übernehmen und würde es hoffentlich besser machen als ich. Man konnte es schließlich nur besser machen. Wenn Cat der Avatar gewesen wäre, hätte sie die besseren Entscheidungen getroffen. Kiki hätte in den Büchern bestimmt eine Lösung gefunden und Coral wäre erst gar nicht so naiv und gutgläubig gewesen, um sich auf Christian einzulassen. Mein Herz machte einen Sprung. Christian! Wo war er? Er musste noch hier sein.
Ich probierte, ob ich mich drehen konnte, aber mein Körper ließ es nicht zu. Mir entfuhr ein Seufzen. So wurde es nichts. Von allein kam ich hier definitiv nicht weg.
In diesem Moment vernahm ich Schritte. Schritte von mehreren Personen, die etwas weiter von mir entfernt über die Asche gingen. Hatte ich vielleicht doch nicht alle Schatten besiegt? Waren etwa noch welche übrig? Ich drehte leicht meinen Kopf, was mir sofort stechende Kopfschmerzen einbrachte. Wenn ich mich jetzt bewegte und dort noch Schatten herumliefen, wäre das nicht sehr klug. Also stellte ich mich vorerst tot, wie es ein Hund an meiner Stelle getan hätte.
Plötzlich wurden die Schritte schneller und immer lauter. Die Personen rannten auf mich zu. Konnten Schatten so schnell rennen?
Ich rührte mich nicht und hielt, so gut es ging, still. Die Kälte ließ mich jedoch leicht zittern, wobei ich hoffte, dass es bei diesem Regen nicht so sehr auffiel. Und dann rief jemand meinen Namen. Laut und deutlich. Als ich erkannte, wer es war, breitete sich eine wohlige Währme in meinem Bauch aus und meine Mundwinkel zuckten leicht.
"Cat", hauchte ich, als sie sich vor mich kniete, um mich anzusehen. Ich konnte sie nicht ansehen. Zum Einen, weil ich mir noch immer bewusst war, dass ich sie sehr verletzt hatte und zum anderen, weil mir mein Kopf einfach nicht gehorchen wollte.
"Ja, aber ich bin nicht allein hier", informierte sie mich und legte ihre Hand auf meinen Rücken. Sie wollte die Heilmagie verwenden. Auf der Stelle reinigte ihre Kraft meinen Körper. Erleichtert hob ich den Kopf ein wenig an, was ein großer Fehler war, weil meine Glieder noch immer schmerzten. "Was ist denn passiert?", fragte sie mich.
"Können wir das vielleicht später besprechen", antwortete ich leise und fügte schwach hinzu: "Falls es ein später geben wird."
"Klar", kam ihr Kiki verständnisvoll zuvor und Coral murmelte etwas Unverständliches. Ich war froh, ihre Stimmen zu hören.
"Wo ist Christian?", presste ich hervor.
"Die Jungs kümmern sich um ihn, aber ich glaube, es sieht schlecht für Christian aus. Aber sag mal, wieso ist dir das so wichtig? Der Typ steht auf der dunklen Seite. Also... ich nehme an, die Schatten aus diesem Gebiet gibt es nicht mehr? Warum hast du ihn nicht auch noch fertig gemacht?",wollte Coral von mir wissen. Am liebsten hätte ich ihr einen bösen Blick zugeworfen, doch so wie ich lag, klappte es leider nicht.
"Lange Geschichte", krächzte ich hervor und kniff die Augen zusammen.
"Kannst du dich bewegen?", fragte Kiki und ich schüttelte den Kopf. Ich wäre gern einfach hier liegen geblieben, wenn es nach mir ging.
"So kriegen wir dich hier aber nicht weg", meinte sie stirnrunzelnd und meine Gedanken wisperten leise: Lasst mich hier liegen! War es denn das, was ich wollte? Sterben?
"Cat, ich glaube das bringt nichts", erkannte Coral. "Sie braucht einen Arzt und Christian anscheinend auch."
"Nein, Christian nicht. Für ihn kann man nichts mehr tun", sagte die vertraute Stimme von Drew. Als er das so kalt sagte, krampfte sich mein Herz bemerkbar zusammen und ich musste mich echt zusammenreißen, wenn ich vor den anderen keine Tränen vergießen wollte. Christian war... tot!? Wegen mir. Das gab mir zu denken und in meinem Hals bildete sich ein dicker Trauerkloß.
"Wir müssen ihn mitnehmen", befahl ich auf einmal mit fester Stimme. Ich hörte, wie Sebastian einen lauten Hustenanfall bekam, Cat widerwillig stöhnte und Coral ein "Hä? Warum?" ausstieß. Im Moment fand ich darauf keine Erklärung. Ich wollte und durfte ihn nicht verlieren. Ich konnte ihn nicht aufgeben, weil er sein Leben für meines riskiert hatte und mir wurde klar, dass ich nie über ihn hinwegkommen konnte. Mit diesem Gedanken schloss ich langsam die Augen.
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