Kapitel 47- Sorgen und Gedanken
Hier ist also das versprochene Spezialkapitel. Es wird dieses Mal nicht aus Madlines Sicht geschrieben und auch nicht nur aus einer Sicht. Wenn ich die Sicht einer Person ändere, wird ein Name zu lesen sein. Viel Spaß beim Lesen! ;)
Cat
Ich zog die Beine fest an mich heran und hockte mich auf die kleine Pritsche. Ich fühlte mich elend, als wären drei Dampfwalzen über mich drübergefahren. So gebrochen war ich nicht einmal seit dem Tod meiner Großmutter. Das Glück und der Glaube hatten mich verlassen. Draußen wartete die grauenvolle Welt voller Schatten, die versuchten unsere Spezies auszulöschen, indem sie uns nieder mezelten. Mich wunderte es kein bisschen, dass der Schattenherr den Pakt mit Madline doch noch gebrochen hatte. Wir waren schon auf dem Weg ins Schulhaus gewesen, um nach dem ersten Jahrgang zu sehen, als sie zwischen den Bäumen hervorschwebten, direkt auf uns zu. Mir kam der Gedanke, dass wir es garantiert nicht geschafft hätten, wenn sich die letzten Schüler der Oberprima nicht geopfert hätten. Vier Jungen, drei Mädchen, wobei sich der Eine sowieso nicht mehr länger auf den Beinen halten konnte. Sie hielten die Schatten für uns auf, so gut es ging. Einige von ihnen folgten uns ins Schulhaus, wobei die Lehrer einen bestimmten Abstand zu ihnen einhielten. Die Tür am Ende des Ganges wirkte für mich wie das Tor zu einem lebenslänglichen Gefängnis. Zwar sicher, aber dennoch freiheitsberaubend. Ich wandte mich ein letztes Mal zu den Lehrern um, die eine massive Wand erschufen, die uns die Schatten für einen Moment vom Leib halten sollte. Wann würden wir wieder durch diesen Gang gehen? Dann zog mich Coral am Arm und wir verschwanden in der Dunkelheit. Meine Augen brauchten eine Weile, um sich daran zu gewöhnen. Unsicher mussten wir uns vorantasten, bis wir zu einer Treppe vordrangen. Vorsichtig setzte ich meine Füße auf die Stufen. Das Klopfen meines Herzens machte mir Angst. Neben mir hatte Coral meine Hand ergriffen und führte mich voran. Die Treppe endete nach einer gefühlten Viertelstunde. Wie tief wir wohl hinuntergegangen waren? Schließlich sah ich leuchtende Punkte vor meinen Augen tanzen, doch ich stellte fest, dass es nur Feuerkugeln der Untersekunda waren. Erleichtert trat ich in einen Raum mit einer gewölbten Decke und ungefähr 50 kleinen Pritschen, die von den Unterstufenschülern besetzt wurden. Gerade legte man noch Extramatten dazu, damit wir alle Platz hatten. Es gab auch einen zweiten Raum, indem es nur noch wenige freie Pritschen gab. Coral drückte meine Hand und schob mich in den zweiten Raum hinein. Dort suchten wir uns zwei letzte freie zusammenstehende Pritschen und machten es uns bequem. Coral fand zuerst ihre Worte wieder.
"Wo sind die Jungs?", flüsterte sie, denn es herrschte nicht wie sonst in der Cafeteria lautes Gebrüll. Einige murmelten etwas, andere hatten sich zur Ruhe gelegt. Manche weinten, so wie ich. Der Schmerz in mir verwandelte sich zu kleinen Tropfen. Ich würde ihn wahrscheinlich nie wieder sehen. Nie war eine ganz schön lange Zeit. Coral legte mir einen Arm auf die Schulter und ich lehnte meinen Kopf an ihre Brust.
"Es tut mir leid, ich wollte nicht... willst du darüber reden?", wisperte sie und ich schüttelte voreilig den Kopf.
"Danke, aber ich möchte einfach meine Ruhe haben", fügte ich hinzu. Verständnisvoll nickte die Freundin, auf deren T-Shirt jetzt zwei große, nasse Flecken zu erkennen waren, als ich mich von ihr löste.
"Wenn es dir nichts ausmacht, schlafe ich 'ne Runde. Ich schlage vor, dass du das auch tust", murmelte sie, schenkte mir ein warmes Lächeln und legte sich auf die Seite. Ich warnte mich, ich sollte mich beruhigen, damit ich die Schlafenden nicht aufweckte und so stahlen sich nur noch leise Tränen über mein Gesicht. Heiß waren sie, jetzt immer noch. Ich verlor jegliches Zeitgefühl und riet, wie lange ich hier nun schon saß und mir die Augen ausheulte. Nur aus dem ersten Raum drangen noch leise Stimmen an mein Ohr, hier legte sich die Stille wie eine Wolke über uns. Viele Schüler schliefen. Manche steckten in einer Art Halbschlaf und ein Mädchen, das auf einer Pritsche an der Wand schlief, zuckte in jeder Minute mindestens ein Mal zusammen. Ich konnte fühlen, dass sie sich ebenfalls fürchteten. Ich sollte mich nicht fürchten!
Die Enttäuschung wuchs mir zu Kopf. Ein kleines, dummes, naives Mädchen wie ich, hatte ihr Vertrauen einem warmherzigen Menschen geschenkt und dieser hatte es missbraucht. Ich wusste nicht, warum sie mir die Sache mit dem Avatar-sein verschwiegen hatte. Ich sollte es Verrat nennen, wenn mich ihre mitleidigen Augen vor dem Abgang nicht so besorgt angesehen hätten. So viele hatten ihr Leben gelassen. Die Oberstufenschüler existierten wahrscheinlich gar nicht mehr. Ein Schauder lief mir über den Rücken, während ich mir sieben Leichen vorstellte, vier Jungen, drei Mädchen, blutend am Boden oder eingehüllt in einen Kokon aus einer klebrigen, schwarzen Masse. Mit diesem Gedanken machte sich das Gefühl von Einsamkeit in mir breit. Mein Körper schien nur mehr eine leere Hülle zu sein. Ich hatte mich mein ganzes Leben lang versteckt, hatte mich für schüchtern gehalten und geglaubt, dass Selbstvertrauen irgendwann von selbst käme. Zu lange wartete ich nun schon darauf. Nur vor meinen Gefühlen versteckte ich mich nie. War das mein großer Fehler gewesen? Dass ich zu viel Mitleid hatte? Ich schüttelte den Kopf über meine eigene Dummheit und schob den Gedanken bei Seite. Dann dachte ich wieder an ihn. Chris war an einem ruhigen und friedlichen Ort. Keiner würde ihm weh tun können. Ich hatte ihm versprochen, dass er mich nicht umsonst gerettet hatte, dass er nicht umsonst sein Leben gelassen hatte. Ein weiches Herz brachte mich nicht weiter, ich musste mich wehren, gegen die Gefahren, die noch kommen würden. Ich würde kämpfen, für das, was ich liebte. Für Chris. Ich erfüllte Chris seine Bitte, wenigstens das würde ich für ihn tun können. Und ob ich es wollte oder nicht, so hing mein Leben zum Teil vom Avatar ab. Größtenteils empfand ich nun eine tiefe Abneigung gegen sie, aber irgendetwas sagte mir, dass ihr unsere Freundschaft mehr bedeutete, als ich bisher glaubte. Ich spürte, wie meine Wut auf Madline kurz verblasste und wusste, dass es meine Pflicht war, sie zu retten. Doch zuerst übermannte mich die Müdigkeit und ich fiel in einen tiefen, unruhigen Schlaf.
Christian
Meine Hände kribbelten noch immer. Tief in Gedanken versunken saß ich auf dem hölzernen Stuhl in einem winzigen Raum, der nur spärlich beleuchtet war. Ich betrachtete die offenen Handflächen mit Argusaugen genauer und musste überrascht feststellen, dass ich zitterte. Hier drinnen war es nicht sonderlich kalt, aber auch nicht gerade warm. Ich konnte die Angst förmlich riechen und sie gehörte zu allem Überfluss auch noch mir. Ich krallte mich an der Kante eines Tisches fest, bis meine Fingerknöchel weiß wurden und biss die Zähne zusammen. Ich kannte dieses Gefühl nicht, welches ich gerade empfand, doch mir gefiel nicht, dass der Avatar sich vor mir fürchtete. Ich wollte es nicht, ich wollte ihr die Angst nehmen.
Als ich den Avatar vorhin berührt hatte, wären meine Hände vor Schmerz beinahe explodiert. Sie konnte ihre Kraft lenken, nur ahnte sie davon noch nichts. Sie hätte mich töten können, wenn sie ihre Konzentration nicht auf die Wachen gelegt hätte. Es stimmte, dass Platin Elementbändiger enorm schwächte, doch in ihrem Fall waren sie eine Barriere gegen die man ankommen würde. Wenn wir nicht aufpassten, könnte sie sich unbemerkt befreien und entkommen, aber fände ich es so schlimm, wenn sie frei wäre? Vielleicht fiel es ihr schwer, sich in einer solchen Situation zu konzentrieren, dann konnte sie es nicht schaffen.
Ich schob den Stuhl zurück und stand auf. Konzentration! Ich holte tief Luft und atmete sie langsam wieder aus. Meine rechte Hand bewegte sich langsam in die Richtung der einzigen Fackel, die linke schob sich von ihr weg. Es knisterte leicht, als sie sich kurz parallel zueinander gegenüberschwebten. Angestrengt kniff ich die Augen zusammen und nahm das gewohnte Prickeln auf meiner Haut war. Die Handfläche zur Fackel gerichtet, machte ich eine schnelle Handbewegung, als würde ich das Licht aus der Ferne greifen wollen. Ich schloss meine Hände zu Fäusten zusammen und öffnete sie. Am liebsten hätte ich geschrien wie ein Mädchen, doch meiner Kehle entfuhr kein Laut. Funken tanzten um die geöffneten Hände. Jeder von ihnen fühlte sich an wie ein Stromschlag. Ich zuckte zusammen, wenn sich die Funken auf meine Hand legten. Als es endete traute ich mich nicht meine Hände erneut zu bewegen. Ich hatte mich an meinen eigenen Kräften verbrannt. Meine Kraft war blockiert, durch die des Avatars.
Bevor ich mir weiter die schmerzenden Handgelenke reiben und mich beruhigen konnte, hörte ich Stimmen von draußen auf dem Gang. Eine war die des Schattenherren, die andere konnte ich noch nicht identifizieren. Hatte der Schattenherr dem Avatar einen Besuch abgestattet?
Ich näherte mich vorsichtig der massiven Tür und lauschte. Die Stimmen entfernten sich. Ohne groß nachzudenken öffnete ich die Tür und schlüpfte hindurch. Ich schloss sie geräuschlos hinter mir und schlich dem Schattenherrn und seinem Begleiter hinterher. Dabei achtete ich auf einen gewissen Sicherheitsabstand, wenn ich nicht erwischt werden wollte. Ich kam ihnen immer näher und hielt mich dicht hinter ihnen im Schatten auf. Nun erkannte ich auch den zweiten Schatten. Er war ein Mitglied des hohen Rates der Schatten.
"Und warum töten sie den Avatar nicht gleich?", bohrte er gerade nach. Der Schattenherr rieb sich die Hände, als würde noch heute ein großes Festmahl anstehen.
"Mir scheinen, Sie haben sich nicht darüber informiert, wie dieses Ereignis genau abläuft. Ersteinmal brauche ich dieses seltene Platin. Ich habe schon einige Schatten beauftragt die fehlende Zutat zu finden und mir zu bringen. Bisher verlief ihre Suche erfolglos. Und selbst wenn ich die fehlende Zutat endlich hätte, müsste ich noch eine andere Sache erledigen." Sein Satz endete in einem Husten und sie stoppten für einen Moment. Ich hielt für einen Moment inne und wartete auf eine Regung ihrerseits.
"Wie du siehst, brauche ich es bald. Der Tod des Avatars wird mein Leben sein. Ich sauge seine Kräfte in mich auf und entnehme dem Avatar das Leben, um mich vor dem Tod zu bewahren. Deshalb brauche ich die letzte Zutat so schnell wie möglich", erklärte er dem Mitglied. Verwirrt wandte es sich zu dem Schattenherrn um und runzelte die Stirn.
"Was müssen sie erledigen?", wollte er misstrauisch wissen. In seiner tiefen Stimme lag ein ein skeptischer Unterton. Das schien auch dem Schattenherr aufzufallen, denn er spannte sich kaum merklich an. Die beiden gingen weiter und ich folgte ihnen unauffällig. Der Schattenherr räusperte sich.
"Ich bin einem Pakt mit dem Spion eingegangen. Seine Eltern haben mir zu jüngeren Zeiten gedient, bis sie vom Avatar vernichtet wurden. Schon früher war mir der Avatar Szu ein Dorn im Auge. Ich konnte sie nicht ausstehen, wie sie sich wie eine Heldin aufgeführt hat. Unsere Vorfahren jedoch haben sie nicht wie vorgesehen im Avatarzustand umgebracht und so hat mir mein Vater diese Aufgabe anvertraut. Sie wissen ja, dass ich beschloss den nächsten Avatar umzubringen. Der Spion kam mehr oder weniger aus freien Stücken zu mir und hat mir seine Hilfe angeboten. Er wusste, dass seine Eltern von diesem moströsen Avatar getötet worden waren. Er hat mir versprochen mein Spion in dieser nervigen Elementbändigerschule zu sein. Ich habe ihm alles gegeben, was er brauchte. Und im Gegenzug dazu, habe ich ihm gesagt, dass er Rache an dem Mörder seiner Eltern ausüben darf und dass ich ihn in die Anderwelt schicke, damit er eine Zeit lang bei seinen Eltern ist. Natürlich würde ich ihn niemals den Avatar töten lassen. Das ist meine Aufgabe, auf die ich mich lange genug vorbereitet habe. Außerdem würde es meinen Tod bedeuten, wenn er dir Kräfte des Avatars in sich aufsaugt. In die Anderwelt werde ich ihn schicken, nur hat das zur Folge, dass er nicht mehr zurückkommen wird. Ich kann seinen Geist in die Anderwelt schicken, jedoch nicht seinen Körper. Wenn ich seinen Geist und seinen Körper dort hin schicke, ist er endgültig tot und wird mich hier auch nicht mehr anderweitig belästigen. Somit wäre alles geklärt", erzählte der Schattenherr von seinem Vorhaben. Ich hielt im Schatten den Atem an und auch das Mitglied des hohen Rates wirkte überrascht. Schockiert sog ich etwas zu laut die Luft ein. Die Chance, dass sie es nicht gehört hatten, war zu gering. Der Schattenherr drehte sich aprupt um und suchte mit seinen wachsamen Augen die Finsternis ab. Mein Herz hämmerte wild gegen die Brust und ich musste unwillkürlich schlucken.
"Wir sind nicht allein", sprach der große Schatten seinen Gedanken aus. Seine Augen blitzten im Licht der Fackel. In diesem Moment hörte ich Schritte, schwere Schritte, die mir gerade recht kamen.
"Das sind wir tatsächlich nicht", bemerkte das Mitglied steif und grüßte mit einer Handbewegung zwei Schatten, die um die Ecke bogen. Der Schattenherr jedoch beachtete die beiden gar nicht.
"Still", befahl er und ging einen Schritt in den Schatten hinein. Ich presste mich dicht gegen die kalte Wand und stellte mir vor, wie ich unsichtbar werden konnte. Ich hielt an dem Gedanken fest und konzentrierte mich auf meinen Willen, doch es geschah nichts, rein gar nichts. Verzweifelt drückte ich mich noch fester gegen die Wand. Verdammt, der Typ würde mich sehen! Nur noch ein paar Schritte
"Meister, wir haben die letzte Zutat gefunden. In den nördlichen Bergen gibt es eine Höhle. Sie ist voll mit dem Zeug, aber nur bei Vollmond. Wir könnten das seltene Platin sofort herstellen", berichtete der eine Schatten. Der größte Schatten beäugte den Gang ein letztes Mal kritsich und kehrte mir anschließend den Rücken zu. Der eine Schatten drückte ihm eine glänzende Dose in die Hand. Die Schatten verbeugten sich und marschierten davon. Sie waren nicht so leichtfüßig wie die anderen ihrer Art.
"Sehr gut", meinte der Schattenherr und strich mit seinen langen, dünnen Fingern über den Deckel der Dose. Das Mitglied neben ihm fühlte sich höchst unbehaglich, so wie ich. Ich entschied mich, zu verschwinden. Ich hatte genug gehört und jetzt wusste ich auch, was ich zu tun hatte. Leise stahl ich mich aus dem Schatten davon und verschwand im Gang.
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